Studierende in Solidarität mit den Streiks
// Bei den Streiks im Einzelhandel helfen Studierende mit einfallsreichen Aktionsformen //
Im Atrium des Berliner Einkaufstempels „Alexa“ fallen kleine weiße Blätter von oben herab. Doch die Zettel sind kein vorweihnachtliches Accessoire – es sind Flugblätter über die Streiks im Einzelhandel. Die Aktion macht den Sicherheitsdienst wach, der die AktivistInnen nicht finden kann, dafür aber Streikposten von ver.di vor dem Eingang des Einkaufszentrums. Die Gewerkschaft müsse für die Reinigungskosten aufkommen, sagen die Männer von der Sicherheit. Doch ver.di kann keine Verantwortung übernehmen, denn sie weiß nicht mal, wer hinter der Aktion steckt.
Diese Szene, die sich letzte Woche abspielte, ist Teil der bundesweiten Streiks im Einzelhandel. Im letzten halben Jahr haben über 130.000 Beschäftigte an Streiks teilgenommen, nachdem der Handelsverband Anfang des Jahres alle Tarifverträge gekündigt hatte. Der niedrige Organisierungsgrad in diesem Sektor macht den Streik allerdings sehr schwierig. Neu daran ist, dass sich viele Studierende an den Aktionen beteiligen. Da sie sich keine Sorgen um einen Arbeitsplatz machen müssen, können sie auf radikalere Aktionsformen setzen als die Beschäftigten – wie eben den Flyer-Regen.
An den beiden Berliner Universitäten FU und HU hat es schon Diskussionsveranstaltungen mit Betriebsräten von H&M und Kaufland gegeben. Daran beteiligten sich nur jeweils einige Dutzend Studierende. Dennoch ist das studentische Interesse an den Streiks größer als in den vergangenen Jahren. Das kann auch daran liegen, dass diese jungen Betriebsräte entweder selbst nebenbei studieren oder bereits ein abgeschlossenes Studium haben – eine Identifikation fällt somit womöglich leichter als mit KollegInnen aus der Metallindustrie.
So kommt es, dass an den Streiktagen bei H&M regelmäßig StudentInnen vor den Läden stehen, um die KundInnen auf alternative, nicht bestreikte Einkaufsmöglichkeiten hinzuweisen. In touristischen Gegenden, z.B. in der Friedrichstraße, springen sie auch mit Fremdsprachenkenntnissen ein: Dann heißt es „hay una huelga“ oder „il ya une grève“, damit auch Menschen, die kein Deutsch sprechen, die Möglichkeit haben, einen Streikbruch zu vermeiden. Noch gibt es keine einheitliche Struktur für die universitären StreikunterstützerInnen, aber verschiedene Gruppen wie Linke.SDS, Waffen der Kritik oder die Blockupy-Plattform sind regelmäßig bei den Streikposten.
In einer Kaufland-Filiale im brandenburgischen Lübbenau wurden Einkaufswagen gefüllt und auf den Fließbändern ausgepackt. Erst als die Waren eingescannt waren, sagte ein junger Mann: „Tut mir leid, für 55,15 Euro reicht mein Lohn leider nicht. Na, zum Glück wird ja heute gestreikt.“ Auch bei zwei Berliner Einkaufszentren hat ein Student mit Bille und Lederjacke auf der Kundgebung der Streikenden dazu eingeladen, eine Spontandemo durch die Center zu machen: Mehrere hundert KollegInnen machten einen riesigen Lärm mit Trillerpfeifen, als sie an den Geschäften vorbeizogen, während die Polizei hilflos zuschauen musste.
Diese Aktionsformen können die KollegInnen nicht ersetzen, aber sehr wohl Mut machen. So sind UniaktivistInnen eher daran gewöhnt, Flugblätter an desinteressierte und ablehnende Passanten zu verteilen. Noch sind die Berliner Studis lange nicht so streikfreudig wie ihre KommilitonInnen in Lateinamerika: So haben Studenten in Argentinien während des Ausstands in der Lebensmittelfabrik Kraft im Jahr 2009 Straßen blockiert und Fernsehshows gestört. Immerhin wird das Thema Streik an den deutschen Hochschule mittlerweile verstärkt diskutiert.
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