Unternehmen lieben die Grünen: Ex-Siemens-Boss lobt Baerbock

03.06.2021, Lesezeit 7 Min.
1
Foto: photocosmos1 / Shutterstock.com

Der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser wünscht sich die Grüne Annalena Baerbock als Kanzlerin. Sie wisse, dass Deutschland ein Industrieland ist. Woher kommt die große Sympathie deutscher Unternehmen für die Perspektive einer grünen Kanzlerin?

Es war eine regelrechte Lobhudelei: Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung hat Joe Kaeser, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Siemens, in den höchsten Tönen von Annalena Baerbock geschwärmt. Er habe sie als eine Person kennengelernt, die auf die Wirtschaft zugehe und sich unglaublich schnell auch in traditionelle Industriethemen wie Stahl oder Chemie einarbeiten könne. „Was ihre Auffassungsgabe und Interesse betrifft, erinnert sie mich sehr an unsere heutige Bundeskanzlerin“, so Kaeser im Interview. Dass nun schon Unternehmensvorstände Baerbock und die Grünen unterstützen, sollte auch die Letzten wachrütteln, dass es sich bei den Grünen nicht um eine Partei handelt, die ernsthaft Veränderung anstrebt. Warum aber unterstützen Unternehmen in diesem Wahlkampf gerade die Grünen?

Die Grünen werden mit derzeitigen Umfragewerten von etwa 24 Prozent mit großer Sicherheit einen Teil der kommenden Bundesregierung bilden. Doch je näher die Beteiligung an der Bundesregierung rückt, desto deutlicher zeigt sich die Partei als Vertreterin einer kapitalistischen “grünen Erneuerung” in einem imperialistischen Zentrum.

Kaeser und die Grünen: eine gute Partie

Als ehemaliger Siemens-Chef äußert sich Joe Kaeser nicht nur immer wieder zu politischen Fragen, sondern er vertritt auch weiterhin die Positionen des Konzerns. Einer seiner auffälligsten Kommentare war eine Kritik an der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel auf Twitter: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquelle des deutschen Wohlstands liegt.“ Solche Kommentare kann Kaeser sich leisten, da bestimmte Produkte seines Ex-Konzerns alternativlos sind. Siemens Geschäfte sind nicht von emotionalen Konsumentenentscheidungen abhängig.

Mit solchen scheinheiligen Aussagen “stärkt” er die Demokratie zu Hause, während er es anderswo mit der Demokratie nicht so streng nimmt. Wichtiger als die Demokratie waren für Kaeser zum Beispiel die guten Beziehungen zu Saudi-Arabien. „Wenn ich nirgendwo mehr hin dürfte, wo Menschen verschwinden, könnte ich gleich zu Hause bleiben“: Das sagte Kaeser nach der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul im Jahr 2018. Er war der letzte große Name, der die Einladung des saudischen Regimes zu einer Wirtschaftskonferenz kurz vor ihrem Beginn absagen musste. Dort gebe es die Chance auf Geschäfte im Umfang von bis zu 30 Milliarden Dollar, was Kaeser verkünden ließ: „Siemens ist seit Jahrzehnten ein zuverlässiger Partner Saudi-Arabiens“.

Eine Schmeichelei, die Kaeser Baerbock nun angedeihen ließ, betrifft eben jenes Politikfeld. Baerbock habe verstanden, „dass Außenpolitik auch Außenwirtschaftspolitik ist“. “Außenwirtschaftspolitik” heißt für Kaeser, wie das Beispiel Saudi-Arabien illustriert, für den Profit über Leichen zu gehen.

Diese Außenwirtschaftspolitik ist nur ein Teil des Versprechens der Grünen, die deutsche Wirtschaft mit dem Ausbau “grüner” Technologien (Punkt 93 des grünen Grundsatzprogramms) umzustellen. Mit Elementen eines “Green New Deal”, also mit massiven staatlichen Investitionen in “nachhaltige” Technologien, soll die für die deutsche Wirtschaft zentrale Autoindustrie auf Elektroantriebe umgerüstet werden. Damit werden die umweltschädigenden Auswirkungen dieser Industrie ins Ausland verlagert, also zum Beispiel in die Länder, in denen die Rohstoffe für die Batterien abgebaut werden. So kann das deutsche Kapital zur Befriedung der Bevölkerung die hiesigen CO2-Emissionen senken und gleichzeitig im Ausland den globalen Klimawandel vorantreiben. Der Aufstieg eines unabhängigen deutschen Imperialismus setzt also gleichzeitig die Ausbeutung von Ressourcen und Menschen in halbkolonialen Ländern voraus. Also Wohlstand im Lande, Krieg um den Profit in der Welt – darin sind sich Kaeser und die Grünen einig.

Dazu gehört auch der unverhohlene Militarismus der Grünen. So hatte grüne Bundestagsfraktion kürzlich für die Verlängerung der militärischen Besatzung Malis auch durch deutsche Truppen gestimmt. Als Grund wird angegeben: “Die politische und sicherheitspolitische Lage in Mali ist weiterhin sehr besorgniserregend.” Die Lage ist so, weil Mali eine Kolonie ist und solange es eine Kolonie bleibt, wird es instabil bleiben. Doch das kommt in der grünen Logik freilich nicht vor. Noch vor einigen Tagen sagte der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, während seiner Reise in die Ukraine, dass Waffen dorthin geliefert werden müssten, da sich das Land sonst zu Recht “alleingelassen” fühlen würde. Seine Kritik an der bisherigen Linie Merkels kam also von rechts. Er brach damit auch mit der bisherigen Ablehnung der Grünen, Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. In seinem Interview mit dem Deutschlandfunk betonte er, dass es sich nicht um einen Alleingang handle, sondern auch Baerbock vor einigen Wochen in ihrem taz-Interview “die Linie schon eingeschlagen hat“. Waffen für die Außenwirtschaftspolitik also.

Diese Politik erfordert für die Grünen auch die Ablehnung des Pipeline-Projekts Nord Stream 2, die Habeck im gleichen Interview erwähnt. So wird nur notdürftig von Umweltschutz-Argumenten verhüllt, dass die Grünen der deutschen Bourgeoisie einen Imperialismus versprechen, der nicht mehr von russischem Öl und Gas abhängig ist, sondern seine Interessen gegen Russland durchsetzen kann. Die Große Koalition möchte dagegen eine relative Unabhängigkeit von Russland mit einem Flüssiggas-Import aus den USA herstellen. Die Grünen setzen stattdessen auf grüne Technologien. Nicht umsonst titelt Deutschlandfunk einen Artikel: “Deutschland will unabhängig von Import-Gas aus Russland werden”. Ihr Ziel ist, wie das der Großen Koalition, ein unabhängiger deutscher Imperialismus, um gegebenenfalls die Interessen der deutschen Bourgeoisie schnell und optimiert in Verhandlungen durchsetzen zu können.

Voith, Siemens und die Grünen

Kaeser ist derweil längst nicht der einzige Unternehmensvertreter, der sich für diese Politik erwärmen kann. Weitere Unterstützung erhalten die Grünen von Voith, welches noch letztes Jahr in Sonthofen einen gewinnbringenden Standort geschlossen und Hunderte Arbeiter:innen in die Arbeitslosigkeit geschickt hatte. Die Voith-Erbin und Mitgesellschafterin Ophelia Nick tritt zum Beispiel mit dem von ihr gegründeten Verein “Grüner Wirtschaftsdialog” für die kapitalistische Erneuerung an. Die Tierärztin und Unternehmerin ist Mitglied der Grünen und kandidiert für die Partei sogar für den Bundestag. Siemens und Voith arbeiten eng zusammen und haben beispielsweise eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Es ist also kein Zufall, dass diese beiden Unternehmen gemeinsam die Grüne Partei unterstützen. Einig sind sich die Unternehmen auch darin, was in der Krise nötig ist: Entlassungen. Auch Siemens will in diesem Jahr in seiner Energiesparte Tausende Stellen abbauen.

Für die Grünen ist die Unterstützung von Figuren wie Nick oder Kaeser ein wichtiger Schritt in Richtung Regierungsverantwortung. Gleichzeitig will die Partei aber von sozialen Bewegungen wie Fridays For Future (FFF) profitieren, indem sie offensiv deren Führungen kooptiert. Doch der politische Inhalt der Grünen steht nicht für eine Lösung der globalen Klimakrise. Im Gegenteil: Sie steht für einen Ausbau der imperialistischen Rolle Deutschlands unter grünem Deckmantel. Der vielleicht dreisteste Versuch der Vereinnahmung der Klimagerechtigkeitsbewegung kam aber gar nicht von den Grünen selbst, sondern von niemand anderem als Joe Kaeser. Nachdem FFF Anfang des Jahres 2020 wegen der Beteiligung des Konzerns an einem Kohlebergwerksprojekt in Australien vor der Siemenszentrale protestiert hatte, bot Kaeser der grünen FFF-Führungsfigur Luisa Neubauer einen Posten im Siemensaufsichtsrat an. Damals lehnte Neubauer noch ab. Inzwischen will mit Jakob Blasel eines der Gesichter von FFF für die Grünen in den Bundestag. Wer weiß also, wie weit die Verbindung zwischen deutschen Unternehmen wie Siemens und den Grünen noch gehen wird. Klar ist jedoch: Sie eint bereits heute schon vieles.

Mehr zur Kooptierung sozialer Bewegungen durch die Grünen und deren Etikettenschwindel kannst du hier lesen.

Mehr zum Thema