Uni Konstanz: Kein Raum für palästinensische Stimmen
Die Uni Konstanz bietet eine Veranstaltungsreihe zum "Hamas-Israel-Krieg und Antisemitismus" an. Ausgewogen geht es dabei nicht zu: Wer nicht die deutsche Staatsräson nachplappert, ist von der Unileitung unerwünscht.
Die weltweite Welle der Palästina-Solidaritat hat seit einigen Monaten auch deutsche Universitäten erreicht. Ob in Berlin, Bremen, Münster oder München – in vielen großen Universitätsstädten bilden sich Komitees und Organisationen, die von Studierenden getragen werden und zum Teil auch Besetzungen in oder neben den Universitäten organisieren . Auch in der akademischen Welt macht sich eine Entwicklung bemerkbar, in der nicht nur die Studierenden, sondern auch Dozierende, Akademiker:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen polarisiert werden. Die Antwort einiger Universitätspräsidien und des Staates ist bis heute stets der brutale Einsatz von Polizeigewalt – wenn es um Solidarität mit Palästina geht, scheinen elementare Grundrechte nicht mehr zu gelten. Gleichzeitig wird auch immer deutlicher, dass sich die Universitäten der deutschen Staatsräson unterwerfen und Räume für zionistische Veranstaltungen freigeben oder letztere auch offen unterstützen.
Wenn wir einen Blick in den tiefsten Süden der Republik werfen und die Bodenseestadt Konstanz betrachten, scheint das Universitätsleben dort auf den ersten Blick wie abgeschottet vom Rest. Wenngleich es das palästina-solidarische Aktionsbündnis Rettet Gaza gibt, gibt es an der Universität noch keine festen Strukturen oder Gruppierungen, die sich mit dieser Frage im akademischen Raum beschäftigen. Doch Konstanz existiert nicht im luftleeren Raum, sondern reagiert ebenfalls seit dem 7. Oktober 2023 auf die entsprechenden Entwicklungen. Spätestens als am 26. März 2024 eine antisemitische Schmiererei auf dem Campusgelände entdeckt wurde, handelte die Universität und setzte eine Veranstaltungsreihe auf, die noch bis zum 2. Juli 2024 andauern soll. Der Titel der Reihe lautet „Der Hamas-Israel-Krieg und Antisemitismus. Fakten & Diskussionen“ und soll eine Antwort auf den steigenden (echten und vermeintlichen) Antisemitismus auch am Bodensee sein. Bemerkenswert ist, dass die Universität nicht einmal versucht, eine Bandbreite an Standpunkten wiederzugeben: Die angepriesenen Redner:innen und Themenblöcke könnten so direkt vom Bundesinnenministerium kommen.
Die Universitätsleitung macht dabei auch keinen Halt, ihre Veranstaltungen latent aggressiv zu bewerben. So verschickt sie im regelmäßigen Abstand eine Erinnerungsmail, dass alsbald die nächste Veranstaltung stattfindet. Auch wird vor Ort am Campus geflyert, freilich vor einem großen Banner mit dem Titel „Gegen jeden Antisemitismus“ – ein insbesondere unter Antideutschen beliebter Slogan, der jede Kritik am Zionismus mit Antisemitismus gleichsetzt. Wie Zeug:innen mehrmals berichteten, ist es dabei unerwünscht, ein Foto von dem Banner zu machen. Man wird dann nahezu bedrängt, es sogleich zu löschen. Doch was wird in den acht Veranstaltungen nun angeboten? Neben einer politisch-ideologischen Einordnung der Hamas geht es vor allem um (echten oder vermeintlichen) Antisemitismus sowie die Frage, weshalb gerade die Universitäten eine zentrale Rolle in der Palästina-Solidarität spielen.
Konsequent zionistisches Programm
Der Tatsache geschuldet, dass die Universität Konstanz seit 1987 mit der Universität Tel Aviv zusammenarbeitet, haben sie Brandon Friedman gleich zweimal eingeladen. Friedman arbeitet in Tel Aviv am Moshe Dayan Center (MDC) für Nahost- und Afrikastudien. Er referierte über den historischen Kontext der Hamas und des zionistischen Staates sowie die „regionalen Dimensionen“ des 7. Oktober 2023. Er vertritt dabei das zionistische Narrativ, dass Israel seit 1948 stets angegriffen wurde und die Eskalation der Gewalt einzig auf Seiten der Palästinenser:innen stattfand. In einem Interview vor vier Monaten nannte er die Nakba ein „palästinensisches Narrativ“, welches er nicht teilt: 1948 war für ihn die Auferstehung der Zionist:innen aus der Asche.
Mit Felix Klein konnte sich die Universität Konstanz einen Besuch des „Antisemitismusbeauftragten“ der Bundesrepublik sichern, der über „Judenhass“ generell und konkret in Deutschland referierte. Doch auch diese Veranstaltung war alles andere als kritisch. Wenig verwunderlich: dem Sohn christlicher Eltern geht es nicht um die Verhinderung von Antisemitismus, sondern um die Gleichsetzung der Feindschaft gegenüber Jüd:innen mit der Kritik am zionistischen Staat. Dass darunter auch jüdische Linke und Antizionist:innen – eine führende Kraft in der palästinasolidarischen Bewegung – fallen, ist dem Deutschen egal. Es zeigt aber auch die Linie, die die Universitätsleitung fährt: Ein Dialog soll gar nicht ermöglicht, sondern mit aller Gewalt das zionistische Narrativ im Sinne der Staatsräson verbreitet werden, auch wenn dazu Antisemitismusvorwürfe instrumentalisiert werden.
Ein weiterer Professor von der Universität Tel Aviv, der in Konstanz über die israelische Politik und Gesellschaft vor dem 7. Oktober 2023 referierte, war Udi Sommer. Bereits vor fünf Jahren moderierte er einen Vortrag und die Diskussion von Prof. Dr. Jeffrey Kopstein von der Universität Kalifornien. Dort ging Kopstein der Frage nach, weshalb gerade US-amerikanische Universitäten eine vermeintliche Nähe zum Antisemitismus hätten. Dass dabei Israel mit jüdischen Menschen gleichgesetzt wird, muss nicht zusätzlich betont werden. Also auch hier ein perfekter Referent für Konstanz. Der bis dato letzte Vortrag war von Lars Rensmann, Politikwissenschaftler und Dozent an der Universität Passau, der über „israelbezogenen Antisemitismus in Deutschland“ sprach. Dieses Thema scheint sein Steckenpferd zu sein, denn bereits für die Frankfurter Allgemeine schrieb er diesbezüglich einen Aufsatz. Dort mahnte er, besonders den „Judenhass“ nicht zu vergessen, der sich hinter der „Israel-Kritik“ verberge.
Noch kommende Referent:innen sind Nimrod Rosler, Fania Oz-Salzberger, Thomas Hinz und Hanna Veiler. Rosler ist Professor an der Universität Tel Aviv und bezeichnet die palästinensische Bevölkerung als „gehirngewaschen“. Der 7. Oktober 2023 sei Resultat eines „Hasses“ gewesen, der nur deswegen stattfinden konnte, weil die Hamas die Palästinenser:innen mit einer Doktrin versorgt hätten, die Israelis entmenschliche. Er leugnet jede Verantwortung des zionistischen Staates. Fania Oz-Salzberger ist eine israelische Historikerin, die Benjamin Netanjahu eine Teilschuld daran gibt, dass es nun noch mehr „Israel-Hasser:innen“ gebe. Sie selbst bezeichnet sich als Teil der „israelischen Linken“. Ihre Kritik an der Netanjahu-Regierung bedeutet jedoch keine Kritik am Vorgehen Israels. In einem Tweet vom 27. Mai 2024 betonte sie die Notwendigkeit einer „Deradikalisierung der extremistischen palästinensischen Mehrheit“, welche „Generationen“ dauern würde. Hier schwingt ein ähnlicher Gedanke mit wie bei Rosler: die Palästinenser:innen seien selbst schuld, sie seien „gehirngewaschen“.
Zuletzt wird sich die Universität Konstanz die Frage stellen, weshalb gerade die Universitäten wichtige Orte der Palästina-Solidarität sind. Oder, in ihren Worten: „Steigender Antisemitismus und Strategien, ihn zu bekämpfen.“ Dafür haben sie keine Geringere als die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD), Hannah Veiler, eingeladen. Für die JSUD und Veiler ist die Solidarität mit Palästinenser:innen wie selbstverständlich antisemitisch. In einer Pressemitteilung vom 27. Mai 2024 stellten sie sich gegen die Benennung von Prof. Uffa Jensen als „Antisemitismusbeauftrager“ durch die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Prof. Geraldine Rauch, da Jensen sich gegen die IHRA-Erklärung ausspricht. Begründet wird das mit einem vermeintlich „linken und muslimisch geprägten israelbezogenen Antisemitismus an deutschen Universitäten“. Schon klar: dafür ist die IHRA-Erklärung natürlich die beste Waffe.
Wie geht es weiter?
Wie sich diese Diskussion in Konstanz entwickelt, wird sich zeigen. Eine offene und kritische Debatte ist seitens der Universität jedenfalls unerwünscht. Palästinensische Stimmen werden ignoriert und man setzt voll auf die Kooperation mit der Universität Tel Aviv sowie jüdischen Organisationen in der Bundesrepublik, die einen konsequent zionistischen Kurs fahren. Doch man darf der Universität dieses Feld nicht kampflos überlassen, sondern es ist notwendig, auch hier in Konstanz über das Aktionsbündnis Rettet Gaza hinaus auf dem Campus und in den Hörsälen Komitees zu bilden, die die starke Studierendenbewegung auch hier an den Bodensee tragen.
Nur weil die Universitätsleitung diesen strikten zionistischen Kurs fährt, bedeutet das keineswegs, dass alle Studierenden, Dozierenden und Fachschaften dahinter stehen. Außerhalb des Campus erlebt die palästinasolidarische Bewegung immer mehr Zuspruch. Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen von Rettet Gaza werden stark besucht und, was sehr begrüßenswert ist, der Widerstand der hiesigen antideutschen Szene ist äußerst gering. Die zionistische Hochburg am Bodensee verliert langsam ihre politische Relevanz, da der Bevölkerung, den Werktätigen und den Studierenden nach fast acht Monaten Völkermord in Gaza klar wird, dass sich Israel nicht bloß selbst verteidigt. Und mit jedem Tag, der verstreicht, stellt der deutsche Staat eindrucksvoll zur Schau, auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.
Wenngleich man in Konstanz die starke Polizeirepression wie in Berlin oder München noch nicht bemerkt, ist auch hier das bundesweite repressive Klima auf subtilere Weise spürbar: durch Silencing von palästinensischen Stimmen, durch das latent aggressive Vorgehen der Universitätsleitung und das vermehrte Auftauchen von zionistischem Propagandamaterial in Form von Flyern, Stickern und Plakaten. Jetzt ist die Zeit, eine starke palästinasolidarische Stimme auch auf den Campus zu tragen, denn die Angriffe auf die Wissenschafts- und Diskussionsfreiheit im akademischen Raum sind bereits in voller Fahrt und sie betreffen uns alle. Die Methoden die heute an der palästinasolidarischen Bewegung erprobt werden, sind die gleichen, die im nächsten Zug des Rechtsrucks auf AfD-kritische, antimilitaristische und antikapitalistische Gruppen ausgeweitet werden. Der Kampf gegen den Genozid in Gaza lässt sich nicht trennen vom Kampf für Meinungs- und Versammlungsfreiheit und gegen Repression – und umgekehrt auch nicht.