TV-Duell: Rechte Parolen, GroKo-Harmonie und Ignoranz für die wirklichen Probleme
Beim einzigen TV-Duell vor der Bundestagswahl debattierten Angela Merkel und Martin Schulz am Sonntagabend vor allem über innere Aufrüstung, Abschottung und Abschiebung. In fast allen Punkten zeigten sie großkoalitionäre Übereinstimmung. Tatsächliche Probleme der Massen wurden in der Debatte jedoch fast völlig ausgespart.
Zwei Stimmungen dominieren die Bilanz des TV-Duells am Sonntagabend, an denen nur die Spitzenkanditat*innen von CDU und SPD teilnahmen: Bundeskanzlerin Merkel und ihr sozialdemokratischer Herausforderer Schulz. Zum einen habe es sich um „ein vorgezogenes Koalitionsgespräch“ gehandelt, bei dem die Gemeinsamkeiten der aktuellen Regierungsparteien bei weitem jegliche Kontroverse übertönten. Zum anderen wurde vor allem an der Moderation Kritik geübt: „Die AfD saß mit im Studio“, angesichts der Dominanz der Migrationspolitik und vor allem der – mal mehr, mal weniger offen – rassistischen Fragen vor allem von Moderator Claus Strunz, aber auch der anderen Moderator*innen.
Im Vorfeld hatten die meisten Kommentator*innen wenige Überraschungen beim TV-Duell erwartet. Das lag zum Einen daran, dass die „Schulzmania“ des Frühjahrs schon lange wieder abgeebbt war, aber vor allem daran, dass sich eben die Spitzen der zwei Regierungsparteien gegenüber standen, die in den vergangenen vier Jahren gemeinsam Deutschland immer mehr auf den Weg innerer und äußerer Militarisierung gebracht haben, gemeinsam rassistische und arbeiter*innenfeindliche Gesetze durchgesetzt und diese mit sozialen Almosen wie dem mickrigen Mindestlohn garniert hatten. Das erklärt auch die Themensetzung für die Bundestagswahlen: Rassismus und Aufrüstung statt Antworten auf die sozialen Fragen.
Deshalb ist es auch falsch, nur die Moderation für die rassistische Themensetzung anzuprangern, auch wenn jegliche Kritik am offen rechten Strunz und an den anderen selbstgefälligen rechtskonservativen Journalist*innen absolut angebracht ist. Ihr immer neues Nachbohren über noch mehr Abschiebungen (mit dem härtesten Satz von Strunz: „Wann sind diese Leute weg?“) und ihre absolute Häme über soziale Fragen (Maybritt Illner: „Das mit der sozialen Gerechtigkeit können wir ja schnell machen“) war unerträglich.
Aber das „Agendasetting“ hat die Große Koalition in den vergangenen Jahren ganz gut selbst gemacht: Verschärfung der Asylgesetzgebung, rassistische „Obergrenzen“-Diskurse, immer neue Debatten über „Gefährder“, etc.. Beim TV-Duell bekräftigte Merkel denn auch ihre eigene Politik der letzten zwei Jahre, und auch Schulz kritisierte nur, dass es zu wenig „europäische Abstimmung“ gegeben hätte. Völlig heuchlerisch wurde es zum Einen bei der Frage der „Bekämpfung von Fluchtursachen“, die Merkel als die wichtigste Aufgabe ansah. Denn was sie darunter versteht, ist die Stabilisierung reaktionärer Regime, kombiniert mit Wirtschaftsanreizen für deutsche Unternehmen (a.k.a. „Entwicklungshilfe“). Dass deutsche Waffenexporte einen zentralen Beitrag zu den „Fluchtursachen“ haben, erwähnte sie stattdessen nicht. Zum Anderen bekräftigten beide – trotz ihrem Bemühen um eine scharfe Haltung gegenüber dem türkischen Erdogan-Regime, bei der Schulz die bisherige SPD-Position zu EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei über den Haufen warf –, dass sie auf keinen Fall das EU-Türkei-Abkommen kündigen würden, das der zentrale Pfeiler der deutschen Migrationspolitik der letzten Periode war. Auch das Abkommen mit Libyen, um Geflüchtete aufzuhalten, und die praktische Mauer durch die Sahara wurden positiv erwähnt.
Was während der gesamten Debatte zu Migrationspolitik völlig abwesend war, war auch nur die leiseste Kritik am wachsenden rechten Terror und der zunehmenden Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant*innen.
Nach fast einer Stunde Außenpolitik ging es dann doch noch um die Situation in Deutschland. Beide Kontrahent*innen überboten sich in Forderungen nach mehr innerer Aufrüstung und forderten jeweils 15.000 neue Polizeistellen, bessere Ausrüstung usw.. Merkel empörte sich sogar über die Kennzeichnung von Polizist*innen, die sie als „Misstrauen“ brandmarkte. Doch gerade dieses Misstrauen ist angesichts der immer größeren Polizeigewalt, wie gerade erst G20 traurigerweise bewiesen hat, mehr als angebracht.
Am bezeichnendsten war dennoch nicht unbedingt das erschreckende Ausmaß des rechten Diskurses der ganzen Veranstaltung, sondern die Heuchelei der SPD beim Thema soziale Gerechtigkeit. Im Wahlkampf versucht sie, sich als „Gerechtigkeitspartei“ zu stilisieren, und Juso-Chefin Uekermann und SPD-Generalsekretärin Katarina Barley kritisierten auf Twitter, dass der Frageblock zum Thema beim TV-Duell so kurz ausfiel.
Doch nicht nur vergaßen sie zu sagen, dass die SPD als Koalitionspartnerin mitverantwortlich für den Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse ist – ganz zu schweigen von der unerträglichen Stille, was das Thema Hartz IV angeht, von welchem sich die SPD immer noch nicht abgrenzen will. Im Gegenteil lobte Schulz sogar den Ex-Kanzler Gerhard Schröder während des TV-Duells für seine „Verdienste“ – unter anderem die Einführung von Hartz IV, auch wenn Schulz das nicht direkt erwähnte.
Was beim TV-Duell auch auffällig war, war die Schnelligkeit, mit der Schulz selbst das Thema soziale Gerechtigkeit begrub. Nach einer zugegebenermaßen akkuraten Situationsbeschreibung der Prekarität in Deutschland kam er nur kurz auf das Thema Rente zu sprechen, bevor er dann den Bogen zur Autobahnmaut schlug, was die Moderator*innen sofort nutzten, um zur Dieselaffäre überzugehen und jeden Anspruch auf das Thema soziale Gerechtigkeit aufzugeben.
Besonders spannend in dem Kontext, dass das einzige Thema, mit dem sich Schulz hier brüsten will – die Nichteinführung der Rente mit 70 –, gleich von Merkel aufgegriffen wurde: Sie versprach, dass das auch mit ihr nicht passieren wird. Extra3 kommentierte passend:
Bezeichnend, dass Schulz als Sozialpolitik vor allem eine Steuerreform erläuterte: Ein kurzes Rechenbeispiel zu ein paar geringfügigen Steuererleichterungen und wegfallenden Kita-Gebühren, und sonst war von den brennenden Themen, die die große Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land betreffen, rein gar nichts zu hören. Das ist nicht nur der Moderation anzulasten, sondern Ausdruck der Verachtung für diese Probleme, die die Große Koalition an den Tag legt.
Und so zeigte dieses TV-Duell neben der Tiefe des Rechtsrucks vor allem eins: CDU und SPD sind sich über die außen- und innenpolitischen Linien weitgehend einig. Also darüber, wie Deutschland im Rahmen der EU seine Vormachtstellung ausbauen kann, auf dem Rücken all derer, die hier und in anderen Ländern leben und leben wollen. Es ist wohl nur noch fraglich, ob Merkel diese Angriffe mit oder ohne die SPD durchführen wird.