Studierende im Kampf gegen Erdoğans Regime

Die AKP-Regierung hat den Istanbuler Bürgermeister seines Amtes enthoben und eingesperrt. Auf den Straßen herrscht massiver Protest, angeführt von Studierenden. Wie können sie Erdoğan besiegen?
Ekrem İmamoğlu, der Bürgermeister von Istanbul, wurde am 19. März 2025 von der türkischen Polizei festgenommen. Ihm werden Korruption, Erpressung, Bestechung, Betrug und die Unterstützung der für verboten erklärten kurdischen Arbeiter:innenpartei PKK vorgeworfen.
Die Festnahme erfolgte wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Volkspartei (CHP) für die Wahlen 2028. Zudem hatte die Universität Istanbul zuvor seinen Universitätsabschluss aufgrund angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ annulliert, was ihn von einer Präsidentschaftskandidatur ausschließen könnte.
Die Amtserhebung İmamoğlus stellt eine weitere Verschärfung der Repression durch Erdoğans Regime dar. Seit den Kommunalwahlen im März 2024 wurden in der Türkei zahlreiche gewählte Bürgermeister:innen ihres Amtes enthoben und durch staatlich ernannte AKP-Mitglieder ersetzt. Dieses Vorgehen betraf insbesondere Mitglieder der prokurdischen DEM-Partei. Beispielsweise wurden im November 2024 die kurdischen Bürgermeister:innen und Mitglieder der DEM-Partei in den Städten Mardin, Batman und des Bezirks Halfeti unter dem Vorwurf der „Terrorismusunterstützung“ abgesetzt und durch staatliche Beamte ersetzt.
Diese Repression gegen Kurd:innen war nie neu: Immer wieder wurden Vorgesetzte der HDP wie Selahattin Demirtaş inhaftiert, teilweise bis heute, und die HDP und Nachfolgeparteien wie die YSP (Grüne linke Partei) wurden immer wieder verboten. Die Amtsenthebung İmamoğlus ist der erste vergleichbare Angriff auf den größten parlamentarischen Konkurrent der CHP.
Die Jugend ist Erdoğans größter Feind
In Städten wie Izmir und Istanbul stellt sich ein massenhafter Protest von Zehntausenden gegen das türkische Regime und ihre autoritären, antidemokratischen Praktiken. Vor allem Studierende und weitere Teile der Bevölkerung fordern den Rücktritt der Regierung und die Rücknahme der politisch motivierten Verhaftung von İmamoğlu. Auf den Straßen kommt es zu direkten Auseinandersetzungen mit der türkischen Staatspolizei, die mit Gummigeschossen, Platzpatronen, Wasserwerfern, Räumpanzern und Pfeffergranaten gegen die Demonstrierenden vorgehen.
Das ist ein klarer politisch motivierter Versuch Erdoğans, İmamoğlu und jede weitere parlamentarischen Gegner als potenzielle Herausforderer von Erdoğan zu schwächen. Die Konkurrenz und Opposition selbst – von CHP bis DEM (Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie) – bezeichnete die Festnahme als „Putschversuch“ und rief zu landesweiten Protesten auf. Ein Demonstrationsverbot wurde danach von der Regierung ausgesprochen.
Doch solch ein Verbot hält Student:innen und Jugendliche nicht davon ab, die Polizei und Gendarmerie in Istanbul, Izmir, Ankara und weiteren Städten Angesicht zu Angesicht zu konfrontieren. Zehntausende sind auf den Straßen Türkeis, tausende von ihnen sind Studierende der Boğaziçi Universität in Istanbul und der ODTÜ Universität in Ankara. Auf einer Demo in Istanbul schlossen sie sich zusammen mit vielen weiteren Menschen, brachen eine Polizeikette auf und konnten weder mit Pfeffergas, noch mit Knüppeln von der Straße gejagt werden. Erst als eine weitere Polizeieinheit mit Wasserwerfern und Räumpanzern eintraf und die Studierenden angriff, konnte der Protest aufgelöst werden. Im Anschluss an diese Demonstration wurde ein landesweites Demonstrationsverbot für vier Tage ausgehängt. Haltestellen in der Nähe der ODTÜ wurden von Protestierenden eingenommen, nachdem die Polizei Studierende auf dem Campus den Zugang verbieten wollte.
Politische Beobachter:innen, internationale Menschenrechtsaktivist:innen und Stimmen aus der Bevölkerung sehen darin einen weiteren Schritt der türkischen Regierung, politische Gegner zu unterdrücken. Die ohnehin schon brüchige Demokratie im Land wird noch weiter abgeschwächt. Aber gerade die Studierenden machen dieses dreckige Spiel nicht mit. Der Ausgang dieser Proteste wird durch die Studierenden bestimmt werden. Sie sind die führende Kraft dieses Kampfes, denen sich die Arbeiter:innen der Türkei anschließen müssen. Denn, wie die Protestierenden in Ankara richtigerweise rufen: „Wir sind alle ODTÜ!“
Keine Freiheit ohne Klassenkampf
Seit den Gezi-Protesten 2013 kam es nicht mehr zu Massenprotesten in der Türkei gegen die Regierung selbst wie aktuell. Kleine Demonstrationen werden immer wieder niedergeschlagen. Durch die massive, teils schwerbewaffnete Polizeipräsenz an nahezu jeder Straße der populären Orte wie Taksim und Kadıköy wird jeglicher Protest normalerweise bereits im Keim erstickt. Demonstrations- und Streikverbote, Inhaftierungen mit und ohne Straferlass, etc. sind alles Mittel der repressiven Regierung, den Kampfwillen der Arbeiter:innen zu unterdrücken.
Die Studierendenbewegung beweist Mut und Kampfwillen auf der Straße. Nach jahrelanger autoritärer Politik, in der Professor:innen von den Unis gekündigt und mit AKP-nahen Professor:innen ersetzt wurden, ist es an der Zeit, die Universitäten wieder zu Kampffeldern zu machen, in denen Studierende Vollversammlungen abhalten und sich organisieren können. Die Straßenschlachten mit den repressiven Handlangern der Regierung dürfen nur der Anfang sein: Was folgen muss, ist eine landesweiter Generalstreik, um die Regierung in die Knie zu zwingen. Dieser muss aufgebaut werden – und auch verteidigt, wenn er staatlich durch Verbote oder Polizeitruppen angegriffen wird.
Dafür müssen die Studierenden jetzt Versammlungen an den Universitäten einberufen und Strategien, Taktiken und Methoden entwickeln, um sowohl gegen die Gewalt auf den Straßen durch die Polizei, als auch gegen die Weiterführung der Politik Erdoğans anzukommen. Erdoğan kann nicht (nur) abgewählt werden: Er muss gestürzt werden. Es es muss um jeden Preis verhindert werden, dass eine neue, genauso rechte und repressive Partei an die Macht kommt. Und um das zu gewährleisten, müssen die Studierenden in ihren Versammlungen Aktionskomitees bilden, in denen sie eben jene Strategien und Taktiken vorbereiten.
Es ist dieser Faktor, die Rätestrukturen, die den Gezi-Protesten fehlten, weshalb sie 2013 scheiterten. Denn die Arbeiter:bewegung beteiligte sich zwar als Bürger:innen, aber nicht mit Streik- und Kampfaktivitäten. Es gab keine Versammlungen in den Betrieben und Universitäten, woraus Räteeinheiten überhaupt entstehen. Die Gefechte auf den Straßen erreichten die Zentren nicht, die alles stilllegen könnten. Unorganisierte Aktionen ohne konkrete taktische Pläne und vor allem ohne strategische Ziele führten zur bitteren Niederlage einer Revolte, die der Anfang einer Revolution hätte sein können. Um eine weitere Niederlage zu verhindern, müssen linke Kräfte und Studierende sich zusammen tun, gemeinsam mit den Arbeiter:innen, und einen Generalstreik ausrufen, der das gesamte Land lahmlegt.
Wenn seine wirtschaftlichen Standbeine in der Automobil-, Bau- und Textilindustrie einbrechen und die türkischen Arbeiter:innen sich mit den unterdrückten Völkern und Studierenden zusammentun, dann ist Erdoğans Untergang besiegelt. Diese Branchen sind seit jeher und immer noch die Hauptzweige der türkischen Wirtschaft. Wenn die Beschäftigten in dieser und allen anderen Branchen den Generalstreik ausrufen, steht Erdoğans gesamte Existenzgrundlage nicht nur auf der Kippe – der Boden unter seinen Füßen löst sich auf und er wird fallen. Es braucht diesen Generalstreik gegen die Regierung, um sie wirklich in die Knie zwingen zu können.
Die Beschäftigten müssen Druck machen auf ihre Gewerkschaftsführungen. Der Generalstreik muss ausgerufen werden, um die Wirtschaftsgrundlage der türkischen Regierung einzureißen. Es liegt in ihrer eigenen Hand: Wenn sie aufhören, arbeiten zu gehen und wenn sie dafür den Rückhalt der Student:innen und Unterdrückten bekommen, können sie das gesamte Land lahmlegen.