Trump, die Ukraine und die Rückkehr der interimperialistischen Rivalitäten

20.02.2025, Lesezeit 15 Min.
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Bild: Sara Yuki/RP

Manche sprechen von einer „Scheidung“ zwischen der EU und den USA. Aber die Reibereien zwischen den USA und der EU in Bezug auf die Ukraine und die Verteidigung Europas zeigen vor allem den inhärent reaktionären Charakter des Imperialismus.

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat einige Elemente der Politik Trumps gegenüber der EU offengelegt. Vizepräsident J. D. Vance bestätigte in seiner Rede die Position der neuen US-Regierung, die versucht, ihre militärische Unterstützung für Europa zu reduzieren, um unter anderem ihre Ressourcen besser auf andere strategische Prioritäten zu konzentrieren („Pivot to Asia“). Auch hat die Sicherheitskonferenz den tiefere Sinn des Krieges in der Ukraine und nun der Waffenstillstandsverhandlungen mit Putin beleuchtet: Der Krieg ist nicht nur ein Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, sondern hat einen globalen Charakter, der unter anderem die Beziehung zwischen den „Partnern“ der transatlantischen Allianz betrifft.

Trump und die europäischen imperialistischen Mächte

Hinter der Ankündigung direkter Verhandlungen mit Putin, bei denen die Ukraine teilweise und die EU vollständig ausgeschlossen werden, und potenzieller bedeutender „Konzessionen“ an Russland sendet Trump eine Botschaft an seine europäischen Partner: Von nun an müssen die imperialistischen Mächte des Kontinents selbst für ihre Sicherheit sorgen. Tatsächlich hatten sich die europäischen Mächte nicht gut auf diese Situation vorbereitet und sind derzeit nicht in der Lage, auf die Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten zu verzichten. Die US-Regierung verfügt über ein enormes Druckmittel gegenüber den europäischen Zentren, um militärische, finanzielle und kommerzielle Zugeständnisse zu erlangen und so ihre Dominanz als wichtigste imperialistische Macht auf internationaler Ebene aufrechtzuerhalten.

Die europäischen Imperialisten sind nicht nur in Panik, weil sie überlegen, wie sie ihre Militärausgaben erhöhen können, sondern sie haben bisher auch keine Druckmittel gefunden, um sich gegen andere aggressive Politiken von Trump wie die Zölle zu wehren. Im Rahmen eines Bündnisses zwischen imperialistischen Mächten ist es den USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelungen, einen militärischen und wirtschaftlichen Vorteil gegenüber Europa zu bewahren. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat Washington diese vorteilhafte Position beibehalten und gleichzeitig verhindert, dass eine Macht, die in der Lage ist, seine Weltherrschaft in Frage zu stellen, auf dem eurasischen Kontinent auftaucht. Die europäischen Imperialisten haben diese Situation im Rahmen einer Globalisierung, die auch ihnen zugute kam, gewissermaßen akzeptiert. Sowohl die Hegemonie des nordamerikanischen Imperialismus als auch die „harmonische Globalisierung“ befinden sich heute in der Krise. So stellt die aggressive Politik von Trump die strukturellen Schwächen des europäischen Imperialismus und seines erfolgreichsten Projekts, der EU, auf der Weltbühne bloß.

Die US-amerikanischen Machthaber:innen sind sich dessen bewusst und zögern nicht, andere politische und soziale Schwachstellen auf dem Kontinent auszunutzen. In diesem Sinne ist die ausdrückliche Unterstützung extrem rechter Parteien wie der AfD zu verstehen. Vances Rede war als offene Kampfansage an die liberalen Strömungen in Europa zu verstehen. Sie zielte darauf ab, die extreme Rechte zu stärken, was die soziale und politische Polarisierung auf dem Kontinent zu verschärfen droht. Die Spaltung Europas begünstigt die Politik von Trump und die Position des US-Imperialismus.

Im Gegensatz zu einigen Alarmrufen behauptet Washington jedoch nicht, sich vollständig aus Europa zurückzuziehen. Trumps Absichten bestehen darin, seinen „Partnern“ in der EU günstigere Bedingungen für den US-Imperialismus aufzuzwingen. Er will die europäischen Staaten dazu zwingen, den Krieg in der Ukraine und seine Folgen zu tragen und ihre Militärausgaben zu erhöhen. Gleichzeitig will er erreichen, dass sie die neuen Handelsbedingungen akzeptieren, die seine Regierung derzeit einführt. Diese Politik birgt jedoch auch Risiken für die USA, denn sie ruft bei all ihren Verbündeten großes Misstrauen hervor. Wenn sie dazu in der Lage sind, ihren engsten und mächtigsten Verbündeten das anzutun, was bleibt dann noch für ihre verwundbarsten Partner? Dasselbe gilt natürlich auch für ihre Rivalen, wie Russland, das sich mitten in Verhandlungen mit Washington befindet: Wie viel Vertrauen wird Putin ihnen schenken?

In diesem Zusammenhang versuchen die europäischen Imperialisten bereits, eine Antwort zu finden. Ein Beweis dafür ist das Dringlichkeitsmeeting in Paris am Montag, bei dem die Situation in der Ukraine und die europäische Sicherheit diskutiert wurde und an dem die wichtigsten Militärmächte der EU sowie Großbritannien teilnahmen. Das Ergebnis dieses Meetings war jedoch eher ein Misserfolg als ein großer Fortschritt. Tatsächlich erklärten Deutschland, Spanien und Polen bei diesem Treffen, dass sie sich dem Einsatz europäischer Truppen in der Ukraine widersetzen. Darüber hinaus kritisierten mehrere europäische Staats- und Regierungschefs die Initiative Macrons, da sie die Mehrheit der europäischen Staaten ausschloss, während die Spaltung Europas Trumps Politik begünstigt. Die Feindseligkeit gegenüber Washington könnte zur Umsetzung von Politiken führen, die die internationalen Pläne der USA behindern könnten, wie eine Form der Annäherung an China. Die Frage ist: Werden die europäischen Imperialisten in der Lage sein, ihre Widersprüche und Spaltungen zu überwinden, um eine gemeinsame Politik zu verfolgen? 

Eine Maßnahme wird unter den europäischen Staats- und Regierungschefs Konsens: die Erhöhung der Militärausgaben. Sie beginnen, über die Lockerung von Schuldenregeln zu sprechen, um die Hochrüstung der europäischen Armeen zu finanzieren. Es wird noch diskutiert, welche Form diese Finanzierung annehmen wird: eine gemeinsame Verschuldung? Europäische Garantien? Spezifische Finanzmechanismen? Aber diese Situation sollte niemanden täuschen: Die europäischen Staats- und Regierungschefs behaupten keineswegs, den Druck auf die Haushalte im sozialen Bereich zu lockern. Im Gegenteil, die Erhöhung der Militärausgaben wird mit weiteren Budgetkürzungen in sozialen Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Rente einhergehen. Ebenso ist es sehr wahrscheinlich, dass dies die Entwicklung hin zu immer autoritäreren Regimen zur Folge haben wird, um jegliche Opposition der Bevölkerung gegen diese Politik zum Schweigen zu bringen.

So wird der mögliche Rückzug der USA aus Europa nicht weniger militärische Präsenz auf dem Kontinent bedeuten, sondern im Gegenteil mehr Militärausgaben, ein erhöhtes Risiko militärischer Konflikte auf europäischem Boden und mehr Sparmaßnahmen und antidemokratische Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse, Jugend und unterdrückten Schichten der Gesellschaft.

Um diese Angriffe zu legitimieren, können sich die kapitalistischen Führer:innen des Kontinents in der Tat auf die Unterstützung der „liberalen“ Presse verlassen. So schreibt Le Monde in einem Leitartikel dieser Woche: „Dies ist eine entscheidende Frage für die Zukunft der Europäer, die erst spät erkennen, dass sie in ihrer Sicherheitsabhängigkeit von einem Verbündeten gefangen sind, der sich eher wie ein Gegner als wie ein Freund verhält. In München hatte der Schock, den die Trump-Administration in einem miserablen Klima auslöste, den Vorteil, dass er ein Bewusstsein für die unzureichenden Verteidigungsausgaben schuf. Vor allem unter den deutschen Politikern beginnt sich eine wahrheitsgetreue Diskussion darüber zu entwickeln, wie man den Bürgern die Erhöhung der Verteidigungsausgaben näherbringen kann.

Die Ukraine, begehrt von den amerikanischen und europäischen Imperialisten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich währenddessen, zumindest in Worten, sehr feindselig gegenüber der US-Politik gezeigt. So betonte er in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz die europäische Einheit und die Notwendigkeit, eine kontinentale Streitmacht aufzubauen (ein weiterer Streitpunkt zwischen den EU-Mitgliedern). Selenskyj, der seine Politik der Unterwerfung unter den Imperialismus fortsetzt, versucht illusorisch, die europäischen Mächte davon zu überzeugen, die Interessen der Ukraine zu verteidigen. Darüber hinaus hat er (vorübergehend) Trumps Ansprüche auf die natürlichen Ressourcen der Ukraine im Austausch für die militärische Hilfe Washingtons an das Land zurückgewiesen. Der ukrainische Präsident verurteilte auch die Verhandlungen zwischen den USA und Russland in Saudi-Arabien und erklärte, er werde keine aufgezwungene Vereinbarung akzeptieren. Die Ukraine hat jedoch nicht allzu viele Alternativen zum US-amerikanischen (oder europäischen) Imperialismus. Am wahrscheinlichsten ist, dass Washington mit einem mehr oder weniger fixen Plan aufwartet, den die Ukraine weitgehend kzeptieren muss, möglicherweise mit geringfügigen Änderungen.

Die unverhohlen imperialistische Politik Trumps gegenüber der Ukraine zeigt sich nicht nur in den Friedensverhandlungen, sondern auch in einem regelrechten Versuch der „wirtschaftlichen Kolonisierung“ des Landes. Der US-Präsident hat unglaubliche wirtschaftliche Forderungen an Kiew gestellt. Unter anderem verlangt Trump die Zahlung von 500 Milliarden Dollar an die USA als Gegenleistung für die seit 2012 geleistete Hilfe aus Washington. Ein ehemaliger britischer Diplomat kritisierte die Haltung von Trump und seiner Regierung sehr scharf: „Er verhält sich wie ein Kleinkrimineller, der in ein Geschäft geht und sagt: ‚Das ist ein schönes kleines Geschäft, das Sie hier haben, es wäre schade, wenn ihm etwas zustoßen würde.‘ Diese Regierung verhält sich wie ein Kartell des organisierten Verbrechens.“

Diese Worte von europäischen Staats- und Regierungschefs, die sich auf der ganzen Welt genauso verhalten, sind völlig heuchlerisch. In Wirklichkeit gibt es einen Wettbewerb zwischen den USA und den europäischen imperialistischen Mächten, wer nach dem Krieg von den natürlichen Ressourcen der Ukraine profitieren wird. Die Ukraine war bereits vor dem Krieg hoch verschuldet bei der EU, die von ihr die Liberalisierung der Landrechte forderte, um ihren Unternehmen den Zugang zu ukrainischen Böden zu verschaffen. Die konkrete Aussicht auf ein Kriegsende verschärft diese interimperialistische Konkurrenz um die Ukraine nur. In diesem Zusammenhang will Trump sich die totale Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und die ukrainische Wirtschaft sichern, zum Nachteil der EU-Mächte. Mit anderen Worten: Die Zeit der „harmonischen Globalisierung“, in der sich die Großmächte relativ friedlich die Welt aufteilten, ist vorbei. Trump schlägt als Erster zu und profitiert von der mangelnden Vorbereitung der EU. Aber der europäische Imperialismus könnte sehr schnell seinen eigenen reaktionären Plan entwickeln, um dieser Konkurrenz entgegenzutreten.

Die Herausforderung einer unabhängigen, sozialistischen Politik in der Ukraine

Wie wir sehen können, sind die Aussichten für die Arbeiter:innen und armen Massen in der Ukraine, in Russland und auf dem gesamten Kontinent katastrophal. Wenn der Ausgang des Krieges zutiefst reaktionär erscheint, dann auch deshalb, weil der Krieg von Beginn an reaktionär war. Von Anfang an gab es kein fortschrittliches Lager, im Gegensatz zu dem, was einige behauptet haben, auch innerhalb der antikapitalistischen Linken. Trump spricht das offen aus, was alle Imperialisten suchten, als sie Kiew gegen die russische Armee „unterstützten“: neben geopolitischen Gewinnen auch von den Reichtümern der Ukraine zu profitieren, um ihre eigenen Konzerne zu bereichern.

Selenskyj ist ein bürgerlicher Politiker, der eine pro-imperialistische Politik vertritt. Seine Rede über das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine ist reine Demagogie. Seine Absicht war es immer, die Ukraine zu einer Halbkolonie des westlichen Imperialismus zu machen. Er ist einer der Hauptverantwortlichen für die schreckliche Sackgasse, in der sich das Land nun befindet. Die aggressive Politik von Trump bringt ihn in eine sehr schlechte Position und birgt für ihn große innenpolitische Risiken. Sein politisches Überleben steht auf dem Spiel, und das weiß er. Es ist kein Zufall, dass seine Regierung gerade dabei ist, die Opposition im Hinblick auf die Eröffnung einer möglichen Wahlperiode nach Kriegsende anzugreifen.

Von unten könnte die imperialistische Politik der USA jedoch beginnen, ein tiefes antiimperialistisches Gefühl in der Ukraine zu schüren. Es besteht weiterhin das Risiko, dass diese Opposition der Bevölkerung von der extremen Rechten ausgenutzt wird, da es keine revolutionären Kräfte mit einem bedeutenden Einfluss unter der Arbeiter:innenklasse und den Massen gibt. Die Selenskyj-Regierunt und doe Oligarchenregierungen vor ihm, haben alles getan, um zu verhindern, dass sich die Arbeiter:innenklasse gewerkschaftlich und politisch organisieren kann. Aber die Arbeiter:innen und Armen in der Ukraine und auf dem ganzen Kontinent können keiner der bürgerlichen und imperialistischen politischen Strömungen vertrauen.

Die Liberalen werden so tun, als würden sie sich den bonapartistischen Tendenzen der extremen Rechten wie Trump und seinen europäischen Versionen widersetzen, während sie gleichzeitig eine brutale und reaktionäre Politik gegen die Arbeiter:innen und Massen verfolgen. Dies lässt sich bereits in Ländern wie Frankreich und Deutschland beobachten, wo Parteien der „Mitte“ vermehrt der extremen Rechten die Hand reichen. Diese wiederum könnte sich zunächst von den Methoden Trumps inspirieren lassen und die reaktionären Orientierungen des US-Präsidenten loben. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass beide Seiten die reaktionären nationalistischen Gefühle in der europäischen Bevölkerung schüren, nicht nur gegen Migrant:innen, sondern vor allem gegen die Rivalen ihrer Bourgeoisie.

Der Aufstieg des reaktionären Nationalismus, insbesondere vor dem Hintergrund der interimperialistischen Rivalität, wäre eine Katastrophe für die Arbeiter:innenklasse und die Jugend. Im Falle der Einführung autoritärer Regime und möglicher bewaffneter Konflikte auf dem Kontinent werden sie immer am stärksten betroffen sein. Deshalb können die Arbeiter:innen auch nicht denen vertrauen, die von links behaupten, den „Schutz der nationalen Industrie“, die Grenzen oder „Europa“ mit einem „progressiven“ Anstrich zu versehen. Die Arbeieter:innenklasse in Europa hat einen tödlichen Feind, weder China noch Russland oder die USA ist, ihre eigenen Regierungen. Währenddessen weihert sich die reformistische oder souveränistische Linke in Europa, den Imperialismus der eigenen Staaten anzuprangern und sich ihm zu widersetzen. 

In diesem Sinne bekräftigen wir, was wir seit dem ersten Kriegstag sagen: Nur eine unabhängige Politik der Arbeiter:innenklasse und Massen in der Ukraine, im Bündnis mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten Russlands, mit der Perspektive der Schaffung einer arbeiter:innenorientierten und sozialistischen Ukraine, kann eine echte Selbstbestimmung der Völker des Landes garantieren. Dies setzt natürlich eine Politik voraus, die sich den reaktionären Ambitionen des russischen Kapitalismus und Putins, aber auch der ukrainischen Oligarchen und der westlichen imperialistischen Mächte widersetzt. Ein Kampf in diese Richtung könnte ein erster Schritt für eine revolutionäre Bewegung auf dem gesamten Kontinent sein, mit dem Ziel, die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu errichten, die einzige fortschrittliche Alternative zum imperialistischen Europa und zum Krieg, den die Imperialismen auf dem Kontinent propagieren.

Dieser Artikel erschien zunächst am 19. Februar in unserer französischen Schwesterzeitung Révolution Permanente.

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