Tierklinik der FU Berlin: Todesgefahr wegen Personalmangel
In der Tierklink der FU Berlin kam es an Weihnachten zu einem gefährlichen Arbeitsunfall. Die Universität missachtet zudem das Mitbestimmungsrecht des Personalrats. Wir spiegeln diesen Artikel von der jungen Welt.
Während die meisten Menschen am Weihnachtsabend 2017 gemütlich mit der Familie feierten, verbrachte Tierpfleger Uwe Bongé diesen zusammen mit den Schweinen und Rindern der Freien Universität Berlin (FU). Anschließend – und nach fünf aufeinanderfolgenden Nachtschichten – wollte er erst einmal in den wohl verdienten Urlaub gehen. Doch statt dessen wachte er kurz vor Silvester auf der Intensivstation der Charité auf.
Gleich in drei Tierkliniken der FU sollte Bongé in jener Nachtschicht alleine arbeiten, erzählt der ehemalige Tierpfleger der jW – in der Fortpflanzungs-, der Schweine- und der Klauentierklinik. In der Fortpflanzungsklinik musste er eine Gruppe Kälber tränken, die unzulässigerweise als Gruppe in einer Pferdebox untergebracht waren. Kollegen von Bongé berichteten gegenüber jW, dass die Kälberboxen zu diesem Zeitpunkt mit einem möglicherweise profitableren Kaninchenexperiment belegt waren. Mit den Nuckeleimern für die Kälber in den Händen, versuchte Bongé die schwere Schiebetür der Pferdebox aufzuschieben. »Ich habe probiert, mit Händen und Füßen die aufgeregten Kälber abzuwehren«, erzählt Bongé. »Aber eins ist mir ausgebüxt und unter einen angeketteten Bullen gelaufen.« Durchaus keine ungefährliche Situation, die ein schnelles Handeln erfordert, da das Kalb von dem Bullen hätte zertrampelt werden können. Da Bongé alleine auf Schicht war, versuchte er das 120 Kilogramm schwere Kalb unter dem aufgeregten Bullen am Schwanz hervorzuziehen. »Aber das Kalb hat mich unter den Bullen gezogen«, erinnert sich Bongé. Der sehr nervöse Bulle hatte den Kopf gesenkt und sich gedreht, um zu sehen, was da unter ihm passiert. Dabei spießte er Bongé auf und drückte ihn gegen die Wand.
»Als ich zu Boden gesackt bin, konnte ich noch aus der unmittelbaren Nähe des Bullen kriechen. Dann habe ich um mich gegriffen«, erzählt Bongé, »und meine ganzen Gedärme lagen um mich verteilt.« Es war pures Glück im Unglück, dass sich sein Handy auf der unverletzten Seite befand und er den Bereitschaftstierarzt kontaktieren konnte. Sonst wäre er wohl erst zehn Stunden später von der Frühschicht gefunden worden. Bongé ist nie wieder zum Dienst gekommen. Seit dem Arbeitsunfall ist er aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung berufsunfähig. »Noch immer habe ich Tag und Nacht Alpträume«, erzählt Bongé, der immer wieder betont, dass der eigentlich sehr liebe Bulle nicht schuld an dem Unfall ist.
Schuld an dem Unfall dürfte eher der chronische Personalmangel an den Tierkliniken sein. Wäre Bongé nicht alleine im Stall gewesen, wäre der Unfall wahrscheinlich nicht passiert. Gerade die Arbeit mit Großtieren kann sehr gefährlich sein. Laut Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) kam es im Jahr 2021 zu etwa 4.700 meldepflichtigen Unfällen bei der Arbeit mit Rindern. Sieben davon endeten tödlich. Viele Arbeiten im Großtierstall verbietet die SVLFG alleine zu verrichten. Andererseits tragen die Pfleger Verantwortung für das Tierwohl und können diese nicht leiden lassen, nur weil gerade nicht genug Personal da ist. Ob es an der FU überhaupt Dienstanweisungen gibt für den Umgang bei Konflikten zwischen Tier- und Arbeitsschutz, ist unklar. Eine Anfrage dazu ließ die FU unbeantwortet.
Ob Dienste im Einklang mit Arbeitsschutz und Tarifrecht stehen, muss normalerweise der Personalrat der FU prüfen. Ob der Personalrat damals Nachtschichten in Alleinarbeit genehmigte, ist auch unklar. Der bis 2020 amtierende Personalrat, dem an der FU eine große Nähe zur damaligen Kanzlerin Andrea Bör nachgesagt wird, hätte laut Verdi-Betriebsgruppe nach verlorener Wahl alle Unterlagen vernichtet. Dem neuen Personalrat werden die Dienstpläne nicht zur Mitbestimmung vorgelegt.
An der Praxis, dass Beschäftigte Nachtdienste in Alleinarbeit verrichten müssen, hat sich laut Beschäftigten nichts geändert. Um die Dienstpläne in bezug auf Arbeitsschutz prüfen zu können, zog der Personalrat vor Gericht. Kurz vor dem Amtsgerichtstermin am 17. Mai räumte die FU schriftlich ein, dass sie durch das Nichtvorlegen der Dienstpläne gegen das Mitbestimmungsrecht des Personalrates verstößt. Doch trotz des Richterspruchs dürfte sich wohl wenig an der Praxis ändern. Der FU drohen keine Konsequenzen. Auf die Frage, ob die FU künftig die Dienstpläne dem Personalrat vorlegen würde, antwortete diese lediglich: »Die Freie Universität Berlin prüft die Konsequenzen, die sich aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts ergeben.«