TVöD-Forderungen: „Es darf keinen Abschluss unter der Inflationsrate geben“

14.10.2022, Lesezeit 6 Min.
1
Foto von der Berliner Krankenhausbewegung, Simeon Zinnstein

Diese Woche veröffentlichten die Gewerkschaften ihre Forderungen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst. Anika, aktiv in der Berliner Krankenhausbewegung, kommentiert, welche Stärken und Schwächen der Forderungskatalog hat und wie er durchgesetzt werden kann.

Die Bundestarifkommission von ver.di fordert für die kommenden Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst 10,5 Prozent oder mindestens 500 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt zehn Prozent klingen 10,5 Prozent mehr Lohn nach einer recht zurückhaltenden Forderung. Gerade die Preise für Energie und Nahrung sind schließlich noch einmal deutlich stärker gestiegen. Schaut man aber auf die Entgelttabellen, wird deutlich, dass die Forderung nach mindestens 500 Euro mehr für alle besonders für die unteren Lohngruppen ein deutliches Plus bedeuten würde.

Die Berliner Krankenhausbewegung hatte noch weitergehende Forderungen vorgeschlagen, nämlich eine Lohnforderung von 19 Prozent und insbesondere auch eine automatische Anpassung der Löhne an die Preissteigerungen. Auch die Arbeiter:innen der Berliner Stadtreinigung haben 16 Prozent mehr Lohn gefordert. Die Laufzeit für die Krankenhäuser sollte bei 12 Monaten liegen. Es ist jedoch ein Erfolg, dass die 500 Euro mehr für alle es in den Forderungskatalog der Gewerkschaften geschafft haben.

Diese 500 Euro für die unteren Lohngruppen bedeuten etwa 15 bis 20 Prozent mehr. Das ist allerdings alles andere als ein Luxus, sondern eine absolut notwendige Lohnkorrektur. Die Kosten für alle lebensnotwendigen Dinge wie Lebensmittel, Energie, Verkehr und nicht zuletzt fürs Wohnen sind schließlich bereits in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Schon während der Coronapandemie ist die Inflation gestiegen und die derzeitige Teuerung ist nun noch einmal deutlich höher.

Für die Azubis, Studierenden und Praktikant:innen liegt die Forderung bei 200 Euro mehr. Hier bleibt leider fraglich, ob dieser Betrag nicht nur die Inflation ausgleichen kann. Es müsste schließlich auch darum gehen, dass die Ausbildung im öffentlichen Dienst und besonders in den Kliniken finanziell viel attraktiver wird, um dem Personalmangel etwas entgegenzusetzen.

Urabstimmung und Erzwingungsstreik jetzt vorbereiten!

Damit die beschlossenen Forderungen tatsächlich die Inflation ausgleichen, müssen sie durchgesetzt werden. Das heißt für die Bundestarifkommission: Es darf keinen Abschluss unter der Inflationsrate geben – für keine der Lohngruppen. Besonders die 500 Euro Sockelbetrag für alle müssen unbedingt durchgesetzt werden.

Entscheidend ist aber auch die Laufzeit von 12 Monaten. Viele Tarifabschlüsse in den vergangenen Monaten und Jahren hatten zwar passable Lohnerhöhungen erreicht, dafür aber sehr lange Laufzeiten in Kauf genommen. In der jetzigen Inflationskrise zeigt sich überdeutlich: In der Friedenspflicht sind den Beschäftigten die Hände gebunden, höhere Löhne zu fordern, die nicht von der Teuerung aufgefressen werden. Das darf uns im öffentlichen Dienst jetzt auf keinen Fall passieren, denn wir wissen nicht, wie sich die wirtschaftliche Lage in den kommenden Jahren verändern wird.

Das muss auch bedeuten, dass jetzt schon die Urabstimmung vorbereitet werden sollte. Es darf nicht nur keinen Abschluss unterhalb der Inflationsrate geben, sondern ebenso auch keinen Abschluss ohne die Entscheidung der Basis. Das Beispiel des Streiks an den Seehäfen hat wieder einmal gezeigt, dass am Ende trotz ambitionierter Forderungen und großer Kampfbereitschaft faule Kompromisse entstehen können, wenn die Kolleg:innen nicht selbst entscheiden. Es braucht eine breite Diskussion in den Gewerkschaften mit Versammlungen in allen betroffenen Betrieben über die jetzt vorliegenden Forderungen. Aktionskonferenzen wie in Berlin am 21. Oktober müssen dafür der Startpunkt sein. Die Arbeitgeberseite und viele Kommentator:innen werden uns vorhalten, dass wir mit zu hohen Lohnforderungen die Inflation weiter anheizen werden. Aber diese sogenannte „Lohn-Preis-Spirale“ ist nur ein Gerücht, mit dem man uns Verzicht aufdrücken will. Dabei ist es genau umgekehrt: Steigen die Preise, müssen die Löhne das auch tun. Bescheidenheit bringt uns dabei nichts.

Dass der Staat genug Geld zusammenkriegen kann, um unsere Forderungen zu erfüllen, hat das riesige Sondervermögen für die Bundeswehr gezeigt. Statt 100 Milliarden für Rüstung braucht es endlich mehr Geld für Gesundheit, Soziales, Bildung und Klima!

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke hat zu den Forderungen gesagt:

Dreimal hintereinander den Marktplatz voll machen, reicht dabei nicht, sondern es braucht Erzwingungsstreiks, die diszipliniert durchgeführt werden. Wir brauchen eine große Beteiligung und vor allem eine Strategie, wie wir hohen wirtschaftlichen Schaden verursachen und dadurch Druck aufbauen können.

Wir Beschäftigte wollen ihn beim Wort nehmen und unsere Tarifrunde dazu nutzen, um den Druck für eine echte Entlastung für alle zu erhöhen. Denn nicht nur die Löhne müssen dringend rauf, auch die Renten und Sozialleistungen gehören deutlich erhöht. Es braucht Preiskontrollen, damit wir uns das Leben weiterhin leisten können, und Steuern auf Profite und große Vermögen, damit die Reichen für die Krise zahlen und nicht wir alle. Großdemonstrationen, wie sie am 22. Oktober in mehreren deutschen Städten geplant werden, sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie dürfen aber nicht nur einmalig bleiben, sondern müssen mit den Streiktagen koordiniert werden, um eine starke Bewegung gegen die Krisenpolitik der Regierung voranzutreiben.

Mit der Verbindung der sozialen Protesten gegen die Energiekrise und unserer Tarifrunden stellen wir uns auch entschlossen den Rechten entgegen, die versuchen, den Unmut in der Bevölkerung für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wir dürfen den Rechten nicht erlauben, die einzige sichtbare Opposition gegen die Regierung zu sein. Es braucht stattdessen dringend eine Alternative der Arbeiter:innenklasse zur Politik der immer neuen Sanktionen und Waffenlieferungen. Denn diese Maßnahmen der Bundesregierung sind nicht im Interesse der arbeitenden Mehrheit – weder hier, noch in Russland oder der Ukraine.

Gut drei Monate haben wir noch Zeit, bis im Januar die erste Verhandlungsrunde ansteht. Nutzen wir sie gut und bereiten wir Streiks vor, die unsere Forderungen durchsetzen können!

 

Mehr zum Thema