Streiks, Räte, feministische Kämpfe: Interview mit Sarah M. zur Situation im Iran
Seit zwei Monaten kämpft die Bewegung im Iran, gemeinsam mit den Arbeiter:innen. Sarah M. spricht über die Lage im Iran und die Aufgaben, die eine internationale Solidaritätsbewegung hat.
Sarah M. ist Aktivistin bei der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA) und ROSA – Sozialistische Feminist:innen, mit Wurzeln aus dem Iran.
Das Interview wurde bereits vergangene Woche geführt. Seitdem kursiert die ungesicherte Information, der Generalstaatsanwalt würde die Sittenpolizei und die Kleidervorschriften ‚hinterfragen‘ wollen. Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass es sich keineswegs um eine Auflösung der Sittenpolizei handle, wie in vielen westlichen Medien bereits berichtet wurde. Dies zeigt lediglich einen weiteren Versuch des Regimes, die Weltöffentlichkeit zu besänftigen und von den derzeit stattfindenden landesweiten Streiks abzulenken.
Klasse gegen Klasse: Wir bekommen aktuell immer wieder Bilder aus dem Iran, die Protestbewegung dort ist in aller Munde. Kannst du uns eine Einschätzung geben, was gerade passiert?
Sarah M.: Die aktuelle Bewegung ist die weitgehendste seit Bestehen der Islamischen Republik. Seit mehr als 2 Monaten hält die Bewegung an, ausgelöst durch die Ermordung von Jina Amini – und es ist vor allem die junge Generation, die beeindruckender Weise der massiven Repression trotzt und weiter auf die Straße geht. In den vergangenen Wochen, nachdem es die Entscheidung im Parlament gab, dass die Justiz härter vorgehen und die festgenommenen Protestierenden zum Tode verteilen soll, haben wir neue Höhepunkte der Bewegung gesehen. Im sogenannten “blutigen November” wurde auch in Gedenken an die blutige Niederschlagung der Proteste 2019 protestiert – und das hat die jetzigen Proteste nochmal angeheizt.
Ganz besonders in den Provinzen sind die Sicherheitskräfte noch brutaler als zuvor gegen die Menschen, teilweise sehr kleine Kinder vorgegangen, nachdem Aktivist:innen zu dreitägigen Protesten und auch Streiks aufgerufen hatten. Es gab in einigen Regionen nicht nur Streiks in den Basaren, kleinen Geschäften usw. sondern z.B. auch wieder Streiks in der Öl- und Gasindustrie im Süden – vor allem geprägt von Leiharbeiter:innen. In der Ölindustrie gab es ja schon im Oktober Streiks – die aber sehr schnell eingedämmt wurden, es wurden direkt hunderte Arbeiter:innen festgenommen. Darüber hinaus gehen natürlich auch die Streiks an den Unis und Schulen im ganzen Land weiter.
Es gab dann im Zuge dessen auch die ersten Todesurteile – und gleichzeitig haben sich auch neue Streiks entwickelt, z.B. in einer großen Stahlfabrik in Isfahan. Diese neue Phase der Proteste ist geprägt von einer noch stärkeren Militanz, eine Ausweitung auch in neue Regionen, Dörfer. Ganz besonders in den kurdischen Städten und Regionen haben die Sicherheitskräfte sehr brutal reagiert, teilweise auf die Tatsache, dass für einige Stunden oder sogar Tage Städte unter der Kontrolle der Demonstrierenden waren.
Wir sehen auch eine gewisse Ausweitung von Streiks auch über Kurdistan hinaus – jetzt mit LKW Fahrer:innen, Textilarbeiter:innen, Metallarbeiter:innen usw, was eine sehr wichtige Entwicklung ist und eine neue Möglichkeit für Generalstreiks real eröffnet – es gibt z.B. einen Aufruf zu landesweiten Streiks vom 5. bis zum 7. Dezember.
Die koordinierten Angriffe des türkischen und des iranischen Regimes, die Luftangriffe auf kurdische Gebiete im Irak und in Syrien, natürlich ein gezielter Angriff auf Rojava, das kommt bewusst zu diesem Zeitpunkt. In gewisser Hinsicht verfolgen beide Regime eine ähnliche Strategie aus ähnlichen Gründen – es ist eine Verzweiflungstat angesichts der drohenden revolutionären Entwicklung innerhalb des Iran, das Bewusstsein darüber dass Rojava und die kurdische Befreiungsbewegung weitgehende Ausstrahlungskraft in die gesamte Region hat – und auch innerhalb der Türkei wissen wir, wie instabil das Erdoğan-Regime ist, welche Auswirkungen gerade die Wirtschaftskrise, die unglaubliche Teuerung zu haben. Das heißt, sie hoffen dadurch auf ein Ablenkungsmanöver und das iranische Regime hofft auch auf eine Ethnisierung der Revolution, eine Vertiefung der nationalen Spaltungen — was ihnen aber, glaube ich, nicht so leicht gelingen wird.
Das heißt, die Bewegung steht vor sehr großen Herausforderungen, gleichzeitig nimmt die Entschlossenheit, Radikalität und die Wut der Massen nicht ab – im Gegenteil. Aber wir wissen, dass das allein nicht ausreicht für eine erfolgreiche Revolution.
Diese revolutionäre Bewegung hat sich in den letzten Jahren aus einer Kombination von politischen und wirtschaftlichen Krisen entwickelt. Präsident Raisi war von Tag 1 an verhasst. Während der Pandemie verschlimmerte sich die Wirtschaftskrise; im Oktober lag die Inflation laut offiziellen Statistiken des Regimes bei über 75 Prozent, in diesem Jahr stiegen die Preise für einige Lebensmittel um über 100 Prozent.
Seit 2017 brach eine Protestwelle nach der anderen aus, eine Streikwelle nach der anderen als Reaktion auf explodierende Preise, nicht gezahlte Löhne, verhaftete Jugendliche und Arbeiter:innen, Korruption, Wasserknappheit usw. 2021 gab es eine historische Anzahl von Streiks von Lehrer:innen, Busfahrer:innen, Ölarbeiter:innen, Krankenpfleger:innen und in vielen anderen Sektoren.
Diese Krisen treffen Frauen und unterdrückte Gruppen wie z.B. die kurdische Bevölkerung, die arabischen Minderheiten, Belutsch:innen und viele mehr noch härter.Sie leiden nicht nur unter zunehmendem Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit, sondern auch unter Gewalt, brutaler Diskriminierung und Unterdrückung.
Klasse gegen Klasse: Was zeichnet die Bewegung aus?
Sarah M.: Es sind in diesem Sinne vier Elemente, die diese Bewegung auszeichnen:
- die Rolle der Frauen
- die nationale, ethnische und religiöse Unterdrückung
- die Ablehnung des gesamten Regimes und all seiner verschiedenen Fraktionen
- und die Entwicklung einer neuen Arbeiter:innenbewegung
Es ist kein Zufall, dass „Frau, Leben, Freiheit“ zum Hauptslogan dieser Bewegung geworden ist und dass ein staatlicher Femizid einen solchen Aufstand ausgelöst hat. Wir sehen eine Generation, die Teil der globalen Radikalisierung rund um feministische Fragen ist und die mit dem tiefen Widerspruch zwischen dem wachsenden Selbstbewusstsein der Frauen, der steigenden Bildungsrate, der Verstädterung und der gelebten Realität konfrontiert ist, nämlich der Unterdrückung und Gewalt von Frauen in jedem Aspekt ihres Lebens.
Die Bewegung zeigt jetzt, wie die Unterdrückung der Frauen als zentrale Säule des Regimes, die Kernfamilie, die für das Regime und seine religiöse Ideologie extrem wichtig ist, massiv unterminiert wird. Es für das Regime, das auf systematischer geschlechtsspezifischer Gewalt, Geschlechtertrennung usw. aufgebaut ist, das auch gezielt bei den Repressionen Vergewaltigungen einsetzt, um die Frauen zu brechen, unmöglich, eine Situation zu kontrollieren, in der sich immer mehr Frauen in ihrem Alltag wehren, aber auch kollektiv in jeder Situation von Belästigung, Gewalt usw. zurückschlagen.
Die systematische Anwendung von Vergewaltigung und Gewalt auf den Polizeistationen, in den Gefängnissen und durch die religiösen Mullahs war ein Schlüsselinstrument der herrschenden Klasse, um Frauen und ihre Körper zu kontrollieren und um die kämpferische Stimmung und die führende Rolle von Frauen in revolutionären Aufständen in der gesamten Region zu unterdrücken, speziell natürlich in Kurdistan.
Und offensichtlich ist den Massen sehr klar geworden, wie tief diese Art der massiven Frauenunterdrückung mit dem gesamten Staats- und Wirtschaftssystem verbunden ist – denn es sind dieselben Ayatollahs und Mullahs, die für diese Diskriminierung direkt verantwortlich sind, die gleichzeitig die Armen und die Arbeiter:innenklasse ausbeuten, die die Superreichen des Landes sind und durch Korruption, die Ölindustrie usw. massiv profitieren.
Das Gleiche gilt für die massive nationale, ethnische und religiöse Unterdrückung. Es ist sehr bekannt, woher der Slogan “Jin Jiyan Azadi” stammt und dass es ein Slogan der kurdischen Befreiungsbewegung ist. Der Slogan wird sogar teilweise auf Demonstrationen in kurdischer Sprache verwendet – sogar in einigen Regionen, in denen die kurdische Bevölkerung massiv diskriminiert wird. Die Tatsache, dass es sich nicht nur um eine multiethnische Bewegung handelt, sondern dass die Forderungen der verschiedenen ethnischen und nationalen Minderheiten mal implizit, mal explizit im Zentrum der Bewegung stehen, ist eine massive Bedrohung für das Regime.
Die Entwicklung einer neuen Arbeiter:innenbewegung ist ein sehr wichtiges Element. Sie ist heute in einigen Fällen wirklich gut organisiert und sogar von linken, sozialistischen Kräften angeführt. Diese Arbeiter:innen und ihre Netzwerke sind ganz zentral für den Verlauf der Revolution. Die Lehrer:innen z.B., die zu den Kämpferischsten gehören, waren die ersten, die sich nach den Streiks in der kurdischen Region der Bewegung anschlossen, was kein Zufall ist, da es sich hauptsächlich um Frauen handelt.
Auch wenn die vergangenen Streikwellen nicht immer direkt politische waren, hatten sie immer ein starkes politisches Element – weil zum Beispiel die Revolutionsgarden den Großteil der Wirtschaft kontrollieren und es immer Repressionen gegen Gewerkschafter:innen gibt, also nehmen solche Streiks sehr schnell auch einen politischen Charakter an – und jetzt noch viel mehr.
Es ist die Jugend und es sind die Frauen, die diese breiteren Schichten der Arbeiter:innenklasse inspirieren – so wie in jeder Revolution. Es gibt eine Erklärung der Arbeiter:innen der Zuckerfabrik Haft Tappeh, in der sie schreiben: „Mädchen der Sonne und der Revolution – am Tag des Sieges wird die ganze Welt vor euch den Hut ziehen. Ihr habt allen eine Lektion darin erteilt, aufzustehen und Widerstand zu leisten.“
Es ist die Arbeiter:innenklasse, die die Kraft, die Stellung in der Gesellschaft und in der Wirtschaft hat, um das Regime nicht nur zu Fall bringen zu können sondern auch eine Alternative aufzubauen, in der demokratische Rechte, Frauenrechte, Freiheit und soziale Sicherheit überhaupt erst garantiert werden können – in einer sozialistischen Demokratie.
Klasse gegen Klasse: Die Bewegung im Iran hält nun schon seit Wochen an und immer öfter wird über “die Revolution im Iran” gesprochen. Denkst du, es handelt sich bereits um eine Revolution?
Sarah M.: Es handelt sich um den Beginn eines revolutionären Prozesses, wie lange dieser genau dauern wird, ist schwer zu sagen.
Es geht ja nicht nur darum, das Regime zu stürzen, sondern auch um die Frage, was danach kommt. Deshalb sind z.B. die Monarchist:innen eine Gefahr. Nicht weil sie wirklich eine Basis innerhalb des Landes hätten, sondern weil wir aus Erfahrung wissen, dass bei einem Machtvakuum alle möglichen Kräfte der Konterrevolution die Initiative ergreifen können. Aber auch ganz konkret indem sie z.B. die Bedeutung der kurdischen Frage herunterspielen und dadurch der Spaltungstrategie des Regimes in die Hände spielen.
Die Repressionen können natürlich, trotz der Tapferkeit, zu Demoralisierung und Angst in breiteren Schichten der Arbeiter:innenklasse führen, weil es keine klare Aussicht auf Erfolg, keine Idee davon gibt, wie die Revolution nachhaltig erfolgreich sein kann, wie wir gewinnen können? Dazu kommt, dass die Bewegung noch immer keine klare Führung hat, während verschiedene Kräfte von außerhalb des Landes, wie eben Monarchist:innen und von imperialistischen Kräften unterstützte Kräfte versuchen, sich als Führer:innen der Bewegung aufzuspielen. Dabei muss man sagen, dass die westlichen Medien die Rolle dieser Kräfte massiv übertreibt, deren Stärke vor allem die Unterstützung westlicher Medien und das unglaubliche Vermögen der Schah-Familie und ihrer Anhänger:innen ist – während ihre politische Basis relativ gering ist. Wir brauchen eine Führung der Bewegung – aber eine, die aus der revolutionären Bewegung selbst kommt, eine unabhängige Kraft der Arbeiter:innenklasse, die für die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung kämpft und unabhängig von den imperialistischen Mächten ist.
Deshalb ist die Koordination und der Zusammenschluss von bestehenden Studierendengruppen, Nachbarschaftskomitees, Arbeiter:innenräten usw. zur Organisation einer revolutionären, verfassungsgebenden Versammlung zum aktuellen Zeitpunkt wichtiger denn je: Zum Aufbau einer alternativen Macht zum Regime. Das ist nichts, was weit weg ist. Wir haben das in Kurdistan schon gesehen, wo es zu einigen Zeitpunkten regional schon nahezu zu einer Situation der Doppelmacht gekommen ist. Das Regime ist zwar erschüttert, kann sich aber so lange an die Macht klammern, wie keine alternative Kraft in Sicht ist, die die Macht übernehmen kann und in der Lage ist, die wichtigsten Hebel der Wirtschaft aus den Händen der herrschenden Eliten zu enteignen, um ihnen sowohl die wirtschaftliche als auch die politische Macht zu entreißen.
In einigen Städten sehen wir, wie Polizeistationen oder Verwaltungsgebäude in Brand gesetzt oder sogar von Demonstrant:innen besetzt werden. Wir sehen die Entwicklung von Strukturen zur Selbstverteidigung gegen die Streitkräfte, Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen haben z.B. ein Untergrundnetzwerk für die von den staatlichen Streitkräften Verletzten aufgebaut.
Klasse gegen Klasse: Was für ein Programm ist deiner Meinung nach für den Erfolg der Bewegung notwendig?
Sarah M.: Wir müssen dafür sorgen, dass demokratische Strukturen aufgebaut werden, die solche Schritte ausweiten und die Kontrolle über Städte und Regionen durch die arbeitenden Massen übernehmen können und so kann sehr schnell die Frage der alternativen Machtübernahme durch die Massen entscheidend für die Bewegung sein.
Wo z.B. Teile der Verwaltung und der öffentlichen Dienste zusammenbrechen, sollten sie von demokratischen Gremien der Bewegung übernommen werden. Um auf lokaler Ebene – in Städten und Stadtvierteln, an Arbeitsplätzen und Schulen – die Macht zu übernehmen, dort wo das Regime zum Rückzug gezwungen ist, sind demokratisch organisierte Arbeiter:innen- und Student:innenräte zentral. Das ist der Schritt zum Aufbau echter Demokratie. Es geht dabei auch um Selbstverteidigung, die aber selbst den Aufbau von Arbeiter:innenmilizen und demokratischen, multiethnischen Selbstverteidigungskomitees erfordert, um kollektiv Widerstand gegen staatliche Repression zu leisten. Gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt muss die Bewegung an untere Ränge der Polizei und der Sicherheitskräfte appellieren, sich dem revolutionären Kampf anzuschließen und die Unterdrückung der Massen zu beenden.
Diese Räte könnten nicht nur die Streikbewegung für einen Generalstreik ausweiten, sie könnten sofort die lokale Macht und Verwaltung übernehmen und sich auf regionaler und landesweiter Ebene zusammenschließen – bis hin zu einer verfassungsgebenden Versammlung.
Während nämlich der unglaubliche Reichtum des Regimes, der Revolutionsgarden usw. unangetastet bleibt und sie weiterhin von der massiven Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse und der Armen profitieren, bedeuten Inflation und die anhaltende Wirtschaftskrise immer weiter Hunger und Elend – auch eine Gefahr für die Revolution. Es muss also um die Enteignung der Revolutionsgarden und der gesamten Kapitalist:innenklasse gehen – für eine demokratisch geplante Produktion, die den Bedürfnissen der Massen und der Natur entspricht.
Deshalb ist auch eine sozialistische Organisation mit so einem Programm entscheidend. Viele, vor allem junge, Menschen sehen die Notwendigkeit, ihre Wut und Entschlossenheit zu organisieren. Die reiche revolutionäre Geschichte des Landes mit einer starken Arbeiter:innenbewegung und sozialistischen Organisationen wurde von den Mullahs brutal niedergeschlagen. Es ist wichtig, dass die Linke im Allgemeinen versucht, ihre Kräfte wieder aufzubauen, auch an der Basis, aber das muss auf der Grundlage der Lehren aus 1979 und der Vergangenheit geschehen. Die unmittelbare Aufgabe besteht darin, mit dem Aufbau einer politischen Kraft durch Studierende, Arbeiter:innen, Bäuer:innen und Arme zu beginnen: Sich um konkrete Forderungen für ein Ende von Frauen-, LGBTQI+- und nationaler Unterdrückung zu scharen und sicherzustellen, dass diese Forderungen in den Mittelpunkt des revolutionären Kampfes gestellt werden. Sie mit demokratischen Forderungen wie der Freilassung aller politischen Gefangenen, vollen Rechten für organisierte Oppositionsgruppen, Parteien und Gewerkschaften mit Forderungen zur Beendigung aller Formen der Ausbeutung, für Arbeitsplätze, Wohnraum, Arbeiter:innenrechte usw. zu verbinden. Es gibt keinen Kampf für eine dieser brennenden Fragen ohne die anderen, sie haben alle die gleiche Quelle, nämlich das ausbeuterische und unterdrückerische kapitalistische System.
Wir kennen das kurzfristige Ergebnis der Bewegung nicht, aber es ist bereits klar, dass die Situation nicht einfach zu dem zurückkehren wird, was vorher bestand, und dass der revolutionäre Prozess weitergehen wird. Die Aufgabe, eine solche Partei aufzubauen, ist deshalb entscheidend für den Kampf um ein Programm, das den langfristigen Bedürfnissen und Interessen der Arbeiter:innenklasse und der großen Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich gerecht wird. Eine solche Organisation – auch wenn sie im Moment noch klein ist –, die aus einem revolutionären Kern besteht, kann wichtige Schichten von Studierenden und Arbeiter:innen anziehen, die eine Schlüsselrolle dabei spielen können, den Kampf voranzutreiben und auch breitere Schichten der Massen für den Kampf für einen sozialistischen Iran zu gewinnen.
Klasse gegen Klasse: Wie verhalten sich die westlichen Regierungen gerade, und warum?
Sarah M.: Die westlichen Regierungen – allen voran die deutsche – waren anfangs vergleichsweise sehr zurückhaltend. Sie haben dann ihren Kurs ein wenig verändert – möglicherweise weil sie sich auf einen Iran nach den Mullahs vorbereiten. Angesichts der Angriffe des NATO-Partners Türkei auf Rojava ist die Heuchelei jetzt natürlich ohrenbetäubend. Gleichzeitig wissen wir auch bezogen auf den Iran, dass es dem westlichen Imperialismus, aber z.B. auch dem chinesischen oder russischen, nie um Menschenrechte ging, sondern um ihre eigenen geopolitischen und wirtschaftlichen Ziele.
Der Grund für die vergleichsweise Zurückhaltung der westlichen Staaten ist die Tatsache, dass sie sich nach Alternativen zu russischen Öl und Gas umschauen müssen – und ein Blick nach Saudi Arabien genügt um zu sehen, dass sie dabei nicht davor zurückschrecken auch mit den blutigsten Diktaturen zusammenzuarbeiten.
Mit dem Rückzug der USA aus dem Atomdeal steigt jetzt die Gefahr für weitere Sanktionen, die nur die arme und arbeitende Bevölkerung treffen. Der Atomdeal der Herrschenden war in keine Richtung eine Lösung. Die Sanktionen haben sogar dabei geholfen das Regime zu stabilisieren, weil es von seinen eigenen Verbrechen ablenken konnte.
Klasse gegen Klasse: Was können wir von hier aus tun und was macht ihr gerade als ISA?
Sarah M.: Natürlich werden die Herrschenden versuchen, ein Regime zu installieren, das ihren Interessen entspricht. Um das zu verhindern, ist eine politische Klarheit der internationalen Solidaritätsbewegung entscheidend. Um eine Bewegung aufzubauen, die sich genauso gegen unsere “eigenen” Herrschenden richtet und sich gegen jede imperialistische Einmischung stellt. Gleichzeitig hat die Solidaritätsbewegung auch eine Verantwortung: Wir können hier, wo wir relativ frei arbeiten können, über Programm, Strategien und Methoden diskutieren, die für die Bewegung im Iran wichtig sind. Die Entwicklung von einem politischen Programm und einer Organisation im Zusammenspiel zwischen Exil und Kräften vor Ort war ja z.B. auch zentral für die Entwicklung der Bolschewiki. Wir haben in Österreich als ISA (Schwesterorganisation der SAV, die auch in Deutschland dieses Programm in die Bewegung einbringt) und als ROSA eine linke, antikapitalistische, feministische Solidaritätsbewegung aufgebaut, die beispielsweise folgende Forderungen im Zentrum hat:
- Aufbau einer internationalen Solidaritätsbewegung von unten – in Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften mit der Frauen-, LGBTQI+-, Jugend-, Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung an vorderster Front.
- Schluss mit der Heuchelei: Gegen Waffenlieferungen der imperialistischen Staaten und imperialistische Kriege in der gesamten Region und weltweit. Das bedeutet die vollständige Öffnung aller Firmenunterlagen und deren Überprüfung durch Vertreter:innen der Arbeiter:innenbewegung in Unternehmen, die direkt oder indirekt mit dem Iran Geschäfte machen.
- Dem Spionagenetz des Regimes weltweit den Kampf ansagen: Weg mit allen diplomatischen Privilegien, keine Zusammenarbeit mit den Behörden des Regimes, die Botschaften und Netzwerke dieses Terrorregimes müssen weg! Öffnung aller Firmenunterlagen, Vereinbarungen und Verträge, um wirtschaftliche Beziehungen aufzudecken, aber auch um zu erfahren, welche Aktivist:innen bedroht sind.
- Volle Rechte für Menschen aus dem Iran, die in anderen Ländern leben oder dorthin fliehen müssen – ihr Aufenthaltsrecht darf nicht von den iranischen Behörden kontrolliert oder beeinflusst werden, also weg mit Visa- und anderen Beschränkungen.
- Gewinne, die Unternehmen durch Ausbeutung und Unterdrückung (durch die Zusammenarbeit mit dem Regime) gemacht haben, müssen durch die Solidaritätsbewegung eingezogen und zur Unterstützung der Bewegung und eines demokratischen Wiederaufbaus verwendet werden. Die Beschäftigten dieser Unternehmen dürfen nicht dafür zahlen, sondern nur die Eigentümer:innen und Aktionär:innen.
- Übernahme der Botschaften, Reichtümer und Vermögenswerte des Regimes und seiner Unterstützer:innen im Ausland durch die Solidaritätsbewegung.
- Der Atomdeal der Herrschenden ist keine Lösung – Weg mit allen Sanktionen, die die arbeitenden und armen Menschen treffen! Eine erfolgreiche Revolution ist die größte Garantie für Frieden, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung in der gesamten Region.
- „Frau, Leben, Freiheit“ überall: für eine weltweite Bewegung zum Sturz des globalen kapitalistischen Systems, das Frauen- und LGBTQI+-Unterdrückung, Diktaturen, Krieg, Elend und Ausbeutung überall produziert, und für den Aufbau einer weltweiten sozialistischen Demokratie.
Wir haben Demonstrationen mit tausenden Teilnehmer:innen organisiert, eine Studi-Gruppe aufgebaut, eine ROSA-Iran Gruppe, haben in der Arbeiterkammer Wien eine Resolution eingebracht in Solidarität mit der Bewegung uvm. Das Bündnis, das sich seitdem gegründet hat, hat auch ein Manifest der Solidaritätsbewegung in Österreich verfasst.