Streikwelle und Streikrecht

08.06.2015, Lesezeit 8 Min.
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// ARBEITSKÄMPFE: Auch wenn der historische Streik der LokführerInnen vorerst gestoppt ist, sind in Deutschland weiterhin viele Streiks im Gange. Doch ein Angriff auf das Streikrecht jagt den nächsten. Welche Perspektive brauchen wir gegen diese Offensive der Herrschenden? Wie können die aktuellen Streiks gewonnen werden? //

Die Einschränkung des Streikrechts ist offiziell: Am vergangenen 22. Mai wurde das Gesetz zur Tarifeinheit im Bundestag angenommen. Nach einer formalen Nachabstimmung im Bundesrat wird es am 1. Juli in Kraft treten. Es soll Fälle der „Tarifkollision“ regeln, also wenn zwei Gewerkschaften für denselben Bereich Tarifverträge aushandeln wollen. Dann verbietet es der kleineren Gewerkschaft, für ihre Mitglieder zu verhandeln und damit auch zu streiken. Ihr bleibt nur die Möglichkeit, den von der größeren Gewerkschaft verhandelten Vertrag zu unterzeichnen. Teilen der ArbeiterInnenklasse wird damit der Zugang zum Streikrecht verwehrt: Dazu gehören kleine Spartengewerkschaften, die in den letzten Jahren durch den Burgfrieden der DGB-Gewerkschaftsführungen wachsen konnten, aber auch Beschäftigte aus Bereichen mit niedrigem Organisierungsgrad wie im Einzelhandel.

Während sich große Gewerkschaften wie die GEW oder ver.di sowie Spartengewerkschaften wie die GDL offiziell gegen dieses Gesetz stellen, unterstützen die bürokratischen Führungen der Industrie- und Eisenbahngewerkschaften das Gesetz. Sie erhoffen sich damit, Konkurrenz aus dem Weg zu schaffen und ihre privilegierte Position zu festigen. Damit stärkt das Gesetz die Teile der Gewerkschaftsbürokratie, die zwar die schweren Bataillone der IndustriearbeiterInnenklasse anführen, diese aber zu unternehmerInnenfreundlicher Stillstarre erziehen. Doch auch die „oppositionellen“ Gewerkschaftsbürokratien stellen sich in der Praxis nicht gegen den Vorstoß der Regierung – so spricht sich GEW-Vorstand Norbert Hocke während des Sozial- und Erziehungsstreiks vor Streikenden in München für die „Tarifeinheit“ aus, die sich angeblich gegen „Partikularinteressen“ richte.

Weitere Angriffe folgen

Schon am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes wurden Stimmen laut, die weitere Verschärfungen forderten. Der Vize-Präsident der Unionsfraktion Michael Fuchs meint, das Gesetz werde die „harten Tarifkonflikte […] nicht verhindern können“. Er fordert unter anderem eine 48-stündige Ankündigungsfrist von Streiks und zwangsweise Schlichtungsrunden. In den letzten Monaten hatte die reaktionäre Frankfurter Allgemeine Zeitung vehement eine Regulierung des Streikrechts gefordert, zu der ein Streikverbot in Bereichen der Daseinsvorsorge und strategischen Betrieben gehöre. Die herrschende Klasse greift mit ihren Medien und PolitikerInnen die Rechte der ArbeiterInnen an.

Doch damit nicht genug: Das Tarifeinheitsgesetz reicht ihnen im Kampf gegen die aktuelle Streikwelle nicht aus. Beim aktuellen Streik bei der Post AG zeigt sich, wie auch die Justiz gegen die ArbeiterInnen eingesetzt wird: Um auf die streikenden KollegInnen Druck aufzubauen, setzt der ehemalige Staatskonzern, heute das größte Post- und Logistikunternehmen der Welt, BeamtInnen aus dem eigenen Betrieb und ArbeiterInnen aus Polen als StreikbrecherInnen ein. Die Gewerkschaft ver.di klagte dagegen vor dem Arbeitsgericht Bonn und verlor. Das Gericht verwies auf ein Präzedenzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, in dem die „freiwillige“ Versetzung von BeamtInnen an die Arbeitsplätze von Streikenden als legal betitelt wurde.

Damit statuiert die Justiz ein Exempel, das der vollständigen Aushöhlung des Streikrechts durch personelle Umverteilung Tür und Tor öffnet – und zeigt damit deutlich ihren Klassencharakter. Neu sind diese und viele andere perfide Manöver der KapitalistInnen natürlich nicht: In fast jedem Arbeitskampf werden streikende KollegInnen mit Schikanen des „Union Busting“ konfrontiert, in Extremfällen wie dem Kampf beim Hamburger Verpackungshersteller Neupack im Jahr 2013 werden BetriebsaktivistInnen bis heute dutzende Male vom Unternehmen verklagt. Das macht es umso nötiger, gegen diese und kommende Angriffe auf das Streikrecht eine Perspektive zu entwickeln.

Alte Sozialpartnerschaft und neue Kampfbereitschaft

Die Ausgangssituation sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus: In den letzten Monaten gab es für deutsche Verhältnisse eine regelrechte Streikwelle. Wie selten in den vergangenen Jahren stehen Arbeitskämpfe im Fokus der Öffentlichkeit. Die aktuellen Angriffe auf das Streikrecht sind letzten Endes nur als präventive Antwort auf eine sich langsam – wenn auch widerspruchsvoll und nur im Rahmen des Reformismus – radikalisierende Klassenkampfsituation in der BRD zu verstehen.

Die „Sozialpartnerschaft“ wird selbst in ihren traditionellen Hochburgen wie der Metall- und Elektroindustrie immer stärker von den KapitalistInnen in Frage gestellt. Das zeigen die Schließung von Opel Bochum im letzten Jahr oder die Ankündigung tausender Entlassungen aktuell bei Siemens. In prekären Bereichen entstehen neue Sektoren der ArbeiterInnenklasse, die wenig Hoffnung in sozialpartnerschaftliche Lösungen setzen können. Besonders deutlich wird dies bei den ArbeiterInnen des multinationalen Konzerns Amazon, die seit über drei Jahren für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag streiken und deren Kampf sich inzwischen zu einem Symbol des Widerstandes gegen die Prekarisierung entwickelt hat. Aber auch die ErzieherInnen stehen seit Wochen im unbefristeten Streik für eine neue Entgeltordnung, zuletzt demonstrierten sie am 28. Mai mit 30.000 Menschen ihre Entschlossenheit.

Doch nicht nur in prekären Bereichen erodiert die Sozialpartnerschaft. Selbst ehemalige Staatsbetriebe wie die Deutsche Bahn AG (DB) oder die Deutsche Post AG wenden sich teilweise von ihrer Stütze auf die klassenversöhnlerische Gewerkschaftsbürokratie ab, um ihre Profitinteressen stärker durchzusetzen. Die Post brach mit der Gründung von 49 Regionalgesellschaften zur Verschlechterung tausender Arbeitsverträge den gültigen Tarifvertrag mit ver.di. Die Deutsche Bahn blockierte monatelang jede Übereinkunft mit den zuständigen Gewerkschaften und appellierte an Justiz und Regierung, der GDL das Streikrecht zu nehmen.

Die Deutsche Bahn zeigt aber auch, dass die Erosion der Sozialpartnerschaft ein widersprüchlicher und bei Weitem kein linearer Prozess ist – gerade die reformistischen Gewerkschaftsbürokratien klammern sich mit aller Kraft an diese Quelle der Legitimation. Nachdem im Konflikt mit der GDL eine Schlichtung erzwungen wurde, einigte sich die DB in Windeseile mit der größeren und unternehmenstreueren EVG. Der mit ihr abgeschlossene Tarifvertrag bleibt besonders in der Frage der Wochenarbeitszeit weit hinter den Forderungen der GDL zurück, wird aber die Grundlage für den Schlichtungsprozess darstellen. Diese Einigung stellt keinen Erfolg für die ArbeiterInnen dar, die bereit waren, für mehr zu kämpfen. Der EVG-Abschluss setzt einer der kämpferischsten Erfahrungen der letzten Jahre einen Riegel vor und lenkt sie in die Bahnen der bürgerlichen Legalität, wo die ArbeiterInnen nur passiv zuschauen können

Auch bei der Post werden wichtige Auseinandersetzungen von Seiten der Gewerkschaft vermieden. Ver.di fordert für die 130.000 Tarifangestellten wichtige Kürzungen der Arbeitszeit, blendet jedoch die Spaltung der Belegschaft durch die Zersplitterung des Unternehmens völlig aus.

Kampfhindernisse überwinden

Die ArbeiterInnen in der GDL und anderswo haben monatelanger medialer Hetze getrotzt und heroisch gekämpft. Sie gehören zu einer neuen Generation von ArbeiterInnen, die sich nach Jahren des Rückzugs und der Niederlage zu wehren beginnt. Ihre vielfältigen Kampferfahrungen gehen ein ums andere Mal über den engen sozialpartnerschaftlichen Rahmen der Gewerkschaftsbürokratie hinaus. Dazu gehören zahlreiche gegenseitige Solidaritätsaktionen zwischen den verschiedenen Streiks: die LokführerInnen mit den ErzieherInnen, die ErzieherInnen mit Amazon-ArbeiterInnen, die Amazon-ArbeiterInnen mit den Post-Beschäftigten. Dazu gehören Elemente von Streikdemokratie, die von Ansätzen eigenständiger Koordination zwischen den Logistikzentren von Amazon über Versuche internationaler und branchenübergreifender Vernetzung im Logistiksektor bis hin zu Abstimmungen an der Basis über den Streikverlauf im aktuellen Kampf im Sozial- und Erziehungsdienst reichen.

Klar ist aber auch, dass diese Ansätze engen Grenzen unterliegen. Bis jetzt gibt es keine Anzeichen für die Entwicklung einer klassenkämpferischen Strömung in den Gewerkschaften, die der Sozialpartnerschaft der Gewerkschaftsbürokratie eine Perspektive seitens der Basis entgegensetzen würde: Die neuen Erfahrungen in der Streikdemokratie der Sozial- und Erziehungsdienst-Beschäftigten werden von den beiden Streikführungen in ver.di und GEW gefördert, weil sie die FunktionärInnen entlasten, können von denen aber genauso schnell wieder eingestampft werden. Und die GDL-Streikführung bleibt auch nach mehreren unbefristeten Streiks fest in der Hand der Bürokratie; KollegInnen erfuhren von der vereinbarten Schlichtung erst aus der Zeitung. Die fortgeschrittensten Erfahrungen machen gerade die aufgrund der Länge und Härte ihres Streiks immer wieder neu auf den Prüfstand gestellten KollegInnen von Amazon. Doch auch hier hat sich trotz verschiedener wichtiger Ansätze noch keine wirkliche Herausforderung der Gewerkschaftsbürokratie entwickelt.

Diese Grenzen zu überwinden ist lebensnotwendig, um die Auseinandersetzungen selbst zu gewinnen. Es ist die Aufgabe klassenkämpferischer ArbeiterInnen und der revolutionären Linken, die existierenden Tendenzen weiterzuentwickeln. Nur durch die Zusammenführung der Kämpfe in der Perspektive eines politischen Generalstreiks gegen die Regierung und die Absetzung der bürokratischen Führungen gibt es bleibende Siege und ein stärkeres Streikrecht. Wir wollen unsere bescheidenen Kräfte für den Austausch zwischen den fortgeschrittensten Sektoren dieser Kämpfe einsetzen, um zum Aufbau einer klassenkämpferischen und antibürokratischen ArbeiterInnenbewegung beizutragen.

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