Trotz Corona: Abschiebungen per Charterflug ins Katastrophengebiet
Die Bundesregierung setzt momentan alle ihr zu Verfügung stehenden Hebel ein, um zwei Frauen in den Iran abzuschieben. Die aktuellen Planungen sehen vor, in der kommenden Woche eigens ein Passagierflugzeug zu chartern, um den Transport der beiden Frauen in den Iran durchzuführen. Ein handfester Skandal gerade in Zeiten des Coronavirus.
Bild: Polizei am Frankfurter Flughafen. Wikimedia Commons
Asylrechtliche Situation
Die Frauen sitzen bereits seit Mitte Februar in einem Abschiebegefängnis auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens, ihr Grundrecht auf eine reguläre Prüfung ihres Asylstatus wurde ihnen verwehrt. Rechtlich wird dies über das Instrument der fingierten Nichteinreise gehandhabt, ein durchaus umstrittener juristischer Trick, der ausschließlich Nachteile für die betroffenen Personen bringt. Es wird fingiert, dass eine Person rechtlich betrachtet abwesend ist, wo sie tatsächlich betrachtet anwesend ist. Im Fall der beiden von der Abschiebung in den Iran bedrohten Frauen bedeutete dies, dass sie, nachdem die Beamten am Frankfurter Flughafen ihr Asylgesuch für „offensichtlich unbegründet“ abgetan haben, direkt in eine eigens für solche Fälle betriebene Haftanstalt auf dem Frankfurter Flughafen gebracht wurden. Die geflüchteten Frauen konnten somit zwar in Deutschland erkennungsdienstlich behandelt und eingesperrt werden, ihre Schutz- und Freiheitsrechte wie der Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren oder Bewegungsfreiheit werden ihnen jedoch wegen ihrer rechtlichen Nichtanwesenheit gar nicht erst gewährt.
Formalrechtliche Konstruktionen wie die Fiktion der Nichteinreise stellen Fälle der staatlich geregelten Entrechtung schutzbedürftiger Menschen dar und sind als solche strikt abzulehnen!
Es ist nur in einem der beiden Fälle öffentlich bekannt, wieso die Person aus dem Iran geflohen ist. In diesem Fall verliebte sich die geflüchtete Frau in einen bereits verheirateten Mann, was ihre Brüder dazu veranlasste, sie zu bedrohen und ihr nach dem Leben zu trachten. Der Beamte bei der Einreisekontrolle am Frankfurter Flughafen glaubte ihr diese Geschichte nicht und bewertete ihr Gesuch um Hilfe als „offensichtlich unbegründet“, beendete damit faktisch das Asylverfahren dieser Frau und drängte sie somit in das soeben beschriebene Flughafenverfahren.
Susanne Schröder, die Anwältin der Betroffenen, forderte öffentlich die Anerkennung des Schutzstatus ihrer Mandantin: „Deutschland sollte diese Frau als Flüchtling anerkennen, weil die Voraussetzungen dazu vorliegen: Sie wird in Anknüpfung an ihr Geschlecht im Iran bedroht und hat keine Aussicht darauf, dort von den staatlichen Behörden geschützt zu werden.“
Die Situation im Iran
Nun sollen die beiden Frauen also in den Iran abgeschoben werden. Dies ist nicht nur wegen des fehlenden staatlichen Schutzes vor der ihnen drohenden Verfolgung skandalös, sondern auch, weil der Iran zu den weltweit am schlimmsten vom Covid-19-Virus betroffenen Staaten gehört. Der deutsche Staat selbst rät derzeit von Reisen in den Iran ab und schätzt das gesamte Land flächendeckend als internationales Corona-Risikogebiet ein. Dies deckt sich mit der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts. Wissenschaftler der iranischen Scharif-Universität für Technologien gehen inzwischen bei einem weiterhin ungünstigen Verlauf der Corona-Epidemie von bis zu 3,5 Millionen möglichen Todesopfern alleine im Iran aus. Dies liegt zum einen an der verspäteten und weiter unzureichenden Reaktion der iranischen Regierung, zum anderen mangelt es auch an medizinischem Gerät und Medikamenten, welche der Iran aufgrund der imperialistischen US-amerikanischen Handelssanktionen kaum importieren kann. So hält beispielsweise Human Rights Watch in einem Bericht zur Lage im Iran fest: „Durch die Sanktionen der US-Regierung verliert die iranische Bevölkerung Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und ihr Recht auf Gesundheit wird beeinträchtigt“. Deswegen fordern wir bei Klasse gegen Klasse in unserer Erklärung der Notfallmaßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie auch eine sofortige und unbürokratische Beendigung der tödlichen Sanktionen gegen den Iran, Venezuela und Kuba!
Durch die Situation um das Coronavirus liegt also eine konkrete Gefährdungssituation für die Gesundheit und das Leben der betroffenen Personen vor, sollten sie wie geplant nächste Woche in den Iran abgeschoben werden. Das Verhalten der Bundesregierung in diesem Fall trieft nur so vor Zynismus: Während auf der einen Seite deutsche Urlauber*innen mit Einreisewarnungen für den Iran bedacht werden, hält sie es auf der anderen Seite für unproblematisch, in Deutschland schutzsuchende Personen in dieses Gefahrengebiet abzuschieben!
Das Coronavirus kennt keine Nationalitäten, die Bundesregierung hingegen schon
Wie man an der inzwischen globalen Ausbreitung der Pandemie sehen kann, legt eine Viruserkrankung wie Covid-19 wenig Wert auf Banalitäten wie Grenzen, Nationen und Pässe. Kaum ein Land ist nicht betroffen, der internationale Flugverkehr wurde weit zurückgefahren. Dies veranlasste auch das Bundesinnenministerium dazu, am 23. März sämtliche Abschiebungen in andere EU-Staaten vorerst zu stoppen. Damit wurde zum einen auf die Einschränkungen des internationalen Flugverkehrs reagiert, zum anderen sollte mit dieser Maßnahme auch eine weitere Verbreitung des Coronavirus erschwert werden. Die unterschiedliche Wertschätzung für europäische und nichteuropäische Leben, die sich bereits seit Jahrzehnten an den europäischen Außengrenzen beobachten lässt, tritt auch durch diese Maßnahme der Bundesregierung wieder in den Vordergrund. Es gibt keinen einzigen haltbaren Grund dafür, warum innereuropäische Abschiebungen nach den Dublin-Kriterien ausgesetzt werden, Abschiebungen in außereuropäische Drittstaaten jedoch weiterhin stattfinden können. Das Coronavirus unterscheidet eben nicht zwischen Kroatien und Serbien! Deswegen lautet Punkt 10 unseres Forderungskatalogs auch die Aussetzung aller Abschiebungen, die sofortige Freilassung aller Personen in Abschiebegefängnissen und Lagern sowie die sofortige Aufnahme aller Geflüchteten an den EU-Außengrenzen!
Ein teurer PR-Gag
Nicht zuletzt muss auch die Methodik der geplanten Abschiebung kritisiert werden. So will die Bundesregierung für die Durchführung der Abschiebung der beiden in Frankfurt gefangen gehaltenen Personen extra ein eigenes Passagierflugzeug chartern. Der reguläre Luftverkehr in den Iran ist wegen der Corona-Pandemie bereits seit geraumer Zeit suspendiert, doch das ist kein Hindernis für ein Innenministerium in Abschiebestimmung. Charterflüge sind generell keine Seltenheit, wenn es um die Abschiebungen großer Personengruppen geht, für Einzelpersonen ist diese zweifelhafte Ehre jedoch eigentlich nur in besonders PR-trächtigen Fällen vorgesehen, in denen dann ein nebulöses öffentliches Interesse an der sofortigen Abschiebung der betroffenen Person herbeigeredet wird.
Dieses öffentliche Interesse an einer sofortigen Abschiebung per Charterflug ist bei den beiden betroffenen Frauen jedoch auch bei bösestem Willen nicht konstruierbar. Der deutsche Staat könnte diese beiden schutzsuchenden Personen mit den durch den Charterflug entstehenden Kosten problemlos über Jahre hinweg beherbergen und versorgen, doch scheinbar will das Innenministerium um Horst Seehofer auch in Zeiten der Corona-Pandemie ein öffentlich wirksames Zeichen für sein Konzept von „innerer Sicherheit“ und gegen gelebte Solidarität setzen. Anders lässt sich das Chartern eines Passagierflugzeugs für die Abschiebung von zwei von Verfolgung bedrohten Frauen in den Iran einfach nicht erklären. Man möchte der Bundesregierung fast zurufen, dass es einen ganzen Haufen besserer PR-Aktionen mithilfe eines Charterflugzeuges zur Auswahl gibt. So warten beispielsweise im Camp Moria auf Lesbos 20.000 Geflüchtete darauf, aus ihrer durch die imperialistische Politik der Europäischen Union verursachten Notlage gerettet zu werden. Da könnten ein paar Charterflüge viel Gutes bewirken!