Tönnies-Skandal: 10.000-Euro-Gabriel springt Fleischmilliardär zur Seite

02.07.2020, Lesezeit 7 Min.
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Fleischmilliardär Clemens Tönnies ist seit dem riesigen Covid-19-Ausbruch in einem seiner Schlachthöfe „der Buhmann der Nation“. Der ganzen Nation? Immerhin Sigmar Gabriel und Uli Hoeneß stehen treu an seiner Seite – miserablen Arbeitsbedingungen zum Trotz.

Bild: © vornbaeumen

Seit vor mehreren Wochen ein Corona-Ausbruch in seinem Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück bekannt wurde, reißt die Kritik an Clemens Tönnies nicht mehr ab. Über 1.500 Arbeiter*innen hatten sich bei der Arbeit für den ostwestfälischen Fleischbaron mit Covid-19 infiziert. Zwar ist der Tönnies-Betrieb in Rheda-Wiedenbrück nicht der erste Schlachthof, der einen Infektionsausbruch zu vermelden hatte. Schließlich sind etwa die klimatischen Bedingungen in allen solchen Betrieben für die Ausbreitung des Virus sehr günstig. Das Ausmaß geht bei Tönnies jedoch weit über alles bisher Bekannte hinaus.

Der „Buhmann der Nation“ sei Tönnies. So versuchte Ex-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Tönnies zu verteidigen. Ein Buhmann trägt schließlich nicht wirklich Schuld, sondern wird von anderen zum Schuldigen erklärt. Falsch sei es, nicht mit Tönnies zu reden, meint Gabriel. Mit Tönnies reden – der (ehemalige?) Sozialdemokrat versteht darunter offensichtlich, für ihn Lobby zu machen. Wie das ARD-Magazin Panorama kürzlich aufdeckte, hat Gabriel von März bis Mai, also mitten in der Corona-Krise, jeden Monat mindestens 10.000 Euro für eine „Beratertätigkeit“ bekommen. Das Engagement bei Tönnies endete nicht etwa, weil Gabriel selbst bemerkt hätte, wie zwielichtig der Laden ist. Eine Erkrankung hinderte ihn daran, seine Tätigkeit fortzusetzen.

Auch sein Honorar findet Gabriel gerechtfertigt: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.“ Für die Beschäftigten von Tönnies, die für winzige Löhne ihr Leben riskieren müssen, wären 10.000 Euro sicherlich viel Geld. Ekelhafter könnte Gabriel sein Bonzengehabe gar nicht ausdrücken. Ganz abgesehen davon, dass Clemens Tönnies mit einem Vermögen von geschätzten 1,4 Milliarden Euro einer der reichsten Kapitalisten Deutschlands ist.

Gabriel ist nicht der einzige prominente Freund, auf den Tönnies gerade zählen kann. Anders als Sigmar Gabriel sprang Tönnies sein bayrisches Pendant aus eigenem Antrieb zur Seite. „Aber dass man dann alles, was er so geleistet hat, was er für eine große Firma aufgebaut hat, jetzt plötzlich in Schutt und Asche redet, das kann es nicht sein“, sagte Bayern-Boss und Wurst-Bourgeois Uli Hoeneß am Sonntagabend im Bayerischen Fernsehen.

Welche Leistungen Hoeneß wohl meinte? Die miserablen Arbeitsbedingungen? Die maroden, überfüllten Unterkünfte der meist osteuropäischen Beschäftigten? Das System aus Werkverträgen und Subunternehmen? Das ist es schließlich, worauf Tönnies sein Unternehmen aufgebaut hat. Sein Freund Sigmar Gabriel sorgte als ehemaliger Bundeswirtschaftsminister ja gerade mit dafür, dass „normale Menschen“ der Arbeiter*innenklasse durch Leiharbeit, Werkverträge und die Spaltung in einheimische und nicht-einheimische Beschäftigte usw. zu wenig Geld zum Leben haben. Er hat dagegen 10.000 Euro monatlich bekommen, um das Image von Tönnies zu verteidigen. Sigmar Gabriel hat schon im Amt die Interessen der Unternehmen  vertreten, und im Privaten tut er es weiter. Die sozialdemokratische Führung hofft nach ihrer Parlamentstätigkeit auf gut bezahlte Jobs – einige schaffen das auch, wie Schröder oder Gabriel.

Das ausbeuterische System in der Fleischindustrie – und nicht nur dort – basiert gerade darauf, dass große Kapitalist*innen wie Tönnies von niedrigen Produktionskosten profitieren. Dafür, wie diese niedrigen Kosten zustande kommen, ist jedoch formell der „Werkvertragsnehmer“, also das Subunternehmen, verantwortlich. Weit verbreiteter Lohnklau durch gefälschte Arbeitszeitabrechnungen, mangelnder Gesundheits- und Arbeitsschutz – für all das sind in diesem System formell nur die Subunternehmen verantwortlich zu machen. Bosse wie Tönnies können die Verantwortung von sich weisen. Die Subunternehmen werben wiederum mit Vorliebe Arbeiter*innen aus Osteuropa an, die sich ohne Unterstützung durch die Gewerkschaften, oft ohne Betriebsrat kaum wehren können – und dann auch noch rassistischer Hetze ausgesetzt sind: NRW-Ministerpräsident hatte nicht etwa Tönnies für den Ausbrauch verantwortlich gemacht, sondern „Rumänen und Bulgaren“. Dabei sind es gerade migrantische Arbeiter*innen, die besonders stark von Covid-19 betroffen sind. Während sie sich in Lebensgefahr begeben, werden sie mit rassistischer Rhetorik auch noch dafür verantwortlich gemacht, während sich das Großkapital die Hände reinwaschen will. Die Tatenlosigkeit der Gewerkschaftsbürokratie macht sie zur Komplizin in diesem dreckigen Spiel.

Tönnies trifft jetzt stellvertretend eine Kritik, die eigentlich ein ganzes System der schärfsten Ausbeutung betrifft. Durch diese Kritik an seinem Freund Tönnies fühle sich wiederum Uli Hoeneß an „meine Zeit mit der Steuersache“ erinnert – gemeint ist die Unterschlagung von Beträgen in zweistelliger Millionenhöhe, die 2013 ans Licht kam und Hoeneß eine reichlich milde Gefängnisstrafe eingebracht hatte. Auch Tönnies war übrigens 2011 ins Visier der Steuerfahndung geraten. Mit Tönnies verbindet Hoeneß aber nicht nur die jahrelange Freundschaft oder die Erfahrung, wie es ist, wenn plötzlich das ganze Land die eigenen kriminellen Machenschaften kennenlernt.

Hoeneß ist wie Tönnies selbst jahrzehntelang Boss eines Fleischereibetriebs in Nürnberg gewesen. Heute führen zwar seine Kinder das Geschäft. Doch verbunden bleibt Hoeneß dem Unternehmen weiterhin, nicht zuletzt, weil seine Würste bei Spielen des FC Bayern verkauft werden. Nicht auszuschließen, dass Hoeneß fürchtet, sein eigener Betrieb könnte nach Tönnies ein nächster Corona-Hotspot werden.

Erste Konsequenzen hat der Tönnies-Skandal inzwischen. Als Aufsichtsratsvorsitzender vom FC Schalke 04 ist Tönnies wie erwartet zurückgetreten. Überraschend ist vielmehr, wie Tönnies sich nach seinen übelsten rassistischen Aussagen beim Tag des Handwerks in Paderborn weiter im Amt hatte halten können. Schon damals hatte ihn Sigmar Gabriel vehement verteidigt. Während Tönnies in seinen Fleischbetrieben migrantische Arbeiter*innen mit einem Hungerslohn unter den schlechtesten Bedingungen arbeiten lässt und ihn die Gesundheit der Arbeiter*innen und Kund*innen rein gar nicht interessiert, scheffelt er massig Profite. Um Menschen unter derart desaströsen Bedingungen auszubeuten, schürt Tönnies selbst die rassistische Spaltung.

Nun wollen Arbeitsminister und Gabriels Parteifreund Hubertus Heil noch in diesem Monat ein geplantes Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie auf den Weg bringen. Die genaue Ausgestaltung ist zwar noch unklar. Fest steht jedoch bereits, dass ein auf diese eine Branche beschränktes Verbot viel zu kurz greift. Werkverträge und mit ihnen das gesamte System des Outsourcing an Subunternehmen müssen ganz generell verboten werden.

Es ist die Verantwortung von Kapitalisten wie Tönnies und Hoeneß, dass wir vor einer zweiten Pandemiewelle stehen. Ihre Verachtung für die Gesundheit ihrer Arbeiter*innen und der Gesellschaft insgesamt wird nur übertroffen von ihrem Streben nach Profit – und der basiert nicht erst seit der Corona-Krise auf der scharfen Ausbeutung der Arbeiter*innen. Tönnies und mit ihm die gesamte Lebensmittelbranche müssen entschädigungslos enteignet und unter Arbeiter*innenkontrolle gestellt werden. In der Corona-Pandemie mehr denn je.

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