Transgender Day of Visibility: Rechte Angriffe gemeinsam zurückschlagen

30.03.2024, Lesezeit 9 Min.
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Demonstrierende bei einem Protest für die Rechte von trans Personen. Bild: Loredana Sangiuliano / Shutterstock.com.

Am 31. März findet der internationale Transgender Day of Visibility (TDoV) statt. Sichtbarkeit ist wichtig, doch reicht für eine tatsächliche queere Befreiung nicht aus.

Jedes Jahr im November findet der Transgender Day of Remembrance statt, um der Opfer transfeindlicher Gewalt zu gedenken. Seit 2009 gibt es darüber hinaus den Transgender Day of Visibility, an dem die Erfolge von trans und nicht-binären Menschen im Kampf um Gleichberechtigung sowie immer noch bestehende Aspekte der Diskriminierung im Mittelpunkt stehen. Bereits in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 wurden beispielsweise in den USA allein 533 Gesetzesentwürfe – 228 davon stammen noch aus dem Vorjahr und wurden übernommen – eingebracht, die darauf abzielen, trans Personen eine grundlegende Gesundheitsversorgung und rechtliche Anerkennung zu verwehren oder Bildung zu relevanten Themen zu untersagen. 

Auch in Deutschland wird es am Sonntag in einigen Städten Demonstrationen und Veranstaltungen geben; denn auch hierzulande ist die Situation für trans und nicht-binäre Menschen alles andere als zufriedenstellend. Das gilt beispielsweise in Bezug auf das Selbstbestimmungsgesetz – eines der Prestigeprojekte, mit dem die Ampelregierung als sogenannte „Fortschrittskoalition“ einst angetreten ist. Es geht dabei um das Vorhaben, die Namens- und Personenstandsänderung durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ermöglichen und damit die kostenintensiven und herabwürdigenden Begutachtungsprozesse, die nach dem Transsexuellengesetz (TSG) momentan dafür notwendig sind, abzuschaffen. Seit letztem Jahr allerdings hängt das Gesetz fest. 

Zuvor jedoch wurden bereits Neuerungen in den Gesetzentwurf geschrieben, in Folge derer das Wort „Selbstbestimmung“ zur reinen Farce degradiert. Trans, inter und nicht-binäre Personen werden unter eine Art Generalverdacht gestellt: Zunächst soll es Warte- und Sperrfristen geben, die Änderung des männlichen Geschlechtseintrags soll im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ ausgesetzt werden können, Betreiber:innen von Einrichtungen wie etwa Frauensaunen sollen das Recht bekommen, trans Personen aufgrund ihres Geschlechts den Zutritt zu verweigern. Asylbewerber:innen soll in dem Fall, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung bald endet, das Recht auf eine Änderung gänzlich verweigert werden. Darüber hinaus sollen bei jeder Änderung automatisch Nachname, bisheriger und geänderter Vorname, Geburtsort, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, bisheriger und geänderter Geschlechtseintrag, Anschrift, Staatsangehörigkeit und das Änderungsdatum automatisch an sämtliche Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und weitere übermittelt werden. Lagen zuvor keine Daten über eine Person vor, sollen die Informationen umgehend gelöscht werden – ob dies eingehalten werden würde, ist mehr als fraglich. In jedem Fall aber können all diese Sicherheitsbehörden zunächst darauf zugreifen; jene Institutionen also, die eher durch rechte Netzwerke als durch Queerfreundlichkeit auf sich aufmerksam machen. 

Wann und in welcher Form das Gesetz verabschiedet wird, ist immer noch offen. Entgegen einiger Berichte in der bürgerlichen Presse, die von Transfeindlichkeit durchzogen sind, betrifft das Selbstbestimmungsgesetz nicht die medizinische Transition, die für viele trans und auch nicht-binäre Personen jedoch mindestens genauso wichtig ist. 

Diesbezüglich herrscht aufgrund eines Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom letzten Jahr, das seit Mitte März nun in schriftlicher Form vorliegt, große Unsicherheit. Geklagt hatte damals eine nicht-binäre Person, die die Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation erreichen wollte, da die Krankenkasse eine solche abgelehnt hatte. Sowohl das Landessozialgericht Baden-Württemberg als auch das BSG wiesen die Klage zurück. Zunächst argumentiert das BSG in Bezug auf die Tatsache, dass sich die Person als nicht-binär identifiziert. Zwar wird anerkannt, dass an einer Beschränkung von geschlechtsangleichenden Operationen ausschließlich zur Angleichung an „normativ vorgegebene Phänotypen (männlich/weiblich)“ aufgrund der S3-Leitlinie – einer Leitlinie zur Gesundheitsversorgung von trans und nicht-binären Personen, die von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung auf Grundlage empirischer Evidenz und systematischer Recherche sowie Bewertung herausgegeben wird – nicht mehr festgehalten werden könne; dennoch handle es sich bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen im Kontext von nicht-binären Personen laut BSG-Urteil um eine „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“. Darauf habe eine Person erst nach einer entsprechenden Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bestehend aus Vertreter:innen der Krankenkassen, Krankenhäuser und Ärzteschaft – ein Anrecht. 

Das Urteil geht darüber jedoch noch hinaus, indem es binäre trans Personen ebenfalls unter die Kategorie „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“ subsumiert. Dies liegt daran, dass die S3-Leitlinie eine partizipative Entscheidungsfindung zwischen Behandelnden und Behandelten vorschlägt. Das heißt, dass trans Personen an der Entscheidungsfindung hinsichtlich ihrer Behandlung beteiligt werden sollen. Dies weiche dem BSG zufolge „methodisch von anderen Behandlungsverfahren ab“; zudem seien die „Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation […] danach nicht nach [einem] objektiven – einem Sachverständigengutachten zugänglichen – Maßstab vorgegeben“. Vielmehr werde Behandler:innen und Patient:innen ein gemeinsamer Entscheidungsspielraum zugestanden. Dies ist nun die Neuartigkeit, sodass auch diesbezüglich erst eine Empfehlung des G-BA abgegeben werden muss. 

Sarkastisch könnte man fragen, ob Ärzt:innen ihren Patient:innen beispielsweise eine Knieprothese einfach ohne vorherige gemeinsame Abwägung und Diskussion, also unter Mitsprache der Patient:innen, einsetzen – wenn nicht, dann würde es sich ja ebenfalls um eine „partizipative Entscheidungsfindung“ handeln. Zum Lachen ist allerdings niemandem zumute, da das Gericht dadurch die bisher erfolgte Kostenübernahme auch bei binären trans Personen in Frage stellt. Im Urteil heißt es, dass nur bei bereits begonnenen Behandlungen die Krankenkassen „aus Gründen des Vertrauensschutzes“ weiterhin zu einer Kostenübernahme verpflichtet sind. Die deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) kritisiert das Urteil scharf und weist darauf hin, dass es fragwürdig ist, den G-BA als fachkundig besetztes Gremium zu bezeichnen, da es dort an einer Patient:innenvertretung ebenso fehle wie an Mediziner:innen mit entsprechender Expertise. Eine Bewertung durch den G-BA entspreche letztlich einer Fortführung der Fremdbestimmung von trans Personen.

Queere Befreiung als gemeinsamer Kampf der Arbeiter:innenklasse

In ihrer Stellungnahme bezeichnet die dgti die Entscheidung des BSG als lebensgefährlich: „Durch das Urteil werden Kostenübernahmen für Menschen, die neu ihre medizinische Transition beginnen wollen, verhindert. Eine lebensgefährliche Entscheidung. […] . Der angeregte Bestandsschutz nur für laufende Transitionsmaßnahmen ist als fragwürdig und unzureichend anzusehen. Wir brauchen eine generelle Weiterführung der Kostenübernahmen. Geschlechtsangleichende Maßnahmen sind kein Luxus, sondern lebensnotwendig für die Gesundheit trans* und nicht-binärer Personen.“ Es ist demnach unbedingt notwendig, auf die derzeit geführten Kämpfe für die Gleichberechtigung von trans und nicht-binären Personen aufmerksam zu machen. Umso absurder ist es, wenn ausgerechnet Politiker:innen von Parteien, die die Rechte von queeren Menschen im besten Fall blockieren und im schlimmsten Fall einschränken, versuchen, sich am TDoV betont queerfreundlich zu präsentieren, wie beispielsweise der Lichtenberger Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) in Berlin: „Wir würdigen mit dem Hissen der Fahne den Kampf von trans* und gendernonkonformen Menschen für mehr Selbstbestimmung und gesellschaftliche Akzeptanz. Sie sind in den letzten Jahren besonders in das Kreuzfeuer der Kulturkämpfe nicht nur hierzulande geraten und verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit.“ Es ist schließlich seine Partei, die gemeinsam mit der SPD in Hessen ein Genderverbot in der öffentlichen Verwaltung, Schulen und Universitäten einführte und damit der Schwesterpartei CSU unter dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder folgte. 

Aber: Weder das Gendern noch die bloße Sichtbarkeit können zu einer queeren Befreiung führen. Denn es ist das System des Kapitalismus, dem Ausbeutung und Unterdrückung inhärent sind – es sind die materiellen Bedingungen, die es zu ändern gilt. Deutlich wird dies an dem kaputtgesparten und auf Profite ausgerichteten Gesundheitssystem, wobei die von Karl Lauterbach angestrebte Reform weitere Klinikschließungen zur Folge haben könnte. Unter einer mangelnden oder nur schwer zugänglichen gesundheitlichen Versorgung leiden trans und nicht-binäre Personen bereits jetzt. Darüber hinaus arbeiten queere Personen häufig in Sektoren, die schlecht bezahlt sind. Ebenso ist die Spaltung der Arbeiter:innenklasse durch sexistische und queerfeindliche Ideologien keine, die losgelöst vom Kapitalismus betrachtet werden kann, insofern sie vielmehr den Interessen der Kapitalist:innen dient. Ein zentraler Baustein der kapitalistischen Gesellschaft ist die patriarchale Familie, sie ist gewissermaßen Teil der wirtschaftlichen und sozialen Struktur – inklusive kostenloser Reproduktionsarbeit, wie sich um Kinder und den Haushalt zu kümmern, die meist von Frauen übernommen wird. Queere Personen sprengen jene Vorstellungen und werden ausgegrenzt, womit der kapitalistische Staat die bestehende Ordnung wiederum stärkt. Andererseits toleriert er Queers bis zu einem gewissen Grad und versucht, sie in das System zu integrieren; etwa, wenn er queere Kernfamilien fördert, die im Sinne des Systems Reproduktionsarbeit leisten können. Daraus kann jedoch keine echte Befreiung folgen.

Der TDoV sollte daran erinnern, dass die Interessen von Arbeiter:innen und queeren Personen, die ohnehin selbst mehrheitlich Teil der Arbeiter:innenklasse sind, gemeinsame sind. Der Rechtsruck wendet sich sowohl gegen Queers als auch gegen Arbeitslose und Arbeiter:innen. Das kapitalistische System und damit Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden, liegt im Interesse der Arbeiter:innen; als Klasse sind sie es, die qua ihrer Position die materiellen Bedingungen ändern und den Kapitalismus schließlich überwinden können. Dies wiederum ist die Voraussetzung, um eine echte queere Befreiung erreichen zu können. Niemand ist frei, solange nicht alle frei sind!

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