Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi: Das fragile Regime wird erneut erschüttert

21.05.2024, Lesezeit 5 Min.
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Der verstorbene iranische Präsident Ebrahim Raisi. Foto: Wikimedia Commons

Auch wenn der Tod von Ebrahim Raisi kaum Auswirkungen auf die iranische Machtstruktur haben wird, könnten die bevorstehenden Wahlen die Delegitimierung des Regimes noch verstärken.

Nachdem die iranischen Medien am Sonntag noch von einer „harten Landung“ des Hubschraubers des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi berichtet hatten, bestätigten sie am Montagmorgen nach einer durch die Wetterbedingungen und geografische Lage erschwerten Suche, dass die Maschine abgestürzt war. Keiner der Passagiere überlebte den Absturz, bei dem der iranische Präsident, Außenminister Houssein Amir-Abdollahian, der Gouverneur der Provinz Ost-Aserbaidschan, Malek Rahmati, und Ayatollah Mohammad Ali Ale-Hashem ums Leben kamen. Die Unfallursache ist noch unbekannt, doch der Tod des iranischen Präsidenten erfolgt in einem besonders angespannten Kontext, sowohl innerhalb der Grenzen des Regimes, das sich in einer schweren politischen Krise und einer alarmierenden Wirtschaftslage befindet, als auch auf regionaler Ebene. Die Spannungen zwischen dem Iran und Israel sind nach dem iranischen Angriff vom 13. April und dem israelischen Gegenschlag einige Tage später auf einem beispiellosen Eskalationsniveau eingefroren.

Die Gefahr eines regionalen Krieges

Nachdem Raisi den aserbaidschanischen Präsidenten Ilhan Aliyev wegen des Baus eines Staudamms besuchte, fiel der Verdacht auf Baku, den historischen Verbündeten des israelischen Staates. Dieser hatte ihn im Austausch gegen Gasprodukte mit Waffen versorgte und ihm wiederholt Zugangspunkte zum iranischen Territorium angeboten. Während die regionale Lage weiterhin höchst instabil bleibt, die Zusammenstöße an der libanesisch-israelischen Grenze sich verschärfen und die Gefahr einer Bodeninvasion in Rafah weiter zunimmt, droht der Tod des iranischen Präsidenten das brüchige regionalen Gleichgewicht noch weiter zu destabilisieren. 

Auch wenn ein Unfall derzeit noch die wahrscheinlichste Hypothese darstellt, könnte eine sich bewahrheitende Verwicklung Aserbaidschans oder Israels in den Absturz einen beispiellosen Regionalkrieg in der Region auslösen. Die Bemühungen der USA, den Iran und die unter seiner direkten Hegemonie stehenden Komponenten der Widerstandsachse im Irak und im Libanon zum Rückzug aus dem Konflikt zu bewegen, wären zunichte gemacht.

Innenpolitisch dürfte der Tod des Präsidenten die Situation des Regimes jedoch nicht grundlegend verändern. Als Strohmann hatte Präsident Raisi nur begrenzte Macht und stand weiterhin unter der unerbittlichen Aufsicht des Führers Ali Khamenei, dessen Sekretariat seinen Zuständigkeitsbereich auf fast alle politischen Institutionen des Landes ausgedehnt hat, wie Ali Avez betont

„Der Unterschied zwischen Ayatollah Khomeini (1902 – 1989) und Khamenei besteht darin, dass Khomeini enorme Machtbefugnisse an seine Untergebenen delegiert hatte. Hashemi Rafsandschani war Parlamentspräsident und die Nummer zwei im Land. Ali Khamenei war Präsident der Republik. Auch Khomeinis Sohn hatte großen Einfluss. Niemand aus dem Umfeld von Ayatollah Khamenei verfügte über einen solchen Status und so viel Erfahrung. Ebrahim Raisi, der […] Staatspräsident, [wurde] nicht einmal von seinem eigenen Kabinett ernst genommen. Es gibt wirklich niemanden, der kommen kann, um die Lücke zu füllen, wenn Ayatollah Khamenei nicht mehr da ist“. 

Neuwahlen innerhalb von 50 Tagen nach Tod von Raisi

Während sich der Zugriff der Sepah (Revolutionsgarde) erheblich ausgedehnt und Khameneis Machtausweitung die Institutionen der Verfassung von 1979 in gespenstische Instanzen verwandelt hat, wird das Verschwinden des Präsidenten nur geringen Einfluss auf die iranische Staatsgewalt haben, die in den Händen eines extrem kleinen Teils der iranischen Eliten konzentriert ist. Selbst wenn Raisi als Nachfolger des Obersten Führers vorgesehen war, werden nach dessen Tod das Sekretariat des Ayatollahs und die Bürokratie der Islamischen Revolutionsgarde einen Ersatz finden.

Der Tod des Präsidenten zwingt die iranischen Eliten jedoch dazu, Neuwahlen abzuhalten, um die fast völlig zerschlagene Illusion der verfassungsmäßigen Legitimität des iranischen Regimes am Leben zu erhalten. Die Wahlbeteiligung sinkt bei jeder Wahl kontinuierlich und könnte bei den nächsten Präsidentschaftswahlen einen historischen Tiefstand erreichen. Da die Wahlbeteiligung unter das Niveau der letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2021 sinken könnte, bei der nur 48 Prozent der Bevölkerung zur Wahl gingen, könnten Neuwahlen somit die Krise der iranischen Machthaber vertiefen. Auch könnte eine neue Volksbefragung den politischen Gegner:innen des Regimes eine Gelegenheit bieten, sich zu äußern.

Auch wenn der Tod des iranischen Präsidenten nur geringe Auswirkungen auf die Struktur der iranischen Staatsmacht haben wird, könnte die Ausrufung von Neuwahlen interne Proteste anheizen und die massive Delegimitation der Institutionen verstärken. Obwohl die unklaren Umstände des Unfalls Vorsicht in Bezug auf die externen Folgen des Todes des Präsidenten erfordern, könnte die hypothetische Verwicklung eines ausländischen Staates erneut drohen, die Region auf die Schiene des Krieges zu setzen und das prekäre Gleichgewicht aufzutauen, das durch das Spiel von Gegenschlägen und Gegenangriffen ein beunruhigendes Maß an Instabilität erreicht hat.

Dieser Artikel erschien zuerst auf unserer französischen Schwesterseite Révolution Permanente.

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