TVStud-Konferenz in Göttingen: Ein Schritt nach vorn für studentische Beschäftigte
250 studentische Beschäftigte haben in Göttingen die nächsten Schritte ihres Kampfes für einen bundesweiten Tarifvertrag diskutiert.
Immer mehr Studierende finden sich im Hörsaal 010 der Universität Göttingen ein. Im Foyer stehen Stellwände für die verschiedenen Bundesländer mit Karten, in welchen Städten es bereits organisierte studentische Beschäftigte gibt. Einige tragen sich noch in die Anwesenheitslisten am Infopunkt ein, um sich die pinken Armbänder abzuholen, auf denen steht: „#TVStud – Jetzt oder Nie“. Auch überall zu sehen: „Get organized!“
Das ist das Motto der Aktionskonferenz der studentischen Beschäftigten am Wochenende vom 24. bis 26. Februar in Göttingen. „Diese Konferenz wird eines der Highlights der Tarifbewegung überhaupt“, sagt Isabella Rogner von der Gewerkschaft ver.di in ihrer Begrüßung.
Die Konferenz wurde von der Initiative studentischer Beschäftigter organisiert, die sich auch in den letzten Jahren schon für einen Tarifvertrag eingesetzt hatte, unterstützt von ver.di und der GEW. 250 studentische Beschäftigte und einige solidarische Unterstützer:innen nahmen teil.
Zuvor war eine umfassende Studie veröffentlicht worden, die beeindruckend und erschreckend detailliert die prekäre Situation beschreibt, in der arbeitende Studierende sich befinden. 38 Prozent der Studierenden sind armutsgefährdet, eine studentische Hilfskraft schließt im Schnitt 4,6 Arbeitsverträge mit derselben Institution ab und 40 Prozent machen unbezahlte Überstunden. Über 20 Prozent (Frauen und Queers mehr als Männer) arbeiten Krankheitstage nach. Und das sind nur einige Schlaglichter. Klar ist, dass die Kombination aus Leistungsdruck und persönlicher Abhängigkeit von Professor:innen die prekären Arbeitsbedingungen an der Universität verfestigt.
Der Staat hat dabei eine Doppelrolle: Als Arbeitgeber, durch die Hochschulen und den Öffentlichen Dienst, und als Gesetzgeber, der die prekären Rahmenbedingungen überhaupt erlaubt. Es sind die aktuellen Regierungsparteien – CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP, die in den Ländern und auf Bundesebene diese Situation zu verantworten haben. Interessant für die Kampagne: Insbesondere SPD und Linkspartei haben enge Verbindungen zu den Gewerkschaftsführungen, wobei Jasmin Fahimi (SPD, DGB Vorsitzende) nur die Spitze eines Eisbergs bildet, der tief in die verschiedenen Funktionärsebenen der Gewerkschaften hineinreicht. Für die TVStud-Kampagne wird dieser Widerspruch die Streikdemokratie immer wichtiger werden lassen, je mehr sich der Kampf in die Richtung von Verhandlungen und die Beantragung von Streiktagen bewegt.
Auch Ines Schwerdtner, Initiatorin der Kampagne Genug ist Genug, saß auf dem Podium der Auftaktveranstaltung. Sie forderte die Verbindung der verschiedenen Kämpfe, die derzeit stattfinden, und bezog sich positiv auf die Streiks und Proteste in Frankreich und Großbritannien.
Die Situation für die Studierenden ist dabei im Moment besonders günstig: Aus den Kämpfen für einen Tarifvertrag in den letzten Jahren gibt es bereits eine organisierte Kampagne. In Berlin wurde 2017/18 ein Beispiel geschaffen, dass der Kampf um einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte gewonnen werden kann, und im Sommer/Herbst 2023 steht die Tarifrunde der Länder an, in der die Tarifgemeinschaft der Länder nicht nur von den studentischen Beschäftigten unter Druck gesetzt werden kann, sondern insgesamt durch die Streikenden im Öffentlichen Dienst.
Damit das klappt, stand dieses Wochenendes das sogenannte Organizing im Vordergrund, ein Konzept der US-amerikanischen Gewerkschafterin Jane McAlevey. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Methoden, die systematisch Beschäftigte für den Streik gewinnen soll. Je mehr Menschen mitmachen, umso besser lassen sich die drei Kernforderungen im Rahmen der Verhandlungen der Tarifrunde der Länder (als eigener Tarifvertrag TVStud) durchsetzen: Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, Mindestvertragslaufzeiten und Kontrolle der Hochschulen durch studentische Personalräte. „Die Macht der Arbeiter ist ihre Masse“, wird Karl Marx zitiert.
Obwohl Organizing sinnvoll sein kann, um Studierende für den Streik zu gewinnen, können politische Debatten zu kurz kommen. So fanden Diskussionen über die Inflation und den Krieg zwar statt, aber relativ am Rande. Ein Studierender forderte im großen Plenum, dass nach einem Jahr Krieg in der Ukraine die Gewerkschaften politisch für den Frieden streiken sollten. In einem Workshop wurde erklärt, warum die Erhöhung der Löhne nicht die Inflation antreibt. Über Fragen der Streikdemokratie und die Kontrolle der Studierenden über ihre Tarif- und Verhandlungskommissionen wurde leider fast gar nicht diskutiert.
Klasse Gegen Klasse hatte vor der Konferenz aufgeworfen, dass nur eine vollständige Eingliederung der studentischen Beschäftigten in den TV-L, also in einen gemeinsamen Tarifvertrag für alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, langfristig einen Lohnverfall wie TVStud Berlin ihn seit 2001/4 erlebte, verhindern kann.
Außerdem stellt sich im Kontext der Studie die Frage: Die prekären Bedingungen in der Wissenschaft basieren auf tiefgreifenden strukturellen Problemen, die es notwendig machen, über den Kampf für einen reinen Tarifvertrag hinaus zu gehen: Die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, ein Verbot von Outsourcing im Öffentlichen Dienst und die vollständige Ausfinanzierung aller Bereiche des Hochschulbetriebs.
Selbstverständlich sollten wir einen vollen Inflationsausgleich in der kommenden Tarifrunde fordern – aber darüber hinaus auch die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, damit unsere Löhne auch in Zukunft gesichert bleiben, falls die Inflation über die Anhebung im Tarifvertrag steigt.
Jetzt geht es für die Kampagne darum, die Strategiediskussion in die Tat umzusetzen. Die Planungen beginnen, mit dem Sommersemester geht es dann richtig los. Viele wollen schon während der Semesterferien mit ihren Kolleg:innen sprechen.
„Tarifvertrag – Jetzt! Tarifvertrag – Jetzt! Tarifvertrag, Tarifvertrag, jetzt, jetzt, jetzt!“ rufen die studentischen Beschäftigten auf der abschließenden Plenumsdiskussion im großen Hörsaal am Sonntagmittag. Nach einem Wochenende voller Streikmapping, Vernetzung, Ansprachetraining und Diskussion sind sie zuversichtlich: Der bundesweite Tarifvertrag kann erkämpft werden. Es ist ein Schritt nach vorn im Kampf gegen die Prekarisierung, nicht nur von ihnen, sondern von allen Studierenden.