Stürzen wir die Regierung von Rajoy und das Regime von ’78

22.07.2013, Lesezeit 10 Min.
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// Erklärung von Clase contra Clase zu der neuen Entwicklung im Fall Bárcenas im Spanischen Staat //

Nicht einmal zwei Wochen. So lange hat es gedauert, bis der ehemalige Schatzmeister der PP („Volkspartei“) Luis Bárcenas nach dem Eintritt ins Gefängnis die „Machenschaften aufdeckte“. Die Unfähigkeit der Regierung und der PP, diese gerichtliche Entscheidung zu verhindern, brachten Bárcenas dazu, mit seiner kalten Rache zu beginnen und neue Dokumente, die Rajoy direkt den Erhalt von Schmiergeldern nachweisen, und SMS zwischen Rajoy und Bárcenas bis zum März 2013 zu veröffentlichen. In den Kommunikationen wird die breite freundschaftliche Verbindung zwischen beiden, die Unterstützung der Regierung für den größten Korrupten in der neueren Geschichte und seine Drohungen, als er sich von der PP verlassen fühlte, deutlich.

Zusätzlich zu den letzten Erklärungen von Bárcenas vor dem Untersuchungsrichter gab er nicht mehr und nicht weniger zu, dass er Rajoy und Cospedal [Generalsekretärin der PP. Anm. d. Ü.] Schwarzgelder in Höhe von mindesten 50.000 Euro in Bar gegeben hatte, dass die PP Schwarzgeld von UnternehmerInnen im Austausch für Baulizenzen empfangen hatte und dass die PräsidentInnen und GeneralsekräterInnen der PP davon wussten.

Wir befinden uns in einer großen Regierungskrise von Rajoy im Rahmen einer historischen Wirtschaftskrise, die die Gesamtheit der ArbeiterInnenklasse und Teile der Massen hart trifft. Diese tiefgehende Krise, die alle Institutionen des Regimes von ’78 betrifft, findet statt, nachdem weitere Korruptionsskandale sogar die Königsfamilie beschmutzen.

Hinter der Korruption: ein Staat und eine Justiz im Interesse der KapitalistInnen

Mit der Veröffentlichung der ersten Dokumente von Bárcenas wurde die enge Verbindung zwischen der politischen Kaste dieses Regimes und der GroßunternehmerInnen aufgedeckt. Die Bauunternehmen, die sich auf Grundlage des Bodengesetzes von 1997, den Baulizenzen für öffentliche Bauten und der riesigen spanischen Immobilienblase bereicherten, waren die ersten Gläubiger der doppelten Buchhaltung, aus der regelmäßig Schmiergelder flossen, um die Abgeordneten, MinisterInnen und hohen Posten der Partei ruhig zu stellen. Dies ist eine so übliche Praxis, dass die Zahl der offenen Korruptionsfälle von politischen Posten im Spanischen Staat bereits die 800 übersteigt. Das zeigt, dass, um Marx zu umschreiben, die Regierung des bürgerlichen Staates nie etwas anderes als der Verwaltungsrat der gemeinsamen Interessen der großen Vermögenden in einem Land ist.

Diese neue Reihe von Dokumenten zerstört eine weitere der großen Lügen des Regimes: dass die Justiz unabhängig und für alle gleich ist. Tatsächlich beweisen die Erklärungen von Bárcenas, dass er vor und nach seiner Einlieferung ins Gericht Vorschläge der PP erhalten hat, um auf eine Einigung zu kommen und die Nichtigkeit des Prozesses zu bewirken, unter der Voraussetzung, dass er sein Schweigen bewahrt; und wenn er das täte, würde er im Austausch den Kopf des Justizministers Gallardón bekommen.

Rajoy hatte bis zuletzt versucht, seine Position als Regierungschef und die Kontrolle der Staatsanwaltschaft zu nutzen, um die Einlieferung seines Freundes und ehemaligen Schatzmeisters zu verhindern. Er schaffte es nicht, da die politischen Kosten für das Regime und seine Institutionen zu groß gewesen wären. Er schaffte jedoch kürzlich, dass Miguel Blesa, der Ex-Präsident der Bank Caja Madrid, in Freiheit bleibt und ein neuer Richter, der mehr an seiner Verteidigung interessiert war, den Fall übernahm. Er erreichte außerdem mit der Staatsanwaltschaft und auf Bitten des Königshauses, dass der Fall Noos [gemeinnützige Stiftung, bei der die Prinzessin Cristina Mitglied des Aufsichtsrates war; ihr Ehemann wurde der Veruntreuung mehrerer Millionen von Stiftungsgeldern beschuldigt. Amn. d. Ü.] nicht mehr auf die Prinzessin zurückzuführen war.

Die Parteiligkeit der Justiz, verbunden mit dem einen oder anderen Sektor des Regimes, erkennt sogar die Vizepräsidentin der Regierung an, wenn sie es als Beweis dafür ansieht, dass es keine Verhandlungen mit Bárcenas gab, dass er heute im Gefängnis sitzt. Damit gibt sie zu verstehen, dass sie, wenn sie es gewollt hätten – oder besser gesagt, wenn es das Kräfteverhältnis innerhalb des Regimes es ihnen erlaubt hätte – seine Verhaftung hätten verhindern können. Oder die Erklärung der Delegierten der Regierung in Madrid, Cristina Cifuentes, die den SMS-Austausch zwischen Bárcenas und Rajoy als „normal“ ansieht. Oder die Beschwerde eines weiteren PP-Abgeordneten, der sich in einem Artikel von El País darüber beschwert, die Kontrolle über den Fall verloren zu haben, dass die Staatsanwaltschaft ihnen nicht mehr gehorcht, wie ihr Aufruf zu einer Aussage von Dolores de Cospedal zeigt.

Dass heute „einer der Ihrigen“ hinter Gittern schläft, beweist nicht, dass sich die Justiz in unparteisch und gleich für alle verwandelt hätte. Es zeigt viel eher die Schwäche der Regierung und des Regimes, mit der gewohnten Normalität zu agieren – „die Ihrigen“ zu verteidigen, zu schützen oder freizusprechen. Dies ergibt sich im Rahmen der zunehmenden Abnutzung der bürgerlich-demokratischen Institutionen, die durch ihre Politik der Attacken auf die ArbeiterInnen und Massen und die Korruptionsskandale, sowie das Regime von ’78 in seiner Gesamtheit entsteht. Es zeigt auch die harten internen Konflikte in der PP.

Keine Partei dieses Regimes für die Reichen kann eine Alternative zur politischen Krise bieten

Die PSOE (Sozialdemokratische Partei) und andere Oppositionsparteien wie IU (Vereinigte Linke) versuchen, Profit aus dem Bárcenas-Skandal zu ziehen. Rubalcaba und Cayo Lara waren die Ersten, die den Rücktritt Rajoys forderten, und schon am Mittwoch kündigte die PSOE an, dass sie einen Misstrauensantrag stellen würden, wenn Rajoy nicht vor dem Gericht sein Bedauern bekunden würde. Die CiU (katalanische Regierungspartei) hält sich in ihrer Forderung nach Erklärung stärker zurück, denn sie müssen „dankbar“ für einige vergangene Gefallen sein, wie zum Beispiel der Straferlass zweier hoher Postenträger von CiU Ende 2012.

Sicher ist, dass keiner unschuldig gegen die Korruption reden kann, da alle Parteien des Regimes in zahlreiche Korruptionsfälle verwickelt sind. Der bekannteste Fall ist der der CiU, mit vielen offenen Skandalen. Aber auch die PSOE ist Protagonist von großen Skandalen, wie der der Regierung von Andalusien, wo sich eine lange Liste öffentlicher PostenträgerInnen mit 150 Millionen Euro bereicherte, die der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Region bestimmt waren. IU, heute Teil der Regierung in Andalusien, ist Teil der Verteidigungsmauer, die diesen Fall straffrei halten will, indem sie sich gegen neue parlamentarische Untersuchungen stellen oder unterstützen, dass die Regierung die Verteidigungskosten der Angeklagten übernimmt.

Wir können also nicht erwarten, dass das Ende der Korruption aus den Händen einer dieser Parteien des Regimes von ’78 kommt, die bis zum Haaransatz in all die üblichen Praktiken des Geschäftemachens und der Korruptionen zwischen den öffentlichen Positionen auf allen Ebenen und den großen UnternehmerInnen eingebunden sind. Parteien, die Teil einer Kaste sind, die immer stärker von den ArbeiterInnen und Sektoren der Massen zurückgewiesen wird.

Es ist nicht die Korruption, es ist der Kapitalismus. Für eine Revolutionäre Verfassungsgebende Versammlung!

Obwohl Rajoy in seinen Erklärungen auf die Stabilität seiner absoulten Mehrheit hinweist, wird die soziale Ablehnung der PP-Regierung immer größer und der stetige Fall in Wahlumfragen zeigt das, genauso wie die Gesänge für den Rücktritt Rajoys, die auf jeder Demonstration gegen die Kürzungen und Entlassungen zu hören sind. Diese Unruhe lässt sich trotzdem noch von Parteien wie IU, die in soziale Bewegungen intervenieren, im Zaum halten, um die Empörung in reformistische und elektoralistische Projekte zu kanalisieren. Genauso agieren auch die Gewerkschaftsbürokratien der CCOO und UGT, die, nachdem sich 2012 die ArbeiterInnenklasse in Aktion trat – Generalstreiks, Streik der MinenarbeiterInnen, Proteste im öffentlichen Dienst, etc. – sich 2013 im Hintergrund zu halten versuchen, damit die ArbeiterInnenklasse nicht mit ihren eigenen Methoden erneut auf die Straßen geht. Dieses Verhalten sorgt für gewisse Unzufriedenheit bei vielen Jugendlichen und in den Massen, die sich seit dem 15M mobilisieren.

Deshalb ist es notwendig, die kriminelle Politik von Toxo und Méndez [Chefs der großen Gewerkschaftsdachverbände, Amn. d. Ü.] zu verurteilen, die zahlreiche Errungenschaften abgeben, hunderte Tarifverträge fallen lassen … um ein Auftreten der ArbeiterInnen zu verhindern, das die Regierung und das Regime von ’78 in ernsthafte Bedrängnis bringen würde. IU für ihren Teil ruft zu Demonstrationen auf … aber setzt sie nach dem Sommer an. Wenn wir wirklich durch Mobilisierungen die Regierung zum Sturz bringen möchten, dann reichen keine Demonstrationen, erst recht nicht, wenn sie Wochen nach den schlimmsten Vorfällen stattfinden. Wir müssen das Ende der Politik der Eindämmung der Gewerkschaftsbürokratie, der die IU weiterhin folgt, und den Aufruf zu einem Generalstreik und einem Kampfplan gegen Rajoy und seine Maßnamen, der den Sturz der PP-Regierung beschleunigt, fordern.

Die PP-Regierung zu stürzen, um einer Regierung der PSOE oder der PSOE-IU Platz zu machen, würde keinen Ausweg aus der Korruption und den großen sozialen Problemen, die wir erleben, bedeuten. Die Allianz zwischen der herrschenden politischen Klasse und der Finanzelite, die sich an den großen Verhandlungen dieser Jahre bereicherte, stellt sich auch gegen die kleinste Reform des Regimes. Man spricht sogar von einer Verständigung von drei Partnern – PP, PSOE und Zarzuela – die in Gang ist, um die drei Fälle auf eine kontrollierbare Größe zu minimieren, bei denen jeder für sich genommen in der Lage wäre, das Regime zu Fall zu bringen: der Fall Bárcenas, der Fall der andalusischen ERE und die Last mit dem Schwiegersohn Iñaki Urdangarín [verwickelt in den Fall Noos. Anm. d. Ü.].

Deshalb müssen wir, um einen Regierungs„wechsel“, der nichts ändert, zu verhindern, nicht nur die PP-Regierung, sondern das gesamte Regime von ’78 und seine Parteien angreifen. Wir müssen dafür kämpfen, durch Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse und dem Rest der Massen einen revolutionären verfassungsgebenden Prozess über den Ruinen dieser Demokratie für Reiche zu erzwingen.

Dieser verfassungsgebende Prozess muss mit dem politischen System der KapitalistInnen samt all ihrer reaktionären Institutionen, wie dem Senat und dem Kongress, dem Obersten Gerichtshof, der „Audiencia Nacional“ und dem Verfassungsgericht, dem Präsidentenamt der Regierung, der Krone, brechen. Ein Prozess, der die Formen der fortgeschrittensten Demokratie, die die ArbeiterInnenklasse erkämpfte und die in der Erfahrung der Kommune von Paris 1871 enthalten sind, wieder aufnimmt. In dem sich die Wahlberechtigung auf alle, die älter als 15 Jahre sind, ob AusländerInnen oder Einheimische, ausweitet, sich eine vereinte Kammer konstituiert, die mit legislativer und exekutiver Macht ausgestattet ist und proportional in einem einzigen Wahlbezirk gewählt wird, in dem die Abgeordneten abwählbar sind und das Gleiche wie einE LehrerIn in einer öffentlichen Schule verdienen, in dem die Urteile von Geschworenen getroffen werden und die RichterInnen ebenfalls durch allgemeines Wahlrecht gewählt werden.

Ein verfassungsgebender Prozess mit diesen Charakteristiken würde die Grundlage dafür legen, weitere fundamentale demokratische Fragen wie das Recht auf Selbstbestimmung der Nationalitäten und die großen Fragen der Arbeitslosigkeit, der Wohnungen, der Armut zu lösen, die sich immer nur verschlimmern. So können wir über die Interessen der großen KapitalistInnen hinausgehen um die Arbeit auf alle Schultern aufzuteilen, die Löhne und Renten zu erhöhen, das Gesundheitswesen und die Bildung zu verbessern.

Wir von Clase contra Clase denken, dass der Kampf gegen die Regierung und das Regime von ’78 nur durch die breiteste soziale Mobilisierung mit den ArbeiterInnen an der Spitze erfolgreich sein kann. Im Laufe dieses Kampfes müssen wir die für den Kampf notwendigen Organe der Selbstverwaltung vorantreiben, die die Grundlage für eine provisorische Regierung der ArbeiterInnen und Massen legen, gegen die Regierung der UnternehmerInnen und Banker, die wir heute erleiden. Nur solch eine Regierung, basierend auf diesen Organen, kann einen verfassungsgebenden Prozess garantieren, der bis zum Ende unsere demokratischen und sozialen Forderungen erfüllt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. Juli 2013 hier auf Spanisch.

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