Trotz Erdbeben: Türkische Armee bombardiert Kurdistan

10.02.2023, Lesezeit 4 Min.
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Foto: cemT / shutterstock.com

Die Armee der Türkei schießt mit Artillerie auf vom Erdbeben betroffene kurdische Gebiete. Es ist eine Reaktion auf die Regierungskrise.

In der Nacht zum Dienstag hat die Türkei die vom Erdbeben betroffene Stadt Tel Rifat im syrischen Teil Kurdistans und die Umgebung mit Artilleriefeuer beschossen. Als wären mindestens 17.000 Tote und eine an vielen Stellen zerstörte Infrastruktur als Folge des Erdbebens nicht schon schlimm genug, führt die Türkei weiter Krieg gegen Kurdistan, auch gegen vom Erdbeben betroffene Regionen. Begründet wurde das Bombardement mit angeblichen Angriffen der kurdischen YPG von Tel Rifat aus auf einen türkischen Stützpunkt. In Tel Rifat befinden sich jedoch nicht einmal Streitkräfte, sondern nur zivile Einheiten um den Erdbebenopfern zu helfen.

Die Skrupellosigkeit der türkischen Regierung ist wenig überraschend: Das Militär, das mit dem Geld aus der Erdbebensteuer ausgerüstet wurde, die die verschütteten Opfer des Bebens auf türkischer Seite bezahlt aber nie etwas davon gesehen haben, wird jetzt weiter gegen Kurd:innen eingesetzt. Schon in der Vergangenheit hat die türkische Regierung Angriffe auf Kurdistan genutzt, um antikurdischen Chauvinismus zu schüren,, außenpolitische Erfolge vorzuweisen und sich somit Legitimation im Inland zu verschaffen.

Dass sich die Regierung in Folge des Erdbebens besonders in der Krise befindet, zeigen die gleichzeitig stattfindenden repressiven Maßnahmen im Inneren. Als Reaktion auf kritische Berichterstattung wurden schon mehrere Journalist:innen festgenommen, außerdem hat das türkische Regime über mehrere Stunden den Zugang zu Twitter eingeschränkt. In den betroffenen Gebieten wurde der Ausnahmezustand verhängt und zivile Helfer:innen werden stark in ihren Möglichkeiten beschränkt sowie Hilfsgüter beschlagnahmt, der Minister für Umwelt, Urbanisierung und Klimawandel, Murat Kurum, gibt an: „Wir werden keine andere Koordinierung als die durch die staatliche Katastrophenhilfe zulassen.“

Der türkische Staat will die aktuell im Rahmen der Katastrophenhilfe entstehenden Instanzen der Selbstorganisierung im Keim ersticken und deshalb keine anderen Institutionen zur Bewältigung des Erdbebens zulassen als die eigenen. Selbst die noch auf ausschließlich humanitärer Ebene verbleibende Selbstorganisierung ist ihm ein Dorn im Auge aufgrund des Potenzials, das sie bietet. Insbesondere aufgrund der bald stattfindenden Wahlen, kommt es ihm auch gelegen, in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordkurdistans einen Ausnahmezustand zu verhängen, um die Wahl dort unter Bedingungen des Ausnahmezustands abzuhalten und potenziell zu Gunsten Erdoğans zu verändern.

Um sich gegen die zermürbenden Maßnahmen der Regierung zu wehren, aber auch um den Frust und die Wut gegen die Regierung zu richten, bräuchte es eine konsequente politische Führung gegen das Regime. Die Elemente der Selbstorganisierung im Rahmen der Erdbebenhilfe müssten ausgeweitet werden und mit Mobilisierungen im ganzen Land aller linken Organisationen und Gewerkschaften verbunden werden, um die Angriffe auf Kurdistan zu stoppen und damit eine tatsächliche Erdbebenprävention durchgesetzt werden kann, um eine erneute Katastrophe diesen Ausmaßes zu verhindern. Dafür müssen sich auch kurdische und türkische Arbeiter:innen miteinander verbünden.

Dies bedeutet auch, sich gegen die aktuelle Führung der Opposition durch CHP und auch HDP zu wenden, da sie die berechtigte Wut gegenüber Erdoğan in den Wahlkampf kanalisieren. Mit ihnen wird es keine Ausweitung der Kämpfe geben, weil sie Streiks und Demonstrationen während des Wahlkampfes für kontraproduktiv halten, da sie strategisch für eine andere, „demokratische“ Regierung der Türkei stehen, anstelle einer Türkei der Arbeiter:innen und dem Selbstbestimmungsrecht Kurdistans und aller unterdrückten Völker.

Im Kampf gegen die Bombardements der Türkei ist es auch notwendig, sich gegen die militärische Kooperation der türkischen und der deutschen Regierung zu stellen. Deutschland ist nicht nur einer der wichtigsten Waffenlieferant der Türkei, sondern auch zuverlässiger Partner, wenn es darum geht, kurdische Oppositionelle zu unterdrücken. Genau deshalb ist es essentiell in Deutschland kompromisslos gegen Waffenlieferungen in die Türkei und gegen das PKK-Verbot zu kämpfen und mit allen linken Organisationen und Gewerkschaften gegen beides zu mobilisieren.

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