Warum wurde gestreikt?
Anders als ein Großteil der Medien berichtete, waren die schlechten Lebensbedingungen zwar durchaus ein Grund, aber nicht das eigentliche Anliegen des Streiks. Den Geflüchteten ging es vor allem um eine Kürzung des Lageraufenthalts, der zuvor auf 24 Monate verlängert wurde. Besonders Kinder, schwangere Frauen und kranke Menschen würden unter der tristen und aussichtslosen Lebenssituation leiden. Ein weiterer Grund ist die pauschale Ablehnung von Asylanträgen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Aushändigung von unzureichenden Identifikationspapieren um Arbeit zu finden oder das Transit-Zentrum zu verlassen. Stattdessen sind die Menschen aus Sierra Leone ständiger Angst vor Abschiebung nach Italien ausgesetzt.
Aufgrund des Dublin-Abkommens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft müssen Asylverfahren in dem Land bearbeitet werden, in dem Geflüchtete nachweislich zuerst angekommen und registriert wurden – im Falle vieler Sierra-Leonischer Geflüchtete ist das Italien, wo Obdachlosigkeit und weitere soziale Ausgrenzung drohen, sofern Geflüchtete hierhin abgeschoben werden. Im Einzelnen bleiben geflüchtete Menschen über ihr Schicksal im Unklaren und erfahren erst nach 24-monatigem Aufenthalt, ob ihnen Asyl gewährt wird oder sie abgeschoben werden. Ein Geflüchteter dazu:
We are staying in the camp for two years, then we will know if they accept you or not, and then maybe deport you to Italy. And police started to come for people in the camp. So this is what led to the protest actually. (Wir sind für zwei Jahre im Lager, dann wissen wir, ob wir anerkannt werden oder nicht, ob wir vielleicht nach Italien abgeschoben werden. Die Polizei hat begonnen, Leute aus dem Lager zu holen. Das führte eigentlich zum Protest)
Der Mann erzählt uns weiter, dass er Kontakt zu Menschen aus Sierra Leone hat, die nach Italien abgeschoben wurden und dort auf der Straße leben. Uns wurde mitgeteilt, dass auch schwangere Frauen, Kinder und kranke Menschen abgeschoben würden.
People are suffering in Italy, so when they catch you here and deport you to italy, it is nothing else than going to lose your life. (Menschen leiden in Italien. Wenn sie dich hier also holen und nach Italien abschieben, bedeutet das nichts anderes als dein Leben zu verlieren.)
Geflüchtete zeigen uns Fotos von Verletzungen, die sie auf Polizeiübergriffe zurückführen:
Den Geflüchteten ist es besonders wichtig, zu verdeutlichen, warum sie geflohen sind. Es gibt vermehrt Berichte über Frauen aus Sierra Leone, die Opfer von Genital-Verstümmelung wurden. Obwohl diese Frauen ärztliche Bescheinigungen dafür hatten, was ihnen angetan wurde, wurden auch ihre Anträge vom BAMF abgelehnt. Zudem schränken korrupte Politiker*innen sowie internationaler Rohstoff-Raub, besonders von Diamanten, welcher mit Landraub einhergeht, die Lebensmöglichkeiten von Menschen aus Sierra Leone ein.
Die Lebensbedingungen im Lager
Bis zu 50 Personen müssen sich sanitäre Einrichtungen teilen, es gibt Fälle von viralen Infekten mit Hepatitis B und es bestehen nur wenig Möglichkeiten, Deutsch-Kurse zu besuchen. Anders als Rechte und AfD-Ahänger*innen suggerieren, sind die Bedingungen im Abschiebe-Lager tatsächlich schlecht. Zwei Gebäude bilden zusammen einen Komplex in einem Industriegebiet in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs in Deggendorf. Ein mit hohen, massiven Zäunen umringter Altbau, der zuvor als Erstaufnahmeeinrichtung diente wird nun als besagtes Abschiebe-Lager genutzt. Hier teilen sich zum Teil bis zu acht Menschen ein 15m² großes Zimmer. Nebenan wurde eine ehemalige Lagerhalle saniert, die als neue Erstaufnahme-Stelle dienen soll. Hier wurden Schlafräume für vier Personen mit 30m² angelegt.
Die Geflüchteten erzählen uns von ihrer Angst, krank zu werden. Die hygienischen Bedingungen im Abschiebe-Lager sind miserabel. Der Virusinfekt Hepatitis B ist eine der Haupt-Sorgen. Bei Erwachsenen gibt es eine nahezu vollständige Heilungschance, chronische Symptome können jedoch entstehen. Ein Geflüchteter berichtete uns, dass er zwar von einem Arzt die positive Diagnose für das Hepatitis-B-Virus bekommen hätte, zum derzeitigen Stand jedoch keine Behandlung in Aussicht wäre.
They made a test with me and said I have hepatits B. And there is no medication for me because the government will not pay money for that now. That’s why at night I feel the symptoms. So I asked: What is my treatment now? They said, the government needs to pay for that before my treatment. … That’s always what they told me. I have the paper, the medical results that I have hepatitis B and they don’t give me treatment. (Sie haben mich getestet und gesagt, ich habe Hepatitis B. Und es gibt für mich keine Behandlung, weil die Regierung dafür jetzt kein Geld ausgibt. Deshalb spüre ich nachts die Symptome. Also fragte ich: Was ist jetzt meine Behandlung? Sie sagten, die Regierung muss vor der Behandlung zahlen. … Das haben sie mir immer gesagt. Ich habe die Untersuchungs-Ergebnisse, dass ich Hepatitis B habe und sie geben mir keine Behandlung.)
Geflüchtete erzählen uns immer wieder von ihren Wünschen für ihre Kinder. Sich ein friedvolles Leben, ohne prekäre Bedingungen, aufzubauen. Deutsch-Kurse als ersten Schritt zur Erfüllung eines selbstbestimmten Lebens in Deutschland bekommen nur Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 20 Jahren. Das Alter mancher Geflüchteter wurde aber entgegen ihrer Angaben älter vermerkt, was ihnen den Zugang zu Deutsch-Kursen verwehrte.
„They gave me 21 years of age. I said, I am not 21, but they gave me the age. So now I am sitting here without having school. And you have to know the language.“ (Sie haben mein Alter auf 21 geschätzt. Ich sagte, ich bin nicht 21, aber sie haben das Alter geschätzt. Jetzt sitze ich hier ohne Schule. Und du musst die Sprache können.)
So you have less chances of getting courses? (Hast du also weniger Chancen, (Sprach-)Kurse zu bekommen?)
„Yes.“ (Ja.)
Do other refugees have similar experiences? (Haben andere Geflüchtete ähnliche Erfahrungen?)
„Yes.“ (Ja.)
Der Protest ist wichtig für die Geflüchteten, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Die Situation im Abschiebe-Lager bleibt sonst fatal.
Rassist*innen provozieren – Solidarität ist nötig
Nachdem die Geflüchteten in Streik getreten waren, kam es zu einer Demonstration von rund 150 Personen, um bei den Deggendorfer*innen auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Von Seiten der Geflüchteten gab es keine Zwischenfälle, jedoch wurde die Demonstration von Faschist*innen des ‚III. Wegs‘ begleitet und eine Politikerin der AfD nutzte die Gelegenheit, um über einen Livestream via Facebook die Demonstrant*innen zu filmen, zu bedrängen und rassistisch zu beleidigen. Uns wurde berichtet, dass die Demonstrations-Teilnehmer*innen von rechten Provokateur*innen mit Schnee beworfen wurden. Auch vor den Augen der Polizei:
The only thing was that we were booed at by some racist people. They were throwing ice on us. Some were treating us this racist way in front of the police, but we try at least to talk to our colleagues so, that they will understand our demands. There was no violence anyway. We maintained peace and respected the police. (Die einzige Sache war, dass wir Buh-Rufe von einigen rassistischen Menschen bekamen. Sie warfen Eis auf uns. Einige behandelten uns rassistisch und das direkt vor der Polizei, aber wir wollten zumindest mit unseren Kolleg*innen sprechen, damit sie unsere Forderungen verstehen. Es gab keine Gewalt. Wir blieben friedlich und respektierten die Polizei.)
Provokationen gingen und gehen von Rechten und Rassist*innen aus, die versuchen, den Protest der Geflüchteten zu delegitimieren. Es ist für die Geflüchteten wichtig, solidarisch zu sein. Sie können ihr Menschsein nicht ändern, aber gemeinsam mit ihnen können wir die unmenschlichen Bedingungen ändern.
Am 23. Dezember kam es zu einer Spontan-Demonstration von rund 100 Unterstützer*innen durch Deggendorf, die in einer Party mit den Geflüchteten vor dem Abschiebe-Lager endete. Es wurde gemeinsam getanzt und Parolen gerufen: „Stop deportations! (Keine Abschiebungen mehr!)“ oder „The refugees united will never be defeated! (Vereint werden die Geflüchteten nie besiegt!)“: