Sunak wird erster Milliardär-Premierminister im Vereinigten Königreich
Das Vereinigte Königreich hat schon wieder einen neuen Premierminister. Erstmals ist dieser nicht-weiß. Das sollte jedoch kein Grund zur Freude sein, denn Verbesserungen für Migrant:innen und Arbeiter:innen verbergen sich nicht dahinter.
Nach nur 45 Tagen trat Liz Truss als Regierungschefin des Vereinigten Königreichs zurück. Nach dem Versuch, ihre ultra-neoliberale Agenda umzusetzen, fiel Liz Truss schnell in Ungnade. Das Vertrauen der Bosse hatte sie endgültig verspielt und die Wirtschaft brach ein: Es folgten eine Reihe von Kehrtwenden, die ihr ganzes Programm in einem Handschlag fast rückgängig machten. Nur fünf Tage später steht ihr Nachfolger schon fest: Rishi Sunak, ihr Kontrahent während der internen Wahl im Sommer, übernimmt heute das Amt des Premierministers.
Er ist der fünfte Premierminister der regierenden Konservativen seit 2016. Er ist der reichste Mann, der dieses Amt jemals antrat und Fast-Milliardär. Er übernimmt das Amt von Liz Truss in einem undemokratischen parteiinternen Verfahren, das den Bossen und der Börse versichern soll, dass die regierende Konservative Partei die Lage noch halbwegs im Griff hat. Schon die Ernennung von Jeremy Hunt zum neuen Finanzminister war ein erstes Anzeichen für ein Diktat der Börse an die Politik. Am 31. Oktober wird ein neuer Haushalt vorgestellt, der die herrschende Klasse beruhigen soll: Die Kosten der weltweiten Krise und der weiter verschärften Wirtschaftskrise sollen auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen werden. Eine aggressive Rückkehr zu der Art Austeritätspolitik David Camerons, die die aktuelle politische Krise maßgeblich zu verantworten hat. Für eine solche Politik warb Sunak schon vehement im Sommer und hatte sich damit bei der Tory-Basis unbeliebt gemacht, die Truss’ Programm der Steuersenkungen für Reiche, noch mehr Deregulierung und Privatisierung deutlich bevorzugt hat.
Für Anhänger:innen einer Repräsentationslogik dürfte die Ernennung Sunaks zum Premierminister ein Grund zur Freude sein: Er ist schließlich der erste nicht-weiße Premierminister Großbritanniens und neben Antonio Costa in Portugal eines europäischen Landes. Das sei ein Grund, ein “bisschen Stolz auf das moderne, multikulturelle Großbritannien” zu sein, stimmen viele sozialliberale Stimmen in der britischen Presse an. Dabei zeigen die Tories seit einigen Jahren schon die Probleme eines liberalen Antirassismus: durch Verweise auf Repräsentation und Diversität in den einigen Reihen wurden mehrmals schwerste Angriffe auf Geflüchtete, Migrant:innen und andere migrantisierte Teile der Bevölkerung gerechtfertigt. Die Begründung: Tory-Minister seien selber Rassismus ausgesetzt und können deshalb selber keine rassistische Politik betreiben. Sunak steht wie kein Zweiter für die rassistische Politik seiner Partei und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Klassenfeind: Ein Feind aller Arbeiter:innen, Migrant:innen und Jugendlicher, egal ob schwarz oder weiß.
Sunak gehört seit 2015 – und seit 2019 als Minister – einer Regierungsfraktion an, die massivste Verschlechterungen für die Leben von Migrant:innen und Geflüchteten beschlossen hat. Er ist selbst ein brennender Anhänger der Ruanda-Pläne, bei denen asylsuchende Menschen egal welcher Herkunft nach Ruanda abgeschoben werden sollen, ohne einen Asylprozess zu durchlaufen. Und auch bei der Premierministerkandidatur im Sommer machte er die “illegale Einwanderung” zu seiner höchsten Priorität. So bediente er sich beispielsweise rassistischer Narrative, dass niemand die angebliche Verschwörung thematisiert, dass “muslimische Gangs” Frauen und Kinder missbrauchen. Aus demselben Grund der “politischen Korrektheit” sieht die Polizei laut Sunak von rassistischen Kontrollen ab, um selbst nicht in den Verdacht von Rassismus zu kommen. Vor dem Hintergrund der massiven Ausweitung von Polizeibefugnissen im Bereich der rassistischen Kontrollen sowie hunderte rassistische Morde in den vergangenen 30 Jahren ein mehr als absurdes Narrativ. Ebenso unterstützte er imperialistische Kriege und stimmte mehrmals gegen Untersuchungen zum Irakkrieg: Im Zuge des Irakkriegs sind hunderttausende irakische Zivilist:innen Opfer des britischen Imperialismus geworden.
Sunak stellt nicht nur für Migrant:innen keinen Fortschritt dar, sondern vertritt ein rundum arbeiter:innenfeindliches Programm. Die bereits angekündigte aggressive Austeritätspolitik soll, wie bereits anfangs erwähnt, vor allem die Arbeiter:innen Großbritanniens treffen. So werden weitere großflächige Einsparungen in allen Bereichen angekündigt. Kürzungen im Bereich Bildung, Gesundheit und Sozialleistungen werden dabei nicht ausgeschlossen.
Rishi Sunak, der reichste Premierminister bisher, hat natürlich auch privat kein materielles Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Reichen und den Bossen. Mit einem eigenen Vermögen von über 730 Millionen Pfund, doppelt so viel wie König Charles III., und einer Milliardärin zur Ehefrau, handelt Sunak noch mehr im Interesse des Kapitals als seine Vorgängerin Truss. Seine Hauptaufgabe liegt nämlich darin, das verlorengegangene Vertrauen der Kapitalist:innen zurückzuerlangen.
Zum Vergleich: Ein:e durchschnittliche:r Arbeiter:in in England verdient jährlich rund 32.000 Pfund brutto. Somit müsste diese Person also seit der Steinzeit, rund 23.000 Jahre, arbeiten, um dieses Vermögen anzusammeln. Bei dieser Rechnung wurden noch keine Steuern abgezogen. Es zeigt sich also klar, dass Sunak auch persönlich der Arbeiter:innenklasse diametral entgegensteht und so ein Feind aller Arbeiter:innen ist. So befürwortet er Anti-Gewerkschaftsgesetze und warb gegen eine höhere Besteuerung von Banken und Konzernen. Ebenso warb er regelmäßig gegen Maßnahmen zur Vorbeugung des Klimawandels.
Vor allem die schon von Truss versprochenen Anti-Gewerkschaftsgesetze werden für ihn als neuen Premierminister überlebenswichtig, um sein arbeiter:innenfeindliches Programm durchzusetzen, während im Vereinigten Königreich seit Sommer eine immer größer werdende Streikwelle voranschreitet. So streiken demnächst Gesundheitspfleger:innen des National Health Service, Lehrer:innen, die Post und auch die Eisenbahn möchte demnächst wieder für eine ganze Woche streiken. Die Delegierten des Trade Union Congress (TUC), dem britischen Äquivalent zum Deutschen Gewerkschaftsbund, haben sich auf ihrem letzten Kongress dafür ausgesprochen, eine engere Koordination von Streiks durchzuführen. Ebenso spricht sich der TUC für eine Neuwahl des Parlaments aus, wenn auch größere Mobilisierungen gegen die Regierung von der Bürokratie weiterhin ausgebremst werden.
Doch auch wenn Neuwahlen stattfinden sollten und die Labour Party, wie es nach aktuellen Umfragen aussieht, eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament hat, einigen Umfragen zufolge könnte Labour 507 Sitze von 650 gewinnen; so stellt sie keine Alternative für die Arbeiter:innen, Migrant:innen, Jugendliche etc. im Vereinigten Königreich dar. So beteuerte der Labour-Vorsitzende Keir Starmer Montagmorgen selbst, dass es “keine grundlegenden Unterschiede in der Migrationspolitik” gebe. So wird vermutlich nicht nach Ruanda, sondern “nur” in das Herkunftsland der Geflüchteten abgeschoben. Ein Fortschritt wäre das nicht.
Die Lage der britischen Arbeiter:innenklasse verschlechtert sich massiv und eine wirkliche Alternative gibt es derzeit nicht wirklich. Doch durch koordinierte Streiks im Winter kann der Druck auf die Regierung deutlich erhöht und die politische Krise der Herrschenden weiter zugespitzt werden. Die Repräsentationspolitik der Konservativen Partei ist eine logische Konsequenz der materiellen Interessen von Teilen der Bourgeoisie: Sie ist ein Akt der Kooptierung von Bewegungen zur Integration in den bürgerlichen Staat. Liberaler Antirassismus stellt daher keinen Etappensieg für migrantisierte Teile der Bevölkerung dar und kann nicht zu deren Befreiung führen.
Ein nicht-weißer Kapitalist vertritt nicht die Interessen der nicht-weißen Arbeiter:innen, sondern die des Kapitals. Nicht-weiße Arbeiter:innen in Großbritannien, Deutschland und überall sonst haben mehr mit weißen Arbeiter:innen zu tun, als mit nicht-weißen Kapitalist:innen. Arbeiter:innen müssen die Kämpfe gegen Unterdrückung und Ausbeutung verbinden, um sich zu befreien. Es braucht dabei vor allen Dingen ein Klassenbewusstsein und nicht allein ein Identitätsbewusstsein.