Tönnies enteignen, SPD-Bonzen absägen, Werkverträge verbieten
Nach den endlosen Tönnies-Skandalen will die Bundesregierung nun Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie verbieten – doch Schlupflöcher bleiben. Mancher Unternehmerfreund jammert schon über diesen „Schritt in Richtung staatlicher Wirtschaftslenkung“. Doch geht der noch lange nicht weit genug. #TönniesEnteignen
Bild: Symbolbild by Johannes Lietz
Corona-Hotspot, sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen mit sozialdemokratischer Beratung durch Sigmar Gabriel und etliche Arbeiter*innen zu Unrecht in wochenlanger Quarantäne. Nach den nicht abreißen wollenden Skandalen um den Fleischkonzern Tönnies in den vergangenen Wochen hat die Bundesregierung nun reagiert. Am gestrigen Mittwoch hat das Kabinett einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der unter anderem Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie verbieten soll. Das ist überfällig. Doch es lässt Lücken offen und geht immer noch nicht weit genug.
Das „Arbeitsschutzkontrollgesetz“ von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht insbesondere vor, dass in der Fleischindustrie kein Fremdpersonal mehr eingesetzt werden darf. Gelten solle das für Werkverträge ab dem 1. Januar, für Leiharbeit ab dem 1. April nächsten Jahres. Doch es gibt Einschränkungen: Zum einen ist nur das sogenannte Kerngeschäft betroffen, wozu etwa Schlachtung und Zerlegung gehören. Außerdem sind Handwerksbetriebe mit bis zu 49 Beschäftigten von dieser Regelung ausgenommen.
Tönnies hatte bereits vor der Bekanntgabe des Gesetzesentwurfs 15 sogenannte Vorratsgesellschaften, also konzerneigene Subunternehmen, gegründet. In den sozialen Netzwerken machte der Vorwurf die Runde, Tönnies wolle in solchen Unternehmen dann weniger als 50 Personen beschäftigen und damit das Gesetz unterlaufen.
Als großer Industriebetrieb sollte Tönnies zwar nicht unter die Ausnahme für das Handwerk fallen. Dass der Konzern auf diese Weise dennoch nach Schlupflöchern sucht, macht umso deutlicher: Wenn man es ernst meint mit der Abschaffung von Werkverträgen und Leiharbeit sind keine Kompromisse und keine Ausnahmen möglich.
Warum also sollten Werkverträge nur in der Fleischindustrie verboten werden? Der Fokus auf nur eine Branche droht den Gesetzesentwurf nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz womöglich juristisch anfechtbar zu machen. Dann könnten sich Heil und die SPD jetzt als Kämpfer*innen für die Rechte der prekär Beschäftigten aufspielen und in ein paar Monaten, wenn sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder verschoben hat, könnte der Entwurf still und heimlich kassiert werden. Die SPD bleibt mit ihrem Programm hinter den Bedürfnissen der Arbeiter*innen heute zurück. Es reicht nicht einmal aus, die Entlassungen und Schließungen in anderen Sektoren wie bei Voith in Sonthofen, der Lufthansa und Galeria Kaufhof/Karstadt zu verhindern.
Werkverträge existieren in allen Branchen. Verantwortlich dafür ist die SPD, die mit ihrer Agenda-Politik die Ausbreitung von Leiharbeit und Werkverträgen erst ermöglicht hat. Im Handwerk, in Kantinen oder dem Werkschutz gibt es bei vielen Unternehmen fast nur noch Werkverträge. Werkverträge führen unter anderem dazu, dass der Betriebsrat für die betroffenen Arbeiter*innen nicht zuständig ist, obwohl sie im selben Betrieb arbeiten. Noch dazu arbeiten sie in der Regel unter schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigeren Löhnen als die Stammbeschäftigten. „Häufig werden „Fremdfirmen-Leute“ und „Externe“ auch deutlich schlechter behandelt: Sie erhalten keine Ermäßigung in der Kantine, keinen Platz im Werkskindergarten – und oft auch keine korrekte Arbeitsschutzausstattung.“ wie die IG Metall berichtet. Durch die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne wird unter anderem die Gesundheit aller Beschäftigten gefährdet, weil sie sich nicht gemeinsam für bessere Zustände einsetzen können. Führende SPD-Bonzen lassen sich diese Politik dann auch noch mit hochdotierten Beraterposten vergolden, wie zuletzt Sigmar Gabriel. Das Prinzip, für das wir uns einsetzen müssen, lautet: Ein Betrieb, eine Belegschaft. Und dafür müssen nicht nur Werkverträge, sondern auch das Outsourcing flächendeckend verboten werden.
Doch schon der recht zahme Vorstoß der Bundesregierung geht manchen zu weit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert den FDP-Wirtschaftspolitiker Carl-Julius Cronenberg, der in dem Gesetz einen „Schritt in Richtung staatlicher Wirtschaftslenkung“ erkennen will. Daran wird deutlich, wie weit die neoliberale Ideologie verbreitet ist, dass ein Politiker eine einfache Reform des Arbeitsrechts ohne Scham zur Wirtschaftslenkung stilisieren kann. Er bezieht sich dabei auf eine Passage in dem Entwurf, nach der die „gemeinsame Führung eines Betriebs oder einer Organisation durch zwei oder mehrere Unternehmer“ unzulässig sei. Was diese Formulierung bewirken wird, ist noch gar nicht klar, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält diese Vorschrift jedoch schon für verfassungswidrig.
Arbeitgeberverbände und FDP fühlen sich der unternehmerischen Freiheit verpflichtet. Und sie haben Recht: Jedes Recht für die Arbeiter*innen ist ein Eingriff in diese „Freiheit“. Die Abschaffung der Kinderarbeit, der Achtstundentag und bezahlter Urlaub? Alles Eingriffe in die unternehmerische Freiheit und Freiheit der Unternehmer*innen wie des Tönnies, das Menschenleben auf Profitgier zu gefährden.
Um tatsächlich die Rechte der Beschäftigten zu sichern und gleichzeitig wirklich zu verhindern, dass es in den Schlachtbetrieben zu neuen Corona-Ausbrüchen kommt, muss der Eingriff viel tiefer sein: Tönnies muss entschädigungslos enteignet und unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. Dass dieser Vorschlag vielen längst nicht mehr utopisch erscheint, zeigt ein Blick auf Twitter. Dort befand sich der Hashtag #TönniesEnteignen heute in den Trends.
Wochenlange bundesweite Empörung und große mediale Aufmerksamkeit waren nötig, die Bundesregierung zu diesem kleinen Schritt zu bewegen. Um Tönnies und Co. zu enteignen, wird es aber mehr brauchen als einen Aufschrei bei Twitter. Vor allem sollte klar sein, dass auf die Regierung kein Verlass ist, wenn es darum geht, gegen die Interessen der Konzerne vorzugehen. Für das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit braucht es heute schon Mobilisierungen der Gewerkschaften, die sich gegen die Regierung richten.