Syriza vs. FIT: Klassenkollaboration oder Klassenunabhängigkeit?
// NEOREFORMISMUS: Syrizas Kapitulation vor der Troika bringt das Scheitern des Neoreformismus zum Ausdruck. Angesichts des Debakels der “breiten Parteien” zeigt die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) in Argentinien eine konkrete revolutionäre Alternative. //
Die internationale Linke steht nach den Ereignissen der letzten Monate in Griechenland vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik. Der Neoreformismus an der Macht hat in Rekordzeit die Hoffnungen von Millionen enttäuscht, ohne dass die Linke innerhalb und außerhalb von Syriza auch nur ansatzweise in der Lage gewesen wäre, diesem Prozess etwas entgegenzusetzen. Daraus müssen dringend Lehren gezogen werden.
Keine Gegenwehr
Als Alexis Tsipras ein neues Sparpaket unterzeichnete, erwies sich der linke Flügel von Syriza als völlig unfähig, dieser Kapitulation vor den Interessen des europäischen Kapitals Einhalt zu gebieten. Als „loyale Opposition“ innerhalb der Regierung, der sie mit mehreren Minister*innen selbst angehörte, trug die „Linke Plattform“ monatelang die Regierungspolitik mit. Ihren Widerstand gegen die Sparpolitik drückte sie nur im Zentralkomitee von Syriza aus. Das war aber schon lange nicht mehr in der Lage, Einfluss auf die reale Politik der Partei zu nehmen. Außerhalb des Parlaments organisierte sie keine Massenproteste gegen das Memorandum.
Als Tsipras ihr mit der Ankündigung von Neuwahlen keine andere Möglichkeit mehr ließ, verließ die Linke Plattform die Partei und gründete gemeinsam mit anderen linken Kräften die „Volkseinheit“ (Laiki Enotita, LAE). Diese Formation will zurück zur „Syriza der Ursprünge“, also zu einem „konsequenteren“ neoreformistischen Programm. Gleichzeitig schlägt sie einen „geordneten“ Austritt aus dem Euro vor: Durch Währungsabwertung und Lohnverfall soll die kapitalistische Wirtschaft Griechenlands eine erneute Wettbewerbsfähigkeit erlangen, auf Kosten der Kaufkraft von Lohnabhängigen.
Dieser „Plan B“ findet bei verschiedenen reformistischen Formationen großen Anklang, als erstes Anzeichen eines neuen „linken Souveränismus“ in Europa. Gleichwohl gehörte LAE zu den großen Verlierern der griechischen Wahlen: Hatten sie als Teil von Syriza noch 25 Parlamentssitze, stehen sie nun ohne Abgeordnete da, nachdem sie die Drei-Prozent-Hürde nicht überwinden konnten. Letztlich schlägt LAE nichts weiter vor als eine andere Variante der Klassenkollaboration, die in Griechenland schon längst zur Katastrophe geführt hat.
Strategie gescheitert
Das Debakel des Neoreformismus an der Macht und des Versuchs seiner „Erneuerung“ durch LAE muss eine fundamentale Lehre für die Arbeiter*innen und die Jugend in ganz Europa sein. Jede Vorstellung, dass die europäischen „Partner*innen“ unter Verhandlungsdruck gesetzt werden könnten, um die Austerität abzumildern, ist gescheitert. Damit scheiterte auch die Strategie, auf institutioneller Ebene graduelle Verbesserungen durchzusetzen. Der Aufstieg von Syriza war gleichbedeutend mit der Demobilisierung der Arbeiter*innen und der Jugend – nur die hätten aber der Troika etwas entgegensetzen können.
Es gab auch viele linke, antikapitalistische Strömungen, die in der ein oder anderen Form „kritisch“ Syriza unterstützten, während diese Partei an der Regierung war. Nach der Kapitulation von Tsipras und Co. schwenkten die meisten auf eine Unterstützung für LAE um, häufig ohne eine selbstkritische Bilanz. Die Debatte über die Möglichkeit eines „linken Grexit“, die zur Zeit in der deutschen Linken stattfindet, ist Ausdruck eines tiefen Missverständnisses. Diese Sektoren haben nicht verstanden, dass das Problem nicht eine zu große EU-Nähe von Syriza war, sondern ihre Weigerung, eine Einheitsfront der Arbeiter*innen und Jugend aufzubauen, die auf der Straße, in den Betrieben, Unis und Schulen gegen die Austerität kämpfen könnte.
Viele wenden ein, dass mehr eben nicht möglich war. Die Kräfteverhältnisse hätten nicht ausgereicht, um die Troika zurückzuschlagen. Nicht nur die Syriza-Führung argumentiert so, sondern auch große Teile der radikalen Linken haben in den vergangenen Monaten auf eine Strategie des „Möglichen“ gesetzt, die aber tatsächlich von Anfang an unrealistisch war. So ist die „Linksregierung“ nicht einfach nur gescheitert: Die jetzige Situation ist schlimmer als vor ihrem Amtsantritt. Und weil eine schlagkräftige Alternative fehlte, resignieren nun viele. Einige beginnen sich sogar der extremen Rechten anzuschließen. Zwar ist die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte noch nicht so weit, eine faschistische Massenpartei zu werden, aber der Weg dahin scheint nicht mehr weit – zumindest, falls es nicht gelingt, jetzt eine schlagkräftige Alternative aufzubauen, die unabhängig von allen bürgerlichen Varianten ist.
Welche Alternative?
Dass es nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, eine politische Kraft mit Masseneinfluss aufzubauen, die ein konsequentes Programm der Klassenunabhängigkeit erhebt, zeigt die „Front der Linken und der Arbeiter*innen“ (FIT) in Argentinien.
Zum ersten Mal trat diese Front, die aus drei trotzkistischen Organisationen besteht (die „Partei Sozialistischer Arbeiter*innen“ PTS – die Schwesterpartei von RIO –, die „Arbeiter*innen-Partei“ PO und die „Sozialistische Linke“ IS), 2011 zu den Wahlen an, bereits 2013 erreichte sie 1,2 Millionen Stimmen. Das tat sie mit einem Programm, welches auf die Kämpfe der Unterdrückten setzt: gegen alle Kürzungen, für demokratische Rechte, für das uneingeschränkte Recht auf Abtreibung, für die Verstaatlichung der Industrie und des Bankensystems unter Arbeiter*innen-Kontrolle, für das Verbot von Entlassungen und die entschädigungslose Enteignung von Betrieben, die schließen oder Massenentlassungen durchführen. Vor allem tritt die FIT ein für die Selbstorganisation der Arbeiter*innen und Unterdrückten in der Perspektive einer Arbeiter*innen-Regierung und des Bruchs mit dem kapitalistischen System.
Alle Präsidentschaftskandidat*innen für die Wahl im Oktober stehen für eine Abwälzung der Krise auf die Arbeiter*innen und Armen. Alle – bis auf einen: Nicolás del Caño, Präsidentschaftskandidat der PTS und der FIT. Im Gegensatz zu den Parteien der Bourgeoisie stützt sich die FIT ausschließlich auf die Arbeiter*innen und Unterdrückten. Dies steht im Gegensatz zu den Erfahrungen der neoreformistischen Parteien Syriza und Podemos, welche von Beginn an auf Zusammenarbeit mit angeblich „fortschrittlichen“ Teilen der Bourgeoisie orientierten und deswegen nur bestimmte Kürzungen ablehnten.
Für ein Programm der Klassenunabhängigkeit!
Bedeutsam ist, dass die PTS in der Vorwahlkampagne zu den Präsidentschaftswahlen mehr als 1.500 Kandidat*innen aufgestellt hat, von denen ein Großteil Industriearbeiter*innen sind, viele von ihnen jung und in prekären Verhältnissen. Sie verkörpern die Idee, dass die Arbeiter*innen ihre politischen Interessen selbst vertreten können und dafür keine bürgerlichen Vertreter*innen brauchen. Diese Kandidat*innen verteidigen die Interessen ihrer Klasse auf der Straße, im Betrieb sowie in den Parlamenten. 60 Prozent der Kandidat*innen auf den Listen der PTS sind weiblich.
Innerhalb der FIT gibt es bis heute eine Reihe von wichtigen strategischen Debatten, die auch bei den Vorwahlen im August ausgefochten wurden. PO und IS, die bei den Vorwahlen gegen die PTS kandidierten, beharrten auf der Idee, ohne politische Diskussion die FIT um Gruppen zu erweitern, die strategische Differenzen mit dem sozialistischen Programm haben und in vielen Fällen „progressive“ bürgerliche Regierungen wie die von Evo Morales in Bolivien oder Nicolás Maduro in Venezuela unterstützten. Die PTS stellte demgegenüber klar, dass eine Stärkung der FIT nicht durch Abkommen mit Organisationen stattfindet, die das Programm der Klassenunabhängigkeit verwässern, sondern durch eine starke Verankerung in der Arbeiter*innenbewegung und den kämpferischen Sektoren der Jugend-, Frauen- und LGBT*-Bewegung. Diese Strategie siegte bei den internen Vorwahlen der FIT, wo die PTS die Mehrheit der Stimmen gewann.
Die Erfahrung der FIT und vor allem der PTS widerspricht damit der Hypothese von vielen Organisationen der Linken, die der Meinung sind, dass es zum „Erreichen der Massen“ nötig sei, das revolutionäre Programm zu Gunsten des Aufbaus „breiter Parteien“ zu verstecken oder zu verwässern. Die bisherige Erfahrung der FIT zeigt demgegenüber auf, dass ein Programm der Klassenunabhängigkeit in der Perspektive eines Bruchs mit dem Kapitalismus einen Masseneinfluss erlangt, wenn es die konkrete Unterstützung der Kämpfe von Unterdrückten bedeutet. Dafür treten wir ein.