Über 100 Studierende besetzen Hörsaal der FU Berlin in Solidarität mit Palästina

16.12.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Baki / Klasse Gegen Klasse

Mit einer friedlichen Hörsaalbesetzung machten selbstorganisierte Studierende der Freien Universität Berlin auf den Krieg in Gaza aufmerksam. Die Universitätsleitung reagierte nach wenigen Stunden mit einer Räumung durch ein martialisches Polizeiaufgebot.

Am 14. Dezember übernahmen über 100 Student:innen den Hörsaal 1a der Freien Universität Berlin. Damit drückten sie ihre Solidarität mit Palästina anlässlich des schon mehr als zwei Monate andauernden Bombardements und Einmarsches der israelischen Armee im Gazastreifen aus, wobei bisher mindestens 18.000 Palästinenser:innen getötet und über eine Million zur Flucht gezwungen wurden.

Im Verlauf der Besetzung wurden Vorträge und Workshops gehalten, darunter der Vortrag von Waffen der Kritik zu Imperialismus und dem Aufbau einer antiimperialistischen Bewegung weltweit, aber auch Vorträge anderer Organisationen wie Young Struggle zur Verbindung zwischen Palästina und Kurdistan oder von der Gruppe Arbeiter:innenmacht zur Blockade von Waffenlieferungen. Im Vortrag von Waffen der Kritik ging es darum, was Imperialismus überhaupt ist, wie er sich entwickelt hat und welche Rolle er vor allem für Deutschland im aktuellen Angriffskrieg Israels gegen Palästina spielt. Auch zeigte der Vortrag an Beispielen von anderen Besetzungen eine Strategie auf, wie wir eine antiimperialistische Bewegung aufbauen können, die sich nicht nur Israel, sondern auch der Türkei in ihrem Angriffskrieg gegen Kurdistan entgegenstellen kann.

Die Besetzung wurde organisiert von unabhängigen Studierenden und dem Student Collective Berlin, auch wir als Waffen der Kritik haben uns daran beteiligt. Der Entscheidung für die Besetzung ging eine Mail des Präsidiums an die Student:innen voraus, mit der die Universitätsleitung sich nach einer Kritik an ihrem ersten einseitig pro-israelischen Statement zu den Geschehnissen am 7. Oktober zu rechtfertigen versuchte. Auf Social Media veröffentlichten die Besetzer:innen gestern ein eigenes Statement als Antwort. In diesem hieß es unter anderem (übersetzt aus dem Englischen):

Die Universität steht offenbar immer noch „unter dem Schock“ der Anschläge vom 7. Oktober und ist beunruhigt über die „Gewalt und ihre katastrophalen humanitären Folgen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen“ (wobei sie die Gewalt im Westjordanland ignoriert). Gleichzeitig vermeidet es der Brief, den Schuldigen dieser Katastrophe zu benennen: den Staat Israel.

Die FU Berlin unterstützt den Genozid in Gaza nicht nur ideologisch, sondern profitiert auch finanziell, da sie Aktien des Rüstungskonzerns Rheinmetall besitzt. Außerdem unterhält sie eine Kooperation mit der Hebrew University, die sich teilweise im völkerrechtswidrig besetzten Ostjerusalem befindet. Das Statement der Unileitung vom 5. Dezember, in dem sie versicherte, mehr auf die Bedürfnisse von (pro-)palästinensischen Studierenden einzugehen und Räume für kritische Auseinandersetzung zur Verfügung zu stellen, ging über ein reines Lippenbekenntnis nicht hinaus: Pro-Palästinensische Studierende, insbesondere migrantische Studierende, berichten weiter über Unterdrückung ihrer Anliegen von Seite der Universitätsleitung.

Während der Besetzung kam es zu mehrfachen Störungen und Angriffen von Rechten, die bereits bei vorherigen Kundgebungen und Aktionen an der Uni an Gegenaktionen beteiligt waren. Auch ein rechter Zionist, der die Kundgebung am 3. November an der Freien Universität bereits zu stören versucht und die Ordner:innen, die ihn daraufhin der Kundgebung verweisen wollten, als Antisemit:innen und Teilnehmer:innen der Kundgebung als Nazis beschimpfte. In der bürgerlichen Presse sprach er davon, dass er ausgeschlossen wurde, weil er Jude sei, was eine glatte Lüge ist.

Das Verdrehen der Tatsachen haben sie auch gestern versucht. Students For Free Palestine FU veröffentlichten nun ein Statement, in welchem sie Bezug auf die genauen Ereignisse nehmen und sie richtig stellen. Unter anderem wurde das selbstorganisierte Sicherheitspersonal mehrmals angegriffen, Plakate und Bilder von den Wänden gerissen und die Vorträge im Hörsaal mit Zwischenrufen gestört. Ebenso wurde einer Studentin an der FU und Aktivistin von Waffen der Kritik unterstellt, sie hätte die Shoah verharmlost. Der Kontext war jedoch ein umfassender Vortrag über die Rolle Deutschlands in etlichen Kriegen und ihre eigenen Verbrechen, in welchem die Shoah genannt wurde. Mit keinem Wort wurde die Shoah verharmlost oder gar relativiert, im Gegenteil wurde sie als der mörderische Gipfel der Politik des deutschen Imperialismus aufgezeigt.

Die Besetzung wurde gegen 17 Uhr dann letztendlich mit einem massiven Polizeiaufgebot aufgelöst – die Störer und Angreifer durften jedoch bleiben. Laut der Stellungnahme der FU Berlin machte die Universitätsleitung Gebrauch von ihrem Hausrecht und bat die Polizei, den Hörsaal zu räumen, nachdem sie vom Berliner Senat dazu aufgefordert wurde. Ein massiver Angriff gegen die Autonomie der Universität. Selbst die FU-Leitung musste in ihrem Statement jedoch die Verunglimpfungen und falschen Berichte der pro-israelischen bürgerlichen Presse dementieren: „Berichte, denen zufolge Personen wegen ihres Glaubens oder ihrer Nationalität nicht in den Hörsaal gelassen wurden, treffen nicht zu.“ Umso skandalöser ist daher, dass das FU-Präsidium die Polizei trotzdem zur Räumung rief, um gegen die studentische Selbstorganisation vorzugehen. Die Störer:innen nahmen auch die Transpis und Plakate der Besetzung und verschmierten sie. Nachdem etwa 20-30 Personen teilweise unter Anwendung von Schmerzgriffen aus dem Hörsaal gerissen wurden, wurde den restlichen etwa 50 Personen die Möglichkeit gegeben, freiwillig den Hörsaal und das Universitätsgebäude zu verlassen. Zuvor haben die Organisator:innen den Besetzenden die Situation erklärt, auch die Gefahren und rechtlichen Folgen. Ein Dutzend verließen daraufhin selbstständig den Hörsaal. Nach kurzer Absprache wurde die Möglichkeit der Polizei, dass man freiwillig raus dürfe ohne juristische Folgen, genutzt, um vor dem Eingang der Universität noch eine Spontandemo anzumelden, auf der gegen die Räumung und die Polizeirepression protestiert werden konnte.

Nach der Repression gegen die Besetzung gilt es, weiterhin Solidarität mit Palästina an der FU Berlin und darüber hinaus zu organisieren. Darüber wollen wir auch beim nächsten Treffen des Solidaritätskomitees für Palästina an der FU am kommenden Dienstag, den 19.12. um 18 Uhr (Ort tba) diskutieren. Wir laden alle Einzelpersonen und Gruppen, die sich an der Besetzung beteiligt haben, dazu ein, uns dort gemeinsam über nächste Schritte auszutauschen.

Kommt auch zu unserer Online-Veranstaltung am kommenden Donnerstag, den 21. Dezember, um 18:30 Uhr, um über die Aufgaben der Palästinasolidarität in Deutschland und der Kampf für die Befreiung Palästinas zu diskutieren.

Die Aufgaben der Palästinasolidarität in Deutschland und der Kampf für die Befreiung Palästinas

Wann? Donnerstag, 21. Dezember, 18:30 Uhr
Wo? Online auf Zoom, ggf. hybrid in Berlin und München (tba)

Die Aufgaben der Palästinasolidarität in Deutschland und der Kampf für die Befreiung Palästinas

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