USA: Alles, was du zur Präsident­schafts­wahl wissen musst

03.11.2020, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: MARKETWATCH PHOTO ILLUSTRATION/GETTY IMAGES, ISTOCKPHOTO

Die Wahl, die heute in den USA stattfindet, definiert mehr als nur den neuen Präsidenten. Alles, was du zur Präsidentschaftswahl wissen musst, heute bei KlasseGegenKlasse.org und bei LeftVoice.org

Die Gesundheitskrise, die Rezession, die Polarisierung und das Anti-Trump-Klima sorgen für eine explosive Mischung, die den heutigen ersten Dienstag im November zu einem besonderen Wahltag machen. Bevor wir uns damit befassen, was passieren kann, klären wir zunächst ein paar Fakten zur Wahl.

Wer stimmt ab?

Rund 230 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe registriert. In den USA muss man sich vorher registrieren lassen, um an der Wahl teilnehmen zu können. Dazu gelten zum Teil scharfe Anforderungen.

Zum Beispiel verbieten viele Bundesstaaten Gefängnisinsass:innen oder auf Bewährung Entlassenen zu wählen. Dies ist keine Kleinigkeit und betrifft die Schwarze Bevölkerung in den USA besonders stark, die nur 13% der Bevölkerung des Landes, aber fast die Hälfte der Gefängnisinsass:innen ausmachen.

Wie wird der neue Präsident bestimmt?

Das US-amerikanische Wahlsystem ist indirekt. Der Präsident wird nicht durch die Zahl der Wähler:innenstimmen definiert, sondern durch ein Wahlkollegium.

Das Wahlkollegium besteht aus 538 Mitgliedern. Um zu gewinnen, braucht man 270 Stimmen, die Hälfte plus eine.

Die Sitze dieses Kollegiums werden pro Bundesstaat bestimmt, und mit Ausnahme von zwei Staaten erhält der Kandidat mit den meisten Wähler:innenstimmen die Gesamtheit der Sitze des Wahlkollegiums für diesen Bundesstaat.

Mit anderen Worten: Wenn Biden in Florida mit drei Stimmen gewinnt, erhält er die 29 Wahlstimmen, die diesem Staat entsprechen.

Dieser undemokratische Mechanismus erklärt, warum man die Präsidentschaft gewinnen kann, ohne die Mehrheit der Wähler:innenstimmen erlangt zu haben.

Das ist einer der zentralen Aspekte, um den es an diesem Dienstag gehen wird. Es gibt sechs besonders umstrittene Staaten: Florida, North Carolina, Arizona, Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Zu diesen können wir andere hinzufügen, die nicht so entscheidend sind, aber eine Rolle spielen können: Iowa, Nevada und Ohio.

Wie wird abgestimmt?

An diesem Dienstag wird vor Ort abgestimmt, wobei in mehreren Bundesstaaten auch schon vorher die persönliche Stimmabgabe möglich war. So war vor einigen Tagen Präsident Donald Trump selbst schon bei der Stimmabgabe zu sehen.

Es gibt aber auch die Möglichkeit der Briefwahl. Rund 90 Millionen Menschen haben so bereits vorzeitig ihre Stimme abgegeben. Das entspricht 65,1 Prozent aller 2016 überhaupt abgegebenen Stimmen.

Die Stimmabgabe per Post wird von Trump kritisiert, der behauptete, dass die Briefwahl betrugsanfällig sei und dazu genutzt werden solle, um ihm den Wahlsieg zu stehlen. Tatsächlich haben Republikaner in mehreren Bundesstaaten Klagen eingereicht, um auf diese Weise einen Teil der abgegebenen Stimmen zu disqualifizieren, was zur Missachtung der Stimme von Zehntausenden von Menschen führen könnte.

Der politische Kontext der Wahl

Anfang dieses Jahres war es noch sehr wahrscheinlich, dass Trump wiedergewählt wird.

Die Coronavirus-Pandemie veränderte jedoch das Szenario. Die (Nicht-)Bewältigung der Gesundheitskrise und das Gesundheitssystem, das Dutzende Millionen Menschen von der Versorgung ausschließt, führten in den USA schon zu mehr als 230.000 Coronavirus-Todesfällen.

Hinzu kam das wirtschaftliche Debakel, das in der ersten Hälfte dieses Jahres erschreckende Zahlen produzierte, wie es sie seit der Großen Depression nach dem Crash von 1929 nicht mehr gegeben hatte.

Diese Situation wird sich bei den Wahlen ebenso auswirken wie die anhaltende Polizeigewalt und staatliche Repression. Denn auch nach den Black Lives Matter-Massenmobilisierungen gegen den institutionellen Rassismus, die nach der Ermordung von George Floyd ausbrachen, bleiben die Polizeimorde bestehen.

Vor diesem Hintergrund wird die Wahl wahrscheinlich zugunsten des Kandidaten der Demokraten, Joe Biden, auszugehen, der laut Umfragen einen durchschnittlichen Vorsprung von acht Prozentpunkten gegenüber Trump hat.

Aber wie wir bereits erläutert haben, kann bei der indirekten Wahl und in dem Klima der Polarisierung, das das Land erlebt, alles passieren.

Hinzu kommt: Wenn es keine Überraschungen gibt, die die Umfragen nicht vorhergesehen haben, ist nicht ausgeschlossen, dass Donald Trump im Falle einer Niederlage das Ergebnis nicht anerkennt.

So könnten wie schon im Jahr 2002 am Ende die Gerichte den Wahlausgang entscheiden. Jedoch wäre das in der heutigen Situation nicht nur ein weiteres Zeichen dafür, wie undemokratisch das Wahlsystem ist, sondern würde auch eine Krise mit ungewissem Ausgang eröffnen.

Nicht umsonst veröffentlichte die „Geschäftswelt“ eine von mehr als 50 prominenten Bourgeois unterzeichnete Erklärung, in der sie jede Änderung der Wahlverfahren ablehnte.

Deshalb kann niemand sicher sein, dass am 4. November, dem Tag nach der Wahl, die USA und die Welt wissen werden, ob Biden oder Trump gewonnen hat.

Was der Wahlkampf deutlich macht, ist, dass ein Sieg von Trump die uns bereits bekannten konservativen Tendenzen stärken, aber auch die explosive Spaltung im Innern der führenden Weltmacht vertiefen würde.

Joe Biden scheint diejenige Wahloption für die Bourgeoisie zu sein, um die Massenrebellion, die nach der Ermordung von George Floyd ausbrach, in den institutionellen Rahmen zu lenken. Zu dieser Hoffnung tragen die „progressiven“ Kräfte und der linke Flügel der Demokratischen Partei bei, die das Votum für Biden als die Lösung des „geringeren Übels“ präsentieren, um Trump loszuwerden.

Biden ist auch die Hoffnung des Großkapitals auf eine Rückkehr zur „Normalität“. Ein Zeichen dafür ist, dass Bidens Wahlkampagne unter anderem von den Großspenden der Spitzen von Blackstone, JPMorgan, The Carlyle Group und Kohlberg Kravis Roberts, profitiert hat.

Aber die tiefgründigen Ursachen, die Trump ins Weiße Haus brachten, werden nicht verschwinden, wenn Biden gewinnt, denn es sind Auswirkungen einer tieferen Krise.

Die Polarisierung setzt sich fort, und auf der linken Seite drückt sie sich in der wachsenden Popularität des „Sozialismus“ unter jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren aus, die laut einer YouGov-Umfrage im letzten Jahr von 40 auf 49 Prozent Zustimmung gestiegen ist.

Die Polarisierung nach rechts drückt sich demgegenüber in der Existenz bewaffneter rechtsextremer Gruppen aus, obwohl sie heute noch marginale Elemente sind.

Über die Situation am Wahltag hinaus nehmen diese Phänomene Szenarien einer stärkeren politischen Radikalisierung und Klassenkämpfe im Innern der wichtigsten Weltmacht vorweg.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei La Izquierda Diario.

Mehr zum Thema