TV-L: Gutes Ergebnis oder Ausverkauf?

23.02.2017, Lesezeit 5 Min.
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Etwa 1000 Erzieherinnen aus brandenburgischen Kindergärten laufen am 11.05.2015 während einer Demonstration durch Potsdam (Brandenburg). In vielen der 900 kommunalen Kindertagesstätten hat am Montagmorgen auch in Brandenburg ein unbefristeter Streik begonnen. Laut Gewerkschaft Verdi werden Kitas in den Landkreisen Potsdam-Mittelmark, Havelland, Uckermark, Barnim, Dahme-Spreewald sowie in Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt und Neuruppin bestreikt. Foto: Ralf Hirschberger/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Auch eine Woche nach dem Abschluss der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder sorgt das Ergebnis für heftige Debatten an der Gewerkschaftsbasis. War das Ergebnis ein Ausverkauf der Bürokratie oder ein Erfolg der Warnstreiks?

„Wir haben ein Ergebnis mit deutlichen Reallohnsteigerungen erzielt. Insgesamt ist das ein positives Ergebnis!“ So bewertet der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske das Ergebnis in der Tarifrunde der Beschäftigten der Bundesländer (TV-L). Die Gewerkschaften GEW, ver.di, dbb und die IG BAU waren mit Forderungen von insgesamt sechs Prozent Lohnsteigerung in die Verhandlungen gezogen. Im Laufe des Konflikt kam es zu zahlreichen Warnstreiks im ganzen Bundesgebiet, die wirkungsvoll waren und Tausende auf die Straßen brachten. Alleine in Berlin kamen am 14. und 15. Februar jeweils 8.000 Streikende zu Demonstrationen im Stadtzentrum zusammen.

Doch das Ergebnis kann nicht so einfach bejubelt werden, wie Bsirske uns glauben lassen will. Zwar wurden Gehaltserhöhungen von zwei Prozent für 2017 und 2,35 Prozent für 2018 erreicht sowie Lohnerhöhungen für Auszubildende im Gesamtwert von 70 Euro. Doch die versprochene Angleichung der Gehälter im Sozial- und Erziehungsdienst an die Kommunen und den Bund – die seit dem bedeutenden Streik 2015 deutlich über denen der Länder liegen – wurde weit verfehlt. Bis zu einer Einigung, die erst 2019 (!) vorausgesehen wird, erhalten die Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen zwischen 50 und 100 Euro mehr.

Eine weitere Forderung, die im Ergebnis nicht auftaucht, ist das Ende der sachgrundlosen Befristung. Diese für die prekärsten Schichten besonders wichtige Forderung fiel in den Verhandlungen einem anderen Zugeständnis zum Opfer, das besonders – aber nicht nur – die angestellten Lehrer*innen betrifft. Diese kämpfen seit mehr als zehn Jahren für eine echte tarifliche Entgeltordnung für die wachsende Anzahl angestellter Lehrer*innen. Bisher können die Länder einseitig über die Entlohnung bestimmen – was ungerecht ist und zu erheblichen Unterschieden zu den Beamt*innengehältern führt.

Die GEW kämpfte deshalb über Jahre hinweg sowohl für eine Angleichung der Löhne an die der Beamt*innen – inklusive massiver und kämpferischer Streiks der Berliner Lehrer*innen, die gleiches Geld für gleiche Arbeit forderten – als auch für eine tarifliche Regelung dieser Lohnzahlungen. Doch in dieser Tarifrunde hatte sich die GEW auf die Einführung einer neuen Gehaltsstufe 6 ab der neunten Entgeltgruppe konzentriert – und sie auch bekommen. Damit sollten die Lohndifferenzen zwischen verbeamteten und angestellten Lehrer*innen verkleinert werden und so ein wichtiger Schritt in Richtung gerechter Bezahlung getan werden.

Doch das Ergebnis ist ein zweischneidiges Schwert. Nicht nur fällt der Lohnanstieg, der mit der neuen Stufe 6 verbunden ist, deutlich geringer aus als von den kämpferischen Lehrer*innen verlangt. In der Einigung bindet sich die GEW zudem auch noch an die einseitig von den Ländern vorgegebene Entgeltordnung der Beamt*innen.

Konkret hatte die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) den Beitritt der GEW zum Tarifvertrag TV EntgO-L des deutschen beamtenbundes zur Vorbedingung für den Abschluss des TV-L gemacht. Dieser wurde aber bisher von der GEW und von kämpferischen Lehrer*innen abgelehnt. Denn für angestellte Lehrer*innen schreibt er viele Schlechterstellungen fest, wie beispielsweise der Blog „Lernen im Kampf“ schon Anfang letzten Jahres eindrücklich beschrieben hat:

Der Vertrag bedeutet zudem auch grundsätzlich eine Verschlechterung, weil in dem TV EntgO-L die Eingruppierung der Lehrkräfte mit voller Ausbildung von den jeweiligen Besoldungsgruppen der Beamt*innen abhängig gemacht wird, die ja vom Dienstherren einseitig verändert werden können. Wenn also der Berliner Senat beschließen sollte, die Beamten-Besoldung an Oberschulen von A13 auf A12 zu senken, dann würden die entsprechenden Angestellten automatisch von der E13 in die E11 rutschen – ohne eine Handhabe, dagegen vorgehen zu können – tarifvertraglich zugesichert vom dbb.

Im Klartext: Nicht nur sind die Löhne der angestellten Lehrer*innen weiterhin niedriger als die ihrer verbeamteten Kolleg*innen. Sie müssen sich auch damit abfinden, wenn die Länder Lohnsenkungen für Beamt*innen beschließen, die direkt an die angestellten Lehrer*innen weitergegeben werden.

Viele Lehrer*innen, die sich in den vergangenen Jahren an den Dutzenden Warnstreiks beteiligten, kritisieren die GEW-Führung dafür, dies zugelassen zu haben. Die Gruppe „Bildet Berlin!“ spricht von einem Kuhhandel, Daniel Behruzi nannte die tarifpolitische Ausrichtung der GEW in der jungen Welt „das Eingeständnis, keine tarifliche Entgeltordnung für rund 200.000 angestellten Lehrkräfte durchsetzen zu können, die diesen Namen verdient.“ Auch die GEW-Berlin spricht bei dem Ergebnis von einem Deal mit „Licht und Schatten“.

Es wäre falsch, die realen Verbesserungen zu vertuschen, welche das Tarifergebnis des TV-L für viele Beschäftigte mit sich bringt. Schließlich haben sie es mit ihrer Kampfkraft, den Warnstreiks, Demonstrationen und Kundgebungen erst möglich gemacht, die Sturheit der Länder zu brechen. Doch die fehlende Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes, das Fortbestehen sachgrundloser Befristung und vor allem das zweischneidige Ergebnis für die Lehrer*innen machen deutlich, dass viel mehr nötig gewesen wäre – was bei der vorhandenen Streikbereitschaft auch möglich gewesen wäre. Kämpferische Kolleg*innen, wie die Lehrer*innen oder die Beschäftigten des Botanischen Gartens in Berlin, die ebenfalls mitgestreikt haben, müssen die Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis ziehen und für die demokratische Neuorganisierung der Gewerkschaften eintreten.

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