Hörsaalbesetzungen: Warum die Erde brennt und wie wir sie retten können

15.12.2022, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Maxi Schulz

Weltweit wurden durch die Bewegung "End Fossil Occupy!" Hörsaalbesetzungen gegen die Klimakrise organisiert. Die Uni zu einem politischen Ort zu machen, an dem gegen die Klimakrise gekämpft wird, ist ein wichtiger Schritt. Doch die Aktivist:innen der Bewegung sind unentschlossen darüber, welche Strategie es im Kampf für Klimagerechtigkeit braucht.

Zurzeit stehen noch mehrere Hörsaalbesetzungen in Deutschland und Österreich und viele weitere weltweit. Einige Besetzungen haben mit wehenden Fahnen den Hörsaal verlassen, andere, wie zum Beispiel in München oder Frankfurt, wurden teils brutal von der Polizei geräumt. Die Besetzungen werden hauptsächlich dafür genutzt, Vorträge, Diskussionen und Workshops zu organisieren. Studierende und Beschäftigte der Universität, aber auch Menschen von außerhalb kommen dort zusammen, um sich zu vernetzen und Ideen zu entwickeln, wie die Forderungen der Bewegung umgesetzt werden können. Oftmals finden auch andere Themen und Kämpfe Eingang in das Programm der Besetzungen. Es ist sehr unterstützenswert, die Universität zu einem Ort zu machen, an dem kritisch über Politik und mögliche fortschrittliche Perspektiven diskutiert wird.

Universitäten und der „grüne Kapitalismus“

Die Universität ist der zentrale Ort der kapitalistischen Ideologieproduktion. Auch wenn besonders in konservativen Kreisen Unis als „linke Hotspots“ dämonisiert werden, zeigt sich dieser Ort als wichtiges Instrument, liberale und kapitalistische Ideologie zu produzieren. Die Unis selbst gehen Kooperationen mit Unternehmen ein, die tatkräftig an der Zerstörung der Umwelt beteiligt sind. Nach den Reformen zur Verteilung von Hochschulmitteln in den 1990er Jahren, wurde ein beträchtlicher Anteil von Fördermitteln nur an die Universitäten ausgezahlt, die sich wirtschaftlich durchsetzen. Besonders Professor:innenstellen sind seitdem auf privatwirtschaftliche Drittmittel angewiesen. Deutschlandweit gibt somit über 800 Professuren, die durch Unternehmen finanziert werden. Dies ist nur ein weiterer Schritt in der Ökonomisierung der Universitäten gewesen. Unternehmen versuchen durch die Finanzierung bestimmter Bereiche in erster Linie Fachpersonal abzuwerben. Nicht-technische Forschung ist chronisch unterfinanziert und muss um die geringen staatlichen Fördermittel konkurrieren. Es werden Abhängigkeiten der Forschenden von der Förderung durch Unternehmen geschaffen, so werden wissenschaftliche Ergebnisse zwangsweise privatisiert. Die Arbeit wird so entfremdet und alleine die Unternehmen können über neue Erfindungen und Patente verfügen. Die Universitäten müssen der Allgemeinheit dienen, egalitär und offen für alle sein. Für eine Uni unter Kontrolle der Studierenden und der Beschäftigten!

Ende November besetzte „End Fossil Occupy!“, um nur ein Beispiel zu nennen, den Hörsaal H0104 an der Technischen Universität Berlin. Die Technische Universität unterhält mit verschiedenen Unternehmen Kooperationen. So stiftete der Konzern Volkswagen in der Vergangenheit z.B. die „VW-Bibliothek“. Die Aktivist:innen forderten dabei die Transparentmachung der Kooperationen und besonders im Fall von Volkswagen eine endgültige Aufkündigung des Vertrags. Die Haltung der Universitätspräsidentin Geraldine Rauch und des Vizepräsidenten Christian Schröder erscheinen hingegen als halbgar. Sie verteidigten die Kooperationen mit den Unternehmen und haben Hoffnung in nachhaltige Projekte mit multinationalen Konzernen, wie aus einem Gespräch zwischen den Aktivist:innen und der Uni-Leitung und einer E-Mail seitens des Präsidiums hervorgeht. Hoffnung in einen Konzern, dessen jährliche CO2-Emissionen auf 582 Millionen Tonnen geschätzt werden.

Dabei pflegt die TU eine lange Tradition mit VW. So wurde beispielsweise der Hochschulprofessor Ernst Fiala 1970 Leiter der Forschungsabteilung bei VW und war bis 1988 Vorstandsmitglied. Dieser konnte die Rolle von Verbrennermotoren bei dem Ausstoß von CO2 nachweisen, eine öffentliche Warnung blieb jedoch aus. Ähnlich wie große Energieunternehmen war Volkswagen seit spätestens 1983 über die eigene Rolle beim Klimawandel im Bilde. Man malte den Teufel an die Wand und sprach von „autofeindlichem Verhalten“, wenn Aktivist:innen auf die drohende Gefahr hingewiesen haben. Die Aussagen des Präsidiums zeigen dabei vor allem die Möglichkeit des Unternehmens, Druck auf den universitären Betrieb zu machen und gleichzeitig das eigene Bild als klimafreundliches und moralisches Unternehmen zu zementieren. Das geht Hand in Hand mit dem neuen Selbstverständnis von Universitäten, die sich selbst als Vorreiter des „grünen Wachstums“ verstehen. Die Ideologie, die hier vermittelt wird ist: „Der Kapitalismus könne Schritt für Schritt von seinem ressourcenverschwendenden Charakter entkoppelt werden.“ Es wird jedoch vernachlässigt, dass die konstante Aneignung der Natur und die Ausbeutung von Arbeit der kapitalistischen Produktion intrinsisch ist. Wie Marx bereits schrieb: „Die kapitalistische Produktion untergräbt die Springquellen alles Reichtums […]: die Erde und den Arbeiter“.

Der CO2-Ausstoß ist nicht so hoch, weil wir zu lange duschen oder unsere Heizung nutzen, wie uns die Grünen oder auch der Ölkonzern Shell mit dem Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“ weismachen wollen. Für 70 Prozent des CO2 Ausstoßes sind alleine 100 Konzerne verantwortlich. Außerdem verursacht ein:e Superreiche:r so viel Emissionen wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung. Die Produktions und Eigentumsverhältnisse, die der globale Kapitalismus geschaffen hat, bilden die Grundlage von Klima und Umweltzerstörung, da sich Ressourcen und Produktivkräfte in den Händen einiger Weniger konzentrieren, außerhalb von demokratischer Kontrolle und weil immer wieder mehr Stoffe akkumuliert werden müssen, was in einem tiefen Widerspruch mit den Reproduktionsbedingungen von Natur und Gesellschaft steht.

Ohne diese materiellen Bedingungen zu verändern, wird sich im Grunde nichts ändern. Aktuell sehen wir weder eine Verkehrswende noch einen schnelleren Ausstieg aus klimaschädlicher Energiegewinnung. Im Gegenteil: Die Ampelkoalition subventioniert klimaschädliche Industrien, verlängert die Nutzung von Atomenergie und bezieht Gas aus Diktaturen. Auch der Abbau von Kohle geht trotz der Proteste weiter und dies unter grünen Regierungen auf Bundes- und Länderebene. Die Industrie in Deutschland wird absolut nicht nach sozialen und ökologischen Maßstäben umgebaut, dazu sind die Kapitalist:innen und ihre Regierung nicht in der Lage, dies liegt auch nicht in ihrem Interesse. Stattdessen sinkt der Ausstoß der Industrie hauptsächlich dadurch, dass Produktionszweige ins Ausland verlagert werden.

Damit die Autoindustrie weiterhin wächst, werden klimaschädliche E-Autos produziert und mit falschen Slogans von Nachhaltigkeit vermarktet. Weiterhin werden Wälder privatisiert, was zu mehr Monokultur führt. Diese ist nämlich profitabler, erhöht aber massiv das Risiko für Waldbrände. Eine ökologische Aufforstung der niedergebrannten Wälder liegt nicht im Interesse der Waldbesitzer:innen, da sie dadurch weniger Profite erwirtschaften. Die Lage ist nicht nur in Deutschland fatal, sondern überall außer Kontrolle. Auf der ganzen Welt ereignen sich Klima- und Umweltkatastrophen, für die insbesondere die imperialistischen Länder wie Deutschland verantwortlich sind, aber genauso auch nationale Bourgeoisien. Statt zu helfen, zwingen die imperialistischen Länder mithilfe der globalen Institutionen, wie dem Internationalen Währungsfonds, die betroffenen Bevölkerungen und abhängige Regierungen dazu, Privatisierungen, Ressourcenausbeutung, Angriffe auf die Arbeiter:innenrechte und auch auf Bestrebungen nachhaltiger zu produzieren, durchzuführen und hinzunehmen. Wenn Unternehmen und Regierungen mit Nachhaltigkeit und Fortschritt werben, sind dies nicht mehr als Imagekampagnen, um weiterhin von unserer Ausbeutung und der Natur zu profitieren. Es gibt, wie wir sehen, mehr als genug Gründe im Allgemeinen und an den Universitäten für Klimagerechtigkeit zu kämpfen.

Die Strategie von „End Fossil Occupy!“

In Deutschland fordern die Aktivist:innen von „End Fossil Occupy!“ eine Übergewinnsteuer auf die Energieproduktion und langfristig ihre Vergesellschaftung. Des Weiteren fordern sie die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets und einen guten ÖPNV, welcher langfristig kostenfrei werden soll. Außerdem fordern sie den Erhalt von Lützerath und unterstützen die Kampagne „Genug ist Genug“. 

Mit diesen Forderungen geht die Bewegung bereits weiter als die „Letzte Generation“, welche mit Straßenblockaden die Fortführung des 9-Euro-Tickets und ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen erreichen will. Die österreichische Vernetzung der Bewegung „Erde brennt“, präsentiert ein weitergehendes Programm. Sie fordern unter anderem ein Ende von Outsourcing an den Universitäten, die Offenlegung der Geschäftsbücher der Unis, ein Ende der Kooperation mit Unternehmen aus der Waffenindustrie und weiteren klimaschädlichen Branchen, sowie viele Maßnahmen, die die Universität ökologischer machen sollen. Außerdem wollen sie die befristeten Arbeitsverträge an den Universitäten beenden, gegen die sich im Zuge der Tarifvertragsverhandlungen eine Protestbewegung wendet.

Auch wenn über das Programm der österreichischen Gruppe sicherlich noch diskutiert werden kann, enthält es mehr und weitergehende Forderungen. Lange Zeit stimmten die meisten Gruppen der Klimabewegung darin überein, ihr Programm eher minimal zu halten. Dies tun sie, da sie davon ausgehen, dass sie mit möglichst trivialen Forderungen einfacher eine breitere Masse von Menschen erreichen können. Minimalforderungen haben, wie wir an den letzten Protesten von Fridays For Future sehen können, durchaus eine mobilisierende Wirkung, aber sie entwickeln das Bewusstsein der mobilisierten Massen nicht weiter, weshalb die Bewegung auf der Stelle tritt. Was die Bewegung braucht, sind Übergangsforderungen, welche mit der kapitalistischen Logik brechen und von den Universitäten ausgehend das Bewusstsein der Massen dahingehend verändern, dass die Krisen unserer Zeit nur durch den Sturz des Kapitalismus bewältigt werden können. Doch wie könnten wir so ein Programm, oder auch nur die trivialen Forderungen durchsetzen, die die Politik seit Jahren ignoriert?

In den Strukturen von „End Fossil Occupy!“ sind viele Menschen aus unterschiedlichen Klimagruppierungen aktiv. Einige davon sind beispielsweise die Letzte Generation, Fridays For Future, Extinction Rebellion und Ende Gelände. Es gibt in der Bewegung keine homogene Strategie. Die Letzte Generation setzt auf Aktionen des zivilen Ungehorsams, welche eine gewisse Skandalwirkung haben sollen, um das „Klimathema“ in die Medien zu bringen. Fridays For Future setzt auf die Mobilisierung vorwiegend junger Menschen mit Appellen an die Regierung. Der Großteil der Bewegung lässt sich grob diesen beiden Strategien zuordnen. Forderungen an die Regierung, die mit zivilem Ungehorsam oder breiten Mobilisierungen durchgesetzt werden sollen, sind die dominierenden Ideen.

Für eine sozialistische Antikrisenstrategie!

Doch wenn die Regierungen den Klimawandel befeuern, ihn ignorieren oder nur unzureichende Maßnahmen ergreifen und sich über die Mobilisierungen und den zivilen Ungehorsam hinwegsetzen, wie sollten wir dann weitermachen? Die Arbeiter:innenklasse verfügt über eine besondere, strategische Position, denn sie kontrolliert alle für das kapitalistische System essenziellen Sektoren. In Frankreich haben im Herbst die Arbeiter:innen beim größten Ölkonzern der Welt „Total“ gestreikt. Sie legten 60 Prozent der Raffinerien lahm und führten damit die Regierung in eine schwere Krise. Die ultraliberale Macron-Regierung zwang die Arbeiter:innen ihren Streik zu beenden und drohte mit mehrmonatigen Haftstrafen. Dagegen bildete sich eine solidarische Streikbewegung, der sich neben Beschäftigten der Automobilindustrie und Lehrer:innen auch die Beschäftigten in acht Atomkraftwerken anschlossen. Mit einem Streik in einer Öl-Raffinerie lässt sich ein größerer Druck und eine weitaus andere Dynamik erzeugen als mit einer Straßenblockade oder mit Suppen, die auf Gemälde geworfen werden.

Die Klimabewegung muss daher versuchen, Allianzen mit der Arbeiter:innenklasse zu bilden. Es gibt immer wieder einige Beispiele, wie dies gelingt. Ende November haben die Beschäftigten der Bahn in Österreich Klimaaktivist:innen zu ihrem Streik eingeladen, um gemeinsam für einen sozialen und ökologischen Schienenverkehr zu kämpfen. Auch international lassen sich zahlreiche dieser Beispiele finden. Doch trotzdem werden Streiks und Gewerkschaften vonseiten der Klimabewegung in der Regel eine geringe Bedeutung zugemessen. Und dies, obwohl die bewegungsorientierte Linke überwiegend realisiert hat, dass sie alleine nicht genug Druck zustande bringt. Ein besonders starker Ausdruck dieses strategischen Fehlers war die Hafenblockade von Ende Gelände im Sommer. Während die Hafenarbeiter:innen streikten oder streiken wollten, mobilisierte Ende Gelände, um den Hafen zu blockieren ohne sich vorher mit den Arbeiter:innen abzusprechen oder mit ihrem Kampf zu solidarisieren, was für großen Unmut bei den Hafenarbeiter:innen sorgte. Die Klimabewegung hat richtigerweise die Bedeutung von zentralen Orten der kapitalistischen Produktion, wie bspw. den Häfen erkannt. Doch sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass die Beschäftigten dort kein Interesse hätten, gegen die Krisen unserer Zeit zu kämpfen und blockieren daher lieber selbst kleine Teile der Logistik, was nur eine geringe Wirkung entfalten kann.

Streiks sind ohne Zweifel die stärkste Waffe, die wir im Kampf gegen Bosse und Regierungen haben. Ohne Streiks können wir den Kapitalismus nicht lahmlegen und überwinden, genau diesen systemischen Wandel braucht es aber, um den Klimawandel zu verringern und aufzuhalten. Auch wenn die meisten Studierenden nicht streiken können, müssen wir an der Uni darüber diskutieren, wie wir Streiks ausweiten und mit ökologischen Aspekten verbinden können. Wie wir die Gewerkschaften von der sozialpartnerschaftlichen Bürokratie zurückerobern, um konsequent für unsere Interessen gegen die der Kapitalist:innen und ihrer Regierung zu kämpfen. Ohne den Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung, die gemeinsam mit Studierenden und Klimaaktivist:innen kämpft, wird der Klimawandel ungehindert fortschreiten und insbesondere die ärmsten und prekärsten Sektoren der Gesellschaft treffen. Statt Appellen an die Regierungen braucht es ein Programm des Übergangs, welches Forderungen stellt wie beispielsweise die Enteignung der klima- und umweltschädlichen Industrien unter Arbeiter:innenkontrolle und deren Umbau nach ökologischen und sozialen Maßstäben. Auch wenn viele Teile der Klimabewegung darin übereinstimmen, dass der Kapitalismus verantwortlich für den Klimawandel ist, fehlt es ihnen an einer Strategie, die über symbolische Aktionen und breite Proteste hinausgeht und vollständig mit dem Reformismus bricht. Doch diese ist notwendig, wenn wir erfolgreich gegen den Klimawandel vorgehen wollen. Die Hörsaalbesetzungen sind auch diesbezüglich ein guter Schritt, weil sie uns die Möglichkeit geben, darüber zu diskutieren und unsere Erfahrungen zu teilen. Wie wir zum Beispiel anhand der Besetzung in München sehen können, kann es auch gelingen, über diese Diskussionen hinauszugehen. Aus dem Hörsaal wurde Solidarität mit dem Kampf von Münchener Hebammen, für den Erhalt ihres Kreißsaals in Neuperlach ausgedrückt.

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