Trumps Angriff auf den Iran: Warum jetzt?

10.01.2020, Lesezeit 9 Min.
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Mit der Ermordung General Soleimanis, der zweitwichtigsten Figur des iranischen Regimes nach Ayatollah Ali Khamenei, durch die US-Regierung eskalieren die Feindseligkeiten, welche in den letzten drei Jahren zugenommen haben. Damals hatte Präsident Donald Trump beschlossen, sich aus dem von Obama, den europäischen Mächten und den Vereinten Nationen geförderten Atomdeal zurückzuziehen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst am 5. Januar bei Ideas de Izquierda. Die hier entwckelte Analyse über die Hintergründe der Attacke auf Soleimani, deren Hypothesen sich mit dem begrenzten iranischen Angriff auf US-Militärstützpunkte bestätigt haben, hat weiterhin volle Gültigkeit.

Trump, der im Wahlkampf um die Präsidentschaft versprach, die „ewigen Kriege“ der USA im Nahen Osten zu beenden, hat mit der Ermordung Solemanis eine Entscheidung getroffen, die eine neue kriegerische Eskalation auslösen könnte – auch wenn es wie in den Kriegen, in die die Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten verwickelt waren, sich um asymmetrische Kriege handelt. Trump hat zugeschlagen und jetzt wird die Antwort kommen. Die Frage ist wann, wo und wie.

Nach Ansicht der US-Regierung ändert die Ermordung Soleimanis nichts an der Strategie des „maximalen Drucks“, die das Weiße Haus gegen das Regime in Teheran anwendet. In einer Erklärung, die der Logik des gesunden Menschenverstandes widerspricht, argumentierte die republikanische Administration, dass die Eskalation der „Deeskalation“ (sic) diente. Es handele sich um eine präventive Maßnahme gegen einen Krieg, der fast sicher sei, wenn der Iran Soleimanis angeblich geplante Angriffe konkretisieren würde. Diese Rechtfertigung ist offensichtlich schon auf dem Papier schwach: Man kann diese Kriegshandlung nicht als Abwehrmaßnahme tarnen, weil es sich schlicht und einfach um die Hinrichtung eines Funktionärs eines souveränen Staates handelt. Es ist kein Geheimnis, dass das Arsenal der US-Außenpolitik auch die Ermordung feindlicher politischer Führer beinhaltet. Traditionellerweise wurden diese jedoch in verdeckten Operationen durchgeführt, welche die Agent*innen des „tiefen Staates“ ausführten. G. Ford versuchte durch die formelle Ächtung dieser Operationen in einem Exekutiverlass im Jahr 1976, etwas Ordnung in die halbautonome Tätigkeit der CIA zu bringen. Aber während des jahrzehntelangen Ausnahmezustands, der den Angriffen auf die „Zwillingstürme“ vom 11. September 2001 im Rahmen des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ folgte, wurde diese Praxis am helllichten Tag rehabilitiert. Sie gibt dem imperialistischen US-amerikanischen Staat ohne jegliche Gerichtsverfahren die Macht, die zu Feinden deklarierten zu ermorden, wobei wir die gleiche Vorgehensweise in Israel unter dem Namen „selektive Attentate“ sehen. Die Jagd auf Bin Laden, die Zwangsvollstreckung von Abu al Baghdadi, dem pathetischen Führer des sogenannten Islamischen Staates, unter der Präsidentschaft Obamas ist Teil dieser Logik. Obama wurde im Amt vom pseudo-pazifistischen Kandidaten zum „Herren der Drohnen“, indem er auf diese Weise hunderte von außergerichtlichen Attentaten verübte.

Der qualitative Sprung liegt an dieser Stelle also nicht in der Methode (Attentate mit Drohnen), sondern im Ziel. Es geht nicht um einzelne Terrorist*innen wie Bin Laden, die zu Ausgestoßenen geworden sind, sondern um einen hochrangigen Funktionär der Islamischen Republik Iran. Sowohl George W. Bush als auch Obama haben sich damals bewusst gegen den Befehl zur Ermordung von Soleimanis entschieden, selbst als sie die Gelegenheit dazu hatten – am nächsten kam General McChrystal im Jahr 2007 -. Sie wollten nach zwei Jahrzehnten Krieg in einer so explosiven Region nicht den Preis zahlen, einen Konflikt zu entfachen, ihre europäischen Verbündeten zu verlieren und die Position der USA im Nahen Osten weiter zu verschlechtern. Mit anderen Worten: Soleimani zu töten war und ist eine rein politische Entscheidung und Trump hat sie getroffen. Er twitterte sogar, dass die Vereinigten Staaten es schon vor einigen Jahren hätten tun sollen. Der unerschütterliche israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der auf eine kriegerischere US-Politik gegenüber dem Iran drängt und sich gerade selbst in einer heiklen internen Situation befindet sowie der Korruption beschuldigt wird, positionierte sich schnell an Trumps Seite.

Warum jetzt?

Dazu gibt es mehrere Hypothesen. Einige Analyst*innen weisen darauf hin, dass Trump innenpolitische Situation durch das impeachment-Verfahren immer komplizierter wird, und vergleichen den Angriff mit dem als Operation Desert Fox bekannten militärischen Angriff gegen den Irak, den Bill Clinton im Jahr 1998 startete, als er sich in einer innenpolitisch ähnlichen Situation befand wie Trump aktuell.

Doch obwohl die Innenpolitik und der Wahlkampf zweifelsohne an dieser Stelle nicht zu vernachlässigen sind, liegt der Schlüssel zur Erklärung immer noch in Trumps sprunghafter und bisher weitgehend erfolgloser Außenpolitik, die darauf hinausläuft, Wirtschaftssanktionen – einschließlich Handelskriege – und Twitter-Drohungen als Taktik zu verwenden, ohne eine klare Strategie außer dem Angriff zum Verhandeln zu haben.

Die Feinde der USA, die nicht wenige sind, übersehen diese Zeichen der Schwäche nicht. Dazu gehört, dass Trump mit seiner „persönlichen Diplomatie“ nicht verhindern konnte, dass Nordkorea ein Atomstaat wird, ohne dass Kim Jong Un bisher einen Preis für seine Provokation zahlen musste. Eine weitere Schwäche ist die Politik im Nahen Osten. Trump hat den „multilateralen“ Ansatz, mit dem Obama versuchte, dem Iran Einhalt zu gebieten, aufgegeben, ohne einen bessere Alternative zu finden als die Stärkung traditioneller Allianzen mit den Feinden Teherans, was die Feindseligkeit in der Region weiter schürte: Saudi-Arabien (an der Spitze einer „sunnitischen Front“, die aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Golfmonarchien besteht) und Israel. Derweil rückte der Iran im Rahmen des Nuklearabkommens näher an die Europäische Union -wenn auch nur symbolisch gegen die einseitige Politik der Vereinigten Staaten – und verstärkte seine aus der Not geborene Allianz mit Russland gegen den gemeinsamen Feind, die in Syrien besiegelt wurde. Hinzu kommt der Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen China und dem Iran, wodurch die Wirkung der US-Sanktionen begrenzt wird.

Im letzten Jahr drohte Trump zweimal und machte zweimal einen Rückzieher: einmal, als der Iran eine US-Militärdrohne abschoss, und einmal, als die wichtigste Ölraffinerie Saudi-Arabiens angegriffen wurde, ein Vorfall, der dem iranischen Regime zugeschrieben wird. Dieses Mal war es anders. Obwohl die Vereinigten Staaten auf den Angriff durch mit dem iranischen Regime in Verbindung stehende Milizen auf einen ihrer Militärstützpunkte in Kirkuk, der das Leben eines US-Söldners („ziviler Auftragnehmer“) forderte, mit routinemäßigen Bombenanschlägen reagiert hatten, entschied die Belagerung der US-Botschaft in Bagdad schließlich über die Militäraktion. Erinnern wir uns, dass sowohl Außenminister Mike Pompeo als auch Trump selbst die Besetzung der US-Botschaft in Bengazi (Libyen) durch islamische Milizen, die in der Ermordung von Botschafter Christopher Stevens gipfelte, in eine Kampagne gegen Hillary Clinton verwandelten. Das iranische Regime hatte nicht zum Ziel, die Botschaft zu übernehmen, sondern den scharfen Mobilisierungsprozess gegen die irakische Regierung und den iranischen Einfluss in Richtung einer Mobilisierung gegen die US-Präsenz umzulenken und rechnete kaum damit, für diese Aktion einen so hohen Preis zu zahlen.

Wie der Stabschef der USA, General Mark Milley, in Bezug auf diese Militärstrategie sagte: „Die Drohung der Untätigkeit überstieg die Drohung der Aktion.“

Der Wetteinsatz Trumps

Trump spekuliert, dass der Iran aufgrund der prekären Wirtschaftslage, der wachsenden Unpopularität des theokratischen Regimes, das sich einer Mobilisierungswelle im Iran, Irak und Libanon ausgesetzt sieht, und der Hinrichtung eines seiner wichtigsten militärischen und außenpolitischen Strategen keine Kapazität für eine größere Reaktion haben wird. Allerdings basiert dieses Glücksspiel auf Abenteuer und nicht Strategie.

Wahrscheinlich wird der Iran nur begrenzt reagieren, da er weder die Fähigkeit noch die Kraft zu haben scheint, eine mit Soleimani gleichgestellte Figur in der US-Administration anzugreifen. Aber das bedeutet nicht, dass ein Gegenschlag, welcher in die „Strategie der Schwachen“ eingebettet ist, den Vereinigten Staaten nicht schadet.

Ohne das zu weit auszudehnen, hat der Iran im Golf eine Reihe von Optionen, von US-Militärstützpunkten bis hin zu strategischen Positionen wie der Straße von Ormuz, dessen Störung Einfluss auf den Ölmarkt und somit auf die Weltwirtschaft haben könnte.

Kurzfristig wird Trump eine Entscheidung über die US-Präsenz im Irak treffen müssen. Alles deutet darauf hin, dass das Land, das George W. Bush nach der neokonservativen Strategie, „die Karte des Nahen Ostens neu zu gestalten“, besetzt hat, definitiv in den iranischen Orbit übergehen wird. Die gesamte irakische Regierung prangerte die US-Angriffe als Verletzung ihrer Souveränität an und könnte den Abzug der 5.000 Soldaten und des Militärpersonals fordern, die die USA noch immer im Land stationiert haben. Letztendlich zahlt der US-Imperialismus weiterhin die Kosten für die gewaltige Fehlkalkulation, die zum zweiten Irakkrieg führte und letztendlich die regionalen Bestrebungen des Iran stärkte.

Der Konflikt geht weit über den Nahen Osten hinaus und bezieht auch Europa und andere Mächte mit ein. Weder Russland noch China haben ein Interesse daran, eine aggressive imperialistische Politik der Vereinigten Staaten zu legitimieren, die sich morgen gegen sie richten könnte. Russland hat in Syrien bereits ein taktisches Bündnis mit dem Iran. Und China kaufte weiterhin iranisches Öl unter offener Missachtung des US-Embargos.

Unabhängig von den Gründen, die Trump zu dieser Entscheidung brachten, ist klar, wir uns weltpolitisch in Zeiten der Unsicherheit befinden. Dies ist ein neues Beispiel für die großen Antagonismen in den zwischenstaatlichen Beziehungen, zu einer Zeit, in der in mehreren Ländern Volksmobilisierungen und Rebellionen stattfinden. In der ganzen Welt ist es dringend notwendig, diese imperialistische Aggression zurückzuweisen und eine Mobilisierung zu entwickeln, wie sie am Samstag im Herzen der Vereinigten Staaten begonnen hat, mit Märschen vor dem Weißen Haus und in siebzig Städten – noch eine Minderheit, aber symptomatisch dafür, dass Trumps Stellung auch im Inneren erschüttert ist.

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