Über 200 Studierende bei Vollversammlung an der FU Berlin
Über 200 Studierende der Freien Universität Berlin diskutierten über ihre Situation in der Coronapandemie. Beschlossen wurden weitgehende Forderungen an das Präsidium der Uni, den Berliner Senat und die Bundesregierung.
Es ist 16 Uhr. Knapp 60 Studierende finden sich im Hörsaal 1b der Freien Universität Berlin ein. Weitere 140 schalten sich peu à peu online dazu. Ein akademisches Viertel später eröffnet unter anderem Tabea Winter, Studentin der Bildungswissenschaft, als Teil des Bündnisses Covid Taskforce die Vollversammlung der Studierenden.
Das Bündnis verschiedener linken Gruppen hatte zuvor zur Versammlung aufgerufen: „Nach drei Semestern pandemiebedinger Online-Lehre hatten viele von uns Studierenden in diesem Semester auf eine Rückkehr an die Uni gehofft“.
„Uns als Studierende treffen die vielseitigen Folgen der Pandemie besonders und doch sind es wir Studierende, die mit den Folgen allein gelassen werden. Während von uns stummschweigende Akzeptanz dafür gefordert wird, dass die Uni wieder in die Online-Lehre verschoben wird, hat die FU Berlin es in den letzten zwei Jahren nicht geschafft, ein funktionierendes Hygienekonzept aufzubauen und uns eine sichere Rückkehr an die Uni zu ermöglichen. Es gibt weder Räume, um Hybridlehre an der Uni wahrnehmen zu können, noch Luftfilter in der Mensa“.
Beschäftigte der FU Berlin zeigen Solidarität
Lukas Schmolzi schaltet seine Kamera ein – im Hintergrund ein Bild streikender Arbeiter:innen. Im Namen der ver.di-Betriebsgruppe überbringt der ehemalige Betriebsrat des Botanischen Garten solidarische Grüße an die Studierenden. Er schlägt auch eine Resolution vor:
„Vor dem Hintergrund des hohen Haushaltsüberschusses stellen wir uns die Frage, warum die studentischen Beschäftigten nicht von der Coronaprämie profitieren. Vollzeitbeschäftigte erhalten 1.300 Euro steuerfrei“.
Außerdem fordert er die Rückführung des Reinigungspersonals und der Sicherheitskräfte an die Universität.
Einsamkeit, Unsicherheit, Überforderung
„Nach zwei Jahren Pandemie geht es uns Studierenden nicht gut“, sagt Winter. In einer Umfrage schreiben die Teilnehmer:innen der Vollversammlung, was sie im Moment beschäftigt: Einsamkeit, Isolation, Unsicherheit, Motivationslosigkeit, Überforderung, finanzielle Sorgen, Zukunftsangst, Lustlosigkeit.
„Die Infektionszahlen explodieren, insbesondere in Europa und den USA, wo lokale Inzidenzen im vierstelligen Bereich längst keine Seltenheit mehr sind“, meint Roberto Lorca, der Philosophie studiert. „Auch und besonders uns Studis hat die Pandemie getroffen“.
40 Prozent der erwerbstätigen Studierenden hätten von einer Verschlechterung ihrer Erwerbslage berichtet. Dieser Einnahmeverlust sei nur durch jahrelang mühsam Angespartes oder stärkere Unterstützung der Eltern ausgleichbar gewesen. Doch Studierende, die diese Möglichkeiten gar nicht hatten, seien alleine gelassen worden.
Für eine demokratische Universität
Lorca denkt, Studierende müssten mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. „Wenn wir mehr Präsenz wollen, muss es mehr Präsenz geben, und wenn wir weniger Präsenz wollen, dann soll es weniger geben. Es geht darum, dass wir nicht mehr so übergangen werden, wie in den letzten zwei Jahren“, führt er aus.
Die Vollversammlung beschließt, sich den Bemühungen nach einer Viertelparität bei universitären Entscheidungen anzuschließen, fordert aber darüber hinaus gemeinsame Entscheidungen von Studierenden und Beschäftigten nach dem Prinzip „Eine Person, eine Stimme“.
Ihren millionenschweren Haushaltsüberschuss solle die Universität benutzen, um Luftfilteranlagen zu kaufen und ausreichende digitale Infrastruktur anzuschaffen, damit Abstände eingehalten und Hybrid- sowie Online-Veranstaltungen gut durchgeführt werden können. Studierenden und Beschäftigten sollen kostenlose FFP2 Masken, Schnell- und PCR-Tests zur Verfügung gestellt werden.
Hybridlehre ermöglichen!
Präsenz-, Online- und Hybridlehre soll in allen Studiengängen ermöglicht werden und die Anwesenheitspflicht, insbesondere während der Pandemie, abgeschafft werden. Präsenzprüfungen dürfen ebenso nicht stattfinden und die Menge der Lehrinhalten müsse an die aktuelle Lage angepasst werden.
Mehr Unterstützung für Studierende
Die Vollversammlung fordert zudem, dass Beschäftigte und Studierende der FU demokratisch über die Verwendung des Haushaltsüberschusses entscheiden sollten – denn könnte dieser beispielsweise für die von Schmolzi angesprochenen Coronaboni zur Unterstützung von Studierenden und Beschäftigten münden.
Die psychologische und therapeutische Betreuung müsse ausgebaut werden und auch für das Finden von Therapieplätzen solle es konkrete Unterstützung geben. Auch die Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Studierende mit Kind seien unzureichend.
Die Universität ist politisch
Die Vollversammlung stellt damit zwar eine Reihe von Forderungen an die Freie Universität, aber richtet andere auch direkt an den Berliner Senat und die Bundesregierung.
Dazu gehören die Anerkennung von bisher in der EU nicht zugelassenen Impfstoffen, um möglichst vielen Studierenden die Teilnahme an Lehrveranstaltungen zu ermöglichen, aber auch die Freigabe aller Impfstoffpatente.
Außerdem wird für die Verstaatlichung aller Kliniken und des Gesundheitswesens unter Kontrolle der Beschäftigten und die Enteignung der Profiteur:innen in der Corona-Pandemie gestimmt.
Die VV nimmt auch Antirassismus mit in ihr Programm auf, denn sie fordert die Abschaffung aller Abschiebungen und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sowie die vollständige Gleichstellung von ausländischen Staatsangehörigen.
Es soll ein elternunabhängiges, von Leistungen unabhängiges, nicht zurückzuzahlendes Bafög in Höhe von 1800 Euro für alle Studierenden geben, das auf die Wohn- und Lebenskosten der Stadt angepasst wird.
Die Vollversammlung fordert auch die Durchsetzung des Volksentscheides Deutsche Wohnen & Co enteignen, mit einer entschädigungslosen Enteignung – und ein Ende aller Räumungen.
Eine vollständige Liste aller Forderungen sind hier einzusehen.
Was tun?
Es stelle sich die Frage, wie die Beschlüsse der Versammlung umgesetzt werden könnten. „Wir wollen eine Kundgebung machen“, heißt es vom Podium. Stattfinden soll sie am 16. Februar um 14 Uhr vor dem Henry-Ford-Bau.
Ein offenes Plenum zur Vorbereitung findet am 8. Februar um 18 Uhr statt.
„Sehr cool, dass ihr alle dabei wart. Bringt alle eure Freund:innen zur Aktion mit!“, beendet Nora vom Roten Cafe die Versammlung in der Rostlaube.