Tunesien: Deutscher multinationaler Konzern entlässt Angestellten wegen Palästina-Solidarität
Der deutsche Konzern „Kromberg & Schubert“, Hersteller von Bordnetzsystemen, hat einen palästina-solidarischen Beschäftigten in Tunesien für das Verteilen von Flugblättern gefeuert.
In der vergangenen Woche hat der deutsche Autoteilehersteller Kromberg & Schubert aus Wuppertal einen Beschäftigten seiner Produktionszweigstelle in Beja (Nord-Tunesien) entlassen. Der Grund: Ghassen Boughdiri, ein junger Ingenieur und linker Aktivist, hat Material in Solidarität mit dem palästinensischen Volk verteilt. Dabei handelte es sich insbesondere um ein Flugblatt, das zum Boykott von Carrefour, einer französischen Supermarktkette, die an der Unterstützung der IDF-Kriegstreiberei beteiligt ist, aufrief. Nach diesem Vorfall entstand in linken Kreisen eine Solidaritätsbewegung, die die Wiedereinstellung von Ghassen forderte.
Die Kampagne schien zunächst Wirkung zu zeigen, aber das Unternehmen hielt an der Entlassung fest. Dies hat die Solidaritätskampagne aber nicht geschwächt: Die Facebook-Seite des Unternehmens wurde gezielt mit hunderten von Kommentaren, die die ungerechtfertigte Haltung von Kromberg & Schubert anprangerten, geschwemmt und es wurde eine Sitzblockade vor dem Werk in Beja veranstaltet. Am Ende gelang es der Bewegung, das Unternehmen zu zwingen, Ghassen das geschuldete Gehalt wenigstens bis zum Ende seines Vertrages nachzuzahlen. Jedoch hört die Mobilisierung laut der Aktivist:innen hiermit noch nicht auf, sondern wird mit einer Kampagne fortgesetzt, um die pro-zionistische Politik der deutschen multinationalen Unternehmen in Tunesien anzuprangern.
Interessanterweise gehört Kromberg & Schubert neben anderen deutschen Unternehmen zu den Geldgebern von AICE (American Israeli Cooperative Enterprise), die die Jewish Virtual Library ins Leben gerufen hat. Dabei handelt es sich um eine internationale Kampagne, die unter dem Deckmantel der „Förderung einer realistischen Sicht auf den israelisch-palästinensischen Konflikt“ stattdessen die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus propagiert und generell die genozidale Politik Israels legitimiert.
Die Rolle des deutschen Kapitals in Tunesien.
Der Fall Ghassen ist auch deshalb interessant, weil er die Rolle und den besonderen Einfluss von deutschen Unternehmen in Tunesien, besonders im Automobilsektor, beleuchtet. Sie beschäftigen ungefähr 50.000 Menschen (Tendenz steigend), der Konzern LEONI ist mit seinen rund 20.000 Beschäftigten der größte private „Arbeitgeber“ des Landes. In diesen Unternehmen arbeiten überwiegend Frauen für sehr niedrige Löhne und unter harten, ausbeuterischen Bedingungen. Das Grundgehalt im Bereich der Automobilverkabelung liegt in Tunesien bei etwa 250€ im Monat, wobei ein großer Teil davon im Akkord gezahlt wird.
Das ist nicht nur 20-mal niedriger als die Löhne der Beschäftigten in Europa und Deutschland, sondern auch unter dem Mindestlebensstandard in Tunesien. Die Arbeitsverhältnisse der überwiegenden Mehrheit dieser Angestellten ist so prekär, dass sie mehr als 48 Stunden pro Woche arbeiten müssen, um einen Lohn zu erhalten, der ihre Grundbedürfnisse abdeckt. In vielen Fällen, wie im Fall des entlassenen Arbeiters, nutzen die Unternehmen die vom Staat subventionierten Praktikumsverträge aus, die zum Teil Löhne um die 180€ zahlen und willkürliche Entlassungen durch die Geschäftsführung erlauben.
Nach der Revolution von 2011 ist es verschiedenen sozialen Bewegungen in den Unternehmen der Automobilbranche gelungen, die gewerkschaftliche Organisierung in diesem Sektor zu fördern. Doch die multinationalen Unternehmen halten sich nicht immer an das Gewerkschaftsrecht. So hat beispielsweise Dräxlmaier, ein deutsches Bordnetz-Unternehmen mit Werken in Sousse, Siliana und El Jem (im Nordosten, Zentralwesten bzw. Zentralosten des Landes), im vergangenen Sommer Mitglieder des Gewerkschaftsbüros herausgeschmissen, weil sie sich gegen 600 Entlassungen ausgesprochen hatten. Kromberg & Schubert in Beja selbst hatte den Beschäftigten 2012 gedroht, das Werk zu verlagern, wenn sie Arbeitskämpfe für bessere Löhne führen würden.
Der Widerstand gegen den zionistischen Völkermord ist in Tunesien wie in den übrigen arabischen Ländern sehr stark spürbar, wo das Gefühl der Einheit mit dem kämpfenden palästinensischen Volk in den Massen oft ein Gefühl der Erlösung gegen die Ausbeutung hervorruft, insbesondere wenn beide Zusammenhänge von Agent:innen des Imperialismus ausgehen. Die multinationalen Konzerne wissen sehr wohl, dass eine solche Situation den Beschäftigten den Mut geben kann, sich der Ausbeutung zu widersetzen. Dies, neben der besonderen Verbundenheit des deutschen Imperialismus mit dem Zionismus, erklärt die Verbissenheit von Kromberg & Schubert gegen diejenigen, die in Solidarität mit Palästina Politik machen.
Die Bedeutung der internationalistischen Solidarität gegen das imperialistische Kapital und den Zionismus
Die Arbeiter:innen in Deutschland und Tunesien haben die gleichen Interessen: Die Unterstützung des Kampfes der letzteren kann die Interessen der ersteren stärken und umgekehrt. Betrachtet man die monetären Werte, so scheint die Bordnetzindustrie unbedeutend zu sein. Elektronische Systeme sind jedoch für das Funktionieren von Autos unverzichtbar, und ihre niedrigen Kosten sind darauf zurückzuführen, dass ein großer Teil der Produktion dieser Komponenten nach Osteuropa und Nordafrika (Marokko und Tunesien) verlagert wurde.
Wenn die arbeitenden Massen in Tunesien und in den anderen arabischen Ländern in Solidarität mit dem Kampf für die Befreiung des palästinensischen Volkes auf die Bühne treten würden, würde letzterer maßgeblich gestärkt werden. Der Kampf für Ghassens Wiedereinstellung erscheint partikular, kann aber eine wichtige Gelegenheit bieten, die internationalistische Solidarität auszuweiten und sowohl die Arbeiter:innenbewegung als auch die pro-palästinensische Bewegung zu stärken.