Südkorea: Generalstreik nach schockierendem Putschmanöver des Präsidenten
Am Dienstagabend verhängte der südkoreanische Präsident überraschend das Kriegsrecht. Nun steht er einer möglichen Amtsenthebung gegenüber. Wer sein Amt übernehmen könnte, ist noch unklar. Gewerkschaften antworten auf diese Tyrannei mit Generalstreik, doch der Kampf der Arbeiter:innen muss ausgeweitet werden.
In einer Fernsehansprache am Dienstag verhängte der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht und erklärte, er wolle die verfassungsmäßige Ordnung gegen staatsfeindliche Aktivitäten der Opposition schützen. Er beschuldigte die Opposition, die parlamentarische Arbeit lahmzulegen, Aktivitäten zur Planung einer Rebellion zu betreiben und eine pro-nordkoreanische Kraft zu sein.
Dieser schwerwiegende autoritäre und bonapartistische Sprung erfolgte zu einer Zeit, in der der konservative Präsident einen drastischen Rückgang seiner Beliebtheitswerte erlebte und auf zahlreiche Schwierigkeiten stieß, seine Vorhaben durchzusetzen. Vor dem Hintergrund dieser schweren politischen Krise beschloss Yoon Suk-yeol eine Machtdemonstration gegenüber dem größten parlamentarischen Oppositionsblock, der Demokratischen Partei, die die Mehrheit in der Versammlung hält, durchzuführen und die Armee zu mobilisieren.
Die Nachrichtenagentur Yonhap berichtete, dass die Mitglieder der Nationalversammlung daran gehindert wurden, das Gebäude zu betreten, und dass die südkoreanische Armee die Aussetzung aller parlamentarischen Aktivitäten angekündigt und politische Parteien verboten hat. Artikel 4 der Verhängung des Kriegsrechts enthält zudem eine Bestimmung, wonach “Streiks, Arbeitsniederlegungen und Versammlungshandlungen, die zu sozialem Chaos führen, verboten sind.“
Mit der Verhängung des Kriegsrechts wurden alle Militäreinheiten in Südkorea – das sich technisch gesehen immer noch im Krieg mit Nordkorea befindet – angewiesen, ihre Stellungen zu verstärken und befinden sich im Notbelagerungszustand. Park An-su, Chef des Generalstabs, wurde zum Befehlshaber unter dem Kriegsrecht ernannt und erklärte in einer Erklärung:
Alle politischen Aktivitäten sind in Südkorea nach der Verhängung des Kriegsrechts am Dienstag verboten und alle Medien werden der Aufsicht der Regierung unterstellt. Alle politischen Aktivitäten, einschließlich der Nationalversammlung, der lokalen Räte, der politischen Parteien und der politischen Vereinigungen, sowie Versammlungen und Demonstrationen sind strengstens untersagt. Alle Medien und Publikationen werden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterstellt.
Trotz der Schließung des Parlaments sieht das südkoreanische Gesetz vor, dass Parlamentarier nicht vom Kriegsrechtskommando festgehalten werden dürfen und dass die Regierung das Kriegsrecht aufheben muss, wenn die Mehrheit der Nationalversammlung dies in einer Abstimmung verlangt.
Kontext des Putschversuchs
Der Präsident ging diesen Schritt in einer Phase, in der seine Präsidentschaft massiv in der Kritik steht. Der konservative Politiker, der immer wieder in persönliche Skandale und Korruptionsaffären verwickelt war, hat in den letzten Monaten einen dramatischen Rückgang seiner Zustimmungswerte auf nur noch 25 Prozent erlebt. Sein neoliberales, militaristisches und antifeministisches Programm hat weite Teile der Bevölkerung in eine immer größere Prekarität gestürzt. Bei den Wahlen der Nationalversammlung im April konnte die Demokratische Partei 60 Prozent der Sitze erlangen.
Mit dieser Mehrheit verabschiedete die Demokratische Partei ohne die Unterstützung der Partei der Volksmacht von Präsident Yoon Suk-yeol, einen Haushalt für 2025, der mit einigen Kürzungen versehen war. Diese zielten insbesondere auf die Sonderausgaben des Präsidentenamtes und des Amtes für nationale Sicherheit ab. Diese Entscheidung rief umgehend scharfe Kritik von der Partei der Volksmacht hervor, welche die Maßnahmen als Versuch wertete, die “Funktionen von Staatsanwaltschaft, Polizei und der staatlichen Rechnungsprüfungsbehörde zu neutralisieren.
Inmitten dieser politischen Spannungen, die das konservative Regime zunehmend unter Druck setzten, destabilisierte eine weitere Nachricht die Situation erheblich: Die Stationierung nordkoreanischer Truppen in Russland. In Reaktion darauf drohte die südkoreanische Regierung mit einer eigenen Intervention in den Ukrainekrieg. Diese Entwicklungen könnte den Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe heben, zumal sowohl Nord- als auch Südkorea über erhebliche militärische Kräfte verfügen.
Vor dem Hintergrund dieser Zuspitzung der Konfrontation mit Nordkorea inszenierte Präsident Yoon Suk-yeol in seinem TV-Auftritt die Demokratische Partei als Marionetten des nordkoreanischen Regimes, die durch ihre Kürzungen im Bereich der Polizei- und Sicherheitsetats das Land in ein Chaos stürzen wollen, weshalb er das Kriegsrecht ausrufen müsse.
Gescheiterte Machtkonsolidierung
Sechs Stunden nach der Verhängung des Kriegsrechts und nachdem die Nationalversammlung mehrheitlich gegen das Dekret gestimmt hatte, kündigte der koreanische Präsident an, dass er das Kriegsrecht aufheben werde. Die Ankündigung kam zu einem Zeitpunkt, als sein Manöver von den USA (die mehrere zehntausend Soldaten in der Region stationiert haben) missbilligt wurde.
Die Demokratische Partei hat den Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon bereits gestellt. Das Parlament muss bis Samstag darüber abstimmen, ob es diesen Schritt unterstützen wird. Für eine erfolgreiche Abstimmung ist die Unterstützung von mehr als zwei Dritteln der 300 Mitglieder der Nationalversammlung erforderlich, also mindestens 200 Stimmen. Wird das Amtsenthebungsverfahren angenommen, folgt ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht. Wenn sechs der Richter für die Bestätigung der Amtsenthebung stimmen, wird der Präsident seines Amtes enthoben. Zusätzlich wird nun wegen “Aufruhrs” gegen ihn ermittelt.
Der wahrscheinlichste Nachfolger von Yoon Suk-Yeol wäre voraussichtlich Han Duck-Soo (Partei der Volksmacht), Premierminister Südkoreas, der die Ausrufung des Kriegsrechts kritisiert hat. Er würde eine Fortführung von Yoons Programm darstellen. Dazu gehören seine arbeiter:innenfeindliche Wirtschaftspolitik, eine klare Kante gegen Nordkorea und die Vertiefung der Beziehungen zum NATO-Block. Mit einem Rücktritt oder der Amtsenthebung von Yoon Suk-Yeol würde er als Präsident installiert, da er als amtierender Premierminister der gesetzliche Amtsnachfolger ist.
Möglicher Kandidat der Demokratischen Partei wäre Lee Jae-myung ein sozialdemokratischer Kandidat, der sich vor allem mit seiner Forderung von Steuererhöhungen für Reiche und ein bedingungsloses Grundeinkommen profiliert hat. Er ist jedoch selbst in einen Korruptionsfall verwickelt, der ihn seinen Sitz im Parlament kosten könnte.
Die Arbeiter:innenklasse agiert!
Die Arbeiter:innen bewegung ging angesichts des Putschversuchs schnell auf Kriegsfuß: Der 1,2 Millionen Mitgliedern starke koreanische Gewerkschaftsbund KCTU rief zu einem unbefristeten Generalstreik auf, um den Rücktritt des Präsidenten und der Regierung zu erzwingen. Die Aktion der KCTU fällt mit einer Reihe von Streiks zusammen, die bereits von anderen Organisationen geplant wurden. Mehrere Gewerkschaften, insbesondere im Bereich Transport, Bildung und öffentliche Dienste, starteten am 2. Dezember koordinierte Streiks im ganzen Land.
Streikende Arbeiter:innen protestieren seit dem 4. Dezember um 09:00 Uhr auf dem Gwanghwamun-Platz in Seoul. Darunter waren auch Mitglieder der revolutionären Organisation March To Socialism (MTS). In einer Rede appellierte Yang Dong-min (MTS) an die Arbeiter:innen und forderte sie dazu auf, den Generalstreik auf alle Sektoren auszuweiten und diesen bis zum letzten Moment konsequent zu führen.
Riesige Mobilisierungen von Arbeiter:innen, Studierenden, der feministischen und anti-kapitalistischen Bewegung im ganzen Land haben bereits gezeigt, dass der gestrige Tag einen Wendepunkt für die Arbeiter:innenklasse Südkoreas darstellen kann. Die Frage nach dem Machtwechsel ist keine, die einfach so der Demokratischen Partei überlassen werden sollte. Denn die immense Prekarität, unter der breite Teile der koreanischen Bevölkerung leben, sind nicht bloß Produkt des Yoon-Regimes, sondern der letzten Jahrzehnte der neo-liberalen Regierungen. Unter der Führung der Demokratischen Partei selbst wurden vor 2022 zahlreiche arbeiter:innenfeindliche Gesetze verabschiedet, Gewerkschaften reprimiert und der Weg so für kapitalistisches Wachstum auf Kosten der Arbeiter:innen geebnet.
Die Aufgabe der Gewerkschaften in Südkorea ist die komplette Ausweitung und tatsächliche Umsetzung dieses Generalstreiks in allen Betrieben und Gewerkschaften. Alle Organisationen müssen eine Position zum Generalstreik erarbeiten und ihn unterstützen. In dieser Situation muss eine breite Front der revolutionären Arbeiter:innen, Studierenden und Aktivist:innen diesen Kampf anführen und die verunsicherten und unorganisierten überzeugen, sich auf ihre Seite zu schlagen. Der einzig mögliche Ausweg aus Unterdrückung und Ausbeutung ist nicht das Vertrauen in die bürgerlichen Parteien, sondern die Selbstorganisation und der Kampf gegen das Kapital, deren Interessen die bürgerlichen Parteien vertreten.