USA braucht revolutionäre Organisierung statt dem Sozialdemokraten Bernie Sanders
// Ein Beitrag für DieFreiheitsliebe //
Am Mittwoch Abend gab es über 2.500 Treffen quer durch die USA: In Wohnzimmern, Kneipen und Anwaltsbüros versammelten sich linken WählerInnen. Per Livestream diskutierten sie mit Bernie Sanders. Der Senator aus Vermont will neue UnterstützerInnen gewinnen, um Präsidentschaftskandidat der demokratischen Partei zu werden. Doch sollten SozialistInnen ihn unterstützen?
Im November 2016 wird der Nachfolger von Barack Obama gewählt. Am 1. Februar beginnen die Vorwahlen der beiden Parteien. Die Kampagnen dafür laufen bereits auf Hochtouren. Und auch wenn der exzentrische rechtspopulistische Multimilliardär Donald Trump die meisten Sendeminuten im Fernsehen für sich beanspruchen kann, ist es der 73jährige Sanders, der die größten Wahlkampfkundgebungen organisiert. 5.000 bis 10.000 Menschen kommen zu seinen Events in Denver, Phoenix oder Madison, deutlich mehr als bei allen anderen KandidatInnen.
Sanders fordert eine „politische Revolution gegen die Klasse der MilliardärInnen„. Er will einen landesweiten Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde, wie es Gewerkschaften und ArbeiterInnen der Fast-Food-Industrie verlangen, sowie die Zerschlagung der Großbanken. Sanders sitzt zwar als „Unabhängiger“ im Senat, aber bewirbt sich bei der Demokratischen Partei. Er tritt gegen Exaußenministerin Hillary Clinton an, haushohe Favoritin für die Nominierung (zur Zeit liegt sie mehr als 40 Punkte vorne in den Umfragen).
Große Teile von Sanders’ Programm wirken so, als ob sie von der Occupy-Bewegung abgeschrieben wären. Er will ein komplett staatliches Gesundheitssystem und kostenlose Hochschulen für alle – was in einem US-amerikanischen Kontext geradezu bolschewistisch klingen kann. Noch schockierender ist, dass er sich selbst als „Sozialisten“ bezeichnet – der erste sozialistische Senator überhaupt.
Sanders vs. Debs
Bis zu seiner Wahl zum Senator im Jahr 2007 diente Sanders als Bürgermeister von Burlington, der größten Stadt von Vermont, und später als Kongressabgeordneter. Sein Vorbild ist der Agitator und Gewerkschafter Eugene V. Debs, der im Jahr 1912 als Kandidat der Sozialistischen Partei der USA sechs Prozent der Stimmen erhielt. Doch wie schneidet Sanders im Vergleich zu seinem Idol ab?
Debs saß mehrere Jahre im Gefängnis, weil er sich gegen den Ersten Weltkrieg stellte. Sanders ist kein Kriegsgegner – er unterstützte die NATO-Bombardierung von Serbien im Jahr 1999 genauso wie den Angriff auf Afghanistan im Jahr 2001. Er sprach sich zwar 2003 gegen den Irak-Krieg aus, stimmte aber mehrmals für die Finanzierung desselben. Auch Israels Krieg gegen Gaza hat Sanders befürwortet. Gegen diese Kriegspolitik kam es auch zu Protestaktionen in Burlington, einmal auch zur Besetzung von Sanders Büro, worauf dieser die Polizei gegen DemonstrantInnen einsetzte. Energisch stellt sich Sanders gegen die Forderung nach offenen Grenzen, was seiner Meinung nach nur die Löhne von US-amerikanischen ArbeiterInnen senken würde.
Sanders Vorstellung von „Sozialismus“ orientiert sich am sozialdemokratisch geprägten Kapitalismus Schwedens. Seit dem Beginn seiner politischen Karriere hat er einen Deal mit den DemokratInnen von Vermont: Sie treten nicht gegen ihn an, dafür lässt er den demokratischen Gouverneur des Bundesstaates in Ruhe. Das Etikett „Unabhängiger“ ist also nichts als ein Marketing-Trick. Im Jahr 2005 sagte Howard Dean, damaliger Parteichef der DemokratInnen, Sanders sei „im Grunde ein liberaler Demokrat“, der „in 98 Prozent der Fälle im Kongress mit den Demokraten“ stimme.
Bruce A. Dixon von den amerikanischen Grünen nennt Sanders deswegen einen demokratischen „Schäferhund“: Wenn sich WählerInnen von dieser kapitalistischen und militaristischen Partei entfernen, muss hin und wieder einE linkeR KandidatIn in den Vorwahlen antreten, um unter den enttäuschten AnhängerInnen neue Hoffnungen zu wecken. Die gleiche Rolle hatte zum Beispiel der Bürgerrechtler Jesse Jackson in den 80er Jahren, der zweimal bei den demokratischen Vorwahlen antrat. Sanders hat übrigens vorsichtshalber erklärt, dass er im Fall seiner – sehr wahrscheinlichen – Niederlage die demokratische Kandidatin Hillary Clinton unterstützen wird. In der Vergangenheit war er bereits für ihren Ehemann, den 42. US-Präsidenten Bill Clinton.
Gerade unter Sozialisten in Vermont ist deswegen klar, dass Bernie Sanders keine Alternative darstellt. „Linke sollten ihn nicht unterstützen“ sagt Jim Ramey, Mitglied der International Socialist Organization (ISO) in Burlington.
Die radikale Linke
Die sozialistische Linke der USA definiert sich durch ihre GegnerInnenschaft zur Demokratischen Partei – nur die StalinistInnen der Communist Party USA setzen auf das „kleinere Übel“ unter den zwei Parteien des US-Kapitals. Doch die Kandidatur von Sanders, die „unabhängig“ und „demokratisch“ zugleich wirkt, hat hitzige Debatten angestossen. So sieht Bhaskar Sunkara, Chefredakteur der Zeitschrift Jacobin, keine Chance, die demokratische Partei nach links zu drängen, doch nennt er Sanders‘ Kampagne ein „Babyschritt in die richtige Richtung„, da dieser „offen den Sozialismus verteidigt“ und „SozialistInnen helfen könnte, sich neu zu gruppieren“.
Von den trotzkistischen Gruppen ist Socialist Alternative (SAlt, Schwesterorganisation der SAV) am stärksten mit der Sanders-Kampagne verbunden. Seit Jahren fordern sie ihn auf, für das Weiße Haus zu kandidieren, allerdings nicht als Demokrat, sondern als Unabhängiger. Nun fordern sie eine „kühne Intervention“ in Sanders‘ Kampagne für die demokratischen Vorwahlen, ohne dabei die DemokratInnen zu unterstützen. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist nicht ganz klar. Erstmal bedeutet das nur, dass sie ihre Kritik auf die Demokratische Partei beschränken, während sie Sanders selbst mit Samthandschuhen behandeln. So habe Sanders es „bedauerlicherweise (…) unterlassen, seine Stimme gegen den jüngsten Überfall der israelischen Regierung auf den Gazastreifen zu erheben“, heißt es in einem Text der SAlt – statt klar zu sagen, dass Sanders den Angriffskrieg lautstark unterstützte, genauso wie er mehr oder weniger konsequent den US-amerikanischen und israelischen Militarismus unterstützt. Sanders‘ Taktik ist eben kein „Fehler“ eines Sozialisten, wie die SAlt und die SAV schreiben, sondern die bewusste Politik eines sozialdemokratischen Politikers der Demokraten.
Die ISO (aus der gleichen ideologischen Tradition wie Marx21, auch wenn die ISO aus der IST ausgeschloßen wurde) sagt dagegen klar, dass die US-amerikanische Linke „Sanders nicht in die Demokratische Partei folgen soll, auch nicht vorübergehend“. Vor Kritik an Sanders‘ reaktionären Positionen scheuen sie nicht zurück. Doch als Alternative dazu orientieren sie sich seit vielen Jahren an der klassenübergreifende „Green Party“.
Sanders‘ Kampagne ist Ausdruck des wachsenden Unmuts mit dem politischen Regime in den USA – aber gleichzeitig ist es ein Versuch, diesen Unmut in ungefährliche parlamentarische Bahnen zu lenken. Sanders ist weniger eine „sozialistische Gefahr„, wie es in einer Überschrift in „DieFreiheitsliebe“ hieß, als der Schutz der Bourgeoisie vor genau dieser Gefahr. „Die Reichen wird er nicht in Panik versetzen“ heißt es bei Counterpunch „nicht eine Sekunde lang.“
Als Alternative zur „Misere des Möglichen“ reicht es nicht, eine „unabhängige, linke Partei“ zu fordern, wie das SAlt und ISO trotz ihrer taktischen Differenzen gleichermaßen tun. Einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise wird es nicht mit „progressiven“ VertreterInnen der BesitzerInnen und AusbeuterInnen geben, so „grün“ sie auch sein mögen. Nur eine revolutionäre Alternative, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützt, kann den beiden Parteien des US-amerikanischen Kapitals die Stirn bieten.
Klingt das wie ein Hirngespenst? Auf der anderen Seite des amerikanischen Doppelkontinents, in Argentinien, kann eine Front der revolutionären Linken seit Jahren mehr als 5% bei den Wahlen bekommen. Der Schlüssel dazu ist ein Programm der politischen Unabhängigkeit, nicht nur von den momentan herrschenden Parteien sondern von allen Varianten der Bourgeoisie. Entsprechend sind die Parlamentssitze, die von RevolutionärInnen gewonnen werden, kein Selbstzweck, sondern nur eine Tribune für die Kämpfe der Unterdrückten. Auch in den USA gibt es Kräfte, die für diese Perspektive eintreten.
Vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise gibt es ein neues Interesse am Sozialismus unter der Jugend der USA. Die US-amerikanische Linke wäre gut beraten, dem Rat Rosa Luxemburgs zu folgen und „das laut zu sagen, was ist“. In diesem Fall heißt das: Ein sozialistisches Projekt muss sich nicht nur gegen die „demokratische“ Partei der Bourgeoisie, sondern auch gegen sozialdemokratische MitverwalterInnen des Systems wie Bernie Sanders behaupten.
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eine kürzere Fassung in der jungen Welt