Tarifrunde SuE: Warum wir Erzieher:innen die Einigung ablehnen sollten
Ver.di spricht von einem erfolgreichen Ergebnis für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE). In Wirklichkeit handelt es sich um kosmetische Verbesserungen, die auf die dringenden Probleme des Personalmangels und des Reallohnverlustes durch die steigende Inflation fast keine Auswirkungen haben. Der Tarifvertrag soll fünf Jahre gelten.
Seit Mittwochnacht, 18. Mai liegt bei der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE), die seit dem 25. Februar andauert, ein Ergebnis vor. Die VKA (Vereinigung kommunaler Arbeitgeber:innen) blockierte bisher die Verhandlungen, indem sie sich nicht mal im Geringsten für die Forderungen der Beschäftigten interessierte. Doch die ver.di-Verhandlungsführung gab dem Druck nach, anstatt einen Gegendruck aufzubauen. Sie verzichtete auf mehrere Forderungen aus ihrem Katalog, um einen Erzwingungsstreik zu vermeiden und die Kolleg:innen mit Krümeln abzuspeisen.
Was bedeutet das Ergebnis?
Die wesentlichen Ergebnisse im Einigungspapier sind folgende:
- Erzieher:innen im kommunalen öffentlichen Dienst erhalten ab dem 1. Juli monatlich 130 Euro mehr, für Sozialarbeiter:innen sind es 180 Euro und für Praxisanleitungungen 70 Euro mehr
- Zwei sogenannte Entlastungstage zusätzlich zum Urlaub. Weitere zwei solcher Entlastungstage sind zusätzlich wählbar, dafür müssen Beschäftigte dann jedoch auf Entgelt verzichten
- Verkürzung der Stufenlaufzeiten durch Anpassung an die allgemeinen Stufen im öffentlichen Dienst ab dem 1. Oktober 2024
- Die Auszubildenden in der Heilerziehungspflege bekommen zum ersten Mal eine tarifliche Ausbildungsvergütung
- Ausdehnung der Vorbereitungszeit auf 30 Stunden im Kalenderjahr
- Fünf Jahre Laufzeit des Tarifvertrags
Angesichts der gegenwärtigen Inflationsrate von 7,4 Prozent verhindert die Zulage den Reallohnverlust nicht, sie vermindert ihn nur. Die Tarifkommission hat einen faulen Kompromiss verhandelt, weil die Bedürfnisse der Arbeiter:innen den Interessen der kommunalen Arbeitgeber untergeordnet wurden. Ein Inflationsausgleich hätte drin sein müssen, weil die steigenden Lebenskosten ein Alltagsgespräch unter Kolleg:innen und Eltern sind. Die höhere Eingruppierung in der TVöD-Entgelttabelle SuE (z.B. auf Stufe 8b für Erzieher:innen, auf Stufe 4 für Kinderpfleger:innen) wurden nicht erreicht. Die Verkürzung der Stufenlaufzeiten ist schon überfällig, da eine Ungleichheit zur allgemeinen Tabellen im öffentlichen Dienst besteht. Doch die Umsetzung findet erst im Jahr 2024 statt.
Wenn es um die Erziehung geht, fällt der Regierung plötzlich ein, dass sie sparen muss. Für die Aufrüstung und Konzerne ist aber immer Geld da.
Damit die zusätzlichen 2+2 Entlastungstage tatsächlich für Entlastung und Regeneration sorgen, braucht es eine wirkliche Aufhebung des Personalmangels. Ansonsten wird die Entlastung einiger Kolleg:innen zur Überlastung anderer Kolleg:innen im selben Betrieb. Kleine Betriebe mit wenig Personal können diese Tage kaum wahrnehmen. Außerdem sind die +2 Tage faktisch unbezahlte Urlaubstage. Die Entlastung passiert nicht nur durch Urlaub. Die Kolleg:innen brauchen die Entlastung im Arbeitsalltag, damit die Begleitung, Förderung und Unterstützung der Kinder endlich im Fokus steht!
Die Ausdehnung der Vorbereitungszeit war eine Forderung, die zwar umgesetzt wurde, aber nur in abgeschwächter Form. 2,5 Stunden im Monat sind zu wenig, um pädagogische Angebote vorzubereiten. Die Gruppen sind zu groß, um die individuellen Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen und ihnen den Raum und die Zeit zu geben, die sie brauchen.
„Das ist ein weiterer maßgeblicher Schritt, um die Berufe im Sozial- und Erziehungswesen attraktiver zu machen und wirksam gegen Fachkräftemangel vorzugehen“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke über das Ergebnis. Ich frage mich, wie oft er die Einrichtungen im SuE besucht. Denn viele Menschen, die hier arbeiten, sind unzufrieden mit dem Ausgang der Tarifrunde. Es wurde die Chance verpasst, gegen den Personalmangel effektive Maßnahmen einzuleiten.
Frank Werneke übersieht die wichtigste Quelle gegen Personalmangel, nämlich die Gewinnung neuer Azubis durch bessere Arbeits- und Lernbedingungen. Bis auf die höhere Vergütung der Heilerziehungspflege-Ausbildung wurde nichts zugunsten der Auszubildenden erreicht, obwohl sie von der Inflation enorm betroffen sind. Die Azubis in der 5-jährigen Erzieher:innen-Ausbildung sind auf BAföG angewiesen, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Die OptiPrax-Azubis mit 3-jähriger Ausbildung, die die Hälfte ihrer Ausbildung im Betrieb verbringen, bekommen zwar 1309,29 Euro Brutto, leiden aber unter dem Reallohnverlust angesichts der Inflation.
Zusätzlich zu hohen Mieten kommen Preissteigerungen von Lebensmitteln und Energieversorgung. Sie sind aber von den Zulagen ausgeschlossen. Da die OptiPrax-Azubis zwischen der Schule und der Praxis abwechseln, dienen sie angesichts des Personalmangels als Feuerlöscher, damit die Einrichtungen wegen Unterbesetzung nicht schließen müssen. Auszubildende nehmen schon in den ersten Einsätzen im Berufsalltag die enorme Belastung wahr, die ihre Perspektive auf die kommenden Berufsjahre prägen wird. Bei einem Rahmentarifvertrag erwartet man durchaus auch Ergebnisse für die Auszubildenden.
Die Kinderpfleger:innen bleiben wieder unterrepräsentiert, obwohl sie einen sehr wichtigen Bestandteil der Kindererziehung ausmachen. Sie sind kompetent, aber prekär. Ihre Qualifizierungsmöglichkeiten zu Erzieher:innen sind beeinträchtigt, sie sind unterbezahlt und zahlreiche migrantischen Erzieher:innen werden hierzulande zu Kinderpfleger:innen heruntergestuft, weil ihre Abschlüsse aus dem Ausland nicht anerkannt werden.
Aufgrund der starken Belastung im Beruf denkt derzeit rund 25 Prozent des Personals darüber nach, aus dem Beruf auszusteigen. Bei einem Rahmentarifvertrag geht es zunächst darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um gegen den Personalmangel effektiv vorzugehen. Dieses Ergebnis wird sie nicht überzeugen. Angesichts der dringenden strukturellen Probleme in dem Bereich bedeutet die Vereinbarung der Laufzeit von fünf Jahren die Rufe von Kolleg:innen nach Verbesserungen zu ignorieren und sie streikunfähig zu machen.
Niedriger Organisierungsgrad bei Gewerkschaften ist ein Hindernis vor dem Erfolg
Bundesweit arbeiten rund 330.000 SuE-Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Kommunen. An dem Streik, so kämpferisch und beeindruckend er auch war, haben allerdings nur 45.000 Menschen teilgenommen. Mit einem Siebtel der Kolleg:innen ist der Druck leider zu schwach. Es gab seitens der Gewerkschaften keine seriöse Mobilisierung und Aufklärung in den Betrieben. Meistens wurden nur kurzfristig Flyer zugeschickt, um die Kolleg:innen zu Warnstreiks einzuladen. Weitere Gespräche blieben aus. Zahlreiche unorganisierte Kolleg:innen haben nur an einem der drei Warnstreiks teilgenommen, um die Streiks nicht aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Bei den anderen Streiks blieben sie in den Einrichtungen. Die Gewerkschaften hätten diese Kolleg:innen massiv organisieren müssen, damit sie die Streiks ohne finanzielle Benachteiligung mit hätten tragen können. Diese Kolleg:innen müssen wir für die Gewerkschaften als Subjekte der Veränderungen des Sozial- und Erziehungsdienstes gewinnen.
Die bei ver.di organisierten Kolleg:innen werden bei der Mitgliederbefragung darüber entscheiden, ob das Ergebnis angenommen wird oder nicht. Es handelt sich um kosmetische Veränderungen, die die strukturellen und wesentlichen Probleme nicht beheben. Das Ergebnis ist kein Erfolg oder Schritt in die richtige Richtung, wie es von ver.di dargestellt wird, sondern ein fauler Kompromiss angesichts der enormen Belastung der Kolleg:innen. Daher sollten die Kolleg:innen, die sich bessere Arbeitsbedingungen wünschen, diesem Deal eine Absage erteilen und für den Streik in die Urabstimmung übergehen. Es braucht Versammlungen, auf denen das Ergebnis und Perspektiven in diesem Arbeitskampf diskutiert werden können. Nur so kann der Kampf für einen besseren Sozial- und Erziehungsdienst demokratisch geführt werden.