Streiks gegen Inflation statt „konzertierte Aktion“ mit den Bossen
Olaf Scholz lädt Gewerkschaften, Kapitalverbände und Bundesbank zu Gesprächen über gemeinsame Maßnahmen gegen die steigende Inflation. Das Ziel: Die Arbeiter:innen sollen die Krise bezahlen.
In bester sozialpartnerschaftlicher Tradition sollen sich bei der sogenannten „konzertierten Aktion“ (also einer abgestimmten Zusammenarbeit von Arbeitgeber:innen, Arbeitnehmer:innen, Regierung und Banken) die Vertreter:innen unterschiedlicher Klassen möglichst auf eine gemeinsame Linie zum Umgang mit der Wirtschafts- und Versorgungskrise einigen. Wichtigste Teilnehmer:innen der am Montag von Olaf Scholz einberufenen „konzertierten Aktion“ sind die DGB-Chefin Yasmin Fahimi, der Präsident des Arbeitgeberverbands Rainer Dulger und der Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Dabei betonten alle Beteiligten, dass nicht sofort mit Ergebnissen zu rechnen sei. Stattdessen solle es in nächster Zeit mehrere dieser Treffen geben. Anlass für die „konzertierte Aktion“ sind unter anderem die Hafenstreiks, die für 14 Prozent mehr Lohn kämpfen – weshalb auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger meinte, dass es Mittel bräuchte, Streiks verbieten zu lassen.
Scholz bezeichnete die steigenden Preise bei Verbrauchsgütern und die im Herbst und Winter zu erwartenden Preissteigerungen, insbesondere bei Gas, kürzlich als „sozialen Sprengstoff“ – so weit so korrekt. Doch das bürgerliche Lager erklärt uns zusätzlich, dass die größte Gefahr von einer drohenden Lohn-Preis-Spirale ausgeht. Also einer immer weiter steigenden Inflation, befeuert durch hohe Lohnforderungen der Beschäftigten.
Trotz Tarifverhandlungen, die, wie zuletzt zu beobachten, zugunsten der Arbeitgeber:innen ausgehen, schlitterte man in die Inflation. Und nun drohen sie uns, dass „zu hohe“ Löhne die Inflation verschärfen würden? Während Unternehmen in erster Linie die Preise anziehen, um ihre Profite aufrechtzuerhalten oder sogar noch zu erhöhen, wird mit dem Schreckgespenst der Lohn-Preis-Spirale die Schuld an der Inflation den Lohnabhängigen zugeschoben.
Selbst der Tarifabschluss, den die IG Metall in der Eisen- und Stahlbranche kürzlich abgeschlossen hat, steht nicht in Verdacht, eine „Lohn-Preis-Spirale“ anzuheizen. „Höchster Tarifabschluss seit 30 Jahren in der Stahlindustrie“, tönte die IG Metall hierzu. Doch auch die 6,5 Prozent Lohnzuwachs bleiben deutlich hinter der derzeitigen Teurungsrate zurück – insbesondere angesichts einer Laufzeit von 18 Monaten. Dazu kommen Einmalzahlungen von ein paar hundert Euro. Doch das ist alles nicht genug, um die Kaufkraft selbst der Beschäftigten in diesem zentralen und gut organisierten Sektor der deutschen Wirtschaft zu verteidigen.
Die Gewerkschaften spielen nur Playback
Die „konzertierte Aktion“ soll nun vor allem dazu dienen, den Gewerkschaften die Forderung nach höheren Löhnen weitgehend auszureden. Strategisch nutzen Kapitalist:innen und Regierung die Situation aus, um die Position der Gewerkschaften zu schwächen. Das zeigte sich schon am ersten Vorstoß von Scholz vor einer Woche: Gewerkschaften und Unternehmen sollten sich auf Einmalzahlungen an die Beschäftigten einigen. Im Gegenzug sollten dann die Gewerkschaften ihre Lohnforderungen mäßigen, ohne dass ihre Mitglieder die Heizung nicht mehr bezahlen könnten.
Scholz behauptet mittlerweile, ihm sei dieser Vorschlag nur in den Mund gelegt worden, doch die zustimmenden Kommentare von SPD-Fraktionschef Mützenich und weiteren sprechen eine andere Sprache.
Ziel der vorgeschlagenen Einmalzahlungen ist es, die Unternehmen nicht dauerhaft finanziell zu belasten – durch Löhne, die sie an ihre Arbeiter:innen zahlen. Doch langfristige Teuerungen brauchen langfristige entgeltliche Regelungen und kein Trostpflaster. Vorbildlich für Scholz und die Bosse ist das Ergebnis in der Chemieindustrie, wo die IG BCE eine Einmalzahlung in Höhe von 1400 Euro akzeptierte und dafür auf die Lohnerhöhung verzichtete. Auf diese Weise wollen die Arbeitgeber:innenverbände die Tariflöhne überall niedrig halten.
Als Alternativen zur Einmalzahlung schlagen Gewerkschaften und Arbeitgeber:innen Steuerentlastungen vor. „Mehr Netto vom Brutto“, so Dulger. Auch die Gewerkschaftsbürokratie hält diese Entlastungen für sinnvoll. Auffällig ist: Die Geldbeutel der Unternehmen würden auf diese Weise ebenfalls geschont.
Die DGB-Vorsitzende Fahimi fasst die Situation folgendermaßen zusammen: „Entweder zahlen Reiche mehr, oder der Staat nimmt neue Schulden auf, oder der Durchschnittsbürger zahlt und wird ärmer.“ Vor allem die Möglichkeiten zwei und drei werden in den derzeitigen Forderungen offenbar. Die Reichen werden nicht zur Kasse gebeten. Dabei führt Fahimi aus, dass diese die großen Profiteure der letzten Krisenjahre waren: „Die Milliardäre in Deutschland haben in der Coronapandemie ihren Besitz mal eben um knapp 100 Milliarden Euro gesteigert. Das ist Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt.“ Sie kommt zu dem Schluss: „Langfristig können nur höhere Entgelte und die gezielte Unterstützung von Menschen ohne Arbeit sinnvolle Instrumente gegen höhere Lebenshaltungskosten sein.“
Das ist alles richtig, aber es stellt sich doch die Frage, was die Gewerkschaften derzeit tun, damit die Arbeiter:innen nicht die Krise bezahlen. In den aktuellen Tarifrunden, deren Abschlüsse unter dem Inflationsausgleich liegen, spielt die Bürokratie eine bremsende Rolle und geht Kompromisse ein.
Anstatt nämlich den „sozialen Sprengstoff“ für den Kampf der Interessen der Gewerkschaftsmitglieder zu nutzen, spielt die Bürokratie kämpferische Rhetorik wie vom Aufnahmegerät ab, statt echte Mobilisierungen zu organisieren.
Die „konzertierte Aktion“ wurde bereits in den sechziger Jahren von der Regierung zur Krisenbewältigung eingesetzt. Damals berief CDU-Kanzler Ludwig Erhard Gewerkschaften und Kapitalist:innen-Verbände zu gemeinsamen Gesprächen. Im Ergebnis wurde von den Gewerkschaften „Lohnzurückhaltung“ geübt. Aber die Unzufriedenheit der Beschäftigten brach sich nach wenigen Jahren mit wilden Streiks Bahn. Statt sich also wie damals auf Kämpfe für die Interessen der Beschäftigten zu verzichten, sollten die Gewerkschaften diese lieber gleich richtig führen.
Höhere Löhne erkämpfen statt auf die Lüge der Lohn-Preis-Spirale hören!
Die Gewerkschaften dürfen sich nicht auf Kompromissverhandlungen im Rahmen der konzertierten Aktion einlassen. Stattdessen müssen die Beispiele wie die Streiks der Hafenarbeiter:innen für einen vollen Inflationsausgleich aufgenommen und verstärkt werden.
Nur wenn die Arbeiter:innen in den Betrieben und an der Basis der Gewerkschaften jetzt offensive Lohnforderungen stellen – auch gegen die bremsende Haltung der Bürokratien –, können die Fesseln der konzertierten Aktion gesprengt werden. Die Tarifrunden in den kommenden Monaten müssen zu einem Kampffeld für diese Forderungen werden!
Immer wieder wird als Hauptgrund gegen eine Anpassung der Löhne an die Inflation angeführt, das würde zu höheren Preisen führen, also die Inflation weiter befeuern. Eine Untersuchung des US-amerikanischen Economic Policy Institute weist jedoch darauf hin, dass die Erhöhung der Preise in den vergangenen zwei Jahren zum allergrößten Teil auf erhöhte Unternehmensprofite zurückgeht und nicht auf gestiegene Lohnkosten.
Anstatt also die Lüge der Lohn-Preis-Spirale zu schlucken, müssen wir fordern: Die Unternehmen, insbesondere Energie- und Treibstoffkonzerne, sollen ihre Geschäftsbücher veröffentlichen, damit klar nachvollzogen werden kann, wo das Geld hinfließt.
Auf dieser Grundlage brauchen wir nicht nur eine „Übergewinnsteuer“, wie sie die Regierung jetzt diskutiert, sondern hohe allgemeine Steuern auf alle Gewinne für Unternehmen und eine stärkere Besteuerung der großen Aktionär:innen, die während der Krise absurde Dividenden einfuhren.
Die Gewerkschaften sollten für eine automatische Anpassung der Löhne und der Sozialhilfe an die Inflation kämpfen, aber auch darüber hinaus, um beispielsweise die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern.
Zusätzlich brauchen wir allgemeine Preiskontrollen, speziell für Strom und Gas, aber auch für Lebensmittel und Mieten in den Großstädten. Diese können nicht von denselben Regierungen bestimmt werden, die auf Bundesebene versuchen Kompromisse mit den Bossen zu finden, oder in Berlin den Volksentscheid verraten haben.
Deshalb brauchen wir Komitees von Verbraucher:innen und Basis-Gewerkschaftsmitgliedern, die die Preise kontrollieren und Obergrenzen festlegen. Dafür müssen die Gewerkschaften zu Streiks mobilisieren.
Nur so können wir dafür sorgen, dass nicht die Arbeiter:innen, sondern die Kapitalist:innen die Krise bezahlen, deren Wirtschaftssystem sie überhaupt erst verursacht hat.