Streik der Raffinerie-Arbeiter:innen in Frankreich eskaliert: Regierung will Streikende per Dekret zur Arbeit zwingen
Seit fast drei Wochen streiken die Arbeiter:innen zahlreicher Raffinerien in Frankreich für höhere Löhne wegen der starken Inflation. Weil dies nun zu einer immer angespannteren Versorgungslage an den Tankstellen führt, will die französische Regierung die Streikenden per Dekret zu Wiederaufnahme der Arbeit zwingen. Dagegen regt sich Widerstand -weitere Raffinerien sind in den Streik getreten und die Hafenarbeiter:innen in Le Havre und Marseille machen sich streikbereit.
Als am 29.09. dieses Jahres die Gewerkschaften in Frankreich zu einem großen nationalen Mobilisationsplan aufriefen war die Stimmung klar: Ein großer Teil der 250.000 Demonstrierenden, darunter auch viele Streikende, meinte, dass solche großen Aktionstage nicht reichen würden. Die Arbeiter:innen der Raffinerien in der Normandie in Gonfreville-L’Orcher (Total) und in Notre-Dame-de-Gravenchon (Exxon Mobile) machten es vor und traten in den Streik, den sie Tag für Tag durch demokratische Abstimmungen verlängerten – bis gestern.
Am Dienstag dieser Woche vermeldeten 33,1 % der Tankstellen in Frankreich, dass ihnen mindestens eine Treibstoffart vollständig fehle. In der Region um Paris waren es sogar um die 44 %. An den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. Zwischenzeitlich hattenweitere Raffinerien in Südfrankreich den Streik aufgenommen, auch Erdöllager wurden durch die Streikenden blockiert.
Am Dienstag wurde es der Regierung dann zu bunt: Die französische Premierministerin, Elisabeth Borne, verkündete am Dienstag in der Nationalversammlung, dass die Regierung von Ihrem Recht Gebrauch machen werde, die Streiks dadurch zu beenden, die Arbeiter:innen per Anordnung zu zwingen wieder Ihre Arbeit aufzunehmen. Eine entsprechende Anweisung war an die lokalen Präfekturen gegangen. Zunächst war unklar, für welche Arbeiter:innen die Anordnung gelten sollte, zunächst wohl nur von ExxonMobile zur Freigabe eine Erdöllagers in der Normandie. Am Mittwochabend waren vier Arbeiter:innen von der repressiven Maßnahme der Regierung betroffen.
Dabei haben die Arbeiter:innen bescheidene Forderungen: Sie wollen eine Lohnerhöhung um zehn Prozent, die Inflation liegt derzeit bei sechs Prozent. Den Rest sollten die reichen Ölkonzerne aus ihren Extraprofiten bezahlen: Allein der französische Ölriese Total ist das umsatzstärkste Unternehmen Frankreich und hat nach ersten Schätzungen in diesem Jahr Extraprofite in Höhe von 18 Milliarden Euro gemacht – der US-Konzern ExxonMobile ist hier noch gar nicht eingerechnet. Der Geschäftsführer von Total Patrick Pouyanné verdiente im Jahr 2021 5,9 Millionen Euro und konnte sein Gehalt verdoppeln. Für die Streikenden hatten die Gesellschaften weniger übrig. Sie wollten überhaupt nur Verhandlungen aufnehmen, wenn die Öllager frei gemacht werden. Das lehnten die Arbeiter:innen natürlich ab.
Dabei ist der Einsatz der Streikenden hoch: Nicht nur, dass sie durch die Streiks kein Geld verdienen. Wenn die Regierung sie zur Arbeit zwingt und sie dagegen verstoßen drohen drakonische Strafen. Bis zu einem halben Jahr Haftstrafe oder 10.000,- € Geldstrafe sind möglich. Doch als die Regierung 2010 das letzte Mal von ihrem Recht der „Requisition“ Gebrauch machte, hoben die Gerichte die Maßnahme auf, weil sie unverhältnismäßig war.
Doch nicht nur juristische Mittel stehen den Arbeiter:innen gegen diese reaktionäre Einschränkung ihres verfassungsgemäß verbürgten Streikrechts zur Seite. Die französische Regierung riskiert, dass es eine massive Solidaritätsbewegung für die Streikenden gibt. So sind mittlerweile fünf der sechs französischen Raffinerien im Streik – erst gestern hatten die Beschäftigten der Raffinerie von Donges (Total) beschlossen, wegen der Maßnahmen der Regierung in den Streik zu treten. Zudem sind die beiden Lager in Grandpuits und La Mède bestreikt.
Doch auch weitere Sektoren sind auf den Plan gerufen: So haben sich die Hafenarbeiter:innen von Le Havre und Marseille solidarisch mit den Streikenden erklärt. Sollte die Regierung wirklich die „Requisitionen“ durchführen, so werden sie streiken. Das ist aber noch lange nicht das einzige Problem der französischen Regierung. Macron will noch die Rentenreform durchbringen. Nach den großen Protesten 2020 musste er zurückrudern. Er fordert nun nicht mehr die Angleichung aller Sonderrentensysteme, sondern „nur“ noch die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Und weil er keine parlamentarische Mehrheit hat, will er notfalls sowohl die Rentenreform als auch seinen Haushalt per Dekret erlassen, so wie er schon einige seiner Konterreformen durchboxte. In Frankreich ist der Herbst schon heiß. Gegen den reaktionären und autoritären Schritt der französischen Regierung ist eine massive Ausweitung der Streiks erforderlich – hoch die internationale Solidarität!