System-Change-Hafenblockade ohne Hafenbelegschaft?
Klimaaktivist:innen wollen den Hamburger Hafen blockieren – ohne eine Verbindung mit dem aktuellen Arbeitskampf der Beschäftigten aufzubauen. Eine Kritik an der Blockadestrategie von Ende Gelände.
Vom 9. bis 15. August finden die System Change Aktionstage in Hamburg statt. Organisiert werden diese von Ende Gelände. Ums Ganze!, Interventionistische Linke, Extinction Rebellion, Grüne Jugend, Fridays for Future und weitere Gruppen nehmen teil. Das Camp soll mit Massenaktionen zur Blockade der Häfen führen. Ende Gelände schreibt dazu auf ihrer Website: „Mit unserer diesjährigen Aktion leiten wir den sofortigen Gasausstieg ein und stoppen den Bau von LNG-Terminals.“
Der Aufruf trägt den Titel: „Das System ist die Krise!“ Ende Gelände macht den Kapitalismus verantwortlich für die Ausbeutung von Mensch und Natur. Sie kritisieren die Bestrebungen der Bundesregierung, die Energiekrise mit mehr fossilen Energieträgern zu lösen und dabei die Klimakrise zu verschärfen, ebenso wie das Leid der Menschen im „globalen Süden“1, deren Lebensgrundlage zerstört wird. Mit den Aktionstagen wollen sie das strategische Nadelöhr der Logistik blockieren.
Stellvertreterpolitik: Blockaden ohne Koordination mit Beschäftigten
Es ist notwendig, die Logistik zu unterbrechen, um die kapitalistische Maschinerie zu bekämpfen. Doch die Aktion im Hamburger Hafen könnte genau den gegenteiligen Effekt generieren. Die Blockaden richten sich nicht nur gegen die Betreiber und Konzerne, sondern auch gegen die Beschäftigten im Hafen, die ohne Absprache ihre Kräne und LKWs nicht mehr verlassen können. Um die Drehscheiben des Kapitals zu blockieren, sollten linke Aktivist:innen die Beschäftigten auf ihrer Seite haben und diese nicht gegen sich aufbringen.
Seit Juni befinden sich die Hafenarbeiter:innen in Hamburg und an weiteren Standorten im Arbeitskampf. An den bisherigen 3,5 Streiktagen haben sich tausende Kolleg:innen beteiligt. Durch das Niederlegen der Arbeit wurden sämtliche deutschen Nordseehäfen für 84 Stunden weitgehend stillgelegt.
Es ist der größte Arbeitskampf in diesem Sektor seit 44 Jahren. Mit der Forderung nach Inflationsausgleich plus Zuschlägen – zusammen bis zu 14 Prozent mehr Gehalt – sind die Streiks ein Vorbild für die Arbeiter:innenklasse in Deutschland, Europa und auch weltweit. Wenn die Hafenarbeiter:innen streiken, können sie die Logistik des ganzen Landes und die kriegerischen Ziele des deutschen Imperialismus stören und ihre Forderungen durchsetzen.
Leider hat Ende Gelände diesen Faktor bei der Planung ihrer Aktionen nicht berücksichtigt. Auf Twitter haben sie sich nach Polizeigewalt gegen Streikende mit diesen solidarisiert, doch sonst gibt es kaum Bezugnahmen auf der Website der Kampagne oder in Social Media. In einem theoretisch-historischen Artikel im Neuen Deutschland schrieb die Gruppe TOP Berlin, welche mit zu den Blockade-Aktionen am Hafen aufruft: „Die globale Fragmentierung der Produktion scheint jede proletarische Gegenmacht zerschlagen zu haben. Während sich Kernbelegschaften meist zu Komplizen mit den Unternehmen gemacht haben, hat die globalisierungskritische Bewegung keine Druckmittel entwickeln können.“
Damit erkennen sie auf der einen Seite an, dass die bewegungsorientierte Linke aus sich heraus nicht imstande ist, genug Druck aufzubauen. Aber ausgerechnet denjenigen, die den Druck erzeugen könnten um das ganze Land lahmzulegen, den Kernbelegschaften, werfen sie vor, von den Unternehmen gekauft zu sein – in einem Beitrag der wohlgemerkt nur wenige Wochen nach einem der wichtigsten Arbeitskämpfe seit vielen Jahren veröffentlicht wurde. Der Streik wird zwar in dem Artikel genannt, es drohe laut Springer-Presse „ein Super-GAU“. Aber die Schlussfolgerung ist nicht, mit den Beschäftigten gemeinsam zu kämpfen, sondern an ihrer Stelle. Bei früheren Protesten gegen Braunkohlebergbau ging Ende Gelände ähnlich vor: Sie blockierten die Kohlebagger, aber ohne Diskussionen mit den Beschäftigten. „Niemand muss Kohlebagger fahren“ prangerte auf den Transparenten, und machte die Beschäftigten zu Mitverantwortlichen der Umweltverschmutzung von RWE und Co.
Gerade in strukturschwachen Regionen mit wenig Arbeitsplätzen wie der Lausitz ist ein solcher Spruch zynisch. Es ist nicht die Schuld der Arbeiter:innen, dass das Kapital die Umwelt für seine Profite ausbeutet, ganze Dörfer und Wälder abgraben lässt sowie das ökologische und soziale Gefüge in abhängigen Ländern zerstört.
Die Arbeiter:innen der kapitalistischen Zentren profitieren nicht von der fossilen Energiegewinnung. Sie haben ein Interesse daran, in einer intakten Umwelt mit guten Jobs zu leben, also auch daran, die Ausbeutung und Umweltzerstörung in den abhängigen Ländern zu überwinden.
Dafür braucht es erfolgreiche Arbeitskämpfe und internationale Solidarisierung, doch die Bürokratie will die Kämpfe lieber klein halten, um ihre Stellung nicht zu riskieren. Sie tragen sehr wohl eine Mitverantwortung, indem sie den klimaschädlichen Kurs der Unternehmen deckt, mit der Begründung, Arbeitsplätze zu schützen. Die Bürokratie stellt sich hinter das Kapital. Dadurch schwächt sie die Kampfkraft der Arbeiter:innen.
Es gibt durchaus einen Sozialchauvinismus, aufgebaut auf den Überschussprofiten aus dem Ausland. Die Gewerkschaftbürokratie klammert sich an den Standortnationalismus und schürt diesen Chauvinismus. Es gibt aber auch Beispiele von Beschäftigten, die die imperialistische Politik konfrontieren, wie etwa die Hamburger Hafenbeschäftigten, die eine Volksinitiative gegen Waffenlieferungen gestartet haben. Diese ist zurückzuführen auf das Engagement von gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen. Mit den Hafenstreiks könnte sie reale Schlagkraft entfalten, doch steht die Gewerkschaftsbürokratie im Weg, die den Streik bremsen möchte und sich zuletzt auf eine Friedenspflicht eingelassen hat.
Ende Gelände benennt die Bürokratie aber nicht und verzichtet damit auf den Ansatzpunkt, der es den Beschäftigten ermöglicht, ihre chauvinistische Führung zu konfrontieren. Stattdessen sind für sie die weißen Arbeiter:innen im „Globalen Norden“ mit Schuld am Kapitalismus, der aufrechterhalten wird durch die Ideologie des Rassismus, wie Ende Gelände im Aufruf zur Bündnisdemo schreibt:
„Als Teil der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung ist es außerdem an uns, unsere eigene Verstrickung in dem Machtverhältnis Rassismus zu reflektieren und zu kritisieren und die weiße Dominanz zu hinterfragen. Das Bekämpfen von Rassismus geht Hand in Hand mit dem Verhindern des weiteren Ausbaus fossiler Infrastruktur und dem Kampf für eine klimagerechte Welt.“
Die kapitalistische Logistik theoretisiert Ende Gelände korrekterweise als Fortsetzung kolonialer Politik: „LNG- also flüssiges Gas- soll unter anderem in Gebieten, die von indigenen Gruppen bewohnt werden, aus dem Boden gefrackt werden, nur damit hier die Profitmaximierung der Industrie nicht eingeschränkt werden muss. Diese neokoloniale und klimaschädliche Zerstörung muss gestoppt werden. Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen gegen den kolonialen Extraktivismus im globalen Süden, wie gerade ganz aktuell in Ecuador.“
Ende Gelände und Co. sprechen nicht mit den Hafenbeschäftigten, weil diese als mehrheitlich weiße Arbeiter:innen gar keine Rolle in ihren Vorstellungen vom Kampf gegen den kolonialen Extraktivismus spielen. Subjekt politischer Veränderung sind demnach unterdrückte Völker des globalen Südens – eine Haltung die vollkommen die strategische Bedeutung der Arbeiter:innenklasse in den zentralen Sektoren der Wertschöpfung und Logistik des Imperialismus ignoriert. Für sie sind Arbeiter:innen bestenfalls Aktivist:innen, die ihren Arbeitsplatz verlassen haben, um zu Aktionen zu gehen und im Idealfall erst eine antirassistische Selbstkritik vollzogen haben. So verzichtet die Klimabewegung auf das Kampfpotenzial der organisierten Arbeiter:innenklasse.
Die Arbeiter:innen sind indes keineswegs glücklich darüber, wenn jemand ohne Absprache mit ihnen ihre Arbeitsplätze blockiert. Die Gefahr besteht, dass die Aktionen auf Unverständnis treffen und sich die Skepsis gegen die Klimabewegung und die politische Linke weiter vertieft.
Die kämpferischen Beschäftigten sind selbst daran interessiert, den Hafen zu blockieren, aber in Absprache mit ihnen, um den Streik zu stärken. Sie wollen als politisches Subjekt wahrgenommen werden. Sie wollen selbst mit ihrem Kampf gegen die Inflation ein Vorbild für die gesamte Arbeiter:innenklasse sein. Der Kampf für Klimaschutz ist auch in ihrem Interesse. Die Themen liegen durchaus nah beieinander: Die Bundesregierung will klimaschädliches Flüssiggas aus den USA importieren. Das ist auch deutlich teurer als das Gas, das bisher aus Russland importiert wurde. So leidet die Umwelt während Löhne, Renten und Sozialleistungen an Wert verlieren.
Es ist bezeichnend, dass Ende Gelände und die weiteren Gruppen zwar davon sprechen, dass die Abhängigkeit vom Gas beendet werden muss. Aber eine Alternative zur Energieversorgung nennen sie nicht. Mit der Grünen Jugend ist auch die Jugendorganisation einer Regierungspartei im Aktionsbündnis. Während Habeck mit seiner Energiepolitik und Baerbock mit ihrer Außenpolitik dafür mit verantwortlich sind, dass die Preise für Strom und Gas immer weiter steigen, lässt das Aktionsbündnis inklusive Grüner Jugend einen konkreten Vorschlag vermissen, wie der „sofortige Gasausstieg“ gelingen kann, ohne dass morgen die Heiz- und Stromkosten ins Unermessliche steigen. In dieser Rechnung bezahlen die Arbeiter:innen die Energiewende mit Massenarbeitslosigkeit und Verarmung.
Vorschlag an die Klimabewegung: Kampagne gegen Inflation und für die Enteignung der Energiekonzerne
Das Ziel, von fossilen Energieträgern schnellstmöglich wegzukommen, ist angesichts des sich dramatisch verschärfenden Klimawandels dringend notwendig. Solange die großen Energiekonzerne aber mit Gas und Öl auf unsere Kosten Milliardengewinne machen, werden sie an diesem System nichts ändern. Notwendig wäre daher die Verstaatlichung des Energiesektors unter der Kontrolle der Beschäftigten, damit er ohne Gewinnstreben nach ökologischen und sozialen Kriterien umgebaut werden kann. Bezeichnenderweise gibt es aus dem Umfeld von Ende Gelände bereits eine Kampagne mit dem Titel RWE und Co. enteignen, die aber keine Verbindung zu den Hafenblockaden herstellt.
Die Abkehr von fossilen Energieträgern muss zugleich einen Preisstopp auf Strom, Gas und Treibstoff beinhalten. Löhne, Renten und Sozialleistungen müssen automatisch an die Inflation angepasst werden. Die Energiewende muss von den Konzernen bezahlt werden, nicht von den Arbeiter:innen!
Die Regierung wird sich mit allen Mitteln gegen die Umsetzung dieser Forderungen stellen. Sie müssen erzwungen werden. Das wird nicht allein durch einige Tausend Klimaaktivist:innen mit Blockaden geschehen, zumal wenn die Arbeiter:innen in den Häfen oder im Kohlebergbau ihnen ablehnend gegenüber stehen. Gemeinsame Aktionen können dagegen enorme Kampfkraft entfalten: Tausende Arbeiter:innen und Aktivist:innen können zusammen den Hafen effektiv lahmlegen. Die Wucht des Streiks kombiniert mit Blockaden kann den politischen Druck mit einem Schlag vervielfachen. Anders als bei dem letzten Streik der Hafenarbeiter:innen von 48 Stunden, bei dem sehr wenige Unterstützer:innen aus anderen politischen Bereichen anwesend waren. Gemeinsam ist es möglich, sich gegen die Polizeigewalt zu verteidigen, die sowohl die Hafen-Beschäftigten an ihrem letzten Streiktag getroffen hat, als auch immer wieder bei Blockadeaktionen der Klimabewegung vorkommt.
Gemeinsame Aktionen unter Führung der Arbeiter:innen könnten auf breite Solidarität hoffen. Die Arbeiter:innenklasse kann eine hegemoniale Stellung einnehmen, das bedeutet, dass sie in der Lage ist, ein Programm aufzustellen und mit Streiks durchzusetzen, dem sich andere Teile der Bevölkerung anschließen können. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa wären 44 Prozent der Deutschen bereit, gegen Inflation und hohe Energiepreise zu demonstrieren – passend zum Motto der streikenden Hafenarbeiter:innen: „Inflationsmonster stoppen“. In den kommenden Monaten stehen weitere Streiks an: Bereits jetzt legen die Flughafenbeschäftigten einen weiteren Bereich der Logistik lahm. Mit der Tarifrunde im Metall-Sektor werden im Herbst Millionen Arbeiter:innen zu Streiks für höhere Löhne aufgerufen sein, ebenso wie im Öffentlichen Dienst zu Beginn des kommenden Jahres. Eine Koordinierung der Streiks und Verbindung der Kämpfe könnte die Regierung und die Bourgeoisie zum Zittern bringen. Doch die Klimabewegung muss sich fragen: Will sie abseits des Klassenkampfes stehen oder will sie mit ihren Ideen für eine ökologischere Zukunft Teil eines gemeinsamen Kampfes werden?
In den kommenden Wochen dürften an den Nordsee-Häfen weitere Streiks und Aktionen anstehen. Besuchen und unterstützen wir ihre Aktionen und kämpfen wir gemeinsam, um die Logistik des globalen Kapitalismus zu brechen.
Fußnoten
1. „Globaler Süden“: Als Marxist:innen verzichten wir in der Regel auf diesen Begriff. Er wird zumeist in den Theorien des Postkolonialismus verwendet, aber durchaus auch in bürgerlichen Sozialwissenschaften angewandt. Wir verwenden u.a. die Begriffe „imperialistische“ und „abhängige Länder“, um das globale Abhängigkeitsverhältnis zu verdeutlichen und den Imperialismus als das höchste Stadium des Kapitalismus mit der Vorherrschaft der Trusts und des Finanzkapitals zu beschreiben. Der Begriff „Globaler Norden“ suggeriert zudem, dass die Kapitalist:innen und Arbeiter:innen im Norden gleichermaßen das Interesse an der Ausbeutung des Südens hätten.