FDP greift an: Streikrecht verteidigen!
Die FDP will das Streikrecht in zentralen Sektoren der Wirtschaft einschränken. Zugleich bereiten sich Hunderttausende ver.di-Mitglieder im öffentlichen Dienst auf Streiks im Frühjahr 2025 vor. Es braucht eine kräftige Antwort auf das reaktionäre Vorhaben der Regierung.
Mit einem Positionspapier vom 3. Juli hat die FDP-Fraktion im Bundestag ihrer Vision, das Streikrecht in Deutschland einzuschränken, Form und Inhalt gegeben. In diesem Schreiben behauptet sie, dass die Streiks in kritischer Infrastruktur wie Transport, Müllabfuhr, Gesundheitswesen oder Kitas das Leben von Millionen von unbeteiligten Menschen beeinträchtigen. Als gesetzliche Regelung der Streiks schlägt sie vor:
– Zwingende Schlichtungsvereinbarungen mit gerichtlichen Schlichter, falls Verhandlungsrunden scheitern.
– Alle Streiks in kritischer Infrastruktur müssen mindestens 72 Stunden vorher angekündigt werden.
– Die Dauer der Warnstreiks soll vier Stunden nicht überschreiten.
– Mindestens 50 Prozent des Betriebes soll obligatorisch als Notbetrieb aufrechterhalten werden.
Es ist eine absolute Heuchelei. Die FDP steht selber für massive Kürzungspolitik genau in diesen Bereichen, um das gesparte Geld für Konzerne und Banken als staatlichen Subventionen weiterzugeben. Nun will sie vermeintlich die Interessen der Bevölkerung gegen die „bösen Streiks“ verteidigen. Also genau die Interessen der Menschen, deren Sozialleistungen die FDP als Teil der Ampelkoalition kürzt, die sie bis zum 72. Lebensjahr arbeiten lassen will und deren Kindergrundsicherung sie blockiert.
DGB: „Hände weg vom Streikrecht!„
Die ersten Reaktionen seitens der Gewerkschaftsführungen waren in Worten zwar scharf, verblieben jedoch ohne konkrete Konsequenzen. Der DGB-Vorstand verfasste ein Statement, das auf die Privatisierungen und Sparpolitiken aufmerksam machte. „Streiks sind das einzige Mittel, damit Beschäftigte ihre Interessen auf Augenhöhe verhandeln können. Dieses Recht verträgt keinerlei Einschränkungen – in keiner Branche zu keiner Zeit. […] Potenziell würden solche rechtswidrigen Einschränkungen dann für 43 Prozent der Erwerbstätigen gelten. Wir Gewerkschaften werden eine solche Einschränkung der Rechte der Beschäftigten keinesfalls hinnehmen“, so Anja Piel vom DGB-Vorstand.
Auch der EVG-Vorsitzende Martin Bunkert meldete sich zu Wort und bezeichnete die Vorhaben als „Kampfansage an die Gewerkschaften“, sowie der ver.di-Chef Frank Werneke: „Das ist faktisch die Aushebelung des Streikrecht für den kompletten öffentlichen Dienst“.
Nun ist die Frage, wie der Kampf gegen diesen reaktionären Angriff aussehen soll. Die aktuellen und kommenden Tarifrunden in den Seehäfen, die IG-Metall-Runde ab Oktober 2024 sowie die Tarifrunde im öffentlichen Dienst (TVöD) im Frühjahr 2025, die insgesamt Millionen Beschäftigten betreffen, können eine wichtige Rolle darin spielen, dieses Vorhaben zurückzuschlagen.
Die Einführung eines Gesetzes ist kein Segen irgendeines Gottes, sondern wird von regierenden Politiker:innen verabschiedet. Ob ein Gesetz verabschiedet wird oder nicht und wie die Parteien sich verhalten, hängt davon ab, mit welchen Kosten die eine oder andere Entscheidung verbunden ist.
Falls wir als Gewerkschafter:innen keinen allgemeinen Kampf gegen dieses Vorhaben aufnehmen und nur in Worten und Pressemitteilungen Kritiken üben, haben wir verloren. Genau wie das Unternehmertum und die Staatsbürokratie ihre eigenen Kampfmittel gegen unser Streikrecht einsetzt, durch mediale Hetze, richterliche Klagen und gar nun gesetzliche faktische Verbotsverfahren, ist es notwendig, dass wir uns als Arbeiter:innen und Gewerkschaften mit unseren eigenen Methoden und Druckmitteln zur Wehr setzen.
Es sind die Milliardenkosten für den Staat und Unternehmen, von denen die FDP klagt, wenn sie die Notwendigkeit der Streikverbote zu begründen versucht. Wir müssen ihnen beweisen, dass die Kosten, das Streikrecht aufzuhebeln, ein Vielfaches sein werden. Eine solche Kampfperspektive muss sich in der Basis der Gewerkschaften verankern, dass es bei dieser Frage um alles oder nichts geht.
TVöD-Runde als Chance für eine Protestbewegung
Für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Frühjahr 2025 bedeutet das, dass wir die Streiks für mehr Lohn und weniger Arbeitszeit mit einer politischen Protestbewegung für das Streikrecht verbinden müssen. Es braucht eine Bewegung von über 20 Millionen Menschen, die in dieser kritischen Infrastruktur arbeiten, und ihre Verbündeten. Anhand politischer Massendemonstrationen an Streiktagen, die in jeder Stadt organisiert werden, kann ein beträchtlicher Druck auf die Bundesregierung und die bürgerlichen Kräfte aufgebaut werden.
Eine solche gewerkschaftliche Protestbewegung braucht auch soziale Forderungen an die Bundesregierung, um möglichst viele Schichten der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend hinter sich zu holen. Milliarden-Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klima und Soziales statt Militarisierung, massive Steuern auf Gewinne und Vermögen der Banken, Konzerne und Superreichen sowie ein Ende aller Kürzungsvorhaben, wie sie von der gewerkschaftlichen Initiative „Wir Schlagen Alarm“ gefordert wird, kann ein guter Ansatzpunkt sein.
Für den maximalen Druck auf die Regierung werden einzelne Warnstreiktage oder Demonstrationen jedoch nicht ausreichen. Bei der vergangenen TVöD-Runde, an der sich 500.000 Beschäftigte beteiligten, haben wir gesehen, dass es ohne Erwingungsstreiks nicht möglich war, einen vollen tabellenwirksamen Inflationsausgleich durchzusetzen. Aufgrund des mangelnden Drucks der Streiks konnte der Arbeitgeber an seinem Angebot mit Einmalzahlungen festhalten.
Freiwillige Schlichtungsvereinbarungen müssen gekündigt werden
Warum kam es jedoch nicht zu Erzwingungsstreiks, obwohl es klar war, dass die Kampfkraft nicht ausgeschöpft war? Der Grund ist eine „Schlichtungsvereinbarung“ im öffentlichen Dienst aus dem Jahr 2011, die ver.di, Bund und Arbeitgeberverband freiwillig unterschrieben haben. Sie sieht vor, dass ver.di in eine Schlichtung gehen muss, sobald die Arbeitgeber:innen dazu aufrufen. Somit können Arbeitgeberverbände jederzeit Streiks unterminieren und Urabstimmungen für unbefristete Streiks hinauszögern. Diese Vereinbarung ist somit ein Geschenk seitens der ver.di-Führung an die Bundesregierung im Sinne der Sozialpartnerschaft. Berliner TVöD-Streik- und Teamdelegierte forderten daher zu Recht deren Kündigung.
Es ist genau das Verfahren, das die FDP nun verpflichtend für alle machen will. Weit davon entfernt, ein Mittel im Interesse der Beschäftigten zu sein, führt nun die erfolgreiche Sabotage der TVöD-Streiks 2023 durch die Schlichtungsvereinbarung dazu, dass die FDP sie als ein Erfolgsmodell ausbaut für die Interessen des Unternehmertums und für die Aufhebung des Streikrechtes!
Es ist eben dieser freiwillige Verzicht auf den Kampf, der uns zu diesem Punkt gebracht hat, dass die Regierung sich nun traut, sogar das Streikrecht insgesamt infrage zu stellen. Es ist an der Zeit, diese reaktionäre Vereinbarung endlich zu kündigen und in der kommende- TVöD Runde einen Erzwingungsstreik vorzubereiten und mit politischen Forderungen Millionen Menschen in einer Protestbewegung zu sammeln.
Seit Jahrzehnten weigern sich die Führungen der DGB-Gewerkschaften trotz Generalangriffen wie Hartz IV, Erhöhung des Renteneintrittsalters oder Privatisierungswellen zu Generalstreiks, also gemeinsamer Streiks aller Sektoren der Arbeiter:innenklasse, aufzurufen. Die IG-Metall-Führung argumentierte, dass sie von ihrem Widerstandsrecht mit politischen Streiks nur dann Gebrauch machen werde, wenn demokratische Grundrechte sowie Unabhängigkeit oder Existenz der Gewerkschaften gefährdet sind.
Auch wenn diese Auffassung sehr konservativ ist und politischen Widerstand als allerletztes Mittel vorsieht, befinden wir uns an dem Punkt, wo die Unabhängigkeit der Gewerkschaften infrage gestellt ist. Politisch sind sie leider, dank der sozialpartnerschaftlichen Führung, auch heute nicht von Regierenden und Unternehmen unabhängig. Jedoch wird die Funktion und die organisatorische Unabhängigkeit der Gewerkschaften durch Zwangsschlichtungen und Streikverbote in der kritischen Infrastruktur infrage gestellt.
Bevor ein solches Vorhaben der Arbeitgeberverbände und ihrer politischen Parteien Realität wird, muss noch einiges passieren. Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland hat nun die Möglichkeit, entweder freiwillig davor zu kapitulieren oder um ihr Existenzrecht einen Kampf zu führen. Gegen Hetze und Angriffe auf Streiks dürfen wir nicht mit Zurückhaltung und Gehorsam antworten, sondern mit Widerstand und Aufstand.