Unwürdige Bedingungen für Arbeiter:innen und Klient:innen, Profite für die Bosse

29.09.2023, Lesezeit 6 Min.
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Heute habe ich in einem Pflegewohnheim für psychisch kranke Menschen gearbeitet. Meine Einblicke in diese Einrichtung sind erschreckend, aber spiegeln dabei keinen Einzelfall wider.

In dem Wohnheim, in dem ich heute unterwegs war, hat mich eine Kollegin begleitet, die schon seit über zwölf Jahren für dieses ambulante und private Unternehmen arbeitet.

Meine Kolleg:innen hatten mich schon vorgewarnt, dass dort ziemlich katastrophale Zustände herrschen. Sie hatten Recht. Aber diese erschreckenden Zustände sehe ich heute nicht zum ersten Mal, sondern sie sind Standard in Deutschland, in den meisten Wohn- und Pflegeheimen.

Auf der Fahrt zum ersten Wohnheim erzählte mir meine Kollegin von ihren persönlichen Erfahrungen. In den letzten Jahren haben sich sehr, sehr viele Sachen zum Schlechten verändert. Seitdem sie für eine Tochtergesellschaft des Unternehmens arbeitet, haben sich ihre Arbeitsbedingungen verschärft. Tochtergesellschaften existieren im Kapitalismus, um Arbeiter:innen zu spalten und sie von Tarifverträgen und Organisierung abzuhalten. Tochtergesellschaften sind Diebstähle im Kapitalismus: Während die Arbeitsbedingungen meiner Kolleg:innen immer prekärer werden, werden die Taschen der Bosse solcher privaten Unternehmen immer voller.

Sie selbst ist die Tochter einer Putzkraft, berichtet meine Kollegin weiter. Sie selbst ist in Armut aufgewachsen und hat jetzt drei eigene Kinder, die auch an der Armutsgrenze aufgewachsen sind. Sie hat außerdem elf Enkelkinder. Sie erzählt mir auch, wie ihre Töchter krass am Ende sind, weil sie zum Beispiel zum Schulanfang viele Ausgaben für Schulmaterialien haben. Trotz der Vollzeitarbeitsstellen reicht das Geld vorne und hinten nicht aus. Alles ist teurer geworden, die Löhne aber stagnieren.

Heute mussten wir bei mehreren Klient:innen Körperpflege und Haushalt durchführen. Das beinhaltet, sie zu waschen und anzuziehen, die Betten neu zu beziehen, Wäsche waschen, Boden fegen und wischen, Bad putzen usw. Wir hatten weder genügend noch die richtigen Putzmittel vor Ort. Nicht mal ein Schwamm stand uns zur Verfügung, um den Dreck der Dekadenz dieses Systems richtig zu entfernen. Wir hatten ein einziges, altes Stück Stoff. Meine Kollegin meint, dass das Alltag ist.

Für eine Anzahl von bestimmten Tätigkeiten ist man unter heftigem Zeitdruck. Ein Hausbesuch folgt auf den nächsten. Das bedeutet, unter ständigem Zeitstress zu arbeiten. Dieser Stress macht auf Dauer krank. Meine Kollegin war so dankbar, dass ich heute mitgeholfen habe, denn so konnten wir uns die Arbeit aufteilen und sie war ein wenig entlastet. Ich persönlich fand das zu zweit schon zu viel und sehr anstrengende, körperliche Arbeit. Auf diese Art und Weise alleine unter diesem Tempo zu arbeiten, ist unmenschlich.

Die Lebensbedingungen der Leute, die dort wohnen, sind erschreckend. Viele Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, schleppen sich täglich zur Arbeit, auch wenn das ihren Zustand verschlechtert. Diejenigen, deren Erkrankungen aber so gravierend sind, dass sie arbeitsunfähig sind, wie die Bewohner:innen des Wohnheimes, beziehen größtenteils Sozialhilfen. Diese staatlichen Hilfen reichen von vorne bis hinten nicht aus, erst Recht nicht in der Inflationskrise. Einen hohen Teil dieser Zahlungen kassieren diese Pflegeunternehmen. Was in den Wohn- und Pflegeheimen herrscht, ist Armut und Einsamkeit. Wohnräume, die verschimmelt und seit Jahrzehnten nicht renoviert worden sind. Die marode Infrastruktur zeigt sich überall: Von kaputten Wasserhähnen bis hin zu zerrissenen Fußböden.

Das alles fällt letztendlich auf die Gesundheit der Bewohner:innen. In solchen Zuständen werden Menschen noch psychisch kranker, weil sie so isoliert und einsam sind. Ich merke, dass, wenn ich das Zimmer betrete, sich viele von ihnen freuen. Sie wollen mit einem reden, denn wir sind oft die einzigen sozialen Verbindungen, die sie haben. Doch wie soll man mit so viel eng getakteter Lohnarbeit qualitative Kommunikation mit dem/der Klient:in haben?

Ich habe zudem erfahren, dass diese Unternehmen auch Ausflüge versprechen, zur Kontaktgestaltung der Klient:innen untereinander und mit uns. Ausflüge und auch Freizeitaktivitäten sind ein wichtiges Mittel gegen die herrschende Isolation. Doch die Versprechen sind alles leere Phrasen, die schön auf dem Papier klingen. Der letzte Ausflug fand 2016, also vor ganzen sieben Jahren, statt!

Außerdem war ich extrem wütend, als mir meine Kollegin erzählte, dass viele dieser psychisch kranken Menschen für 1,50 Euro die Stunde in Beschäftigungstagesstätten wie Cafés und Restaurants, die auch diesem Unternehmen gehören, arbeiten. Auch werden sie als Gärtner:innen eingesetzt für das Pflegen der Grünflächen dieser Heime. Die Beschäftigungstagesstätten sind dabei sehr ähnlich wie Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Auf ihrer Website nennt der Träger es “Beschäftigungsprojekt für Menschen mit psychischen Krisen”, doch eigentlich sollte es „brutales Ausbeutungsprojekt von Menschen mit psychischer Erkrankung” heißen. Die Beschäftigten dort kriegen also nicht einmal ein Drittel des Mindestlohns, obwohl sie zum Teil dieselbe Arbeit verrichten wie nicht psychisch kranke Menschen. Hier kostet eine Mahlzeit zwischen acht und zehn Euro. Anstatt die arbeitenden Menschen ordentlich zu bezahlen, bekommen sie eine Misere, und den Rest kassieren – natürlich – die Chefs.

Diese privaten und ausbeuterischen Unternehmen müssen alle verstaatlicht werden und unter Kontrolle von Pflege- und Putzkräften, Gärtner:innen, Sozialarbeiter:innen und Bewohner:innen. Sie alle sollten gemeinsam entscheiden, wie sie am liebsten an diesen wichtigen Orten leben und miteinander agieren wollen. Wir sollten alle diese Wohnheime von dem profit-orientierten Fokus der Bosse zurückerobern. Gesundheitsarbeiter:innen und Putzkräfte sollten gemeinsam kämpfen, damit all diese outgesourcten Tochtergesellschaften in den Mutterkonzern wieder eingegliedert werden und sich so mit anderen Sektoren verbinden können, die die gleichen Probleme des Outsourcings haben, wie zum Beispiel im Bildungssektor mit Lehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen.

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