Studentische Beschäftigte: Läuft nix ohne uns

12.03.2018, Lesezeit 8 Min.
1

Trillerpfeifen: An den Berliner Hochschulen streiken die studentischen Beschäftigten – zum ersten Mal seit 32 Jahren

Mitte Oktober will die Präsidentin der Humboldt-Universität die neuen Studierenden begrüßen. 500 Erstis füllen das Audimax, da stürmt eine Gruppe mit Megafonen und Transparenten in den Saal. „Ohne uns läuft hier nix!“, skandiert sie. „Gebt uns unsere Kohle fix!“ Bunte Luftballons und Flyer fallen von der Decke.

Wer sind diese Menschen? Es sind studentische Hilfskräfte oder SHKs. 8.000 von ihnen gibt es an den elf Berliner Hochschulen. Sie geben Tutorien, unterstützen Professor*innen, arbeiten im Rechenzentrum oder in der Verwaltung. Sie befinden sich im Arbeitskampf. „Seit 2001 hatten wir keine Lohnerhöhung mehr“, sagt Yunus Özgür, „2003 wurde uns auch noch das Weihnachtsgeld gestrichen.“ Der 22-Jährige studiert Volkswirtschaft an der Freien Universität, nebenbei bearbeitet er Anträge von internationalen Studierenden. Dafür verdient Özgür, laut dem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV Stud), 10,98 Euro pro Stunde.

Der Arbeitskampf eskalierte im Lauf des Semesters. Woche für Woche gab es neue Protestaktionen. Als Gewerkschaftsaktivist*innen die „Queen’s Lecture“ an der Technischen Universität störten, wurden zwei von ihnen am eigenen Arbeitsplatz festgenommen. Mitte Januar traten bis zu 1.000 SHKs in den Streik, vom 23. bis 25. Januar erneut. Höhepunkt war eine lautstarke Demo, die vor dem Berliner Zoo startete.

Betritt man die „Rostlaube“ und die „Silberlaube“ der FU, kann sich die*der Besucher*in in dem ausufernden Komplex kaum orientieren. An den vier Streiktagen bleibt aber die Infotheke zu, genauso wie der Druckservice und der Computerraum. Manche Bibliotheken mussten vorzeitig schließen.

Die SHKs verhandeln seit über einem Jahr mit den Hochschulen und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Sie wollen den Lohnverfall der letzten 17 Jahre aufholen – 14 Euro pro Stunde fordern sie, als Inflationsausgleich. Der größte Streitpunkt ist die „Dynamisierung“, die automatische Anpassung an Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst – damit der Lohnverfall nicht gleich wieder losgeht. Claudia Pfeiffer vom KAV nennt das eine „nicht zu erfüllende Maximalforderung“. Ihr Verband hat zuerst 44 Cent mehr pro Stunde angeboten.

Ich bremse auch für Erstis

Celia Bouali ist wütend. Die 25-Jährige studiert Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität, sie arbeitet seit dreieinhalb Jahren am gleichen Institut. Das Geld für Aufwüchse für die studentischen Beschäftigten ist bereits in den Hochschulverträgen vorgesehen – die Unis müssen es nur weitergeben. „Auch der ursprüngliche Tarifvertrag war ja kein Geschenk“, sagt Bouali. Im Jahr 1986 haben SHKs wochenlang gestreikt und sogar den Ernst-Reuter-Platz besetzt. Sie erhielten den einzigen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in ganz Deutschland. „Das, was uns zusteht, müssen wir noch erkämpfen.“

„Es stimmt, dass Leute in anderen Branchen noch weniger verdienen“, sagt Bouali, „zum Beispiel das Servicepersonal an der Berliner Charité, das nur ein bisschen mehr als den Mindestlohn verdient und seit Jahren für einen Tarifvertrag kämpft. Aber unsere Forderung ist nicht, dass wir mehr verdienen als andere, ganz im Gegenteil.“ Aktivist*innen der TV-Stud-Kampagne waren schon bei Warnstreiks an der Charité, und auch umgekehrt kam Besuch. „Unsere Arbeitskämpfe stärken sich gegenseitig den Rücken.“ Auch bei Warnstreiks von der IG Metall zeigen sich die SHKs solidarisch. Und die Metaller*innen freunden sich gleich mit den jungen Leuten von der Uni an. Denn die Probleme sind eigentlich gleich: Explodierende Mieten, befristete Verträge, wenig Freizeit. Prekarisierung ist ein Phänomen, das die Akademie in Deutschland genauso betrifft wie die Industrie. Zwischen diesen beiden Welten gibt es keine unüberbrückbare Kluft.

Die Stellen sollten laut Gesetz mit „Tätigkeiten in Forschung und Lehre“ verbunden sein. In der Praxis jedoch werden SHKs überall in der Verwaltung eingesetzt und verdrängen somit reguläre Stellen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller musste in einer Ausschusssitzung solche „Tendenzen“ anerkennen. Ein*e Student*in, die*der zum Beispiel in einem Computerzentrum arbeitet, müsste nach dem sonst für die Universitäten geltenden Tarifvertrag der Länder (TV-L) angestellt werden, was nicht nur bei der Lohnhöhe, sondern auch bei Befristung und Urlaubsanspruch große Unterschiede macht. SHK-Stellen werden also für Lohndumping in der Hochschulverwaltung benutzt.

Für die allermeisten ist es der erste Streik – aber nicht für die Kunstgeschichte-Studentin Melinda Schneider. In einem linken Elternhaus aufgewachsen, war „für mich seit der Kindheit immer klar, dass Streikbrecher schlecht sind“, sagt sie. Seit ihrer Ausbildung im Einzelhandel ist sie Mitglied der Gewerkschaft ver.di und hat schon mal in einer Tarifrunde die Arbeit niedergelegt. Seit anderthalb Jahren arbeitet sie in der Universitätsbibliothek. Die gleiche Gewerkschaft ruft Schneider nun wieder zum Streik auf. Ihren richtigen Namen möchte sie heute nicht nennen, zu groß ist die Sorge um zukünftige Jobchancen, wenn sie sich als langjähriges Gewerkschaftsmitglied outet.

Schneider arbeitet 82 Stunden im Monat – das Maximum für SHK – und erhält dafür 878,40 Euro brutto. Davon bleiben etwas weniger als 700 Euro netto. Die meisten SHKs arbeiten 41 Stunden im Monat für 450,18 Euro brutto. Viele erhalten zusätzlich Unterstützung von den Eltern, damit sie überleben können oder nehmen einen Kredit auf. Für Schneider ist ihre SHK-Stelle ihr einziges Einkommen. Sie würde sich gern mehr in die Kampagne einbringen, hat dafür neben Studium und Arbeit aber kaum Energie.

Andere kommen mit ganz anderen Erfahrungen zu der Kampagne. Özgür zum Beispiel besuchte die Deutsche Schule Istanbul, die neben der zentralen Einkaufsstraße İstiklâl liegt. Als er 2013 in die 11. Klasse ging, tobten die Demonstrationen der Gezi-Bewegung direkt vor dem Schultor. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse ein. Auch Bouali hat als Aktivistin bereits Arbeitskämpfe in Berlin und Rom unterstützt – streikt aber zum ersten Mal selbst.

Die Ersti-Streikenden legen eine erstaunliche Radikalität an den Tag. Wenn sie von A nach B müssen, laufen sie selbstverständlich auf der Fahrbahn, während die Autos hupen. An fast jedem Streiktag halten sie Streikversammlungen ab. Vor der gesperrten Infotheke an der FU sitzen dann 50 oder 100 Menschen im Kreis und tauschen Ideen aus. Wie können sie noch nicht streikende Kolleg*innen überzeugen? Wie viel vom Unibetrieb dürfen sie blockieren, ohne die Solidarität von Studis und Hochschulbeschäftigten zu gefährden? Könnten separate Verhandlungen mit einer Hochschule die Kampagne voranbringen? Solch offene Diskussionen sind eher die Ausnahme bei Arbeitskämpfen in Deutschland – und sie sind nicht bei allen Funktionär*innen beliebt. Man ist kreativ: In weniger als einer Stunde gibt es ein Gruppenfoto für die IG Metall und auch einen Plan für Blockaden. Eine Blockade hilft den sonst verhetzten Studis, sich Zeit zu nehmen und eine gute Sache zu unterstützen.

Ein Hauch von Gezi

Die Solidarität aller SHKs in Berlin ist nicht selbstverständlich. Wer zum Beispiel Informatik an der TU studiert, kann mit einem Nebenjob in der Privatwirtschaft viel mehr als knapp elf Euro verdienen. Entsprechend sind fast 200 dieser Stellen an der TU unbesetzt, so Jan Lübbe, Personalratsvorsitzender der SHKs dort. Umgekehrt: Wer Germanistik an der FU studiert, würde vermutlich an einer Bar oder in einem Hostel noch weniger verdienen. Deswegen hat die TU zum Jahresanfang freiwillig die Löhne auf 12,50 Euro erhöht – aber ohne Tarifvertrag, also ohne Garantie, dass die Löhne nicht wieder gesenkt werden. Ob die anderen Unis mitziehen, hängt jetzt von den Streiks ab. Der bisherige einheitliche Tarifvertrag musste auch erkämpft werden. Gibt es ein Ergebnis in den bald beginnenden Semesterferien? Oder wird das nächste Semester mit neuen Störaktionen beginnen? Die Gewerkschaften, deren Mitglieder sonst immer älter werden, gewinnen eine Schar neuer junger Aktivist*innen.

Özgür blickt mit Optimismus in die Zukunft: „In dieser Kampagne aktivieren sich junge Menschen und merken, dass sie mit ihren Problemen nicht mehr alleine sind. Sie lernen, für ihre Forderungen gemeinsam zu kämpfen.“ Klingt nach einem Rezept gegen die allseits beschworene Politikverdrossenheit an den Universitäten – und sogar nach einem Hauch von Gezi.

dieser Artikel im Freitag

Mehr zum Thema