USA: Republikanisches Momentum und Krise der Demokraten
Die Achterbahn im US-Wahlkampf geht weiter: Auf der einen Seite erleben die Republikaner nach dem Anschlag auf Donald Trump ein neues Momentum. Auf der anderen Seite stürzen die Demokraten von einem Debakel ins Nächste.
Nach der Veröffentlichung dieses Artikels trat Präsident Joe Biden von seiner Kandidatur zurück, eine Entscheidung, die das Szenario bestätigt, das bereits als das wahrscheinlichste galt, insbesondere nach dem Angriff auf Donald Trump und den Nationalkongress der Republikaner. Es bleibt abzuwarten, ob die Demokratische Partei auf ihrem Parteitag im August in Chicago einen Konsenskandidaten präsentieren kann oder nicht.
Dieser Artikel erschien erstmals am 21. Juli auf Spanisch bei laizquierdadiario.com
In diesen stürmischen Zeiten der Kriege, der Hegemoniekrise der herrschenden Klassen und der politischen Polarisierung ist es üblich geworden, Zitate zu paraphrasieren, die sich auf die Verdichtung der Zeit beziehen. Am häufigsten liest man in diesen Tagen den berühmten Satz, der Lenin zugeschrieben wird, dass es Jahrzehnte gibt, in denen nichts passiert, und Wochen, in denen Jahrzehnte vergehen. Die Vereinigten Staaten scheinen gerade wieder eine dieser Wochen zu erleben, in denen die Jahre wie im Flug vergehen.
Bis wenige Minuten vor 18 Uhr am Samstag, dem 13. Juli, hatte der Wahlkampf für die US-Präsidentschaftswahlen -die zweifellos die entscheidendsten der etwa 100 sind, die in diesem „Superwahljahr“ weltweit stattfinden werden- eine dekadente Show geboten. Der erbärmlichste Akt war die unglückliche erste Debatte zwischen Trump und Biden am 27. Juni, die der Republikaner weniger aufgrund seiner eigenen Verdienste als aufgrund der offensichtlichen Desorientierung seines demokratischen Rivalen gewann. In einer missbräuchlichen Analogie vergleicht der konservative Historiker Niall Ferguson die politische Dekadenz der USA mit der Dekadenz der letzten Jahre der Sowjetunion (Breschnew, Andropow, Tschernenko). Eine intellektuelle Provokation, die jedoch als Warnung vor dem kritischen Zustand des Zweiparteiensystems dient.
Obwohl es sich um eine Wahl handelt, die nicht nur die amerikanische Politik, sondern die gesamte internationale Dynamik verändern könnte – angefangen beim Krieg in der Ukraine und der Zukunft der NATO – und obwohl einige Analyst:innen selbst aus dem konservativen Spektrum vor der Möglichkeit der Errichtung einer „Diktatur“ im Falle eines Sieges von Trump gewarnt haben, schien das Rennen auf eine Konfrontation zwischen einem Sträfling (Donald Trump) und einem alten Mann mit offensichtlichen Anzeichen von geistigen Verfall (Joe Biden) reduziert zu werden. Eine Metapher für die US-amerikanische Dekadenz und die Krise der Hegemonie der herrschenden Klasse und ihrer traditionellen Parteien.
Donald Trumps Wahlkampfveranstaltung in Butler, einem republikanerfreundlichen Bezirk im westlichen ländlichen Pennsylvania, verlief ohne Überraschungen: viel MAGA (Make America Great Again) Merchandising und Deko, ein aufgeladenes rechtes, migrationsfeindliches Klima mit ausgrenzerischen und religiösen Untertönen und an Mobbing grenzende Angriffe auf Biden wegen seines fortgeschrittenen Alters, mit dem zusätzlichen Bonus, dass Trump im Vorfeld des Republikanischen Nationalkongresses in Milwaukee seinen Gegenkandidaten bekannt geben könnte. Kurz gesagt, eine routinemäßige Trumpisten-Messe.
Doch dann tauchte Thomas Matthew Crooks auf und feuerte von dem vielleicht einzigen hohen Punkt in der Nähe des Veranstaltungsortes mit seinem AR 15-Sturmgewehr etwas mehr als 100 Meter von dem Rednerpult entfernt, von dem aus Donald Trump seine Rede hielt. Die Kugel zischte vorbei und verletzte nur knapp das Ohr des republikanischen Kandidaten, der mit einem gut getimten Kopfnicken buchstäblich sein Leben rettete – um weniger als einen Zentimeter. Bei der Schießerei wurden ein republikanischer Unterstützer und Crooks selbst getötet.
Der Attentatsversuch war vielleicht der beste Wahlkampfspot. Als der Secret Service ihn vom Tatort abführt, ruft ein blutverschmierter Trump mit erhobener Faust seine Anhänger:innen zum Kampf auf – das klassische “Fight! Fight! Fight!“, worauf die Menge mit einem überschwänglichen “USA! USA! USA!“ antwortet. Im Hintergrund weht eine amerikanische Flagge vor einem wahnsinnig blauen Himmel. Märtyrer, Opfer und Held zugleich. Ein Traumbild für jeden Wahlkampfstrategen.
Natürlich rief der Anschlag eine Reihe von Verschwörungstheorien hervor, die durch die sozialen Netzwerke ins Unendliche verstärkt wurden, die bekanntlich die Fähigkeit haben, „alternative Fakten“ zu schaffen. Zu denjenigen, die sich an dieser kollektiven Konstruktion von Fake News beteiligten, gehörte der argentinische Präsident Javier Milei, ein Trumpist der ersten Stunde, der schon wenige Minuten nach der Schießerei, als der Schütze noch nicht einmal identifiziert war, auf seinem X-Account die „Internationale Linke“ beschuldigte, und diejenigen, die aus Angst vor Wahlniederlagen (wegen Biden?) auf „Terrorismus“ zurückgreifen.
Neben den Demokraten ist es der Geheimdienst, der zur Zielscheibe von Verschwörungserzählungen geworden ist, weil es ihm notorisch nicht gelungen ist, Crooks aufzuspüren, selbst wenn einige Teilnehmende und Nachbarn die örtliche Polizei auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht hatten. Eine farbenfrohe Anmerkung: Im Trumpschen Universum hat sich die Theorie durchgesetzt, dass diese groben Versäumnisse auf eine „integrative Politik“ zurückzuführen sind, einschließlich der Präsenz von Frauen und LGBTI-Personen im „tiefen Staat“.
Die Wahrheit wird man wahrscheinlich nie erfahren. Alles, was über Crooks bekannt ist, ist, dass er 20 Jahre alt war. Dass er ein eingetragener Republikaner war (obwohl er im Jahr 2021 einen Beitrag von 15 Dollar an ein demokratisches Komitee geleistet hatte). Dass er konservative Ansichten vertrat und gemobbt wurde. Dass er Bilder von Trump, aber auch von Biden und anderen Politiker:innen beider Parteien hatte. Und dass er bewaffnet und mit einem mit Sprengstoff beladenen Auto am Tatort ankam. Doch weder das FBI noch eine andere Behörde konnte bisher erklären, wie er unbemerkt auf das verhängnisvolle Dach des Butler-Gebäudes gelangte, abgesehen von der bürokratischen Rechtfertigung, dass das Gebäude außerhalb des Sicherheitsbereichs lag. Noch weniger können die Motive für das Attentat erklärt werden. Der Mangel an Gewissheit wird durch die Konstruktion eines „Profils“ wettgemacht, das den Merkmalen derjenigen entspricht, die fast täglich Schießereien begehen, die als „einsame Wölfe“ bekannt sind, eine Art von Inlandsterrorismus, der überwiegend aus dem rechtsextremen Spektrum stammt.
Abgesehen von der noch immer bestehenden Kluft gab es einen gemeinsamen überparteilichen Tenor, der (politische) Gewalt heuchlerischerweise als „unamerikanisch“ ablehnte. Die Demokratische Partei wird sich wahrscheinlich wieder der Waffenkontrolle zuwenden (es gibt schätzungsweise 44 Millionen Sturmgewehre wie das, das Crooks benutzt hat, die in der Gesellschaft verstreut sind). Aber die Wurzeln der Gewalt liegen in den Grundlagen des imperialistischen Staates und des sozialen Systems, auf dem er basiert. Historisch gesehen sind Attentate in der US-Politik kein Fremdwort. Obwohl das letzte Attentat vor mehr als vier Jahrzehnten, 1981, auf Ronald Reagan verübt wurde, gab es unter 45 Präsidenten 12 Attentatsversuche – und vier wurden tatsächlich ermordet, darunter J.F. Kennedy. Hinzu kommen auf innenpolitischer Ebene Polizeigewalt, Massaker, Hassverbrechen (wie der von Trump bejubelte rassistische Angriff in Charlottesville 2017) und Aktionen wie die versuchte Übernahme des Kapitols. Und auf internationaler Ebene die kriegstreiberische Politik des US-Imperialismus, die selbst Völkermorde wie den von Israel in Gaza mitverantwortet.
Der Anschlag in Pennsylvania hatte volle Auswirkungen auf den Wahlkampf und erhöhte zumindest in der unmittelbaren Zukunft exponentiell die Chancen, dass Trump ins Weiße Haus zurückkehrt, wenn auch unter anderen Bedingungen als 2016.
Eine erste Analyse des Parteitags in Milwaukee, auf dem das Trump-Vance-Ticket verkündet wurde, erlaubt uns, einige vorsichtige politische Schlussfolgerungen über die Veränderung der republikanischen Partei zu ziehen, die sich einem nationalistischen Konservatismus zugewandt hat, der eher mit dem von Pat Buchanan als mit dem republikanischen Ideal von Ronald Reagan vergleichbar ist.
Wie der Parteitag gezeigt hat, steht die Grand Old Party heute – anders als in den Kampagnen 2016 und 2020 – geschlossen hinter Trumps Führung. Der Flügel des konservativen Anti-Trump-Establishments (das “Never Trump“), in dem sich illustre Republikaner engagieren, wurde zum Schweigen gebracht. Einige haben die Partei verlassen oder wurden ausgeschlossen, insbesondere diejenigen, die sich dem Versuch widersetzt haben, das Wahlergebnis von 2020 zu ignorieren, wie Liz Cheney. Oder sie pflegen eine diskrete Militanz wie Mike Pence. Andere wurden diszipliniert, wie Ron DeSantis und Nikki Haley.
Perspektivisch gesehen lässt diese Hegemonie der Trumpisten zum Nachteil des „Kompromisses“ mit dem Establishment, der Trumps erste Amtszeit kennzeichnete, weniger Möglichkeiten der Schadensbegrenzung im Falle politischer Ausbrüche, wie sie 2021 vom damaligen Vizepräsidenten Mike Pence ausgeübt wurden, der sich weigerte, die Wahl Bidens nicht anzuerkennen und so die Institutionalität des bürgerlichen Regimes zu retten, was der Journalist Bob Woodward in seinem Buch Peril dokumentiert hat.
Die Wahl von J.D. Vance zum Vizepräsidenten, einem späten Konvertiten zum Trumpismus, der Hand in Hand mit Peter Thiel und anderen Technokapitalisten aus dem Sillicon Valey kam, stärkt die Hegemonie der MAGA-Bewegung. Mit seiner protektionistischen, abgrundtief abtreibungsfeindlichen und isolationistischen Rhetorik, die noch radikaler ist als die von Trump selbst, besteht seine Funktion offensichtlich nicht darin, die Wähler:innenbasis in Richtung gemäßigter Sektoren zu verbreitern, sondern den harten Kern zu bekräftigen und vor allem Trumps Erbe mit Blick auf die Wahl 2028 fortzuführen.
Der Trumpismus hat sich nicht nur als ein Phänomen der Wahlkonjunktur erwiesen, sondern hat in den von der neoliberalen Politik sowohl der demokratischen als auch der republikanischen Regierungen zurückgelassenen Sektoren eine kleine, aber intensive konservative Basis gefestigt und nährt auf demagogische Weise Ressentiments gegen die kosmopolitischen politischen „Eliten“. Die Rede von Sean O’Brien, dem Gewerkschaftsführer der Teamster, der am Parteitag der Republikaner teilnahm, ist in gewisser Weise eine Antwort auf diese Hinwendung zur republikanischen Partei, insbesondere von rückständigen Teilen der älteren, meist weißen Arbeiter:innenklasse. Wie Theda Skocpol in ihrem Buch Rust Belt Union Blues. Why Working-Class Voters Are Turning Away from the Democratic Party (Warum sich die Wähler:innen der Arbeiter:innenklasse von der Demokratischen Partei abwenden), hat sich dieses Phänomen seit den 1980er Jahren zusammengebraut und ist mehr als eine Wahlbewegung – die weiterhin zwischen Demokraten und Republikanern schwankt – ein komplexer Prozess der Desorganisation der Institutionen der Arbeiter:innenklasse, angefangen bei den Gewerkschaften.
Es versteht sich von selbst, dass diese Demagogie einer “catch all“-Wahlstrategie entspricht, um die Stimmen unzufriedener Teile der Arbeiter:innen und der verarmten Mittelschicht, einschließlich reaktionärer Teile der Latinos, zu gewinnen.
Wie Trump ist auch Vance kein traditioneller Neoliberaler, sondern verbindet sein protektionistisch-populistisches Profil mit einem uneingeschränkten Festhalten an der traditionellen republikanischen Agenda: wirtschaftliche Deregulierung, Steuersenkungen, insbesondere für Unternehmen, gewerkschaftsfeindliche Politik und geringere staatliche Ausgaben für Sozialprogramme.
Aus diesem Grund ist ein bedeutender Teil des Großkapitals aus dem Silicon Valley und der Wall Street (darunter Peter Thiel und Elon Musk) auf den Trump-Zug aufgesprungen und spendet mehrere Millionen Dollar, in der Erwartung, von einem neuen Zyklus der Deregulierung und niedrigeren Unternehmenssteuern zu profitieren (2017 senkte Trump diese von 35 % auf 21 % und verspricht nun, sie auf 15 % zu senken), von protektionistischen Maßnahmen und einem allgemein reaktionären, unternehmensfreundlichen Klima zu profitieren und gleichzeitig die demagogische Politik zu mäßigen und die Auswirkungen von Handelskriegen und der Verhängung von Zöllen nicht nur gegen China, sondern gegen alle Einfuhren im Allgemeinen zu steuern.
Die Kehrseite des republikanischen „Momentums“ ist die Krise der demokratischen Partei. Symbolisch gesehen war der Schuss gegen Trump vielleicht der Fangschuss für Bidens Kampagne, die seit der verhängnisvollen Debatte dem enormen Druck von immer breiteren Sektoren seiner Partei widersteht, seine Kandidatur zurückzuziehen, was ihn jetzt praktisch unwählbar macht, wenn er bleiben würde. Dieses Friendly Fire reicht von Leitartikeln der New York Times und Hollywood-Prominenten bis hin zu großen bürgerlichen Beitragszahler:innen, dem Clinton-Clan, Obama und Kongressabgeordneten. Die Demokraten befürchten, dass eine Niederlage nicht nur den Verlust des Weißen Hauses, sondern auch des Kongresses und des Senats bedeuten würde. Die Alternative, die sie vorschlagen, ist, Biden durch Kamala Harris zu ersetzen, eine schlechte Kandidatin, die aber, wenn es ihr gelingt, die Partei zu mobilisieren, die „kleinere Übel“ Logik wiederbeleben könnte. Die Entscheidung dauert länger, als es ratsam ist.
Auch wenn Bidens fortgeschrittenes Alter und sein geistiger Verfall nur der Auslöser für die Krise der Demokratischen Partei bei ihrer Basis ist. Bidens bedingungslose Unterstützung des Völkermords, den der Staat Israel in Gaza begeht, die Rückständigkeit der Löhne im Vergleich zum kapitalistischen Profit, die Politik der Grenzschließungen, die dem Druck der republikanischen Rechten nachgibt, die Kriegstreiberei und der Militarismus, kurz gesagt, die Verwaltung des imperialistischen kapitalistischen Staates, sind die Gründe für die Entfremdung breiter Teile der Arbeiter:innen, der Mitglieder der afroamerikanischen und latino Gemeinschaften, und vor allem der jungen Studierenden, die an den Camps in den wichtigsten Elite-Universitäten in Solidarität mit dem palästinensischen Volk und gegen “Genocide Joe“ zum politischen Leben erwacht sind.
Der Angriff auf Trump und seine wahrscheinliche Rückkehr ins Weiße Haus sind konzentrierte Ausdrücke der politischen Polarisierung und der organischen Krisentendenzen, die seit der kapitalistischen Krise von 2008 zu beobachten sind. Hinweise auf die Möglichkeit eines neuen „Bürgerkriegs“ werden immer häufiger. Der strukturelle Rahmen ist die Erschöpfung der von den USA angeführten (neo)liberalen Ordnung und das Entstehen eines konkurrierenden Blocks, der sich um das Bündnis zwischen China und Russland gruppiert. Unabhängig davon, ob Biden oder sein:e mögliche:r Nachfolger:in gewinnt und den „liberalen“ Interventionismus fortsetzt, der versucht, den Westen durch Bündnisse mit der Europäischen Union, der NATO und anderen Institutionen zu führen (wie im Krieg in der Ukraine), oder ob Trump als „isolationistische“ Alternative gewinnt, um die Prioritäten des US-Imperialismus neu zu ordnen, hat sich eine krampfhafte Übergangsphase aufgetan, in dem Kriege, Konflikte zwischen Mächten, aber auch revolutionäre Kämpfe an der Tagesordnung sein werden.