Streik-Herbst zieht in Deutschland ein
Derzeit kommt es zu Streiks vom Hamburger Hafen über Berliner Kitas bis zur Stahlindustrie. Wir geben einen Überblick über die Auseinandersetzungen und machen Vorschläge, wie aus den Kämpfen mehr herauszuholen ist.
Aktuell häufen sich die Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfe in Deutschland. So streiken in Hamburg Arbeiter:innen gegen die Privatisierung des Hafens und bundesweit wird ein neuer Tarifvertrag der Länder verhandelt; neue Tarifverhandlungen stehen auch in der Metallindustrie an, im Einzelhandel laufen sie schon. Im Folgenden wollen wir eine Zusammenfassung der verschiedenen Kämpfe, die derzeit geführt werden oder bald beginnen, geben. Anschließend wollen wir eine Perspektive aufwerfen, wie unsere Arbeitskämpfe verbessert werden können.
Der Kampf um den Hamburger Hafen
Am vergangenen Samstag fand eine Demonstration auf dem Rathausmarkt gegen die Privatisierung des Hamburger Hafens statt. Trotz Einschüchterungsversuchen wie Abmahnungen oder Kündigungsdrohungen nahmen rund 600 Beschäftigte und solidarische Menschen teil; auch die Gewerkschaft ver.di mobilisierte. Neben der zentralen Forderung nach einem Stopp der Privatisierungen unter dem Deckmantel des Neoliberalismus wurden auch solidarische Nachrichten von anderen Hafenarbeiter:innen, wie beispielsweise aus der Türkei, verlesen. Zudem gab es Infostände für Passant:innen, denn eines der Ziele der Kundgebung war es, die in Hamburg lebenden Menschen über die Pläne zur Privatisierung des Hamburger Hafens zu informieren.
Die Demonstration am Samstag war nicht die erste Aktion der letzten Woche: Letzten Montagabend und Dienstagmorgen gingen circa 100 Mitarbeitende des Hamburger Hafens in einen wilden Streik und legten damit für mehr als 24 Stunden den Betrieb lahm. Grund dafür war die öffentliche Unterstützung des Aufsichtsrates der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) für eine Teilprivatisierung des Unternehmens. Auch die Redner:innen auf der Kundgebung am Samstag bezogen sich positiv auf den spontanen Streik.
Schon im September dieses Jahres wurde im Hamburger Hafen angesichts drohender Privatisierungen demonstriert. Die Mediterranean Shipping Company (MSC) soll fast 50 Prozent des Hafens erwerben, und somit würden auch die Beschäftigten ausgegliedert werden. Das italienisch-schweizerische Unternehmen MSC ist das größte Container-Handelsunternehmen der Welt. Gegründet wurde es von Gianluigi Aponte, der mit einem Vermögen von fast 30 Milliarden US-Dollar zu den fünfzig reichsten Menschen der Welt gehört.
Den Arbeiter:innen des Hamburger Hafens mangelt es also nicht an Kampferfahrungen. Immer und immer wieder stellen sich ihnen die Bosse mit Drohungen von Privatisierungen entgegen. Im vergangenen Jahr kam es zudem zu den längsten Streiks an den großen norddeutschen Häfen seit über 40 Jahren. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen haben die Hafenarbeiter:innen bereits Erfahrungen mit staatlicher Repression und medialer Hetze gegen sie gemacht, von der sie sich trotzdem nicht haben einschüchtern lassen.
Bahnstreik an Weihnachten möglich
Zusätzlich startete am vergangenen Donnerstag die Tarifrunde der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn und dem Arbeitgeberverband MOVE. Die Friedenspflicht war am 30. Oktober ausgelaufen. Die Forderungen der GDL sind: 555 Euro mehr Lohn im Monat, eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro und eine Arbeitszeitensenkung für Schichtarbeitende von 38 auf 35 Stunden bei vollem Entgeltausgleich. Die DB sieht diese Forderungen als „unerfüllbar“, besonders „gepaart mit der unverhohlenen Streikankündigung“. Ihr Gegenangebot besteht aus 11 Prozent mehr Lohn und einer Inflationsprämie über 32 Monate, aber stattdessen nur 2.850 Euro, also 150 Euro weniger als gefordert.
Auf der Website der GDL heißt es: „Behält er [der Arbeitgeber] seine Blockadehaltung bei, muss er sich weiterhin auf Arbeitskämpfe einstellen!“ So lehnte die GDL das Angebot der DB am Dienstag ab und kündigte Warnstreiks an. Schon morgen soll der Streik beginnen. Von Mittwochabend 22 Uhr wird er bis Donnerstag um 18 Uhr dauern.
Tarifrunde Eisen und Stahl mit weitreichenden Forderungen
Gestern startete außerdem die Tarifrunde Eisen und Stahl des IG Metall (IGM). Schon im September veröffentlichten die Stahl-Tarifkommissionen die drei zentralen Forderungen der diesjährigen Tarifrunde: 8,5 Prozent mehr Lohn, eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich und Tarifverträge auch für Beschäftigte, die in Altersteilzeit arbeiten.
Basis dieser Forderungen sind Diskussionen in Betrieben und Versammlungen der IGM-Mitglieder sowie eine Befragung von 11.000 Beschäftigten. In der Befragung gaben 72 Prozent an, eine Entgelterhöhung zur Stabilisierung der Haushaltskassen als wichtig zu erachten. Diesbezüglich äußert Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen: „Sie verlangen eine dauerhafte Erhöhung ihrer Einkommen. Eine einmalige Zahlung kann eine langlebige Inflation nicht ausgleichen.“
Diese Forderungen seien nicht finanzierbar, so der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stahl Erdmann. Durch die Arbeitszeitverkürzung in Kombination mit dem Inflationsausgleich würden die Arbeitenden fast 18 Prozent mehr Lohn bekommen. Erdmann fürchtet eine Überforderung der Stahlunternehmen und um Deutschlands Wettbewerbskraft. Dabei hätten die Beschäftigten keinen Reallohnverlust zu beklagen.
Die Friedensfrist, also die Zeit in der (Warn-)Streiks untersagt sind, läuft am 30. November aus. Die IGM-Zentrale deutet jetzt schon Streik-Planungen für den darauffolgenden Tag an. Mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung könnten die Kolleg:innen der Eisen- und Stahlbranche für die gesamte Klasse ein wichtiges Beispiel schaffen.
Streik im öffentlichen Dienst der Länder
Nachdem die zweite Verhandlungsrunde im Tarifvertrag der Länder (TV-L) ergebnislos geendet war, kam es ab dem 3. November zu verschiedenen Warnstreiks im öffentlichen Dienst der Länder. Bis zur dritten Verhandlungsrunde am 7. Dezember sollen die Streiks ausgeweitet werden. So wird zum Beispiel am kommenden Donnerstag etwa ein Viertel der Berliner Kitaplätze bestreikt werden; dann sind die Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der landeseigenen Kitas gleichzeitig zum Streik aufgerufen.
Aber auch an den Schulen und Hochschulen oder bei Pfleger:innen, die unter dem TV-L beschäftigt sind, wird es in den nächsten Wochen wohl zu Ausständen kommen. Insgesamt sind bundesweit 1,2 Millionen Beschäftigte nach dem TV-L angestellt. Die Gewerkschaft ver.di fordert für sie eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent, aber mindestens 500 Euro monatlich mehr. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Ihr Verhandlungspartner, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), lehnt die Forderungen bisher als „nicht finanzierbar“ ab.
Außerdem werden sich studentisch Beschäftigte an den Hochschulen mit der Kampagne für einen Tarifvertrag der studentisch Beschäftigten (TVStud) an den Arbeitskämpfen beteiligen. In Berlin, wo es bereits einen TVStud gibt, der an den TV-L gekoppelt ist, geht es um einen möglichst guten Abschluss für die TVStud-Beschäftigten. In allen anderen Ländern geht es zudem überhaupt um die Einrichtung eines entsprechenden Tarifvertrages. Der TVStud wird ein Thema im Mittelpunkt des bundesweiten Hochschultages am 20. November sein.
Handelsverband provoziert Streik im Weihnachtsgeschäft
Seit dem 10. November befinden sich schließlich auch Teile des Einzelhandels in Berlin und Brandenburg wieder im Streik. Dem gehen Tarifverhandlungen in verschiedenen Bundesländern während der letzten Monate voraus. Die aktuellen Streiks sind eine Reaktion auf die bundesweite Absage aller Tarifverhandlungen auf Länderebene durch die sogenannten Arbeitgeber:innen, die stattdessen ein Spitzengespräch mit ver.di auf Bundesebene fordern. Weil die Verhandlungen aber in den Ländern geführt werden und das Spitzengespräch keinen Tarifabschluss bringen kann, handelt es sich offenbar um einen „durchschaubare[n] Versuch, den Tarifabschluss weiter zu verzögern“, so ver.di.
In Baden-Württemberg hatten die Arbeitgeber:innen zuletzt eine Lohnerhöhung von 6 Prozent nach drei Nullmonaten sowie von weiteren 4 Prozent 2024 angeboten. Diese Angebote bleiben deutlich unter der Inflation und würden einen starken Reallohnverlust für die Beschäftigten bedeuten. Die Gewerkschaft ver.di fordert stattdessen eine Lohnerhöhung von 2,50 Euro pro Stunde und einen Mindeststundenlohn von 13,50 Euro. Mit ihrer mangelnden Verhandlungsbereitschaft provozieren die Arbeitgeber:innen Streiks auch im Weihnachtsgeschäft, erklärte die Gewerkschaft außerdem.
Was ist unsere Perspektive?
Die vergangenen und bevorstehenden Streiks zeigen eins: Wieder einmal stehen größtenteils ökonomische Forderungen in Form von Lohnerhöhungen und Inflationsausgleich im Fokus. Sowohl eine Forderung nach 555 Euro (GDL) als auch 8,5 Prozent mehr Lohn (IGM) sind dabei viel zu niedrig gehalten, um die Arbeiter:innen in Zeiten von Inflationen, Krisen und Kriegen materiell tatsächlich zu stützen. Auch Einmalzahlungen wie Inflationsausgleichs-Prämien wie von der GDL sind keine langfristige Hilfe für die Arbeiter:innen, da sie in Zeiten der Inflation schnell an Wert verlieren. Vielmehr sind sie ein günstiger Ausweg für die Bosse. Stattdessen brauchen wir Löhne, die sich automatisch an die Inflation angleichen, damit die Arbeiter:innen auch in Krisenzeiten abgesichert sind.
Zusätzlich dazu sollten auch politische Forderungen gestellt werden. Die Streikenden des Hamburger Hafens zum Beispiel kämpfen gegen eine Ausgliederung in ein nicht-staatliches Unternehmen (MSC), sowie für die Entprivatisierung des Hafens, indem die Stadt Hamburg den restlichen Streubesitz wieder aufkaufen soll. Natürlich geht es dabei auch um die Lohnverluste, unter denen die Arbeiter:innen durch das Outsourcing leiden würden, und die Profite, die sich dafür MSC zugute machen könnte, aber der Kampf gegen Privatisierung ist auch ein inhärent politischer Kampf. Ein Kampf, der sich für Verstaatlichung ausspricht, und somit auch den Staat direkt anklagt.
Eine weitere politische Forderung sollte die Forderung nach einer Zusammenführung der Streiks darstellen. Die Hafenarbeiter:innen, die Beschäftigten der Bahn, und die der Stahlindustrie zeigen immer wieder eines in ihren Streiks: Sie sind diejenigen, die strategisch günstigere Positionen innehalten, als andere Arbeiter:innen. Sie sind diejenigen, die bei Niederlegung der Arbeit ein ganzes Land lahmlegen können. Dies ist aber kein Grund, die Arbeiter:innen gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil, genau deshalb sollten sie sich auch für andere Beschäftigte in Sektoren einsetzen, in denen Streiks nicht direkt die Profite der Bosse angreifen, sondern eher die Bevölkerung treffen, wie zum Beispiel in der Bildung.
Unbedingt müssen auch antirassistische Positionen in die Tarifrunden eingebracht werden. Denn während die sogenannten Arbeitgeber, besonders im öffentlichen Dienst der Länder, behaupten, für die Erfüllung der gewerkschaftlichen Forderungen sei kein Geld da, wird auch behauptet, Bund und Länder hätten keine Mittel, um weitere Geflüchtete zu unterstützen. Ganz offensichtlich sollen hier Geflüchtete gegen die Streikenden ausgespielt werden. Deshalb gilt es, sich in den Streiks offensiv gegen die Leistungskürzungen für Geflüchtete und die weitere Verschärfung des Asylrechts Position zu beziehen.
Zuletzt sollten und müssen die Gewerkschaften und Beschäftigte angesichts der humanitären Notsituation und des Genozids in Gaza Stellung beziehen. Die Klasse der Arbeiter:innen sollte nicht nur gewerkschaftsübergreifend streiken, sondern auch international! In Belgien haben beispielsweise die Luftfahr-Gewerkschaften (ACV Puls, BTB, BBTK und ACV-Transcom) aufgerufen, keine Flugzeuge zu produzieren, in denen dann Waffen nach Israel versendet werden. Ein weiteres Vorbild sind die Hafenarbeiter:innen in der italienischen Hafenstadt Genua. Diese weigerten sich letzte Woche, für Israel bestimmte Waffenlieferungen zu verladen. In beiden Fällen geht es letztendlich nicht nur um Blockaden von logistisch wichtigen Gütern, sondern auch um einen aktiven Beitrag das Leben von Zivilist:innen, der Alten, Frauen und Kinder in Gaza, zu erhalten.
Lasst uns also in den kommenden Streiks laut für unseren Lohn, aber auch für ein besseres Leben und eine bessere Gesellschaft kämpfen. Wir solidarisieren uns mit allen Streikenden!