Tunesien: Regierung ermordet einen Demonstranten – Wut gegen Sparmaßnahmen nimmt zu
Am kommenden Sonntag jährt sich zum siebten Mal der Ausbruch der Revolte, die zum Sturz der Diktatur von Zine el-Abidine Ben Ali führten. Schon seit Montag breiten sich eine Protestwelle im ganzen Land gegen die neoliberale Kürzungspolitik der Regierung aus. Diese beantwortet die Proteste mit Repression.
Sieben Jahre sind vergangen, seitdem die Massen im Januar 2011 in Tunesien auf die Straßen gingen, um für demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Gestern fand eine Großdemonstration in Tunis statt, um der Revolte zu gedenken, die Überraschung auf der ganzen Welt auslöste und den als „Arabischen Frühling“ bekannten Prozess einleitete. Sie fordern das Ende der Kürzungspolitik und stellen sich gegen die polizeiliche Unterdrückung. Dabei kam es zu massiver Polizeigewalt, Dutzenden Verletzten und mehr als 200 Festnahmen.
Schon in der Nacht zum Dienstag fiel der Repression gegen eine Demonstration in Tebourba, 40 Kilometer nördlich der tunesischen Hauptstadt, ein Mann zum Opfer. Fünf weitere wurden verletzt. Das Opfer war ein 55 Jahre alter Mann, der in einem Krankenhaus verstarb, nachdem er mit einem Kreislaufstillstand eingeliefert worden war.
Auch wenn die genauen Umstände noch ungeklärt sind, ist klar, dass er ein Opfer der Polizeigewalt gegen die Demonstrant*innen wurde. Die offizielle Version der Autopsie ergab, dass er „über einen langen Zeitraum keine Luft bekam und keine Anzeichen bestehen, dass ihm Gewalt zugefügt oder er überfahren wurde.“ Die im Internet zirkulierenden Versionen deuten darauf hin, dass der Mann geschlagen und von einem Polizeiwagen angefahren wurde. Das Innenministerium räumt als mögliche Todesursache das Tränengas ein, das von den Spezialkräften zur Auflösung der Demonstration benutzt wurde.
Daraufhin versammelten sich am Dienstag hunderte Demonstrant*innen vor dem Innenministerium und riefen: „Mordende Polizei, terroristische Regierung“. Die Proteste in Tebourba ähnelten denen, die Anfang der Woche in zahlreichen Städten ausgebrochen waren. Auch in der Minenstadt Gafsa und der westlich gelegenen Stadt Kasserine fanden Demonstrationen statt. In Sidi Bouzid, dem Ursprungsort der Proteste 2011, gab es Kundgebungen und Demonstrationen, nachdem eine erneute Steuererhöhung durch die Regierung bekannt wurde.
Diese Entscheidung ist Teil des Haushalts für 2018, den die Regierung auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank annehmen musste. Beide Organisationen fordern brutale Sparmaßnahmen in Gegenleistung zu den 2016 gestatteten Krediten im Wert von 2,5 Milliarden Euro.
Sieben Jahre nach der sogenannten „Jasminrevolution“ befindet sich Tunesien in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Diese könnte zum Bruch der Stabilität führen, die den Übergang nach dem Arabischen Frühling in diesem Land bisher kennzeichnete. Außerdem stützen sie die aktuelle Regierung, die Ende 2016 gebildet wurde, in ihre bisher tiefste Krise.
Zu den hohen Arbeitslosenzahlen und der grassierenden Korruption kommt eine steigende Inflation. Mehr als 25 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos und die Inflation erreichte im vergangenen Jahr 6,7 Prozent. Der Mindestlohn liegt nur bei rund 160 US-Dollar obwohl die Lebenserhaltungskosten weit darüber liegen.
Tunesien ist ein weiteres Land der Region, dessen Krise sich unter den Auflagen des IWF verschärft hat, die Steuererhöhungen und Veränderungen im Handelssystem beinhalteten. Nun fordert er von der Regierung Kürzungen im Haushalt und eine Reform des öffentlichen Dienstes, was in diesem Jahr zum Verlust von einer Million Arbeitsplätze führen könnte.
In diesem Rahmen fanden schon seit mehr als einem Jahr zahlreiche Streiks und Demonstrationen statt, die von unterschiedlichen Gruppen organisiert wurden. Doch die Intensität der Proteste nahm in den letzten Wochen weiter zu.
Die größte Oppositionspartei Tunesiens hat einen Tag nach dem tragischen Tod eines Demonstrierenden und zahlreichen Verletzten zu andauernden Protesten gegen die Kürzungsmaßnahmen der Regierung aufgerufen. Der mächtige Gewerkschaftsdachverband UGTT forderte eine Erhöhung des Mindestlohns und der Sozialleistungen für die bedürftigsten Familien und eine besondere Lohnerhöhung für Bauarbeiter*innen. Der tunesische Premierminister Youssef Chahed rief indessen zur „Ruhe“ auf und sagte, dass sich die Wirtschaft in diesem Jahr erholen werde.