Unnatürliche Katastrophen
// Die schlimmen Folgen der Erdbeben in Haiti und Chile waren keineswegs natürlich //
Anfang dieses Jahres wurden mit Haiti und Chile gleich zwei lateinamerikanische Länder von verheerenden Naturkatastrophen heimgesucht. Die hohe Ziffer an Todesopfern, Verletzten und obdachlosen Menschen war dabei aber keineswegs „natürlich“ oder unvermeidbar, sondern ein Produkt sozialer Verhältnisse.
Haiti: Am 12. Januar erschütterte ein Erdbeben die Region um die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince. Dabei wurden nach offiziellen Schätzungen über 200.000 Menschen getötet und noch einmal fast doppelt so viele verletzt. Bis zu einer Million wurden obdachlos. Im Gegensatz zu wohlhabenden Gegenden mit dünnerer Besiedlung und erdbebensicheren Häusern, traf es die verarmten Massen mit voller Wucht.
In Haiti herrscht Arbeitslosigkeit von bis zu 80% und fast drei Viertel der Bevölkerung müssen mit weniger als 2 Dollar pro Tag auskommen. Für sie bietet die kapitalistische Gesellschaft auch ohne Erdbeben tagtäglich katastrophale Bedingungen. In den Slums um die Hauptstadt stehen dicht gedrängt Wellblechhütten und einfache Häuser, die auch bei wesentlich kleineren Beben zur Todesfalle werden können.
Diejenigen, die Arbeit haben, dürfen in Sweatshops für die Profite US-amerikanischer und kanadischer Konzerne schuften. Die Landwirtschaft, die theoretisch einen Großteil der HaitianerInnen ernähren könnte, wurde in den letzten Jahrzehnten systematisch zurückgedrängt – durch den Import subventionierter amerikanischer Lebensmittel und nachteilige Handelsabkommen.
Auf diese Weise wird Haiti von imperialistischen Staaten, wie den USA und Kanada, regelrecht ausgequetscht. Entsprechend zynisch wirken die Mitleidsbekundungen dieser Regierungen.
In Wirklichkeit hat sich an deren Interessen natürlich nichts geändert. Die 550 Millionen Dollar Hilfszahlungen der UN sind ein Witz angesichts des Elends hunderttausender Menschen – und angesichts der Milliardenhilfen, die in den letzten Jahren an Banken gezahlt wurden.
Um die Situation zu „stabilisieren“ entsandte die amerikanische Regierung 12.500 SoldatInnen nach Haiti. Die amerikanischen Katastrophenschutz-Einheiten der FEMA wurden dagegen nicht in Bewegung gesetzt.
Es ging also nicht um die Sicherheit und schnelle Versorgung der Erdbebenopfer, sondern darum, soziale Unruhen zu unterdrücken, das Eigentum der in- und ausländischen KapitalistInnen zu schützen und den militärischen Einfluss der USA in der Region zu stärken. (Haiti liegt immerhin nur 200 km von Kuba entfernt.)
Chile: Wenige Wochen später wiederholte sich das schaurige Schauspiel in ähnlicher Weise: Am 27. Februar bebte die Erde in Chile. Wieder waren es die armen und einfachen Viertel der Städte, in denen die Zerstörungen am größten waren.
Bereits am Tag des Bebens versuchten Betroffene, Wasser, andere Lebensmittel und Medikamente aus geschlossenen oder zerstörten Geschäften zu holen.
Wie auch zuvor in Haiti wurden solche Aktionen offiziell verurteilt und kriminalisiert. Anstatt alle Kräfte auf die Rettung und Versorgung von Verschütteten zu konzentrieren, rückte das Militär aus, um „Plünderer“ festzunehmen und Ausgangssperren durchzusetzen.
Die chilenischen Unternehmen nutzten die einmalige Gelegenheit, um ihre Preise zu steigern: Vor allem Lebensmittel und Medikamente wurden teurer. Behandlungen in privat geführten Kliniken kosteten plötzlich noch mehr als sonst – während der Bedarf aufgrund eingestürzter Krankenhäuser massiv anstieg.
Um dieser schamlosen Ausnutzung ihrer Notlage entgegenzutreten, müssten die Betroffenen selbst die Kontrolle über alle Versorgungsmaßnahmen übernehmen. Das wäre ein erster Schritt, damit die ArbeiterInnen und verarmten Massen nicht nur das aktuelle Unglück, sondern auch die fortwährende soziale Katastrophe in Chile und Haiti überwinden können.