Tut Euch zusammen!
// Erneut Streiks bei Amazon //
Bis zum 21. September soll beim Versandhändler Amazon die Arbeit für drei Tage niedergelegt werden. Wenigstens 600 Beschäftigte sind dem Streikaufruf von ver.di gefolgt. Schon Anfang des Jahres wurde beim weltweit größten Online-Händler gestreikt – erstmalig in der Geschichte dieses Unternehmens!
Die Streikenden fordern einen Tarifvertrag. Dafür haben sie Amazon zwischen April und Juli die mehrmals bestreikt. Der erste der insgesamt 15 Streiktage an den beiden größten Standorten in Deutschland, Leipzig und Bad Hersefeld, mobilisierte nicht nur die derzeitigen 520 Gewerkschaftsmitglieder sondern laut Gewerkschaftangaben über 1.000 KollegInnen und damit gut 20% der Belegschaft.
Im Juli kam dann der erste Erfolg: Zum ersten mal will Amazon Deutschland Weihnachtsgeld zahlen. Die Geschäftsleitung hofft, damit dem Streik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch nach dem Motto „Teile und Herrsche“: Von der in drei Lohn-Level aufgeteilten Belegschaft erhalten die Level-3-ArbeiterInnen 600 Euro und alle anderen nur 400 Euro.
Ver.di hofft inzwischen besonders auf die Streiks im Vorweihnachtsgeschäft ab Oktober. Die Mobilisierungskraft scheint seit Beginn der Streiks nicht ab- aber auch nicht zugenommen zu haben. Für besondere Zurückhaltung sorgen die vielen befristeten Verträge der Amazon-Beschäftigten.
Es ist höchste Zeit, die Streiks auf alle sieben Standorte auszuweiten und zur Gewinnung der restlichen KollegInnen die Übernahme aller befristet beschäftigten KollegInnen in die Stammbelegschaft zu fordern. Allein in Bad Hersefeld haben weniger als 10% der über 3.000 KollegInnen unbefristete Arbeitsverträge.[1] Ihre Position können die KollegInnen nur stärken, indem sie die Streikführung in demokratischen Versammlungen selbst in die Hand nehmen.
Für die Amazon-Beschäftigten gilt es, viel zu verändern: Amazon regelt die Lohnzahlungen nicht auf tariflicher Grundlage, sondern nach einem firmeneigenen Vergütungssystem. Der Lohntüte fehlen bei Amazon gut ein Drittel des Durchschnittslohns im Versandhandel. Obendrein fehlen Urlaubs- und Weihnachtsgeld und es mangelt an Zuschlägen bei der Nachtarbeit; die wird nämlich erst ab Mitternacht besonders honoriert.
Ein Härtefall sind auch die physischen Anforderungen, mit Laufwegen von bis zu 25 Kilometern am Tag. Kontrolliert werden die Leistungen der KollegInnen in dystopischem Stil: Über Handscanner wird die Leistung der ArbeiterInnen kontrolliert und bei „Nachlässigkeiten“ mit Aufforderungen zum Weiterarbeiten angestachelt.
Auch solchen Demütigungen muss ver.di mit konkreten Forderungen nach Abschaffungen begegnen, anstatt nur abstrakt „weniger Druck“ zu fordern. Konkret fordert ver.di mehr unbefristete Verträge, einen Lohneinstieg von 10,66 Euro (statt bisher 9,55 Euro) und allgemein Bedingungen nach den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels. Blöd nur: Der Einzelhandel hat gar keinen Tarifvertrag.
Um einen solchen kämpft ver.di, seit im Frühjahr erstmalig bundesweit alle Tarifverträge vom Einzelhandel-Kapital aufgelöst wurden. Dieses Kapital hält die bisherigen Tarifverträge für veraltet, heißt: der Profitmacherei und den Konkurrenzverhältnissen nicht mehr angemessen. An diesen Konkurrenzverhältnissen hat der Online-Versandhandel von Amazon seinen Anteil. Er macht dem Einzelhandel die Gewinne nicht nur über die Vorteile des einfachen Preisvergleichs und der Lieferung ins Haus streitig. Gerade die miserablen Arbeits- und Lohnbedingungen seiner Versandhäuser sind in der Konkurrenz hoch rentabel.[2]
Es besteht also nicht nur die Notwendigkeit sondern auch die Chance, wenigstens die Kämpfe im Einzelhandel und die bei Amazon zu verbinden und ein gemeinsames Tarifverhältnis zu erkämpfen. Ein Beispiel dafür lieferten bereits die Hermes-Beschäftigten in Hamburg. Als Versand- und Retourenlogistiker des Versandhändlers Otto streikten sie dort zusammen mit den Einzelhandelsbeschäftigten. Eine Ausweitung dieser Zusammenarbeit auf Bundesebene würde beiden Belegschaften bedeutend größere Schlagkraft geben.
Starke Kämpfe bei Amazon sind auch längerfristig notwendig. Der Siegeszug des Online-Versandhandels in der BRD (von dessen Umsatz bereits 25% auf Amazon entfällt) hält an. Die dortigen Arbeitsbedingungen werden zukünftig die Job-Perspektive von immer mehr Menschen sein. Es geht also darum, in einem aufstrebenden Zweig kapitalistischen Geschäfts möglichst frühzeitig einen Gegendruck der Lohnabhängigen zu verankern.
Zu diesen Arbeitsbedingungen zählt übrigens auch die Leiharbeit, der die DGB-Führung erst vor kurzem das Leben gerettet hat.[3] Die Forderung „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“, die bei den streikenden Berliner LehrerInnen, beim Einzelhandels-Streik und an vielen anderen Orten der kapitalistischen Ausbeutung stark gemacht wird, wäre also auch und gerade hier zu erkämpfen. Amazon gibt ganz offen zu, im Weihnachtsgeschäft seine ArbeiterInnen schon mal zu verdreifachen, zum Beispiel beim geplanten neuen Versandzentrum in Brandenburg.[4]
Spätestens mit der Leiharbeit reichen die Auseinandersetzungen bei Amazon also über die Zuständigkeit des Unternehmens hinaus. Doch die Apparate von DGB und ver.di missachten und verschenken die Möglichkeit gewerkschaftlicher Gegenwehr über Unternehmensschranken hinweg. Und das obwohl ver.di gerade mit den Amazon-Chefs über die bescheuerte Frage streiten muss, ob deren Geschäft überhaupt Versandhandel zu nennen sei (und dann Tarifverträge unterläuft) oder nicht viel mehr zur Logistikbranche gehöre. Vor allem: Selbst wenn es zur Logistikbranche gehören würde, wäre dass wohl nur ein weiterer Grund, auch dort für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten.
Der Streik bei Amazon Deutschland (dem wichtigsten Auslandsstandort des US-Unternehmens) bekommt spätestens durch die massenhafte Anwendung von Leiharbeit politischen Charakter. Auch in den Medien könnte er wieder Präsenz gewinnen, wenn die Brücke zu den Berichterstattungen des Frühjahrs geschlagen wird, um zu zeigen, dass Ausbeutung im kapitalistischen System eben kein Sonderfall ist. Der Streik hat durch die Möglichkeit der Verbindung mit dem Einzelhandels-Streik besonderes Potential. Er braucht Solidarität der linken AktivistInnen, der Betriebe, Schulen und Unis.
- Demokratische Versammlungen aller Beschäftigten und AktivistInnen!
- Ausweitung des Streiks auf alle Standorte!
- Übernahme aller befristet Beschäftigten in die Stammbelegschaft!
- Abschaffung aller Kontrollmechanismen!
- Gleiches Geld für gleiche Arbeit: Leiharbeit abschaffen!
- Für einen gemeinsamen Kampf mit dem Einzelhandel!
Fußnoten
[1] Die krasseste Ausbeutung ist allerdings folgende: Arbeitslose schuften beim Online-Versandhändler umsonst! Die Arbeitsämter schicken Arbeitslose zum unbezahlten „Einarbeiten“ zu Amazon, wo sie nach der Einarbeitungszeit wieder rausgeworfen werden. Wer sich weigert, kriegt Sanktionen.
[2] Erst im Frühjahr gab es viel medialen Wirbel um die prekären bis rassistischen Arbeitsbedingungen migrantischer LeiharbeiterInnen bei Amazon. Deren Herkunfts-Standorte wurden von Deutschland dermaßen niederkonkurriert, dass sie sich fürs Weihnachtsgeschäft der imperialistischen BRD besonders widrig ausbeuten lassen mussten.
[3] Daniel Behruzi: Dumping dank DGB.
[4] Im Logistikzentrum in Koblenz sollen von 3.300 Beschäftigten satte 3.100 LeiharbeiterInnen sein.