Trans Day of Remembrance: Erinnern heißt kämpfen
Der Transgender Day of Remembrance dient dazu, den Betroffenen von transfeindlicher Gewalt zu gedenken. Woher stammt diese Tradition und was setzen wir der Gewalt heute entgegen?
Seit 1999 findet jedes Jahr am 20. November der Transgender Day of Remembrance (TDoR) statt, der dazu dient, den Betroffenen transfeindlicher Gewalt zu gedenken sowie auf die Thematik aufmerksam zu machen. Mittlerweile findet er daher im Rahmen der Transgender Awareness Week statt. Der historische Anlass des TDoR geht auf die Ermordnung der schwarzen trans Frau Rita Hester im Jahr 1998 zurück – ein Mordfall, der, wie viele weitere, die noch folgen sollten, unaufgeklärt blieb und von den Medien verschwiegen wurde. Dass die Geschichte queerer Personen durchzogen ist von Gewalt und Unterdrückung zeigte hingegen nicht erst dieser Mord. So geht beispielsweise der Christopher Street Day letztlich ebenfalls auf Drangsalierung und Schikane zurück: Im Juni 1969 kam es im New Yorker Stadtviertel Greenwich Village zu einem Aufstand, nachdem Polizist:innen wiederholt Gäste – vor allem Dragqueens, trans Personen und People of Color – in der Stonewall-Inn-Bar in der Christopher Street drangsalierten. Es folgten tagelange Straßenschlachten mit der New Yorker Polizei. Mit dabei war damals die Aktivistin und Dragqueen Marsha P. Johnson, die zu einer zentralen Figur der LGBTQIA+-Bewegung werden sollte. Gemeinsam mit Sylvia Rivera gründete sie unter anderem die Gruppe Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR), die obdachlose trans Personen und Dragqueens unterstützte. Weiterhin war Johnson auch in der Gay Liberation Front sowie Act Up aktiv. Gewalt und Unterdrückung blieben also nicht beantwortet; vielmehr ist der Kampf für die Rechte von queeren Personen ebenso fester Bestandteil – nicht nur auf der Straße, sondern auch in Arbeitskämpfen, wobei queere Menschen überdurchschnittlich von Prekarität und Ausbeutung betroffen sind.
Das sehen wir auch an historischen Beispielen, wie etwa der Marine Cooks and Stewards Union. In den 1930er Jahren kam es auf Passagierschiffen zu Kämpfen: Die Arbeiten auf solchen Schiffen wurden zumeist von männlich sozialisierten Arbeiter:innen verrichtet, die ansonsten jedoch gesellschaftlich feminisiert waren. Da auf einigen Linien besonders rassistische Reglementierungen galten, durften dort nur weiße Männer arbeiten. Da es jedoch nur wenige gab, die diese typisch weiblichen Tätigkeiten verrichten wollten, fassten vor allem „geschlechtlich nicht konforme“ Personen in dieser Industrie Fuß. Unterstützt wurden die Stewards von anderen Queers, wobei sie bald auch die Verteidigung der Rechte von Homosexuellen in ihr Arbeitsleben integrierten. Schließlich gründeten die Arbeiter:innen die Marine Cooks and Stewards Union, eine militante Gewerkschaft, die mit der Kommunistischen Partei verbündet war.1
Prekarität und Kulturkampf
In besonders prekären Situationen befinden sich queere beziehungsweise trans Personen auch heute noch. Laut den wenigen statistischen Erhebungen, die es dazu gibt, sind etwa 50 Prozent aller trans Personen in der EU erwerbslos. 2013 gaben bei einer Erhebung 25 Prozent an, ihren Job aufgrund ihrer Transidentität verloren zu haben. Nur 21 Prozent leben an ihrem Arbeitsplatz offen trans. Für trans People of Color kommt insbesondere in den USA und Lateinamerika des Weiteren eine deutlich erhöhte Gefahr von körperlicher Gewalt bis hin zur Ermordnung hinzu.2
Allein im Jahr 2024 gab es in den USA bisher 664 Gesetzentwürfe (davon 274 noch aus dem Vorjahr) gegen die Rechte von trans Personen, wobei die meisten den Bereich Bildung betreffen, gefolgt von Gesundheit und Sport. Der Bereich Sport bildete dieses Jahr darüber hinaus bei den Olympischen Spielen in Paris einen der Schauplätze des rechten Kulturkampfes, wobei die betroffene Boxerin und Goldmedaillengewinnerin Imane Khelif selbst überhaupt nicht trans ist. Eben diesen rechten Kulturkampf bediente dann auch Donald Trump im diesjährigen US-Wahlkampf, als er unter anderem von „transgender operations on illgal aliens in prison“ phantasierte und trans Jugendliche als „Gefahr für die Demokratie“ bezeichnete. Der Vorwand, Kinder und Jugendliche vor sich selbst schützen zu müssen, wird dagegen nicht nur von Trump und Konsorten geäußert, sondern erfreut sich in einem ganzen Spektrum an Beliebtheit, das von Konservativen über religiöse Fundamentalist:innen bis hin zu transfeindlichen „Feminist:innen“ wie Alice Schwarzer und J.K. Rowling reicht. Eine Studie aus den USA zeigt dagegen, dass 96 Prozent der befragten trans Jugendlichen ihre Transition nicht bereuen. Hierbei sind zudem Bereuen oder Bedauern sehr weit gefasst, sodass darunter etwa auch die Unzufriedenheit mit Medikamenten oder Ärzt:innen fallen kann. Im Widerspruch zu dem vermeintlichen Schutz steht eine weitere Studie, die ebenfalls aus den USA stammt. So wurde festgestellt, dass transfeindliche Gesetze zu einer Zunahme der Rate von Suizidversuchen bei trans und nicht-binären Personen führte – umso stärker, je länger diese Gesetze in Kraft waren.
Eine Tatsache, mit der sich hierzulande der Deutsche Ärztetag nicht zu befassen scheint. Dieser verabschiedete auf der Hauptversammlung der Bundesärztekammer eine Resolution, die empfiehlt, Hormonblocker bei Jugendlichen unter 18 Jahren „nur im Rahmen kontrollierter wissenschaftlicher Studien, unter Hinzuziehen eines multidisziplinären Teams sowie einer klinischen Ethikkommission und nach abgeschlossener medizinischer und psychiatrischer Diagnostik und Behandlung eventueller psychischer Störungen“ zuzulassen. Was hier diskutiert wurde, wird beispielsweise in Großbritannien bereits umgesetzt. Und auch in Frankreich verabschiedete der Senat im Mai dieses Jahres ein Anti-Trans-Gesetz der Republikaner, das Hormonbehandlungen und geschlechtsangleichende Operationen bei Personen unter 18 Jahren verbieten würde. Später wurde der Vorschlag etwas abgemildert, blieb im Wesentlichen jedoch reaktionär. Wenngleich der Gesetzentwurf in der Versammlung wohl an einem Veto durch liberale und linke Abgeordnete scheitern würde, steht er dennoch stellvertretend für die zunehmenden Angriffe auf die Rechte von queeren Personen und insbesondere trans Jugendlichen. Dass Transfeindlichkeit besonders häufig bei Anhänger:innen rechter Parteien besteht, zeigt auch die Leipziger Autoritarismusstudie 2024: 71 Prozent der AfD- und 39 Prozent der CDU-Wähler:innen weisen eine geschlossene Abwehr von Transgeschlechtlichkeit auf; 50 Prozent der sich selbst als rechts sowie 61 Prozent der sich als rechts außen einschätzenden Befragten verfügen über eine geschlossen transfeindliche Einstellung. Die Studie legt darüber hinaus auch eine Relevanz für den Wahlkampf solcher Parteien nahe: „Antifeminismus und Transfeindlichkeit sind gegenüber Sexismus stärker politisch aufgeladen. Diese in einer Gruppe der Gesellschaft weit verbreiteten Abwehrhaltungen besitzen eine große Bedeutung für die Vertreter der extremen Rechten und ihre Wahlkampagnen.“
Erinnern heißt kämpfen
Am TDoR sollten wir neben dem Gedenken der Betroffenen von transfeindlicher Gewalt auch die Erinnerung an die Kämpfe, die queere Personen führten und führen, wachhalten. Im Mai gingen in Frankreich und Belgien 25.000 Menschen gegen das Anti-Trans-Gesetz auf die Straße. Sasha Yaropolskaya, Mitglied bei unserer französischen Schwesterorganisation Révolution Permanente, betonte auf der Pariser Kundgebung, dass der 5. Mai erst der Anfang gewesen sei und es darum gehe, die Mobilisierungen fortzusetzen und allgemeine Versammlungen voranzutreiben, um „Hunderttausende, Millionen und Dutzende Millionen Menschen in den Kampf zu zerren.“ Denn die Angriffe auf trans Personen sind nicht das Problem einer angeblich „skurrilen Minderheit“; ganz im Gegenteil ist deren Abwehr eine Aufgabe der gesamten Arbeiter:innenklasse. Denn schließlich geht es darum, alle Menschen in ein starres binäres Geschlechterkonzept zu pressen und die körperliche Selbstbestimmung zu beschränken.
Der Kampf für eine echte queere Befreiung ist immer auch ein Kampf für die Überwindung des Kapitalismus, dem Ausbeutung und Unterdrückung inhärent sind. Daher ist auch die sexistische und queer- beziehungsweise transfeindliche Ideologie keine, die losgelöst vom Kapitalismus betrachtet werden kann. Vielmehr bewirkt sie eine Spaltung der Arbeiter:innenklasse, die wiederum den Interessen der Kapitalist:innen dient. Wichtig dabei ist, dass auch die patriarchale Familie einen zentralen Baustein der bürgerlichen Gesellschaft darstellt – in gewisser Weise ist sie Teil der wirtschaftlichen und sozialen Struktur, was auch die kostenlose Reproduktionsarbeit, die zumeist von Frauen übernommen wird, beinhaltet. Queere Personen sprengen diese Vorstellung und werden ausgegrenzt, womit der kapitalistische Staat die bestehende Ordnung wiederum stärkt. Die Interessen von Arbeiter:innen und queeren Personen, die ohnehin mehrheitlich Teil der Arbeiter:innenklasse sind, sind gemeinsame. Und so wendet sich auch der Rechtsruck sowohl gegen Queers als auch gegen Arbeiter:innen und Arbeitslose. Wenn Radikalfeminist:innen also den Kampf von Arbeiter:innen, Frauen und queeren Personen gerade nicht als gemeinsamen anerkennen, so behaupten sie einen Widerspruch, der dann nicht zwischen Klassen, sondern zwischen Geschlechtern besteht; Geschlecht wird dabei zumeist als starres Konstrukt aus Mann und Frau gedacht. Um diesen angenommenen Widerspruch zu verteidigen, müssen Vertreter:innen dieser Strömung letztlich queere Existenzen ausschließen, wenn nicht gar leugnen. Im sogenannten „Trans-Exclusionary Radical Feminism“ werden damit letztlich die bürgerliche Ideologie und die bürgerliche Kleinfamilie verteidigt; etwas, was auch Bestandteil rechter Positionen ist.
Am Beispiel der jungen Sowjetunion kann dagegen gezeigt werden, welche Fortschritte die sozialistische Revolution im Oktober 1917 auch in Bezug auf die Befreiung von Frauen und queeren Personen mit sich brachte. In ihrer Folge kam es zur Entkriminalisierung der Homosexualität. Darüber hinaus war die UdSSR führend in der geschlechtsangleichenden Medizin, wobei sowjetische Mediziner:innen, die mit trans Personen arbeiteten, zu dem Ergebnis kamen, dass Geschlecht kein binäres Konzept, sondern ein Spektrum ist. Weiterhin wurde die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt, da lokale Gerichte und Beamt:innen keine Grundlage mehr sahen, einen Heiratsantrag abzulehnen, da dieser von zwei Menschen desselben rechtlichen Geschlechts gestellt wurde. Erst mit der Machtübernahme von Stalin in den 1920er Jahren kam es zu einer rückschrittlichen gesellschaftlichen Reaktion, sodass Homosexualität 1936 erneut kriminalisiert wurde. Die Bürokratie versuchte nach den Verwüstungen des Ersten Weltkriegs und des Russischen Bürgerkriegs sowie der Isolation nach dem Scheitern der Revolutionen in Westeuropa zunehmend, das Regime durch eine reaktionäre Ideologie bezüglich der Familie, der Rolle der Frau und der Sexualität zu stabilisieren und den russischen Nationalismus zu fördern.
Als sozialistische Feminist:innen fordern wir dagegen das volle Recht auf körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung sowie die kostenfreie und unbürokratische medizinische Versorgung bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen für alle Geschlechtsidentitäten. Wir fordern ein Ende der Diskriminierung von queeren Menschen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und in der Medizin. Wir wollen des Weiteren den Aufbau von Schutzkomitees gegen die Angriffe der Rechten auf Demonstrationen vorantreiben und fordern umfassende Kampagnen zu Themen wie der sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung in Schulen, Betrieben und Familienberatungsstellen – entgegen der reaktionären Angriffe von AfD und Co. Dafür wollen wir gemeinsam mit vielen Weiteren in den nächsten Monaten kämpfen!
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Fußnoten
- 1. Vgl. Michelle O'Brien: Employment Trajectories, Labour Discipline and Gender Freedom, in: Jules Johanne Gleeson und Elle O'Rourke (Hg.): Transgender Marxism,Pluto Press, London 2021, S. 47-62. Eigene Übersetzung.
- 2. Vgl. Maja Tegeler: Trans* at work: unsichtbar, prekär, kreativ, in: Lia Becker, Atlanta Ina Beyer und Katharina Pühl (Hg.): Bite Back! Queere Prekarität, Klasse und unteilbare Solidarität, edition assemblage, Münster 2024, S. 29-32, hier S. 29.