„Unsere Kampfbereitschaft für bessere Arbeitsbedingungen steckt die Kolleg*innen an“

22.03.2018, Lesezeit 5 Min.
1

Zweite Verhandlungsrunde beim TVöD, immer noch kein Angebot vom Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Die Konsequenz: Warnstreik. Aufgerufen dazu haben die Gewerkschaften ver.di und GEW. In München gingen Tausende auf die Straße. Wir sprachen darüber mit Bettina Rödig, Krankenpflegerin im städtischen Klinikum Schwabing und Vorstand der ver.di-Jugend Bayern.

Wir kommen gerade von der erfolgreichen Umzingelung des Gebäudes des Kommunalen Arbeitgeberverbands. Was ist dein Fazit soweit?

Fürs Erste bin ich mit unserem Einsatz heute und die letzten Monate zufrieden. Wir haben mehrere hundert Azubis aus unterschiedlichen Bereichen der städtischen Betriebe mobilisieren können. Es war ein kämpferischer und solidarischer Warnstreik. Wir sind bis in die Haarspitzen motiviert.

Gab es außer der Umzingelung des KAV auch weitere Aktionen heute?

Ja. Alle Wertstoffhöfe waren heute geschlossen. Auch die Betriebshöfe der Stadt im Süden und Osten blieben heute in Solidarität mit dem Streik geschlossen. Dazu kamen mehrere Kitas und Schwimmbäder.

Die Gewerkschaften haben unter anderem die Angestellten des öffentlichen Dienstes aufgerufen, an den Warnstreiks teilzunehmen. Warum sind die Warnstreiks in diesem Sektor deiner Meinung nach notwendig?

Wir halten das öffentliche Leben dieser Stadt am Laufen, aber unser Leben in dieser Stadt läuft nur unter enormem Aufwand. Die Kosten für den ÖPNV steigen regelmäßig an, die Mieten sind kaum bezahlbar und der Personalmangel ist in allen Bereichen spürbar. Das trifft uns alle. Während der letzten Grippewelle konnte beispielsweise der Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel kaum aufrechterhalten werden. Aber auch in anderen Sektoren gibt es kaum noch Puffer bei Ausfällen. Viele Angestellte können es sich nicht leisten, bei Krankheit einfach zu Hause zu bleiben. Und gerade weil unsere Arbeit auch immer einen sozialen Aspekt hat, will man seine Kolleg*innen nicht im Stich lassen. Die Arbeitsbelastung und die Verantwortung, die wir tragen, sind enorm hoch. Es ist daher Zeit für den Tarif deluxe.

Worin drücken sich die prekären Arbeitsverhältnisse aus?

Viele Azubis müssen auf Grund des Personalmangels Vollzeitstellen ausfüllen. In der Pflege führen sie in weiten Teilen lebensnotwendige Maßnahmen ohne Anleitung durch. Das wirkt sich auf die Qualität der Ausbildung aus. Und auf die Gesundheit der Patient*innen. Solche Zustände sind untragbar. Gerade jungen Menschen fehlt die Perspektive in diesen wichtigen Berufen. Wir wollen nicht weiter zuschauen, wie man uns unserer Zukunft beraubt.

Unter dem Kampagnenslogan Tarif deluxe mobilisiert ihr vor allem die Auszubildenden in München für den Streik. Was sind eure Forderungen?

Wir fordern die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung. Das gibt Planungssicherheit. Für die Ausbildungszeit selber brauchen Auszubildende auch einfach mehr Lohn. Wir wollen uns unser Leben leisten können, ohne dabei jeden Cent zwei Mal umdrehen zu müssen. Außerdem sollen die Ausbildungsbedingungen der bisher nicht tarifierten Ausbildungs- und Praktikumsverhältnisse tarifiert werden. Daneben erwarten wir aber auch noch, dass über Lernmittelzuschüsse, Fahrtkostenerstattung, Nahverkehrstickets und mehr Urlaub verhandelt wird.

Wie seid ihr überhaupt auf diese Forderungen gekommen?

Als ver.di-Jugend haben wir im November 2017 mit der sogenannten Forderungsfindung begonnen. Wir sind mit Fragebögen bewaffnet in die Betriebe gegangen und haben die Azubis gefragt: Was braucht ihr? Wir wollten keine Stellvertreter*innenpolitik. Das führt aktuell dazu, dass sich die Azubis überdurchschnittlich mit uns als ver.di-Jugend und den Streiks identifizieren. Es ist ihr Streik geworden.

Und wie waren die Gespräche mit den Auszubildenden?

Es gab sehr viele positive Reaktionen. Die Kolleg*innen sehen viele Möglichkeiten, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Allerdings merkt man vielen eine gewisse Verunsicherung an. Zum Einen sind dafür die Sparmaßnahmen in den Kommunen verantwortlich. Die „Schwarze Null“ der Bundesregierung wirkt sich oft in Form von befristeten Arbeitsverhältnissen aus. Andererseits üben die Arbeitgeber*innen oft recht offen Druck auf die Jugend aus. Wer sich gewerkschaftlich organisiert, Forderungen stellt, der bekommt bei Personalgesprächen gerne mal mehrere Abmahnungen auf einmal über den Tisch geschoben.

In den letzten Monaten sank die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten unter die sechs Millionenmarke. Wie stehen die Azubis gegenüber dem gewerkschaftlichen Engagement?

Das ist natürlich unterschiedlich. In München bemerken wir allerdings einen gegenläufigen Trend. Wir haben bei den Azubis die 1000er-Marke geknackt. Allein am heutigen Warnstreiktag haben wir mehr als 20 Neumitglieder aufgenommen. Das freut uns wahnsinnig und zeigt uns: unsere Kampfbereitschaft für bessere Arbeitsbedingungen steckt die Kolleg*innen an.

Pflege, Kinderbetreuung, Lehre. In vielen sozialen Bereich arbeiten überproportional viele Frauen. Der Warnstreik trug weitgehend ein weibliches Gesicht. Wie wirkt sich das auf euer Engagement als Gewerkschaftsjugend aus?

Ich war sehr begeistert, dass heute so viele Frauen mit mir auf der Straße waren. Sie sind in vielen Berufen des öffentlichen Dienstes das Rückgrat der Betriebe. Allerdings würde ich mir wünschen, dass wir Frauen ein stärkeres Bewusstsein für unsere Situation entwickeln. Aber um das zu erreichen, dürfen wir uns beim TVöD auch nicht einfach so abspeisen lassen von den Arbeitgebern.

Wie geht es jetzt in den nächsten Wochen weiter?

Am 16. Und 17. April findet die dritte Verhandlungsrunde statt. Wir sind gespannt, ob sich das Vertragsblatt bis dahin etwas gefüllt hat. Damit wir mehr Druck aufbauen können, rufen wir die Gewerkschaftsmitglieder am 10. April zum nächsten Warnstreik auf. Der wird mega! Die Kolleg*innen aus dem gesamten südbayerischen Raum werden dafür nach München kommen. Die Arbeitgeberseite darf sich auf was gefasst machen.

Mehr zum Thema