Und eines Tages kam Trump nach Europa
Hurrikan Trump besuchte das alte Europa und hinterließ Schäden und Verletzungen. Was brachte seine Teilnahme am NATO-Gipfel?
Diese Woche zog der Hurrikan Trump durch das alte Europa und hinterließ Schäden und Verletzungen. Der jüngste NATO-Gipfel in Brüssel hat ein gewisses kollektives Déjà-vu erzeugt.
Der Vergleich mit dem gescheiterten G7-Gipfel im kanadischen Québec vor einem Monat ist fast ein Muss. In beiden Fällen beschimpfte der US-Präsident die traditionellen Verbündeten Washingtons und beschuldigte sie, zu sehr auf Kosten der Vereinigten Staaten gelebt zu haben.
Ein letzter wichtiger Termin von Trumps Europa-Tour bleibt jedoch noch: Trumps Gipfeltreffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Dieses anstehende Treffen verläuft allerdings auf einer anderen Ebene – nicht die der „multilateralen Institutionen“, sondern die der bilateralen Treffen. Dort begegnet Trump unbeschwert Gegnern, Feinden und Konkurrenten der Vereinigten Staaten, von Kim Jong-un bis Putin. Auf diese Treffen setzt der aktuelle Bewohner des Weißen Hauses.
Die Bilanz dieser intensiven diplomatischen Woche ist alles andere als einfach. Sie bietet jedoch die Gefahr von allzu oberflächlichen Eindrücken, die bekanntlich zu Fehleinschätzungen und falschen Prognosen.
Das Offensichtliche ist die Show. Aber, wie schon ein Sprichwort sagt, „Nichts ist, wie es scheint“. Eine Deutungsweise ist, Trumps undiplomatisches, tyrannisches Auftreten durch das liberale Prisma des „politisch Korrekten“ zu lesen. Unter diesem Blickwinkel, der sich auf seinen skandalösen Mangel an Manieren konzentriert, fügt Trump der liberalen Ordnung irreparablen Schaden zu, welche die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg (viel weniger aus Selbstlosigkeit als aus nationalem Interesse) aufgebaut haben.
Aus einem anderen Blickwinkel jedoch, könnte man sagen, dass Trump diese Woche eine praktische Lektion darüber anbot, was eine weniger auf Hegemonie und mehr auf Dominanz basierte imperialistische Politik bedeutet. Oder anders gesagt, er zeigte das berühmte „America First“ in Aktion.
Das Narrativ, das Trump anbietet, ist nicht mehr und nicht weniger als eine vereinfachte Vision der Dekadenz der US-Hegemonie, die mit einer offensiven Politik, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch, wieder aufgebaut werden soll.
Seine rhetorische Kunst besteht darin, die imperialistische Hauptmacht in ein Opfer zu verwandeln. Mit einer einfachen Sprache, die jede*r letzte „Verlierer*in“ der Globalisierung in der hintersten Ecke des alten Rostgürtels des amerikanischen Mittleren Westens versteht.
Deshalb nimmt sich Trump, auch mitten im Getümmel, immer Zeit, seine Politik in einfache Ideen zu übersetzen, die in einem Tweet zusammen gefasst werden können, mit einem Auge auf sein heimisches Publikum und die kommenden Kongresswahlen.
Laut dem Präsidenten sind die Vereinigten Staaten das naive Opfer, das jeder ausnutzt. Laut diesem Narrativ erhalten Partner, Verbündete und Konkurrenten ihren Anteil am Profit, während allein die Vereinigten Staaten die Rechnung übernehmen.
Die von Trump vorgeschlagenen Lösungen scheinen so einfach wie die Identifizierung der Probleme: Zölle und protektionistische Maßnahmen; Neuverhandlung von Handelsabkommen; Mauern und Familientrennung zur Bekämpfung der Migration. Kurz gesagt, eine verallgemeinerte Methode der Daumenschrauben in extremis, um die größten Zugeständnisse für das US-Kapital zu erhalten und die Privilegien der imperialistischen Vorherrschaft aufrechtzuerhalten.
Dies ist die Logik hinter dem Handelskrieg mit China, der auf den Kern von „Made in China 2025“ zielt – der Agenda der Regierung Xi Jinping, die den wichtigsten strategischen Konkurrenten der Vereinigten Staaten zu einem beispiellosen technologischen und produktiven Sprung führen würde.
Dasselbe gilt für die wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen gegen Handelspartner mit Exportüberschüssen, wie die Einführung von Zöllen auf Produkte der Europäischen Union, insbesondere aus Deutschland, und den Versuch, die Bedingungen von Handelsabkommen wie NAFTA mit Mexiko und Kanada neu zu verhandeln.
Natürlich ist das Ergebnis, wie mehrere Analyst*innen und Ökonom*innen warnen, nicht eindeutig und die Vereinigten Staaten werden aus diesem Handelskrieg nicht unversehrt hervorgehen, auch wenn er auf seinem derzeitigen Niveau als Konflikt geringer bis mittlerer Intensität bleibt. Die Betroffenen rächen sich, was sich auf die US-Wirtschaft auswirkt – und, wenn sie der Logik „Auge um Auge“ folgen, den internationalen Handel in Frage stellen könnte.
Auch der NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli sollte im gleichen Licht betrachtet werden. Die Medienberichterstattung konzentrierte sich auf die eindrucksvolle Art und Weise, in der die Krise des Atlantischen Bündnisses zum Ausdruck kam. Das ist auch kein Wunder, denn zwei Tage lang machte Trump immer wieder Schlagzeilen.
Die Atmosphäre war bereits im Vorfeld aufgeheizt. Mehrere Staatschefs, darunter der spanische und der norwegische Premierminister, hatten ein Schreiben von Trump erhalten, in dem sie aufgefordert wurden, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen.
Nachdem er in Brüssel gelandet war, machte der Präsident diese Forderung zum Gebot der Stunde.
Er kanzelte Angela Merkel scharf ab: Deutschland sei, wegen seiner Energieabhängigkeit, ein Gefangener Russlands.
Er unterbrach eine Sondersitzung mit Vertreter*innen Georgiens und der Ukraine, in welcher der Beitritt dieser Länder zum Bündnis erörtert werden sollte.
In einer nur den Vollmitgliedern vorbehaltenen Sitzung, forderte er, den Militärhaushalt nicht mehr auf 2%, sondern auf 4% des BIP zu erhöhen (über die 3,5%, die die Vereinigten Staaten dafür aufwenden).
Er ließ die Gipfelteilnehmer*innen für eine Stunde der Ungewissheit zittern, in der niemand sagen konnte, ob der Gipfel mit einem ähnlichen Paukenschlag wie beim G7-Treffen in Quebec enden würde.
Schließlich zog er in einer Pressekonferenz eine einseitige Bilanz, in der er sich als den einzigen Akteur darstellte. Er pries seinen Sieg und sagte, dass es ein „großartiger Gipfel“ gewesen sei und dass er dank seines „stabilen Genies“ bedeutende Zugeständnisse von seinen Verbündeten erringen konnte, welche in der Defensive blieben. Dabei machte er verwirrende Erklärungen über die angeblichen Verpflichtungen, die diese eingegangen seien.
Als ob das noch nicht genug wäre, widmete Trump vor seiner Abreise nach London einige giftige Sätze der „soft brexit“-Politik von Theresa May, seiner vermeintlichen Verbündeten, die rudert, um ihre Regierung über Wasser zu halten.
Trump gab damit den „Brexiters“ einen Schub – dem harten Flügel der Tories um Boris Johnson, der gerade das Kabinett von May verlassen hat.
In Großbritannien gab er zudem der Zeitung The Sun ein flammendes Interview, in dem er Theresa May weiter angriff und die privilegierten Geschäftsbeziehungen zu Großbritannien, dem treuesten Partner der USA, in Frage stellte. Danach entschuldigte er sich bei der konservativen Premierministerin und sagte, die Zeitung habe „fake news“ produziert.
Aber der Schaden war bereits angerichtet. Mit dieser keineswegs naiven Forderung nach dem „harten Brexit“ warf Trump eine Bombe nicht nur auf die britische Regierung, sondern auch auf die Europäische Union und insbesondere auf Deutschland – in einer Zeit, in der nationalistische Tendenzen zunehmen, die sich deutlicher mit dem US-Präsidenten identifizieren.
Es ist kein Zufall, dass die britische Hauptstadt die politische Heimat des ehemaligen Beraters Steven Bannon ist, der im Vorfeld dort einen Gipfel mit Anführer*innen der euroskeptischen extremen Rechten organisiert hatte.
Es stimmt, wie mehrere Analyst*innen betonen, dass Trump nicht der erste US-Präsident ist, der sich darüber beschwert, dass seine Verbündeten nicht mehr Haushaltsmittel für Militärausgaben aufwenden, und dass dies zu einer unverhältnismäßigen Last der internationalen imperialistischen Sicherheit für die Vereinigten Staaten führe, die nicht umsonst die wichtigste Militärmacht ist und sich als „Weltpolizei“ aufspielt.
Mit besseren Umgangsformen und unter Einhaltung des Protokolls hat schon der „multilaterale“ Präsident Obama diese Forderung aufgestellt. Und vor ihm Eisenhower, Kennedy, Nixon.
Es stimmt auch, dass die NATO schon andere große Krisen erlebt hat – wie die Suezkrise von 1956 oder den Rückzug Frankreichs aus dem gemeinsamen militärischen Kommando des Bündnisses unter General de Gaulle im Jahr 1966. Ganz zu schweigen von anderen, wie der deutschen Wiedervereinigung, der Auflösung der UdSSR und dem unilateralen Krieg von George W. Bush. Doch der Eindruck entsteht, dass es diesmal anders ist.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg war dafür verantwortlich die positive Seite des Dramas zu finden. Laut seiner besonderen Perspektive erlaubte es Trumps Rowdytum, die Diskussionen ungeschönt auf den Tisch zu legen und voranzutreiben. Der Generalsekretär erklärte, die Vereinigten Staaten hätten ihre Unterschrift unter das gemeinsame Kommuniqué nicht zurückgezogen und Trumps Forderung nach der Budgeterhöhung werde bereits erfüllt.
Nach Angaben des norwegischen NATO-Funktionärs haben „die europäischen Nato-Partner und Kanada ihre Verteidigungsausgaben seit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 um rund 34,6 Milliarden US-Dollar gesteigert“.
Unabhängig von dem Bedürfnis, die Erniedrigung durch Trump auszugleichen, gibt es in Stoltenbergs – und Trumps – Bilanz ein nicht zu unterschätzendes Körnchen Wahrheit. Die NATO, eines der wichtigsten Instrumente der imperialistischen Macht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist immer noch am Leben.
Die ersten zehn Punkte des Gipfelkommuniqués sollen die Politik der Feindseligkeit gegenüber Russland verstärken, die an die Stelle des ehemaligen Feindes UdSSR getreten ist. Dies bedeutet, dass die Politik der militärischen Umkreisung im russischen Einflussbereich fortgesetzt wird: eine Aufstockung der Truppen in den baltischen Ländern – Estland, Litauen und Lettland – und in Polen, wo auch ein Raketensystem, nur wenige Kilometer von Sankt Petersburg entfernt, installiert wird.
Im Allgemeinen wird ein erneuter Aufmarsch der imperialistischen Mächte, die Teil der Allianz sind, mit Kriegsschiffen und Bataillonen vorbereitet (die berühmten 4×30: 30 Kampfschiffe, 30 Manöverbataillone, 30 Luftgeschwader, die in 30 Tagen einsetzbar sein sollen).
Die Politik der Ausdehnung nach Osten (in den ehemaligen sowjetischen Raum) wurde mit Verhandlungen über die Einladung Georgiens, der Ukraine und Mazedoniens zu einem solchen antirussischen Bündnis bekräftigt.
Die andere wichtige Achse ist die Anti-Terror-Politik, bei der einige europäische Regierungen (nicht nur die der extremen Rechten) eine Anti-Migrations-Politik durchsickern ließen.
Schließlich erwähnt das Kommuniqué den Iran und macht ihn einseitig für die Atompolitik verantwortlich, ohne auch nur zu erwähnen, dass es die Vereinigten Staaten waren, die das Abkommen einseitig aufgekündigt haben.
Obwohl Trump den Hebel über das Militärbudget gewählt hat, ist es klar, dass er den „2%“-Kampf nur als Front benutzt hat, hinter der Streitigkeiten mit der Europäischen Union, insbesondere mit Deutschland, stehen.
Europa erwacht langsam zu der Tatsache, dass es nicht mehr unantastbar ist und nun im Visier des Präsidenten der Vereinigten Staaten stehen könnte. Der europäische Block scheint vorerst machtlos, verfolgt von seinen eigenen Geistern und Krisen. Eher hatte er darauf gehofft, die Bestie zu besänftigen. Aber das wird nicht ewig so bleiben können. Die Forderung, dass die europäischen Mächte bzw. Deutschland aufrüsten, könnte kurzfristig von Vorteil sein, kann aber auch ein Spiel mit dem Feuer bedeuten.
Das Treffen mit Putin steht auf einem anderen Blatt. Die Regierung von Trump hat in ihrer Verteidigungsstrategie Russland und China in den Rang eines „strategischen Konkurrenten“ zur USA erhoben.
Der US-Präsident hatte zunächst eine Politik der Annäherung an Russland angedeutet, um eine Allianz Russlands mit China im komplexen eurasischen Szenario zu vermeiden. Diese Politik scheiterte und erklärt zum Teil die juristische Offensive gegen Trump für die Einmischung des Kremls in die Wahlen 2016.
Der realistische Teil des US-Establishment erkennt jedoch an, dass es keine vollständige Feindseligkeit geben kann, und hofft bereits begeistert darauf, dass Trump Putin bessere Bedingungen abringen kann, um den Konflikt in Syrien zu beenden, den Iran zu marginalisieren oder zumindest seinen Einfluss deutlich zu reduzieren, was auch im Interesse Israels liegt. Gute Beziehungen zwischen Netanyahu und Putin könnten ein solches Abkommen vorwegnehmen.
Trumps aggressive imperialistische Politik übersetzt sich in konservativen Bonapartismus auf nationaler Ebene. Beispiele dafür sind die Ernennung des katholischen Richters Brett Kavanaugh für den Obersten Gerichtshof oder das Urteil des Obersten Gerichtshofs gegen Gewerkschaften, bekannt als der „Fall Janus“.
Hinzu kommt die brutale Politik der „Nulltoleranz“ gegenüber Migrant*innen, wie beispielsweise die Trennung von Kindern von ihren Eltern, oder die Offensive gegen die „Affirmative Action“-Politik, die die Zulassung von Minderheiten an Universitäten begünstigte.
Aber all das geschieht nicht in einem luftleeren Raum, sondern in einem Szenario der sozialen und politischen Polarisierung, das sich rechts und links des politischen Spektrums vertieft. Diese Polarisierung kam bereits in den Vorwahlen der beiden Parteien der US-amerikanischen Bourgeoisie zum Ausdruck. Während Trumps Kandidat*innen in der Republikanischen Partei siegten, besiegte Alexandria Ocasio-Cortez, ein Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA), Joe Crowley, den Kandidaten des Establishments, der als ein Nachfolger an der Spitze der Demokraten im Unterhaus gehandelt wurde.
Das ist noch keine politische Radikalisierung, aber es ist sicherlich ein Symptom, welches die turbulenten politischen Zeiten vorwegnimmt.
Diese Dopplung zwischen Krise und Offensive drückt die Widersprüchlichkeit der Welttendenzen aus, oder um Gramsci zu paraphrasieren: In dieser Art von „Interregnum“, in dem die alte Ordnung nicht mehr existiert und die Konturen des Neuen noch unklar sind, wird das Terrain für morbide Symptome, reaktionäre bürgerliche Lösungen und auch Klassenkampf geschaffen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei La Izquierda Diario.