Thyssenkrupp: Wie kann der Stellenabbau verhindert werden?

29.08.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Wikipedia Commons

Thyssenkrupp plant, bis zu 10.000 Arbeitsplätze in der Stahlsparte zu vernichten und mehrere Produktionsstätten zu schließen. Die Arbeiter:innen wehren sich mit Protesten und Blockaden. Wie kann der Kampf erfolgreich werden?

Der Industrie- und Rüstungskonzern Thyssenkrupp plant eine weitreichende Umstrukturierung bei der Tochterfirma thyssenkrupp Steel Europe AG. Diese unterhält sechs Stahlwerke, vor allem im Ruhrgebiet, und beschäftigt etwa 27.000 Arbeiter:innen. Der Vorstand von thyssenkrupp Steel Europe AG legte einen Businessplan vor, der die Reduzierung der Produktionskapazitäten von 11,5 Millionen Tonnen Stahl auf 9,5 Millionen Tonnen pro Jahr vorsieht. Doch dem Chef des Mutterkonzerns, Miguel Ángel López Borrego geht dieser nicht weit genug: Er strebt laut Berichten eine Reduzierung um die Hälfte, also auf 6 Millionen Tonnen an. Was es bräuchte, sei „ein nüchterner, realistischer Blick in die Zukunft ohne Hoffnungswerte und ohne Schönfärberei“, ließ López zynisch verlautbaren. Die Folgen dieser Umstrukturierung wären verheerend. Mehrere Hochöfen und weiterverarbeitende Anlagen müssten geschlossen werden, was zur Schließung von ganzen Standorten führen würde. 9000 bis 10.000 Arbeitsplätze würden vernichtet werden. 

Arbeiter:innen leisten Widerstand

Die Industriegewerkschaft IG Metall, in der ein großer Teil der Stahlbeschäftigten organisiert ist, kritisierte den geplanten Kahlschlag scharf: „Stahl würde halbiert. Es droht ein Horror mit halber Hütte“. Das restriktive deutsche Streikrecht erlaubt es Gewerkschaften nur für tarifierbare, also in Arbeitsverträgen regelbare Forderungen und nur nach Verhandlungen mit der Kapitalseite zum Streik aufzurufen. In der aktuellen Situation darf die IG Metall, die sich in der Regel dem Streikrecht beugt, ihre Mitglieder rein rechtlich also nicht zur Arbeitsniederlegung aufrufen. Dennoch konnten Arbeiter:innen in den Thyssenkrupp-Werken in Dortmund, Duisburg und Hagen am vergangenen Donnerstag einen weitgehenden Stillstand der Produktion erwirken. In Duisburg blockierten hunderte Arbeiter:innen erfolgreich die Werktore am vergangenen Donnerstag und erneut am darauffolgenden Dienstag. 

Diese Maßnahmen des Arbeitskampfes wurden dadurch möglich, dass die Betriebsräte an allen Standorten Informationsveranstaltungen abgehalten haben, in denen die Beschäftigten über die drohenden Schließungen und Jobverluste informiert wurden und dafür ihre Arbeit niederlegten. 

Die Aktionär:innen des Konzerns versuchen bereits, die Arbeiter:innen zurechtzuweisen: „Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Thyssen-Krupp AG sind in großer Sorge bezüglich des Auftritts und der Kommunikation von Arbeitnehmervertretern. Insbesondere verurteilen wir die emotionale Aufladung und teils gezielt verletzende Verunglimpfungen und persönliche Anfeindungen“, heißt es in einem Statement des Aufsichtsrats. Am heutigen Donnerstag wird der Aufsichtsrat in Duisburg über die Kürzungspläne diskutieren. Konzernchef López wird sich dabei voraussichtlich online dazuschalten, aus Angst vor protestierenden Stahlarbeiter:innen. Neben dem Zynismus der Bosse –sie greifen die Existenzgrundlage von tausenden Menschen an und beklagen sich dann über deren fehlende Freundlichkeit– zeigt diese Reaktion auch die potentielle Macht der Arbeiter:innen: der Aufsichtsrat ist besorgt, dass der Kampf der Beschäftigten ihren Plänen einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Der große Andrang bei den Betriebsaktionen zeigt, dass die Stahlarbeiter:innen entschlossen sind, für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. Doch wie kann das gelingen und welche Rolle kommt der IG-Metall-Führung dabei zu?

Die Sackgasse der Sozialpartnerschaft

Auch Jürgen Kerner wird beim Treffen des Aufsichtsrats sein. Er ist sein stellvertretender Vorsitzender und gleichzeitig ist er zweiter Vorsitzender der IG Metall. Aufsichtsräte bei Thyssenkrupp erhalten eine Grundvergütung von 70.000 Euro pro Jahr, IG-Metall-Vorstandsmitglieder verdienen monatlich fünfstellige Beträge.

Daran zeigt sich das Problem der Sozialpartnerschaft, also der institutionalisierten Zusammenarbeit von Gewerkschaftsfunktionär:innen mit dem Kapital. Diese bildet eine Säule des deutschen Kapitalismus, indem sie Arbeitskämpfe in ungefährliche Bahnen lenken soll und ist bei der IG Metall besonders stark ausgeprägt. An der Spitze der Gewerkschaften stehen hoch bezahlte Bürokrat:innen, die alle zentralen Entscheidungen treffen, an einem Tisch mit den Bossen sitzen und nicht von der Gewerkschaftsbasis gewählt und kontrolliert werden. Damit nehmen sie die Rolle von Co-Manager:innen kapitalistischer Unternehmen ein. Anstatt konsequent die Interessen der Beschäftigten zu vertreten und einen kompromisslosen Kampf gegen die Kapitalinteressen zu organisieren, versuchen sie, die beiden Seiten miteinander zu versöhnen und hintergehen damit letztlich ihre Basis.  

Die IG-Metall-Führung ist somit kein Hoffnungsträger für den Erhalt der Arbeitsplätze in der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie, sondern eher eine Gefahr. Ein Beispiel bietet die Schließung des Voith-Werks in Sonthofen, wo sie sich auf die Aushandlung eines Sozialtarifvertragvertrags beschränkte und vor den Umstrukturierungsplänen des Konzerns kapitulierte. Am Ende verkaufte der IG-Metall-Verhandlungsführer die Niederlage noch als Erfolg, mit dem Hinweis auf die „angemessenen Abfindungen“. 

Damit der Kampf gegen die Arbeitsplatzvernichtung bei Thyssenkrupp also erfolgreich werden kann, dürfen die Entscheidungen nicht in den Händen der Bürokratie bleiben. Notwendig ist stattdessen die Selbstorganisierung an der Basis. Es braucht werksübergreifende Versammlungen, die auch nicht gewerkschaftlich organisierten, prekären und outgesourcten Beschäftigten in den Werken, sowie Angehörigen und Solidarischen offenstehen. Dort sollten Beschäftigte demokratisch diskutieren und einen Kampfplan gegen die geplante Umstrukturierung aufstellen können. Anstatt der Taktik der Gewerkschaftsführer:innen, die sich auf Verhandlungen mit der Kapitalseite konzentriert, braucht es eine Ausweitung der Blockaden und Mobilisierung, echte Streiks und eine Kampagne, die auch Menschen, die nicht bei Thyssenkrupp beschäftigt sind, in den Kampf miteinbeziehen kann. 

Für Verstaatlichung unter Arbeiter:innenkontrolle

Die einzige Perspektive, die die Gewerkschaftsbürokratie anbieten kann, ist es, den Thyssenkrupp-Konzern dazu zu bewegen, die Standorte zu behalten oder die Schließung zu verzögern und das ohne Garantie auf Erfolg. Doch es gibt auch andere Möglichkeit: Die Verstaatlichung der Stahlwerke unter Arbeiter:innenkontrolle. 

Dieser Weg würde nicht nur ermöglichen, alle Arbeitsplätze ohne Lohneinbußen dauerhaft zu erhalten, sondern den Arbeiter:innen auch ermöglichen, die Produktion selbst zu verwalten. Damit bietet diese auch eine große Perspektive gegen die Militarisierung und die Klimakatastrophe.

Solange die Stahlwerke in Hand des Thyssenkrupps-Konzerns bleiben, ist der einzige Maßstab dafür, was und wie produziert wird, die maximale Profitabilität, auch wenn es sich dabei um Kriegsschiffe, Munition und U-Boote handelt, die in Gaza, der Ukraine und anderswo morden. Mit der Verstaatlichung unter Arbeiter:innenkontrolle könnte sich das ändern. Die Arbeiter:innen wären nicht nur dazu ermächtigt, selbst über ihre Arbeitsbedingungen zu bestimmen und beispielsweise eine Arbeitszeitverkürzung umzusetzen, sondern auch die Produktion nach ihren Interessen umzugestalten. Mit der Umstellung auf ausschließlich zivile Produktion könnte die imperialistische Kriegsmaschine geschwächt und den Aufrüstungsplänen der Regierung kraftvoll entgegengetreten werden. 

Auch könnte so ein Gegenbeispiel zu Konzepten des „Grünen Kapitalismus“ aufgezeigt werden, der weder dem Umweltschutz noch den Arbeiter:innen nützt: Mit der Umgestaltung der Stahlproduktion nach ökologischen Kriterien. Eine Kampagne für die Verstaatlichung der Stahlwerke unter Arbeiter:innenkontrolle könnte einen wichtigen Schritt für den Schulterschluss von Antikriegsbewegung, Klimabewegung und Arbeiter:innenbewegung darstellen. Gleichzeitig könnte so für eine wichtige Stellung für die Arbeiter:innenklasse in einem strategischen Sektor gekämpft werden, die die Macht des Kapitals herausfordert, Strahlkraft auf breitere Sektoren entwickeln und so das Selbstvertrauen und die Stärke der Arbeiter:innenbewegung insgesamt vorantreibt. 

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