Tödliche Polizeigewalt in Berlin: Kein Einzelfall!
Vergangene Woche wurde Maria B. in ihrer Wohnung von der Polizei erschossen. Als feministisch-sozialistische Organisation fordern wir die lückenlose Aufklärung der Tötung von Maria. Von Brot und Rosen Berlin.
Bild: Franziska Lange
Am 24. Januar 2020 wurde Maria B., 33 Jahre alt, in ihrer Wohnung in der Grünberger Str. im Bezirk Friedrichshain von einem 28-jährigen Polizisten erschossen. B.s Mitbewohner hatte die Polizei alarmiert, weil diese ihn bedroht hatte. B. war in ihrem Zimmer eingeschlossen, zu dem sich vier Polizist*innen gewaltvoll Zugang verschafften, woraufhin B. ihnen mit einem Messer entgegentrat, einer der Polizist*innen auf sie schoss und ihren Oberkörper traf, woran B. starb, wie der Obduktionsbericht bestätigte. Klasse gegen Klasse berichtete bereits zu einem früheren Zeitpunkt.
Die Vorstellung ist unglaublich: Vier Polizist*innen schaffen es nicht, sich gegen eine einzelne Person, die ein Messer bei sich hat, zu wehren, ohne von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, äußerte sich noch am gleichen Tag, dass der Schusswaffengebrauch für Polizist*innen eine „enorme psychische Belastung“ sei und die GdP Berlin davon ausgehe, dass sich die Kolleg*innen „korrekt verhalten“ hätten. Ebenso verteidigte die Polizeipräsidentin Barbara Slowik den Einsatz, mit der Erläuterung, dass mit einem Messer bewaffnete Personen in einer „sehr nahen Distanz von sechs Metern etwa“ eine tödliche Gefahr darstellten und unabhängig vom Einzelfall für solche Situationen der Schusswaffengebrauch als Eigensicherung vorgesehen sei. Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sprach von einer „unübersichtlichen Situation“.
Auf den Straßen hingegen regt sich Protest: Am 25. Januar fand eine spontane Demonstration in Friedrichshain mit ungefähr 100 Teilnehmer*innen gegen die brutale Polizeigewalt statt. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke forderte am 27. Januar ein „lückenlose Aufklärung“ und zeigte sich empört darüber, dass Polizist*innen in solchen Situationen über keine anderen Mittel verfügten.
Der Berliner Senat hat am selben Tag der Öffentlichkeit eine*n neue*n „unabhängige*n Beauftragte*n für Bürger*innen- und Polizeiangelegenheiten“ vorgestellt, um „das Vertrauen von Berliner*innen in die Behörden zu stärken und das Verhältnis zu verbessern“. Mit diesem Vorschlag wollen die Senatsparteien SPD, Linke und Grüne die Verantwortung für Polizeigewalt auf Einzelfälle reduzieren und allein auf die durchführenden Polizeikräfte abschieben. Doch Polizeigewalt ist weder ein Einzelfall noch die alleinige Verantwortung der durchführenden Polizeikräfte, sondern hat System. So schätzt eine Studie der Universität Bochum von Juli 2019, dass es jährlich zu 12.000 Fällen illegaler Polizeigewalt kommt – obwohl nur etwa 2.000 entsprechende Anzeigen pro Jahr erstattet werden, die zudem fast nie zu einer Verurteilung führen. Das zeigt: Polizeigewalt ist politisch gewollt und juristisch geschützt. Der Gesetzentwurf von Rot-rot-grün tut dagegen rein gar nichts, sondern heuchelt Transparenz und Verantwortungsbewusstsein.
Doch wir klagen an: Die politische Verantwortung für Marias Tod liegt bei dem Berliner Senat und bei Innensenator Andreas Geisel (SPD).
Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 11 Menschen durch Polizist*innen getötet, was aus einer Statistik der Deutschen Hochschule der Polizei hervorgeht. In den letzten zehn Jahren wurden vier Menschen in Berlin durch Polizist*innen erschossen, wobei die Erschießung eines jungen Mannes, der nackt im Neptunbrunnen am Alexanderplatz mit einem Messer hantierte, für besonderen Aufruhr sorgte. Immer wieder wird nach solchen Fällen diskutiert, ob der Einsatz von Tasern für diese Art von Situationen sinnvoller wäre. Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagt dazu, Taser seinen vor allem für statische, ruhige Situation zu verwenden und dass es „[i]n einer Situation, in der eine Person auf die Polizisten mit dem Messer in der Hand losstürmt und nur noch wenige Meter dazwischen liegen, […] vor allem um Selbstschutz [geht].“.
Der Fall wird der Staatsanwaltschaft übergeben werden, wobei das Ergebnis nicht überraschen wird: Notwehr. Im Jahr 2018 wurde keiner der elf Fälle als unrechtmäßiger Schusswaffengebrauch durch die Polizist*innen eingestuft und die Einordung als eine „unübersichtliche Situtation“ durch die Staatsanwaltschaft bereitet dieses Urteil auch in diesem Fall schon vor. Die Staatsanwaltschaft ist im Bezug auf die Polizei nicht neutral, weil sie und die Polizei ein gemeinsames Organ darstellen und es sozusagen Verrat wäre, jemanden von den ‚eigenen Leuten‘ zu verurteilen. Polizist*innen müssen für den Gebrauch von Schusswaffen (tatsächlich für jeglichen Einsatz von Gewalt) keine Repression fürchten.
Weiterhin wurde in mehreren Artikeln und auch von der Polizei darauf hingewiesen, dass B. wegen Drogendelikten bekannt und psychisch labil sei. Man fragt sich, ob Drogen und psychische Belastung als Entschuldigung für den Einsatz von tödlicher Polizeigewalt hier als legitim dargestellt werden soll.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft rühmt sich damit, dass trotz steigender Gewalt gegen Polizeibeamt*innen der Schusswaffengebrauch sehr gering sei. Insgesamt lässt sich seit 1995 eine starker Rückgang von tödlichem Schusswaffengebrauch durch Polizist*innen erkennen, die Zahl hat sich nahezu halbiert. Tatsächlich hat sich jedoch auch das Verhältnis der Tötung von Zivilist*innen durch Polizist*innen zu der Tötung von Polizist*innen durch Zivilist*innen drastisch verändert: 1995 war das Verhältnis noch 2 (Zivilist*innen getötet durch Polizist*innen) zu 1 (Polizist*innen getötet durch Zivilist*innen); im Jahr 2018 wurde kein*e Polizist*in durch eine*n Zivilist*in getötet, sodass man meinen könnte, die Floskel der steigenden Gewalt gegen Polizeibeamt*innen diene schlichtweg zur Legitimation von tödlicher Polizeigewalt gegen Zivilist*innen.
Die Tötung von Menschen durch die Polizei muss auch im Kontext der massiven Gesetzesverschärfungen und der Aufrüstung der Polizeikräfte verschiedener Bundesländer gesehen werden, die in den letzten Jahren stattfindet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das neue Bayerische Polizeiaufgabengesetz erlaubt Polizist*innen das Tragen von Handgranaten und legalisiert zeitlich unbegrenzte „Präventivhaft“ ohne konkrete Anklage. Ähnliche Gesetzesverschärfungen sind in fast allen Bundesländern in Planung.
Anfang Februar findet in Berlin der 23. Europäische Polizeikongress statt, auf dem wie jedes Jahr über die Verstärkung der Repressivkräfte diskutiert wird. Die Route der Demonstration gegen den Polizeikongress wurde angesichts der Tötung von Maria teilweise nach Friedrichshain verlegt, um die Verantwortung von Polizei und Staat für ihren Tod anzuprangern. Die Demonstration startet am 31. Januar um 20 Uhr am Wismarplatz in Berlin-Friedrichshain.
Als feministisch-sozialistische Organisation fordern wir die lückenlose Aufklärung der Tötung von Maria! Doch wir vertrauen weder den polizeilichen noch den juristischen oder den staatlichen Stellen, diese Aufklärung durchzuführen. Stattdessen fordern wir eine von allen staatlichen Stellen unabhängige Kommission aus Menschenrechts-, sozialen und gewerkschaftlichen Organisationen, die den Tod von Maria untersucht. Die direkten und die politischen Verantwortlichen ihres Todes müssen zur Rechenschaft gezogen werden! Innensenator Geisel muss zurücktreten!
Keine Mehr! Für ein Ende jeglicher Polizeigewalt! Für eine lückenlose und unabhängige Aufklärung der Tötung von Maria B.!