USA: Lehren aus dem Amazon-Streik

31.12.2025, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Left Voice

Der fünftägige Streik bei Amazon endete an Weihnachten. Die Aktionen der Arbeiter:innen in mehreren Lagern waren begrenzt, aber es war ein weiterer wichtiger Schritt im Kampf gegen den Konzernriesen.

Am 18. Dezember lud der designierte Präsident Donald Trump Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos zu einem Abendessen in seine Residenz Mar-a-Lago in Florida ein. Nach Jahren der Spannungen versucht Bezos nun, eine engere Beziehung zu Trump aufzubauen. Er hatte gerade 1 Million Dollar für Trumps Amtseinführung gespendet und ihn für seine „Energie bei der Reduzierung von Vorschriften“ gelobt. Seine Zeitung, die Washington Post, hielt er davon ab, eine Empfehlung für die Präsidentschaftswahl abzugeben, was seine Bereitschaft zeigte, sich mit Trump gut zu stellen. Doch während sie ihr luxuriöses Abendessen genossen, stellten die Amazon-Beschäftigten die Pläne für die größte Arbeiter:innenaktion in der Geschichte des Unternehmens fertig, die am nächsten Tag beginnen sollte.

Dieses Bild fasst zusammen, wie Trumps zweite Amtszeit als Präsident aussehen könnte: Auf der einen Seite Milliardäre, die Strategien entwickeln, wie sie ihre Gewinne maximieren und die Rechte der Beschäftigten aushöhlen können; auf der anderen Seite eine prekäre und multiethnische Arbeiter:innenklasse, die sich für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine Stimme am Arbeitsplatz einsetzt.

Eine Amazon-Arbeiterin sagte in einem Interview mit Left Voice: „Mit Elon Musk, Donald Trump und Jeff Bezos zusammen … Probleme.“

Weit entfernt von Trumps Anwesen riskierten die Amazon-Beschäftigten unter widrigen Wetterbedingungen alles. In New York City trotzten die Beschäftigten in den Lagern in Queens und Staten Island dem Schnee und der Kälte sowie der Angst, ihren Arbeitsplatz in der geschäftigen Vorweihnachtszeit zu gefährden, um zu streiken und zu protestieren. Bald darauf schlossen sich ihnen Baristas an Hunderten von Starbucks-Standorten im ganzen Land an, die ebenfalls für ihren ersten Tarifvertrag kämpften, und begannen ihren „Streik vor Weihnachten“.

In New York schlossen sich Hunderte von Anwohner:innen den Arbeiter:innenn im Schnee an der Streikpostenkette an – sogar im abgelegenen JFK8-Lagerhaus in Staten Island. Arbeiter:innen, Studierende, lokale Aktivist:innenen und Mieter:innenorganisatoren, viele von ihnen mit Kufiyas, solidarisierten sich mit den Amazon-Arbeiter:innen in ihrem Kampf gegen den milliardenschweren Konzernriesen.

Ein Amazon-Mitarbeiter vom Lager JFK 8 in Staten Island sagte: „Es ist nicht einfach, hier zu sein … Als ich von dem Streik hörte, war ich besorgt. Aber wenn ich euch alle für eine gemeinsame Sache vereint sehe, muss ich sagen: Das Risiko lohnt sich.“

Eine neue Schicht von Arbeiter:innen an der Basis übernahm die Führung bei der Aufrechterhaltung dieser Streiks. Trotz massiver Polizeipräsenz und Schikanen durch das Unternehmen stellten sich viele gegen die Manager:innen und die Polizei. Sie fanden kreative Wege, um die langen Stunden an den Streikposten zu überstehen, und schufen Gemeinschaft, indem sie ihre Frustrationen und ihren Wunsch nach Veränderung teilten.

Diese Streiks waren Teil einer landesweiten Aktion von Fahrer:innen und Lagerarbeiter:innen in mehreren Amazon-Lagern, darunter DGT8 in Atlanta, DFX4, DAX5 und DAX8 in Südkalifornien, DCK6 in San Francisco und DIL7 in Skokie, Illinois. 

Darüber hinaus beantragten am 23. Dezember die Beschäftigten des Amazon-Werks in Garner, North Carolina, einem riesigen Lager mit über 5.000 Beschäftigten, eine Gewerkschaftswahl unter der Leitung der von Teamsters (Transportarbeiter:innengewerkschaft und größte Einzelgewerkschaft der USA) unabhängigen Organisation Carolina Amazonians United for Solidarity & Empowerment (CAUSE).

Die Aktion fand vor dem Hintergrund wachsender öffentlicher Unterstützung für die Amazon-Beschäftigten statt. In einer nationalen Umfrage aus dem Jahr 2022 nach dem Sieg der Amazon Labor Union (ALU) bei JFK8 stimmten 75 Prozent der Befragten zu, dass Amazon-Beschäftigte „eine gewerkschaftliche Vertretung brauchen, um Arbeitsplatzsicherheit, bessere Bezahlung und sicherere Arbeitsbedingungen zu haben“. Selbst das von Kathy Hochul, Gouverneurin von New York, während des Streiks unterzeichnete Gesetz zur Reduzierung von Verletzungen bei Lagerarbeiter:innen spiegelt diese wachsende Unterstützung wider. Die zermürbenden Bedingungen und hohen Verletzungsraten im Unternehmen können nicht länger ignoriert werden.

Trotz der Grenzen des Streiks hat die Aktion wichtige Impulse für künftige Kämpfe gegen Amazon gesetzt. Die Beschäftigten bekamen einen Eindruck davon, welche Auswirkungen ihr Kampf auf die gesamte Arbeiter:innenklasse haben könnte. Ein Beschäftigter bemerkte: „Das ist nur die erste Welle, der erste Vorstoß für den Vertrag, den wir zu Recht verdienen.“

Sean O’Brien und die Bürokratie der Teamsters

Bevor wir uns mit den Einzelheiten befassen, ist es wichtig, den Kontext dieser Arbeitsniederlegungen zu verstehen. Amazon ist der zweitgrößte private Arbeitgeber in den USA, wo nur 6 Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor gewerkschaftlich organisiert sind. Das Unternehmen zeichnet sich durch seine gewerkschaftsfeindlichen Taktiken und seine hohe Fluktuation aus, wobei wöchentlich 3 Prozent seiner Belegschaft ersetzt werden. Die Straflosigkeit von Amazon wird jedoch zunehmend in Frage gestellt.

Seit der historischen gewerkschaftlichen Organisierung im JFK8-Lager vor über zwei Jahren verzögert Amazon die Anerkennung von Gewerkschaften und die Tarifverhandlungen. Doch trotz einiger Rückschläge wächst die Organisierung weiter. Die Zusammenarbeit der ALU mit den Teamsters und die jüngsten gewerkschaftlichen Organisierungsversuche unter den Fahrer:innen haben diese Bemühungen unterstützt, wenn auch nicht ohne Widersprüche.

Laut den Teamsters sind 10.000 der 800.000 Beschäftigten von Amazon gewerkschaftlich organisiert. Obwohl sie immer noch in der Minderheit sind, kann Amazon nicht zur „Vor-ALU-Ära“ zurückkehren, ohne massiv gegen die gewerkschaftliche Organisierung vorzugehen. Dies reicht jedoch nicht aus, um Amazon zu zwingen, einen Vertrag auszuhandeln.

Die „Fabrikdiktatur“ bei Amazon zu brechen, bleibt eine Herkulesaufgabe. Groß angelegte Aktionen haben bisher noch nicht stattgefunden. Ein JFK8-Arbeiter bemerkte: „Sie sagten, eine Gewerkschaftsbildung sei unmöglich. Schauen Sie, wo wir jetzt sind. Dieser Tag [eines Generalstreiks und eines Vertrags] wird kommen.“

Die jüngsten Aktionen haben den Geschäftsbetrieb nicht wesentlich gestört, aber einige Lieferungen verzögert. Für den Präsidenten der Teamsters, Sean O’Brien, und die Gewerkschaftsführung war eines der Hauptziele die Aufmerksamkeit der Medien, um öffentlichen Druck auf Amazon aufzubauen. Die Berichte über die zermürbenden Bedingungen erreichten ein Millionenpublikum, und die Verzögerungen bei den Weihnachtspaketen wurden zu einem nationalen Thema. 

Für die Teamsters-Führung ging es bei dieser Aktion in erster Linie darum, die Anerkennung der Gewerkschaft zu erreichen und die Zukunft der Organisierungsbemühungen bei Amazon zu gestalten. Die International Brotherhood of Teamsters (IBT) vertritt auch Hunderttausende von UPS-Zusteller:innen. Angesichts der Konkurrenz durch Amazons Zustelldienste will die Gewerkschaft neue Mitglieder von Amazon gewinnen, um ihre Beitragsbasis zu erweitern und ihren Einfluss auf beide konkurrierenden Unternehmen zu stärken. Im Wesentlichen setzen die Teamsters darauf, dass dieser Streik als Grundlage für eine größere, längerfristige Anstrengung zur gewerkschaftlichen Organisation von Amazon in den Vereinigten Staaten dienen könnte, letztlich als Strategie zur Selbsterhaltung.

Im vergangenen Jahr verhinderte O’Brien einen möglichen Streik bei UPS, der sich erheblich auf die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter.innenklasse hätte auswirken können. Obwohl von vielen gefeiert, konnte die Vertragsvereinbarung die große Kluft bei der Vergütung und den Arbeitsbedingungen zwischen Fahrer:innen und Lagerarbeiter:innen nicht beseitigen. Die diesjährigen Aktionen bei Amazon ermöglichten es O’Brien, seine Führungsrolle als „kämpferischer“ zu darzustellen.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen sprach O’Brien auf dem Parteitag der Republikaner und spielt bereits eine Beraterrolle in der Trump-Administration. In dem Bestreben, die Arbeiter:innenklasse mit der Republikanischen Partei in Einklang zu bringen, schrieb er in einem Artikel, dass er erwarte, dass die Republikanische Partei „die Partei der Arbeiterklasse“ werde. Als offensichtliche Demonstration des Klassencharakters der neuen Regierung versucht auch Bezos, seinen Einfluss in den kommenden Jahren auszubauen. Diese Positionierung von O’Brien hat wenig mit der Stärkung der Lohanbhängigen zu tun. Während O’Brien versucht, die Arbeiter:innenklasse auf ein ultrarechtes Programm unter der Führung von Trump einzuschwören, ist es von entscheidender Bedeutung, eine Perspektive der Klassenunabhängigkeit von beiden politischen Parteien aufzubauen.

Für die lokalen Führungskräfte – Amazon Labor Union, Amazonians United und CAUSE zum Beispiel – unterscheiden sich die Ziele und Realitäten erheblich. Die Organisationen in den Lagern wollen ihre Organisationsbemühungen ausweiten, mehr einfache Mitglieder einbinden und die Sektoren stärken, die in der Lage sind, die Produktion zu stoppen. 

Wie wir in einem früheren Artikel geschrieben haben:

„geht es bei dem aktuellen Streik bei Amazon um viel mehr als nur um die Teamsters, die Anerkennung der Gewerkschaft oder den Abschluss eines ersten Vertrags. In der Tat ist dieser Streik, jenseits der Interessen der IBT-Führung, im Grunde ein Ausdruck der Frustration von Hunderttausenden von Amazon-Lagerarbeitern und -Fahrern, die, wie Millionen anderer prekär Beschäftigter im ganzen Land, gezwungen waren, während der Pandemie ihr Leben zu riskieren, aber außer einer galoppierenden Inflation nichts dafür erhielten.“

Die Notwendigkeit der Basisorganisation

Bei JFK8 trat zwar nur eine Minderheit der Beschäftigten in den Streik, doch die Aktion fand breite Unterstützung. Die Unterstützung von 700 Beschäftigten, die sich zum Streik bereit erklärten, und Dutzenden von Beschäftigten, die während des Ausstands und am Streikposten Aufgaben übernahmen, signalisiert eine wachsenden Drang zur Basisorganisation.

Über Jahrzehnte des Neoliberalismus wurden die Gewerkschaften geschwächt und die Arbeiter:innenklasse zunehmend fragmentiert, was sich in der hohen Fluktuation und den gewerkschaftsfeindlichen Taktiken von Amazon zeigt. Doch es vollzieht sich ein Wandel. Wie die JFK8-Arbeiterin Eulalia vor dem Streik sagte: „[Die Gewerkschaft] ist wie eine Familie, ich habe definitiv die Unterstützung, die ich brauche. Das bekommt man bei Amazon definitiv nicht. Amazon behandelt uns wie Sklaven.“

An der Streikpostenkette koordinierten die Beschäftigten solidarisch die Verpflegung und die Streikposten-Schichten. Bei einer Versammlung der Beschäftigten am Sonntag erzählten viele persönliche Geschichten. Ein Beschäftigter sagte: „Nachts wird es kalt, aber wir bleiben zusammen, wärmen uns gegenseitig und lachen. Sie kümmern sich nicht um uns, aber wir werden dafür sorgen, dass sie sich um uns kümmern.“

Inmitten einer weit verbreiteten Rhetorik und Politik gegen Migrant:innen wurden an den Streikpostenketten Sprechchöre in mehreren Sprachen angestimmt und Flyer in Englisch, Spanisch, Arabisch und Kreolisch verteilt. Die Arbeiter:innen vereinten sich über die nationale Herkunft hinaus gegen den Amazon-Konzern.

Als weiteres Zeichen der Solidarität unterstützten die Beschäftigten von Staten Island JFK8 die Streikpostenkette des Lagers Queens DBK4, und die Fahrer:innen von DBK4 schlossen sich dem Streik von JFK8 inmitten eines Schneesturm um Mitternacht an. Am 24. Dezember schlossen sich die Fahrer von DBK4 auch den Streikposten von Starbucks in SoHo an.

Auch die Beschäftigten von Amazon mussten schnell feststellen, dass sie nicht nur gegen den Chef kämpften, sondern auch mit der Polizei konfrontiert waren, die auf Wunsch von Amazon gekommen war, um die Streikposten zu unterdrücken. Bei JKF8 postierten sich Dutzende von Polizeibeamten der New Yorker Polizei vor dem Lagerhaus, um den freien Verkehr von Fahrzeugen in und aus der Einrichtung zu gewährleisten. Im Fall von DBK4 errichtete die Polizei sogar Barrikaden, um zu verhindern, dass Lastwagen blockiert wurden. Die Polizei verhaftete Jorgeasyn Cardenas, einen Fahrer der Einrichtung, weil er sich einfach nur mit den Streikposten solidarisiert hatte, und Anthony Rosario, einen UPS-Fahrer, der sich als Unterstützer der Streiks herausgestellt hatte. Als ob das noch nicht genug wäre, überflutete Amazon in der DKB4-Einrichtung die Lebensmittel- und Wärmestation mit eiskaltem Wasser, um die Streikposten zu stören. 

Einer der Höhepunkte dieser Streiks war die Unterstützung durch die Gemeinschaft. Am JFK8, der von Wohngebieten isoliert ist, schlossen sich über hundert Menschen, die vom ALU Community Support Committee organisiert wurden, in kritischen Momenten der Streikpostenkette an. Viele Nachbarschafts- und linke Organisationen waren ebenfalls eine Schlüsselkomponente für die Aufrechterhaltung der Streikpostenkette. Studierende und Lehrkräfte der CUNY-Universität, von denen einige selbst bei Amazon arbeiten, unterstützten den Streik konsequent.

Die Einheit der  Arbeiter:innen und Studierenden ist ein starkes Beispiel, das bei künftigen Streiks ausgebaut werden muss. Wie CUNY-Studierende, die sich mit Left Voice organisiert haben, sagten: „Viele Studierende sind Arbeiter:innen, und daher sind ihre Interessen eng mit dem Schicksal der gesamten Arbeiter:innenklasse verbunden. Die Allianz zwischen Beschäftigten und Studierenden hilft beiden, und unsere Schicksale sind im Kampf für eine bessere Welt miteinander verbunden.“ 

Die größte Herausforderung besteht nach wie vor darin, die Basis zu organisieren und zu mobilisieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, die vom Unternehmen auferlegte Kultur der Angst zu durchbrechen und die Selbstorganisation zu fördern. Gemeinsam müssen Fahrer:innen und Lagerarbeiter:innen ihre eigenen Räume entwickeln, um als vereinte Kraft Strategien zu entwickeln, zu diskutieren und über jeden wichtigen Schritt in ihrem gewerkschaftlichen Kampf zu entscheiden. Dies erfordert eine Organisation von unten; es sind die Arbeitsplätze und der Lebensunterhalt der Beschäftigten, die auf dem Spiel stehen, daher verdienen sie es, die Protagonist:innen ihres Kampfes zu sein.

Lokale Organisationsbemühungen müssen die Normalisierung von Teamsters-Taktiken von oben nach unten vermeiden und sich stattdessen darauf konzentrieren, die Arbeiter:innen durch direkte Maßnahmen und breite Beteiligung zu stärken. Mike, ein JFK8-Arbeitnehmer, der seit über vier Jahren bei Amazon arbeitet und mehrere Verletzungen erlitten hat, sagte: „Das wird nicht aufhören, bis wir alles bekommen, was wir verdienen. Sprecht mit Kollegen, Familienmitgliedern und Unterstützern. Macht mit, denn am Ende werden wir gewinnen.“

Der Streik ist vorbei, aber der Kampf muss weitergehen. Die weitere Stärkung der Basis wird unerlässlich sein, um Amazon zu Verhandlungen über einen ersten Vertrag zu zwingen. Wenn es zu Vergeltungsmaßnahmen gegen die Beschäftigten kommt, muss mit einer breiten, demokratischen Kampagne auf die Verteidigung ihres Vereinigungsrechts reagiert werden.

Ein Sieg der Beschäftigten bei Amazon wird ein Sieg für die gesamte Arbeiter:innenklasse sein.

Dieser Artikel erschien zunächst am 29. Dezember in unserer US-amerikanischen Schwesterzeitung Left Voice.

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