Symbolische Hausbesetzungen sind nicht genug: eine Antwort auf „No Future for IAA“
Während der Proteste gegen die IAA hat uns Lou Schmitz, Sprecherin von „No Future for IAA“, ein Interview gegeben. Die Diskussion über die nötige Strategie gegen die Klimakrise wollen wir fortsetzen.
Die Internationale Automobilausstellung (IAA), das Mobilitätswende-Camp sowie die verschiedenen Protestaktionen während der Messe sind zwar vorbei, doch der Kampf gegen die Klimakrise geht weiter. Warum er weitergehen muss, was wir gegen die sich zuspitzende Situation tun können und wie wir das in den nächsten Monaten in München, in Deutschland und weltweit gemeinsam angehen können, wollen wir in diesem Artikel anhand der Thesen und Vorschlägen aus dem Interview mit dem Bündnis „No Future for IAA“ diskutieren.
Das Bündnis ist nach eigener Beschreibung ein antiautoritäres und antikapitalistisches Bündnis, das sich auf die Auswirkungen der Automobilausstellung auf die Münchner Innenstadt konzentriert und der damit verbundenen Privatisierung des öffentlichen Raums den Kampf ansagt. Diesem Anliegen ist unbedingt zuzustimmen, zum Beispiel werden viel zu wenige Stimmen laut gegen den Ausverkauf anderer Arbeitsstandorte in der Innenstadt, wie dem Galeria Kaufhof zwischen Karlsplatz und Hauptbahnhof, den sich gerade der österreichische Multimillionär René Benko mit Zustimmung der rot-grünen Stadtratsfraktion unter den Nagel reißt, um dort Luxuswohnungen zu horrenden Mieten hinzu pflastern. Bei 720 Euro Durchschnittsmiete für ein WG-Zimmer in München braucht es unter anderem bezahlbare Studierendenwohnungen und keine Luxus-Glaspaläste, wie sie mittlerweile auch vermehrt im Stadtteil Giesing entstehen.
Als Aktion gegen die Privatisierung von Wohnraum und öffentlichem Raum organisierte das Bündnis während der IAA eine kurze symbolische Besetzung eines leerstehenden Gebäudes in der Innenstadt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Die IAA wird vom Bündnis als Symptom des kapitalistischen Wirtschaftssystems verstanden. Solange Profitinteressen an erster Stelle stehen und soziale und ökologische Belange immer wieder hinten angestellt werden, will sich „No Future for IAA“ dafür einsetzen, dass sich das ändert. Und dann heißt es noch: „Gerade in München, wo es eben ganz wenig Freiräume gibt.“
Freiraum war etwas, das sich viele Menschen beim Mobilitätswende-Camp gewünscht haben. Aber was ist damit konkret gemeint? Der Freiraum ist zwar ein Ort, an dem Kapitalismuskritik geübt werden kann, aber es ist keine Praxis, die den Kapitalismus herausfordert. Ein revolutionärer Umbruch der Gesellschaft kann nicht in isolierten Inseln umgesetzt werden. Kommunenartige Räume können eine kleine Welt schaffen, die den Beteiligten das Gefühl gibt, das kapitalistische System besiegt zu haben. Aber ein gewonnener Freiraum ist keine gewonnene Revolution. Um Teil einer revolutionären Politik zu sein, muss dieser Ort als eine Stellung im Klassenkampf verstanden werden, von der aus andere Kämpfe gegen das System unterstützt werden. Die erkämpften „Orte“ müssen also einem strategischen Zweck dienen, um die Mächtigen ins Wanken zu bringen.
Unser Kampf für mehr Freiräume an den Universitäten und Hochschulen mag auf den ersten Blick ähnlich erscheinen. Aber wir müssen daran arbeiten, die Universitäten als Bastionen im Klassenkampf aufzubauen, um Kräfte zu konzentrieren. Das funktioniert unserer Meinung nach aber nur mit einem sozialistischen Programm, das den Klassenkampf als treibende Kraft hat und über einzelne Besetzungen hinausgeht. Besetzungen und Blockaden können wichtige Taktiken sein, um klassenkämpferische Prozesse zu unterstützen. Das war im Frühjahr 2023 in Frankreich der Fall, als Studierende in den Streiks gegen die Rentenreform die Streikposten der Arbeiter:innen mit Blockaden gestärkt haben. Die wichtigste und wirksamste Waffe der Arbeiter:innenklasse ist nämlich der Streik.
Lou spricht auch noch davon, dass es bei der Produktion von Gütern, also natürlich auch bei der Verteilung und Konstruktion von Wohnraum, nicht um Profitinteressen gehen darf, sondern um die Bedürfnisse der Bewohner:innen. Zu Recht betont sie, dass es basisdemokratischer Strukturen bedarf, um über die Verteilung von Gütern und Wohnraum gerecht zu entscheiden. Aber wie kommen wir zu diesem solidarischen Stadium, in dem nicht Benko und Konsorten mit der Regierung, sondern wir selbst unseren Wohnraum demokratisch planen und gestalten können?
Wir glauben, dass symbolische Besetzungen dafür nicht ausreichen. Die reine Bewusstwerdung über ein Problem reicht nicht aus, um dem Kapital und dem bürgerlichen Staat die Macht zu entreißen. Auch wenn die sogenannte „Zivilgesellschaft“ über die Wohnungs- und Klimakrise Bescheid weiß, die ja eng miteinander verflochten sind, entsteht nicht einfach wie von selbst eine wirkliche Strategie, um den Immobilienmogulen und der Regierung etwas entgegenzusetzen. Wir sehen das Problem z.B. in Berlin, wo sich in der Liebigstraße jahrelang besetzte Häuser halten konnten, aber schließlich doch von der Polizei geräumt wurden. Diese Besetzer:innen hatten viele Probleme, unter anderem ihre Isolation von ihrem Kiez und ihren Nachbar:innen, aber selbst wenn es solch unterstützende Voraussetzungen geben sollte, können wir uns unsere Stadt und unsere Häuser noch nicht zurückholen.
Was es braucht, ist ein Bündnis der Mieter:innen und der Arbeiter:innen, in dem die Arbeiter:innen des Baugewerbes, der Instandhaltung, der Hausverwaltung und des elektronischen Supports mit Unterstützung der Mieter:innen gegen die großen Immobilien- und Baukonzerne streiken, denn die Maurer:innen, die Tiefbauspezialist:innen, die Ingenieur:innen und viele weitere sind diejenigen, die alles aufgebaut haben und am Laufen halten. Die Kapitalist:innen dieser Welt, allen voran die für den Bau und die Infrastruktur zuständigen Politiker:innen, haben keine Macht mehr, wenn die Arbeiter:innen, die den Mörtel anrühren oder die Architektur planen, ihre Arbeit niederlegen. Die Arbeiter:innen haben ihre Geschichte schon immer selbst gemacht, in allen Sektoren, aber eben auch bei Bau und Infrastruktur, sie müssen sich dessen nur noch bewusst werden. Wie schaffen wir das?
So etwas fällt nicht einfach vom Himmel, genauso wenig wie BMW ohne Streiks übermorgen einfach aufhört, Autos für den Individualverkehr zu bauen, egal ob mit Benzin, Diesel, Gas oder E-Fuels. Es braucht die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und ihre Selbstorganisierung, um diesen Prozessen etwas entgegenzusetzen.
Wenn es um den Umbau der Automobilindustrie hin zu kollektiver Mobilität geht, können wir einiges von der Kampagne #WirFahrenZusammen lernen. Denn hier verbindet sich eine soziale Bewegung wie Fridays For Future, die gegen die Klimakrise kämpft, mit der Gewerkschaft ver.di und den Arbeiter:innen aus dem ÖPNV, also vor allem Trambahn- und Busfahrer:innen. Das ist ein Projekt, bei dem tatsächlich die Interessen der Arbeiter:innen nicht gegen ökologische Forderungen ausgespielt werden, sondern zusammen gedacht werden. Diese Solidarität zwischen den Bewegungen, die auch Lou im Interview fordert, ist sehr zu begrüßen, stößt aber aufgrund von zwei Aspekten an ihre Grenzen.
Zum einen reicht es nicht aus, zu sagen, dass alle sozialen Bewegungen solidarisch miteinander sein sollten. Denn Schüler:innen und Studierende, die in der Klimabewegung aktiv sind, haben nicht die gleiche soziale Macht im kapitalistischen Produktionsprozess wie die Arbeiter:innen. Eine gemeinsame Solidarität muss daher immer die Arbeiter:innenklasse in den Mittelpunkt stellen, weshalb es auch so gut ist, dass FFF mit ver.di zusammenarbeitet. Dass die Arbeiter:innen im Zentrum der Strategie stehen müssen, heißt aber keineswegs eine Geringschätzung der Rolle der Jugend. Vielmehr kann sie ihre Themen in die Arbeiter:innenbewegung tragen und als Katalysator für den Klassenkampf dienen, wenn sie ihren Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung Hand in Hand mit den Arbeiter:innen führt.
Das bringt uns zum zweiten Aspekt. Mit der Gewerkschaft zusammenzuarbeiten heißt nicht zwangsläufig, mit den Arbeiter:innen zusammenzuarbeiten. In der Kampagne #WirFahrenZusammen entscheiden nicht die Beschäftigten darüber, wie der Streik organisiert wird, sondern die Gewerkschaftsbürokratie, die eine privilegierte Schicht innerhalb der Gewerkschaft darstellt. Deswegen ist die Kampagne auch nicht darauf ausgerichtet, dass die Beschäftigten selbst den Umbau des ÖPNV organisieren sollen, sondern besteht aus Appellen an die Regierung, mehr in den ÖPNV und weniger in Autobahnen zu investieren. Diese Forderungen sind richtig, aber mit Appellen allein werden wir sie nicht durchsetzen können.
Über die Methode, wie der Kapitalismus abgeschafft werden kann, sagt Lou Folgendes im Interview:
Das ist die eigentliche zentrale Frage, die sich sowohl eine Linke als auch eine Klimagerechtigkeitsbewegung stellen muss und auch gerade stellt. Auf dem System Change Camp sind Allianzen gebildet worden und es hat Strategiedebatten darüber gegeben, wie man sich am besten vernetzt. Innerhalb der Linken gibt es zu politischen Themen immer auch unterschiedliche Standpunkte, aber im Endeffekt kämpfen wir ja alle gemeinsam für das gleiche Ziel: Für eine bessere Zukunft jenseits des Kapitalismus. Wir müssen anfangen miteinander zu sprechen, einen Raum für Diskussionen zu eröffnen, der diese inhaltlichen Unterschiede auch aushalten lässt. Wir sollten gemeinsam an einem Strang ziehen und eine Bewegung aufbauen, die solidarisch miteinander ist, auch wenn das bei manchen inhaltlichen Punkten bedeutet, nicht ganz einig zu sein.
Der Wunsch nach einem solidarischen Miteinander innerhalb der Linken ist definitiv ein Wunsch, den wir auch vertreten. Es ist gut, mehr über Strategien zu sprechen. Allerdings ist das Nebeneinander von unterschiedlichen Strategien genau der Fehler, den die Linke gerade macht. Was wir brauchen, sind inhaltliche Auseinandersetzungen innerhalb der (radikalen) Linken. Mit einem Nebeneinander verschiedener Strategien werden wir den Kapitalismus nicht überwinden. Das heißt aber nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten wollen.
Diese kann es innerhalb von Aktionseinheiten mit gemeinsamen Forderungen geben. Beispielsweise an unseren Universitäten oder im Solikomitee um den Erhalt des Kreißsaals in Neuperlach. Gerade ist auch eine Studierendengruppe an den Münchner Universitäten aktiv, die das Problem des studentischen Wohnens aufwirft, Diskussionen anstößt und Protestaktionen organisiert. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie wir diesen Protest in unsere Universitäten tragen, um dort darüber zu diskutieren, welche Forderungen wir an die Regierung und die Hochschulleitungen stellen, und welche Bündnisse wir in den kommenden Arbeitskämpfen schmieden können. Wie können wir zum Beispiel die Frage des Wohnens politisieren und über die Grenzen der Studierenden hinaus verbreiten? Wie können wir den Kampf um bezahlbaren Wohnraum mit ökologischen Forderungen verbinden? Und wie können wir in diesem Prozess mehr selbstverwaltete Räume erkämpfen, die uns für einen breiteren Kampf gegen die kapitalistische Krise behilflich sein können?
Was man hinsichtlich einer Forderung nach Solidarität innerhalb der Linken auf keinen Fall vergessen darf, sind die Reaktionen der Polizei auf linke Aktivist:innen. Noch vor der Eröffnung der IAA wurden Aktivist:innen der Letzten Generation in Präventivhaft genommen, die Klimaaktivist:innen auf dem Camp waren starken Repressionen ausgesetzt und während der Hausbesetzung wurde Till N. von der Polizei schwer am Ohr verletzt. Wir positionieren uns ganz klar gegen Repressionen und Sanktionen von Staat und Polizei, unabhängig davon, ob wir die Umsetzung von politischen Aktionen befürworten oder nicht.
Eine Antwort auf unsere Frage, wie mit Hilfe der sozialen Bewegungen und der Arbeiter:innenklasse der Kapitalismus internationalistisch überwunden werden kann, haben wir vom Bündnis zwar nicht bekommen, aber wir können mit Bestimmtheit sagen: Die Revolution ist entweder international, oder sie scheitert. Auch auf dem Podium am Samstag während des Camps, wo eine Person vom Bündnis „Ums Ganze“ spricht, zu dem auch die Antifa NT und damit auch die Kampagne „No Future for IAA“ gehört, wird diese Frage nicht beantwortet. Weiter noch heißt es auf dem Podium, dass sie die Arbeiter:innenklasse nicht als Subjekt begreifen, weil diese durch ihre materiellen Interessen an der Aufrechterhaltung des Status Quo gebunden sei. Aber wer sonst, wenn nicht die Arbeiter:innen selbst, haben die Macht, die Produktion tatsächlich still zu legen, und zwar länger als einen Tag, wie wir es in Lützerath gesehen haben? Und wer sonst, wenn nicht sie, weiß, wie die Produktionsmittel funktionieren und für welche besseren Dinge sie sie eingesetzt werden könnten? Natürlich ist nicht jede:r Arbeiter:in in der Chemiebranchen aktuell ein:e Klimaschützer:in, aber das hängt nicht mit ihrer oft zitierten „Rückständigkeit“ zusammen, sondern unter anderem damit, dass die bisherigen Klimaproteste entweder ohne sie stattfinden oder dass Klimaschützer:innen an den Orten der Arbeiter:innen Aktionen machen, ohne die dort Beschäftigten einzubeziehen, wie es letztes Jahr bei den Blockaden am Hamburger Hafen durch Aktivist:innen von Ende Gelände geschah. Solche Aktionen helfen nichts, zumal die Arbeiter:innen des Hafens ja sogar Wochen zuvor die heftigsten Streiks seit Jahrzehnten geführt hatten. Das hätten wir als Klimabewegung unterstützen müssen.
Und genau hier wollen wir anknüpfen: Die Vorstellung, man könne die Klassenherrschaft einfach durch eine Veränderung des Denkens in den Köpfen der Menschen beenden, ist zu wenig. Auch die Idee, antikapitalistisch und kommunistisch zu sein, reicht auch nicht aus, um am kapitalistischen System etwas zu ändern. Die Arbeiter:innenklasse ist die zentrale Kraft für den sozialen und ökologischen Wandel. Nur sie hat die Macht, alle anderen unterdrückten Sektoren im Kampf gegen den Kapitalismus zu vereinen. Arbeiter:innen sind nicht nur diejenigen, die auf den Kohlebaggern sitzen oder die am Fließband der Automobilkonzerne ihre Arbeit verrichten. Jede Person, die dazu gezwungen ist, ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen, um zu überleben, ist eine Arbeiter:in. Deshalb trennen wir den Kampf der Hebammen um den Kreißsaal in Neuperlach oder die Forderungen von TVStud und TVL nicht von unseren Kämpfen gegen die Klimakrise.