Syrien: Eine internationalistische Position nach dem Sturz Assads
Nach dem Sturz von Baschar al-Assad zeichnet sich ein unsicherer Übergang ab. Erklärung der revolutionären sozialistischen Gruppen der FT-CI, die das Internationale Netzwerk La Izquierda Diario/Klasse Gegen Klasse herausgeben.
Nach fast 25 Jahren an der Macht brach die Regierung von Bashar al-Assad am 8. Dezember zusammen. Al-Assad floh nach Russland, als die islamistischen Milizen von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und andere Gruppen wie die von der Türkei unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) in Damaskus einmarschierten. Dies markierte das Ende einer 12-tägigen rasanten Offensive seit der Übernahme von Aleppo durch diese Kräfte. In den ersten vier Tagen nach dem Sturz von Assad hat Israel Syrien mehr als 500 Mal bombardiert und ist gleichzeitig mit Bodentruppen in sein Gebiet vorgerückt. Auch die Türkei und die USA versuchen, aus der neuen Situation Kapital zu schlagen, während die Zukunft Syriens ungewiss bleibt.
Al-Assad übernahm die syrische Präsidentschaft im Jahr 2000 als Nachfolger seines Vaters Hafez al-Assad, der in den 1970er Jahren durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Das bonapartistische Regime der Baath-Partei festigte seine Macht durch gewisse soziale Maßnahmen in Verbindung mit starker Repression. Dadurch entstand ein Abhängigkeitsverhältnis zum Militär und zu den Geheimdiensten, um seine Macht zu erhalten. Assad, der der alawitischen Minderheit angehört, vollzog eine neoliberale Wende, während er die eiserne Faust eines Staates aufrechterhielt, der auf der Unterdrückung anderer religiöser und nationaler Gruppen beruht. Die Arbeiter:innenorganisationen gerieten unter staatliche Kontrolle und die Kommunistische Partei, die die Massenmobilisierungen von 2011 als „imperialistische Verschwörung“ abgelehnt hatte, wurde vom Regime kooptiert. Schon vor dem Bürgerkrieg war das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung gesetzlich eingeschränkt, und der Allgemeine Bund der Arbeiter:innengewerkschaften (GFTUW) war von der Baath-Partei abhängig. Außerdem hat sich die Unterdrückung der kurdischen Nation unter der Diktatur von Bashar al-Assad verschärft.
Das Regime war völlig reaktionär und repressiv, mit Tausenden von Gefangenen, die in Gefängnissen wie Saidnaya, dem sogenannten „Menschenschlachthaus“, gefoltert und getötet wurden. Deshalb haben in diesen Tagen Tausende von Syrer:innen im In- und Ausland die Flucht Assads und die Öffnung der Gefängnisse gefeiert. Wir verstehen ihre Freude über den Sturz eines verhassten Regimes und ihre Hoffnung, nach Hause zurückzukehren und die Befreiung zu genießen, auch wenn wir sie leider nicht teilen können, da die Kräfte, die Assad gestürzt haben, ebenfalls zutiefst reaktionär sind. Ihr Triumph verheißt nichts Gutes für die Mehrheit der syrischen Bevölkerung, die nach 13 Jahren eines schrecklichen Bürgerkriegs und aufeinander folgenden imperialistischen Interventionen dezimiert und zerrissen ist.
Die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, dass die syrische Armee sowohl materiell als auch moralisch sehr schwach ist. Hinzu kamen die Wirtschaftssanktionen, die Flucht von Millionen von Menschen und die Zerstörung von Städten und Infrastruktur, die die Bevölkerung zu Hunger und schrecklichem Leid verdammten. Unter diesen Bedingungen, unter denen das Regime seine Repressionsmechanismen verstärkte, war Assad nicht in der Lage, seine Herrschaft zu konsolidieren. Und diese Schwäche konnte von seinen Verbündeten, Russland, Iran und der Hisbollah, nicht mehr aufgefangen werden, die ihn stürzen ließen. Assad überlebte diese Jahre vor allem dank der russischen und iranischen Unterstützung, hatte aber die Kontrolle über mehrere Gebiete in Syrien verloren. In dieser Situation nutzten die Gegner die Schwäche von al-Assad aus, um ihn zu besiegen.
Die Kräfte, die Assad stürzten und die Macht in Damaskus übernahmen, sind eine heterogene Ansammlung islamistischer Gruppierungen und von der Türkei unterstützter Milizen. Diese Gruppen, die im Nordwesten und Norden des Landes stationiert waren, werden von zwei großen Organisationen angeführt. Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) [Organisation zur Befreiung der Levante] unter der Führung von Mohammed al-Julani ist eine Abspaltung von al-Nusra, der syrischen Schwesterorganisation von al-Qaida. In letzter Zeit hat die Gruppe versucht, sich öffentlich von al-Qaida zu distanzieren und sich als gemäßigtere politische Kraft zu präsentieren. Seit 2017 übt sie in der Region Idlib eine De-facto-Herrschaft aus und verwaltet dort öffentliche Dienstleistungen, Bildung, Gesundheit, Justiz, Infrastruktur und Finanzen. Verschiedene Organisationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen und illegaler Inhaftierung von Zivilist:innen. Die HTS verfolgt weiterhin das Ziel, einen islamischen Staat in Syrien zu errichten, obwohl sie in den letzten Tagen erklärt hat, dass sie andere religiöse Gruppen nicht unterdrücken wird.
Die Syrische Nationale Armee (SNA) ist eine von der Türkei unterstützte Dachorganisation verschiedener Milizen. Ihr Ziel ist nicht nur der Kampf gegen Assad, sondern auch der Kampf gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), ein Bündnis aus Kurd:innen und anderen Sektoren, das den Nordosten Syriens kontrolliert und von den USA unterstützt wird.
An der Offensive gegen Assad beteiligten sich auch andere Gruppierungen und Milizen, darunter drusische Kräfte aus der Provinz Suweida. Weitere am Sturz Assads beteiligte Kräfte waren die Islamist:innen und Salafist:innen der Ahrar Al Sham, die mit den afghanischen Taliban in Verbindung stehen. In den östlichen Steppen sind Milizen des Islamischen Staates (IS) beheimatet, die zwar nicht an der Eroberung von Damaskus beteiligt waren, aber den Moment nutzen könnten, um ihr Gebiet auszuweiten. Genau das befürchten die USA und bombardieren deshalb die Region.
Mohammed al-Bashir von der HTS hat in Syrien eine, wie er es nennt, „Übergangsregierung“ übernommen, und verschiedene Länder wie die Türkei, Israel und die USA versuchen, auf den „Übergang“ Einfluss zu nehmen, obwohl bei weitem nicht klar ist, wie sich dies auswirken wird.
Vom Arabischen Frühling zur langen Hölle des Bürgerkriegs
Im Jahr 2011 brach in dem Land ein tiefgreifender Volksaufstand aus, der Teil des revolutionären Prozesses des Arabischen Frühlings war, einer Welle von Volksaufständen, Ausbrüchen und Mobilisierungen, die sich ungleichmäßig über den gesamten Nahen Osten ausbreitete, von Tunesien über Ägypten, Bahrain, Libyen und Jemen bis nach Syrien. In Syrien forderten die Demonstrant:innen eine Demokratisierung des Regimes und eine Verbesserung der Lebensbedingungen für eine seit Jahrzehnten verarmte Bevölkerung. Im Jahr 2010 lebten aufgrund der neoliberalen Politik fast 30 Prozent der Bevölkerung des Landes unterhalb der Armutsgrenze, und 55 Prozent der Jugendlichen waren arbeitslos. Die Ereignisse begannen mit einem Volksaufstand, der im März 2011 in Daraa begann. Die Verhaftung mehrerer junger Menschen, die Graffiti gegen die Assad-Regierung geschrieben hatten, löste breite Proteste aus. Die Wut richtete sich gegen die hohen Treibstoffpreise, gegen den Gouverneur von Homs, der für Repression und Korruption bekannt ist, und gegen die schlechten Lebensbedingungen in der Küstenstadt Banyas, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist. Gleichzeitig gingen Anhänger:innen der Muslimbruderschaft und einiger anderer radikaler islamistischer Gruppen, die in Syrien lange im Untergrund organisiert waren, auf die Straße. Innerhalb kurzer Zeit übernahmen sie mit ihren organisierten Kräften die Kontrolle über die Plätze. Diese Proteste wurden jedoch von Assad im Blut ertränkt. Im September 2011 tötete das Regime mehr als 1500 Menschen, um die Proteste niederzuschlagen. Ende des Jahres waren es nach Angaben der UNO mehr als 5000 Tote. Die gewaltsame Unterdrückung durch Assad und die Einmischung regionaler Mächte wie der Türkei und verschiedener imperialistischer Mächte führte zu einer Einhegung des Widerstands durch die Dominanz bewaffneter Milizen, die den autonomen und massenhaften Charakter untergrub, die Kontinuität des revolutionären Prozesses verhinderte und reaktionäre Bewegungen und ihre ausländischen Unterstützer:innen stärkte. Auf diese Weise wurde der syrische Frühling besiegt und machte einem reaktionären Bürgerkrieg an mehreren Fronten Platz, der verheerend war und Hunderttausende von Toten und Millionen von Vertriebenen und Geflüchteten hinterließ.
In den ersten Jahren des Bürgerkriegs stand Assads reguläre Armee, die von Iran und Russland unterstützt wurde, verschiedenen Milizen und Fraktionen gegenüber, die ihrerseits miteinander kämpften und von regionalen Mächten – der Türkei, Saudi-Arabien, Katar – unterstützt und von den Vereinigten Staaten finanziert wurden.
Die Ausrufung des Kalifats durch den Islamischen Staat (IS) im Jahr 2014 mit der syrischen Stadt Raqqa als Hauptstadt leitete eine neue Periode ein (das Kalifat nahm 30 Prozent von Syrien und 40 Prozent des Iraks ein). Die Vereinigten Staaten intervenierten direkt an der Spitze einer Koalition gegen den Islamischen Staat in beiden Ländern, eine Intervention, die jahrelang andauern sollte. Obwohl das Kalifat 2019 besiegt wurde, halten die USA ihre militärische Präsenz in Ostsyrien aufrecht (zusätzlich zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Kurden) und haben kürzlich mehrere Stellungen der IS-Miliz bombardiert.
Russland begann bereits 2015 mit einer direkten militärischen Intervention in Syrien, als es die Assad-Regierung unterstützte. Es errichtete den Militärstützpunkt in Latakia, der zu dem in Tartus hinzukam, stellte Spezialeinheiten und private Kräfte wie Wagner zur Verfügung und führte Luftangriffe durch, die 2016 die Rückeroberung von Aleppo ermöglichten. Auch die iranische Intervention wurde intensiviert, mit Finanzierung, Waffen und der Präsenz pro-iranischer Hisbollah-Milizen vor Ort. Diese Unterstützung war der Schlüssel zum Überleben des Assad-Regimes, aber sie schwächte die Gruppe auch politisch im Libanon, indem sie ein Regime unterstützte, das von den Massen in der Region gehasst wurde.
Während dieser Zeit war die Türkei ein weiterer wichtiger Akteur in dem Konflikt, sowohl durch Stellvertreter-Milizen als auch durch direkte Angriffe, obwohl sie ihr eigentliches Ziel, Assad zu stürzen, nicht erreicht hat. Die Operation „Schutzschild Euphrat“ im Jahr 2016 richtete sich sowohl gegen den Islamischen Staat als auch gegen die Kurden. Im Jahr 2018 führte sie die Operation „Olivenzweig“ mit dem Ziel durch, die kurdische Region Afrin mit Luftangriffen und Bodentruppen zu besetzen. Die Türkei hat Afrin praktisch als ihre eigene Enklave besetzt. Sie zerstörte kurdische demokratische Strukturen, übergab die politische Vertretung an islamistische Gruppen, vertrieb einen Teil der kurdischen Bevölkerung und plünderte den lokalen Besitz und das Eigentum, wie etwa die Olivenölernte.
Diese 13 Jahre Bürgerkrieg und imperialistische Interventionen haben dem syrischen Volk einen verheerenden Tribut abverlangt und ganze Städte zerstört. Das historische Aleppo wurde im Laufe des Bürgerkriegs in Schutt und Asche gelegt und wurde zum Massengrab für Tausende von Syrer:innen. Nach wie vor fehlt es der Bevölkerung an Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Sicherheit. In Jarmuk wurden palästinensische Geflüchtete von der syrischen Armee bombardiert und ausgehungert. Verschiedenen Schätzungen zufolge wurden mindestens 500.000 Zivilist:innen in dem Konflikt getötet, darunter Zehntausende von Kindern. In diesem Zeitraum wurden mehr als 12 Millionen Menschen vertrieben, und 5,2 Millionen Syrer:innen suchten Zuflucht in den Nachbarländern – 62,3 Prozent davon in der Türkei. Assads Gräueltaten nach dem Arabischen Frühling, die Zerstörung durch islamistische IS-Milizen, die Angriffe der türkisch geführten Streitkräfte auf Kurd:innen und die Bombardierung durch die US-geführte internationale Koalition haben die Bevölkerung in eine endlose Hölle gestürzt.
Die Türkei, Israel und der Imperialismus versuchen, den „Übergang“ zu kontrollieren und den Nahen Osten in ihrem Sinne umzugestalten
Der israelische Staat nutzt die Situation aus, um seine regionale Vorherrschaft auszubauen, während er den Völkermord in Palästina fortsetzt und weiterhin Truppen im Libanon stationiert. Die zionistische Armee hat bereits angekündigt, dass sie Syrien als ihre „vierte Kriegsfront“ neben dem Gazastreifen, dem Westjordanland und dem Libanon betrachtet. Während sie mehrere Regionen bombardiert, ist sie mit Bodentruppen in ihr Territorium eingedrungen und hat von den Golanhöhen aus mit Panzern angegriffen. Dieses Gebiet grenzt an Israel, Syrien, den Libanon und Jordanien und stellt somit eine wichtige strategische Position dar. Außerdem liefert es fast ein Drittel der israelischen Wasserversorgung. Die israelischen Streitkräfte besetzten die Region während des Sechstagekriegs 1967 und annektierten sie dann einseitig im Dezember 1981. Donald Trump hat die israelische Kontrolle über die Golanhöhen im Jahr 2019 offiziell anerkannt. Israel beabsichtigt nun, seine Annexion durch die Ausweitung der Pufferzone zu konsolidieren.
Netanjahu sieht den Sturz Assads als Ausdruck der Schwäche der Hisbollah und des Irans und damit als Chance, das Projekt der Schaffung eines „Groß-Israel“ voranzutreiben. Er kann auf große taktische Erfolge in seiner Auseinandersetzung mit dem Iran zurückblicken, nachdem er die Hisbollah zerschlagen (auch wenn die Ergebnisse seiner Bodeninvasion begrenzt sind) und die Hamas schwer getroffen hat. Und zum ersten Mal hat er direkte Militärschläge mit dem Iran ausgetauscht. Mit Trumps Ankunft im Weißen Haus hofft er, aus diesen Erfolgen in einem neuen regionalen Gleichgewicht, das weitaus reaktionärer ist als das bisherige, Kapital schlagen zu können.
Die Reaktion des Irans ist noch unklar. Ob er seine „zurückhaltende Reaktion“ fortsetzen wird oder ob diese Offensive ihn dazu bringen wird, die Entwicklung von Atomwaffen zu beschleunigen. Es handelt sich um ein geschwächtes Regime, das ziemlich unpopulär und innerlich gespalten ist. Auch Netanjahus innenpolitische Lage ist kompliziert, da er in diesen Tagen vor Gericht zu noch ungeklärten Korruptionsvorwürfen aus seiner vorherigen Regierung aussagen muss. Eine neue Kriegsfront ist auch eine Möglichkeit, seine Macht wieder zu festigen. Aber der zionistische Staat könnte den brutalen Völkermord am palästinensischen Volk und seine Offensive in der Region nicht ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten und der europäischen Staaten durchführen, die ihn finanzieren und ihm Waffen verkaufen. Deshalb sind „Genocide Joe“ oder „Israel mordet, Europa finanziert“ verbreitete Parolen bei Solidaritätskundgebungen mit dem palästinensischen Volk in New York, Paris, London oder Madrid.
Auch die Türkei ist bestrebt, vom Sturz Assads zu profitieren. Erdoğan hat geopolitische Ambitionen, die regionale Neuordnung entscheidend zu beeinflussen, und intern sucht er nach Bedingungen, um eine Wiederwahl zu erzwingen, die ihm derzeit nicht erlaubt ist. Die Aktien türkischer Bau- und Zementunternehmen stiegen nach der Ankündigung des Sturzes von Assad, was zeigt, dass mehrere türkische Unternehmen erwarten, beim Wiederaufbau eine strategische Rolle zu spielen.
Nach dem Sturz von Assad war die kurdische Bewegung zu einem Dialog mit der regierenden HTS bereit, wird jedoch angegriffen. In diesen Tagen ist die von der Türkei kontrollierte SNA in Manbidsch eingedrungen und begeht Kriegsverbrechen. In der Stadt wurden Plünderungen gegen die kurdische Bevölkerung verübt und Häuser in Brand gesetzt. Die kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) haben einem von den USA vermittelten Waffenstillstand zugestimmt, was bedeutet, dass sie sich aus der Region zurückziehen müssen. Der multiethnische Kanton Manbidsch war 2016 von den SDF und den Frauenverteidigungseinheiten YPJ mit US-Unterstützung vom selbsternannten Islamischen Staat (IS) befreit worden. Erdoğan kündigt immer wieder die Absicht seines Landes an, einen 30 Kilometer langen Streifen entlang der Grenze auf syrischem Gebiet zu besetzen. Das nächste Ziel wäre Kobane, eine Stadt, die 2015 weltberühmt wurde, als der IS mehrere Monate lang versuchte, die Stadt einzunehmen, aber am kurdischen Widerstand scheiterte.
Die kurdische Bewegung rechtfertigt ihre Zusammenarbeit mit den USA als „militärische Taktik“, aber sie hat den Kampf um Selbstbestimmung einem Bündnis mit der größten imperialistischen Macht des Planeten untergeordnet, und wir können die Mechanismen der Abhängigkeit, die daraus entstanden sind, nicht ignorieren. Die kurdische politisch-militärische Führung präsentierte ihre imperialistischen „Partner“ als „Schutz“ gegen Assad und insbesondere gegen Erdoğan. Dies verschaffte ihnen zwar eine vorübergehende Atempause, stellt aber keine grundsätzliche und langfristige Lösung dar. Die Kompromisse mit den westlichen imperialistischen Staaten, insbesondere den USA, um die Anerkennung der „Autonomie in Rojava“ zu erreichen, haben sowohl die Selbstbestimmung des unterdrückten kurdischen Volkes als auch die Möglichkeiten eines tiefgreifenden sozialen Wandels behindert. Die gegenwärtige Situation, in der die Kurd:innen erneut in die Enge getrieben werden, zeigt, dass diejenigen, die die imperialistischen Staaten als Beschützer oder sogar Verbündete der unterdrückten Nationen dargestellt haben, das kurdische Volk mit gebundenen Händen und ohne eine antiimperialistische Strategie auf Basis der Klassenunabhängigkeit zurückgelassen haben.
Das rassistische und imperialistische Europa will syrische Geflüchtete vertreiben
Mit dem Ende des Assad-Regimes in Syrien hat sich in den europäischen Ländern rasch eine rassistische Debatte über Abschiebungen entwickelt. Die Regierungen bereiten sich auf Massenabschiebungen nach Syrien vor. In Deutschland hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) alle Asylanträge von syrischen Geflüchteten mit sofortiger Wirkung auf Eis gelegt. Doch die Lage in Syrien ist keineswegs sicher.
Einige Geflüchtete werden zweifelsohne in ihre Heimat zurückkehren wollen. Schließlich haben sie selten den Schutz gefunden, den sie sich erhofft hatten. Stattdessen waren sie meist rassistischer Gewalt, Hetzkampagnen in den Medien und unsicheren Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Es gibt jedoch auch eine beträchtliche Anzahl von ihnen, die bleiben wollen. Es gibt Zehntausende von Kindern syrischer Geflüchtete, die zur Schule gehen, Praktika machen oder bereits arbeiten. Ob Syrer:innen in ihr Heimatland zurückkehren oder in Europa bleiben wollen, sollte allein ihre Entscheidung sein.
Angesichts der extremen Rechten, die Islamophobie und Rassismus schürt, machen sich alle imperialistischen Regierungen ihre reaktionäre Agenda zu eigen. Aber syrische und andere Geflüchtete fliehen vor den Kriegen und dem Elend, das durch die Interventionen eben dieser imperialistischen Mächte und ihrer Verbündeten verursacht wird. Die Arbeiter:innenklasse, die europäische wie die ausländische, muss den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit bekämpfen, die die Kapitalist:innen nutzen, um sie zu spalten und zu zersplittern. Es ist von entscheidender Bedeutung, den Kampf aufzunehmen für die Anerkennung aller Migrant:innen, die Schließung der Internierungslager für Geflüchtete, die Aufhebung der Einwanderungsgesetze und den Bruch aller EU-Pakte mit Regimen wie der Türkei, Libyen, Tunesien oder Marokko, um sie zu „Beschützern“ ihrer Grenzen zu machen.
Eine zunehmend turbulente Welt
Der Sturz von Assad kann nicht losgelöst von einer turbulenten globalen Situation im Zusammenhang mit der Krise der Weltordnung und der US-Hegemonie verstanden werden. Der Krieg in der Ukraine hat den Militarismus und die Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten verschärft. Der westliche NATO-Imperialismus hat als Stellvertreter gehandelt und die ukrainische Armee in ihrer Konfrontation mit Russland unterstützt, das von Iran, China und Nordkorea unterstützt wird.
Der Konflikt ist in den letzten Monaten eskaliert. Auf das Eindringen der ukrainischen Armee in die russische Region Kursk folgte die Genehmigung der USA, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs, Langstreckenraketen von der Ukraine aus auf russisches Gebiet abzuschießen. Daraufhin schoss Russland experimentelle ballistische Raketen gegen die Ukraine ab.
Der Krieg hat die wirtschaftliche und militärische Stärke der Ukraine und Russlands enorm geschwächt. Obwohl Putin in der Ukraine eine bessere Ausgangsposition für mögliche Verhandlungen hatte als Selenskyj, scheinen die Anstrengungen in diesem Krieg es unmöglich gemacht zu haben, Assads geschwächte Armee in Syrien weiter zu unterstützen, was eine Flanke für den Vormarsch der Türkei, Israels und der USA in der Region eröffnet. Der Sturz Assads ist ein harter Schlag für Russland und seine geopolitischen Ambitionen, wenn man bedenkt, wie wichtig die Region als Tor zum Mittelmeer und für seinen Einfluss in der Sahelzone ist, aber auch, wenn man bedenkt, dass Russland durch sein Eingreifen in Syrien Druck auf die westlichen Mächte in anderen Fragen ausüben konnte, insbesondere in der Krise in der Ukraine nach 2014.
Der Amtsantritt von Donald Trump im Weißen Haus am 20. Januar macht die Weltlage nur noch unsicherer. Jegliche Verhandlungen in der Ukraine werden sehr schwierig sein und weitere Eskalationen sind nicht auszuschließen. In Europa haben die imperialistischen Länder Fortschritte bei der imperialistischen Aufrüstung gemacht, aber die deutsch-französische Achse befindet sich inmitten schwerer politischer und staatlicher Krisen. Wenn Trump die Zölle anhebt, wie er verspricht, werden die europäischen Volkswirtschaften hart getroffen werden, mit rezessiven Tendenzen, wie sie sich in Deutschland bereits abzeichnen.
Das Regime des Ajatollah seinerseits ist von den Veränderungen in der regionalen Situation betroffen wie nie zuvor. Der Iran ist in eine Phase tiefgreifender Unsicherheit eingetreten, die durch zahlreiche Faktoren gekennzeichnet ist, die sowohl exogen als auch endogen für das nationale politische System sind. Der Sturz Assads und die Schwächung Russlands und des Irans sind auch für China eine schlechte Nachricht, das seine Nahost-Strategie entgleisen sieht. China hatte Bashar al-Assad maßgeblich unterstützt, der das Land 2023 besuchte, um eine „strategische Partnerschaft“ mit Peking anzukündigen.
Alles deutet darauf hin, dass sich die konvulsiven Tendenzen in der internationalen Situation verstärken werden.
Eine internationalistische und antiimperialistische Position
Angesichts der Verschärfung des Konflikts zwischen den Mächten und der Zunahme der Krisen neigt die große Mehrheit der internationalen Linken dazu, sich in „Lager“-Positionen zu begeben, die den verschiedenen kapitalistischen und imperialistischen Sektoren untergeordnet sind. Vor dem Krieg in der Ukraine reihten sich reformistische Sektoren wie Die LINKE, selbst kleinere Organisationen wie die LIT oder die UIT-CI in das Lager der NATO und der Selenskyj-Armee ein. In ähnlicher Weise stellen einige heute den Sturz von Assad durch dschihadistische und pro-türkische Milizen mit dem Segen der USA und Israels als Ergebnis einer „siegreichen demokratischen Revolution“ dar. Als ob es durch die Hand des Imperialismus und reaktionärer Militärmilizen irgendeine Emanzipation für die syrischen Massen geben könnte.
Auf der anderen Seite beklagen Teile der populistischen oder neostalinistischen Linken den Sturz von Assads Diktatur. Sie stellen ihn zusammen mit dem Rest der „Achse des Widerstands“ unter Führung des reaktionären iranischen Regimes als progressive und antiimperialistische Alternative dar. Ein weiteres Argument lautet, dass die Feinde unseres Feindes unsere Verbündeten sein sollten, weil sie die „westliche Hegemonie“ herausfordern. Dabei wird der Klassencharakter dieser Mächte völlig außer Acht gelassen. Anstatt die palästinensische Sache oder die Sache der unterdrückten Völker zu unterstützen, versuchen diese Kräfte, sich einer von Israel und den USA diktierten Neuordnung der Region zu widersetzen, durch die sie an den Rand gedrängt würden, und das zu einer Zeit, in der sie versuchen, sich mit den pro-imperialistischen Monarchien am Golf zu versöhnen.
Wir von der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale haben unsererseits eine internationalistische, antiimperialistische und klassenunabhängige Position angesichts der wichtigsten Entwicklungen der Weltlage beibehalten.
Wir lehnen alle imperialistischen Aggressionen in der Region ab, wie die Sanktionen oder die Angriffe Israels (mit Unterstützung der USA) gegen den Iran, den Libanon und jetzt in Syrien, die sich auf ein angebliches „Recht auf Selbstverteidigung“ berufen. Wir kämpfen gegen die zionistische Enklave des Staates Israel und für die Vertreibung des Imperialismus aus dem Nahen Osten. Aber wir tun dies, ohne den Bourgeoisien der Region oder den mit dem Iran verbündeten reaktionären Regimen auch nur die geringste politische Unterstützung zu geben.
Die Balfour-Erklärung von 1917, mit der sich die Briten verpflichteten, die zionistische Kolonisierung Palästinas zu fördern, und die Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien von 1919 besiegelten das Schicksal der Region unter imperialistischer Unterdrückung. Die Aufteilung der ehemaligen osmanischen Provinzen in Einflusszonen für die einzelnen imperialistischen Mächte ist die Ursache für die Entstehung Syriens und des Irak, in denen verschiedene ethnische, nationale und religiöse Gruppen zusammengeführt wurden. Das staatenlose kurdische Volk wurde aufgrund von Vereinbarungen zwischen den imperialistischen Mächten in vier Teile geteilt. Seitdem ist die kurdische Frage in vier Ländern (Türkei, Syrien, Irak und Iran) ungelöst. Infolgedessen wird Kurdistan das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 festigte die imperialistische und insbesondere die US-amerikanische Präsenz in der Region. In jüngster Zeit haben die Kriege im Irak und in Afghanistan das Leid der Massen außerordentlich vergrößert und die Prozesse der Zersplitterung und Krise der Staaten beschleunigt, in deren Mitte die von den Regionalmächten und dem Imperialismus in reaktionärer Weise geförderten Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen und schiitischen Sektoren des Islam wieder aufflammten. In diesen Kriegen basierte unsere Position auf der notwendigen Niederlage der imperialistischen Aggression.
Da die Tendenzen zu Krieg und Regimekrisen zunehmen, kann nur der Kampf der Arbeiter:innenklasse zusammen mit der Bäuer:innennschaft, den Frauen und der Jugend einen fortschrittlichen Ausweg im Nahen Osten eröffnen. Heute verteidigen wir mehr denn je das Recht der syrischen Geflüchteten, selbst zu entscheiden, ob sie nach Syrien zurückkehren oder in Europa bleiben wollen, mit vollen arbeitsrechtlichen, politischen und sozialen Rechten. Nein zu Abschiebungen! Wir weisen auf die Notwendigkeit hin, die Solidaritätsbewegung und den Kampf für die Beendigung des Völkermords in Palästina, für die Zerschlagung des Staates Israel und für ein sozialistisches Palästina der Arbeiter:innen, in dem Menschen aller Ethnien und Religionen in Frieden und Brüderlichkeit zusammenleben können, weiterzuentwickeln. Und wir fordern: Keine Einmischung des Imperialismus, Israels und der Türkei in Syrien! Für das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes.
Der Kampf für Brot, Freiheit und ein Ende des Krieges ist mit dem Kampf gegen den Imperialismus und die reaktionären lokalen Bourgeoisien verbunden. Daher ist es ein Kampf für Arbeiter:innenregierungen, die sich auf die Demokratie der Arbeiter:innenklasse und der armen Massen stützen, und für eine Föderation sozialistischer Republiken in der Region.